[Senatsmitteilung: Stellungnahme des Senats zu dem Ersuchen der Bürgerschaft vom 19. April 2000 (Drucksache 16/4084) – Reform der Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer – Drucksache 16/5668 –]
Diese Drucksache möchte die CDU-Fraktion federführend an den Schulausschuß und mitberatend an den Wissenschaftsausschuß überweisen. Wer wünscht das Wort? – Frau Dr. Brüning, bitte schön.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Zu später Stunde nun eines der wichtigsten Reformvorhaben der jetzigen Legislaturperiode, die Reform der Lehrerausbildung.
Wenn ich an meine eigene Lehrerausbildung denke, die schon einige Jahre zurückliegt, könnte ich sie wie folgt charakterisieren: Wolkenkuckucksheim an der Universität und dann sozusagen der freie Fall vom Himmel auf die Erde, als die nichtakademische Schulpraxis begann.
Um diese Art von Erfahrungen künftigen Lehrergenerationen zu ersparen, hat die Kultusministerkonferenz 1998 beschlossen, die Lehrerausbildung bundesweit zu reformieren, das heißt praxisorientierter zu gestalten. Hamburg hat als eines der ersten Bundesländer 1999 eine Kommission für Lehrerbildung berufen, die unter Vorsitz des Schweizer Erziehungswissenschaftlers Jürgen Ölkers im Herbst 2000 einen umfassenden Bericht vorgelegt haben, den Sie mit der Drucksache gemeinsam in der Post gefunden haben.
Er enthält sehr differenzierte Vorschläge; einige wesentliche möchte ich näher betrachten. Künftig soll die Lehrerausbildung nun drei Phasen umfassen: die universitäre Ausbildung, den Vorbereitungsdienst am Studienseminar und als neuen Bereich eine dreijährige Berufseingangsphase. Internationale Forschungen zu Lehrerbiographien haben gezeigt, daß gerade die ersten Berufsjahre die schwierigsten sind, die der besonderen Betreuung bedürfen. Deshalb beabsichtigt der Senat – das geht aus der Drucksache hervor –, am IfL eine Trainee-Agentur einzurichten, die dafür in Kooperation mit anderen Bildungseinrichtungen ein spezielles Konzept und Angebot erarbeitet.
Ein wesentlicher Kernpunkt der Reform ist eine engere Vernetzung der drei Phasen der Ausbildung, die ihre inhaltlichen Bausteine und personellen Ressourcen aufeinander abstimmen sollen. Durch diese Kooperationen kann eine Theorieausbildung, die bisher vielfach nichts mit der Praxis zu tun hatte, minimiert werden.
Diesem Ziel dienen auch die neu zu schaffenden Kerncurricula. Durch sie sollen zentrale Themenbereiche der fachlichen, fachdidaktischen und erziehungswissenschaftlichen Studien verbindlich festgelegt werden. Das dabei zu lösende Problem scheint mir die Beteiligung der Fachwissenschaften zu sein. Diese müssen dazu verpflichtet werden, an einer lehramtsspezifischen Gestaltung ihrer Fächer mitzuwirken. Das heißt, Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer müssen für Lehramtsstudentinnen und Lehramtsstudenten entsprechende Lehrangebote innerhalb der Curricula unterbreiten. Dies könnte zu einem Zwiespalt zwischen der Freiheit von Forschung und Lehre einerseits führen und dem staatlichen Auftrag der Lehrerbildung andererseits.
Die SPD-Fraktion ist allerdings zuversichtlich, daß durch die Anstrengung aller Beteiligten eine Balance zwischen den verschiedenen Intentionen hergestellt werden kann.
Der Senat geht davon aus, daß die Einrichtung von Kerncurricula in den nächsten vier Jahren abgeschlossen sein wird; das ist also ein großes Projekt.
Da es innerhalb der universitären Ausbildung künftig ein Halbjahrespraktikum geben soll und die Studierenden dann regelmäßig einen Tag pro Woche in der Schule sein werden, begrüßt die SPD-Fraktion die Reduzierung des Vorbereitungsdienstes auf ein Lehramt von 24 Monaten auf 18 Monate.
Dies soll nach Auskunft des Senats bereits zum 1. August 2002 umgesetzt werden. Bis dahin müßte dann allerdings die Neugestaltung der Praxisanteile des Studiums geregelt sein.
Sie müßte geregelt sein, denn sonst, denke ich, kann man das Referendariat nicht verkürzen, Herr de Lorent.
Ein weiteres Novum der Lehrerausbildung ist die Einführung von drei sogenannten prioritären Themen, die fächerübergreifend Bestandteil der Ausbildung sein sollen: Medien, Schulentwicklung und der Umgang mit sozialer und kultureller Heterogenität. Der letzte Bereich hat vor allem durch die Veränderung der Schulwirklichkeit aufgrund von Migrationsprozessen in Europa eine große Bedeutung. Allerdings sind die Vorschläge, die von der Hamburger Kommission hierzu unterbreitet werden, aus meiner Sicht etwas zu eng gefaßt. Sie beziehen sich nämlich im wesentlichen auf das Problem der Mehrsprachigkeit, also Deutsch als Zweitsprache oder Türkisch als Erstsprache. Hier scheint mir doch eine stärkere Profilierung auf die vergleichende Erziehungswissenschaft, auf allgemeine Probleme der Migration und internationale Bildungssysteme einer differenzierten Sichtweise kultureller Vielfalt eher gerecht zu werden. Die Universität sollte einmal definieren, was „interkulturelle Bildung“ ist, sie sollte international anerkannte Bausteine interkultureller Bildung präsentieren, und dann schauen wir einmal, welche für die Lehramtsentwicklung wichtig sind. Nur Mehrsprachigkeit – das möchte ich noch einmal betonen – ist zu eng gefaßt. In diesem Zusammenhang finde ich es auch nicht angemessen, in Verbindung mit der Reform der Lehrerausbildung einen Islamlehrstuhl zu fordern. Man kann dies zwar fordern, aber das ist nicht notwendig, um die Lehrerausbildung zu reformieren.
Hier sehe ich noch erheblichen Beratungs- und Diskussionsbedarf. Im Ausschuß werden wir das dann miteinander besprechen.
Die Hamburger Kommission hat eine Vielzahl von sehr guten Vorschlägen erarbeitet. Dennoch sind – das habe ich bereits erwähnt – einige Fragen ungelöst. So muß beispielsweise noch geklärt werden, welches Gewicht die prioritären Themen in der Lehrerausbildung einnehmen sollen und wie sie in die Kerncurricula integriert werden können. Auch die Kooperation zwischen den an der Ausbildung beteiligten Instanzen muß geregelt werden, zum Beispiel das Zusammenwirken von Studienseminar und dem Institut für Lehrerfortbildung. Hier muß es eine durchdachte und voneinander abgegrenzte Aufgabenteilung geben.
Meine Damen und Herren! Hamburg ist auf dem Weg, eine Lehrergeneration heranzubilden, die nicht vom Himmel auf
die Erde fällt, wenn sie mit Problemen der Schulpraxis konfrontiert wird. Die Reform der Lehrerausbildung ist eines der wichtigsten Vorhaben in dieser Legislaturperiode, die mit Erfolg auf den Weg gebracht worden ist. Dafür herzlichen Dank an die Kommission.
Die Vorschläge der Kommission sollten – wie ich bereits erwähnt habe – noch einmal in den Ausschüssen diskutiert, geprüft, gegebenenfalls verändert und danach zügig in die Praxis umgesetzt werden. – Vielen Dank.
Präsident, meine Damen und Herren! Angesichts der bevorstehenden Anhörung am 8. Mai will ich mich heute nur auf einige Punkte beschränken.
Die Senatsmitteilung enthält eine ganze Reihe von Absichten. Zu den guten Absichten gehört auch aus unserer Sicht die Einführung von Kerncurricula für alle an der Lehrerausbildung beteiligten Fachbereiche und Disziplinen. Mir gefällt daran nicht nur das Ziel, den Studierenden eine verläßliche Orientierung zu geben, sondern insbesondere die Idee, genauso wie Frau Brüning es gesagt hat, die Fachwissenschaften stärker auf eine lehramtsspezifische Ausrichtung ihres Lehrangebots zu verpflichten. Ich glaube, eine wesentliche Ursache für diese Diskussion der Notwendigkeit einer Reform in den vergangenen Jahren bestand darin, daß das Studium in den Fachwissenschaften zu wenig auf den späteren Beruf bezogen ist, das heißt, zu wenig Theorie anbietet, die für die Lehrerpraxis konkret relevant ist. Das haben insbesondere die zukünftigen Grundschullehrer kritisiert, aber ich habe es auch ab und zu von Gymnasiallehrern gehört. Daß die sich dann mangels entsprechender praxisnaher Angebote tendenziell auf das Fachstudium konzentrieren, ist keine wünschenswerte Konsequenz.
Wenn es in der Senatsmitteilung heißt, daß die Einführung von Kerncurricula erheblicher Anstrengungen insbesondere innerhalb der Universität bedarf, dann klingt das für den Außenstehenden ja relativ harmlos. Wenn man aber weiß, daß schon viele Professoren unmittelbar am Fachbereich Erziehungswissenschaften ihre Schwierigkeiten damit haben – oder hoffentlich zunehmend hatten –, ihr Lehrangebot auch an den Erfordernissen der Praxis auszurichten, dann kann man in etwa ermessen, was das für den Rest der Hochschullehrer bedeutet. Hier eine Meinungsveränderung zu erreichen, ist eine riesige Herausforderung. Ich würde so weit gehen zu sagen, daß mit Gelingen dieser Herausforderung die Reform steht oder auch fällt.
Die bisherige Argumentation für diese Abwehrhaltung – es wird sich auf „Freiheit von Forschung und Lehre“ berufen oder darauf, daß die Forschung auf die Zukunft und nicht auf die Gegenwart in den Schulen ausgerichtet sein müsse – ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Aber man darf sie mittelfristig so absolut, wie sie bisher akzeptiert wurde, auch nicht weiter hinnehmen. Wenn alles nichts hilft, dann muß man sich überlegen, ob die Lehrerausbildung tatsächlich noch an die Universität gehört.
Einen Haken machen wir hinter die Verankerung der sogenannten prioritären Themen in der Lehrerbildung und hinter die Bündelung der Praxisanteile in der ersten Phase. Über die Ausgestaltung muß man sich noch unterhalten. Hinsichtlich der prioritären Themen ging es mir ein bißchen wie Frau Dr. Brüning. Mir war auch nicht ganz klar, wo eigentlich der Unterschied zu den Inhalten der Kerncurricula liegt beziehungsweise worin oder die eigentliche Abgrenzung oder Verbindung bestehen soll. Hierüber sollten wir noch einmal sprechen.
Bei der verpflichtenden Fortbildung ist der Knackpunkt nicht die Verpflichtung selbst – die haben wir per Schulgesetz heute schon –, sondern hier geht es in der Tat um die Ausgestaltung dieses sogenannten Obligatoriums. Wir erwarten ein Konzept, das Regelungen zur verbindlichen Einforderung dieser Fortbildungspflicht enthält.
Was erscheint nicht so rund? Zum einen ist es eine gewisse terminliche Unverbindlichkeit für die Bearbeitung der komplexeren Fragestellungen. Wir sind nicht grundsätzlich gegen eine Verkürzung der ersten und zweiten Phase, aber mir gefällt es nicht, daß der Senat relativ leicht benennen kann, daß die Reduzierung des Vorbereitungsdienstes bereits zum August 2002 realisiert werden soll; gerüchteweise habe ich von einem noch früheren Datum gehört, was ich sehr abenteuerlich fand. Hinsichtlich der geplanten Zeitoptimierung der ersten Phase heißt es dagegen nur, daß sie zügig in Angriff genommen werden soll. Das ist so nicht ideal. Wenn man einen früheren Berufseinstieg als heute erreichen will, was grundsätzlich nicht schlecht ist, dann muß man sich aber wenigstens auf einen Termin für die Einführung der Maßnahmen festlegen, die für die neue Berufseinstiegsphase geplant sind. Dieses Commitment findet man in der Drucksache aber nicht.
Wir haben Verständnis für eine verschiedenartige Taktung der Reformumsetzung. Aber es muß unbedingt sichergestellt sein, daß diejenigen Einzelteile, die unmittelbar miteinander zusammenhängen, auch zusammenhängend realisiert werden.
Wir begrüßen die Anhörung, weil sie uns Gelegenheit gibt, bestimmte Punkte noch zu hinterfragen. Später wollen wir dazu auch klare Positionen des Senats hören. Unser Klärungsbedarf ergibt sich nicht nur aus der Senatsmitteilung, sondern auch aus dem HKL-Bericht, und dies insbesondere dann, wenn dieser Bericht nicht nur grundsätzlich, sondern im Detail eine Guideline für die Reformumsetzung sein soll. Von Bedeutung sind für uns in diesem Zusammenhang die von der Kommission ausgesprochenen Empfehlungen im Bereich der interkulturellen Bildung, von denen man in der Senatsmitteilung nichts lesen kann. Das ist ein kritisches Kapitel, das auch wir in der Anhörung beleuchten werden.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Dramaturgie dieser beiden Tage hat dazu geführt, daß ich wieder als letzter Abgeordneter reden muß. Ich mache Ihnen den Vor
schlag: Sie konzentrieren sich, und ich rede so kurz, wie es bei einem Thema, das mit soviel Herzblut verbunden ist, möglich ist.
Das ist eine alte pädagogische Weisheit. Wenn das Auditorium nicht zuhört, dann versucht man, das ausführlicher zu erklären, um jeden zu erweichen. Das werden wir durchbrechen.
Erstens: Der Praxisbezug in der ersten Phase ist absolut notwendig. Lehrer müssen frühzeitig in ihrer Ausbildung erkennen, ob sie für den Beruf vorbereitet sind. Das muß verstärkt werden. Diesbezüglich ist die Analyse der Lehrerkommission noch viel zu euphemistisch. Es ist der Praxis viel gravierender als dargestellt.