neues Zeitalter ist. Und wenn ein neues Zeitalter beginnt, bezogen auf die Lebenswissenschaften, müssen die politisch Verantwortlichen und die Gesellschaft insgesamt sagen, was sie wollen, was sie nicht wollen, und darüber brauchen wir einen breiten Konsens in dieser Stadt, aber auch in der gesamten Wirtschaft. Dazu müssen wir fähig sein und uns darauf vorbereiten; wir jedenfalls werden dies in Hamburg gemeinsam tun.
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Es ist aus meiner Sicht etwas schwierig, sich im Rahmen einer Aktuellen Stunde in Fünf-Minuten-Beiträgen zu diesem Thema sinnvoll zu äußern.
Trotzdem ist es angemeldet worden, und ich nenne einen Punkt, der auch von Frau Roth erwähnt worden ist. Es gibt eine Ersuchensantwort des Senats, die sicherlich irgendwann auch diesen Flügel des Rathauses erreicht, so daß die Bürgerschaft dann ausführlicher und angemessener über das Thema Bio- und Gentechnik und auch die Fragen, die Frau Freudenberg aufgeworfen hat, diskutieren kann. Eine Aktuelle Stunde mit Fünf-Minuten-Debattenbeiträgen ist dazu ein denkbar schwieriger Ort. Ich will mich daher auf ganz wenige Punkte beschränken, zumal wir auch gleich noch einen Ehrenbürger zu wählen haben.
Zunächst war natürlich in der Fraktion bei uns großes Gelächter, als auf dem Fahrplan stand, daß Frau Fischer-Menzel und ich ausgeguckt werden sollten, zum perfekten Menschen zu reden.
Aber wir kamen überein, daß natürlich nur Senatsmitglieder perfekte Menschen sein könnten, welche, das will ich hier offenlassen.
In den letzten Tagen wurde von interessierter wissenschaftlicher Seite mal wieder die Entschlüsselung des menschlichen Genoms gefeiert. Diese Entschlüsselung wurde schon vor einem Jahr gefeiert; eine beachtliche PR-Leistung, dieselbe Nachricht zweimal zu verkaufen. Auch politische Fraktionen könnten auf so etwas neidisch werden. Trotzdem ist es bislang nur so, daß man zwar jetzt um die Reihenfolge der Buchstabenpaare weiß, aber bislang erst die wenigsten Buchstabenkombinationen lesen und verstehen kann. Adenin und Thymin beziehungsweise Cytosin und Guanin entscheiden über Sein oder Nichtsein, aber sehr viel mehr weiß man in Wahrheit noch nicht.
Man weiß allerdings mittlerweile, daß wir uns genetisch von manchem Fadenwurm nicht so sehr unterscheiden, wie wir es uns wohl erhofft hätten. Nicht hinreichend geklärt ist übrigens die Frage, wem eigentlich die Erkenntnisse über die menschliche Genomstruktur gehören. Sollen etwa künftig menschliche Gene patentierbar sein, und die Auseinandersetzung insbesondere um die Zeitschrift „Science“ und die Veröffentlichung der jetzigen Genomstruktur macht deutlich, daß noch so manche wirtschaftliche und wissenschaftliche, aber auch juristische Tretmine in dieser Thematik steckt.
Zeitlich parallel dazu ist wieder eine Diskussion aufgekommen über die Frage, ob wir ein geändertes Embryonenschutzgesetz brauchen. Das Argument, daß bestimmte Firmen wegen gesetzlicher Bestimmungen in diesem Land nicht forschen könnten, überzeugt mich nur eingeschränkt, sind doch einige der europaweit größten Bio-Tech-Firmen nach wie vor in Deutschland ansässig, so in Hamburg zum Beispiel die Firma EVOTEC. Außerdem haben wir als Fraktion vor einiger Zeit schon ein Fachgespräch zu dieser Thematik unter anderem mit Frau Professor Kollek gehabt, und sie bestätigte uns, daß die jetzige gesetzliche Regelung keine wichtige Forschung ausschließe.
Das Thema ist zwar tagesaktuell, aber es läßt sich nicht abschließend diskutieren. Aber eines ist klar: Wir wissen, wozu Menschen fähig sind, weil deutsche Geschichte nicht erst 1968 beginnt. Daher müssen wir als Politiker auch Forschern und Ärzten Grenzen setzen. Wir können die notwendige Diskussion in einigen Wochen erneut im Plenum beziehungsweise im Wissenschafts- und eventuell auch in anderen Ausschüssen führen. – Ich danke.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich sehe es auch so, daß dieses Thema, wenn man es seriös angeht, in Fünf-Minuten-Redebeiträgen nicht zu behandeln ist.
Wir können uns alle vorstellen, welches Vergnügen man dabei findet, wenn eines Tages Wissenschaftler es könnten, die Aminosäure Cytosin Phosphat in Chromosom 313 b von hinten nach vorne zu drehen und Karl-Heinz Ehlers blonde Haare wie Antje Möller hätte oder so laut werden könnte wie Walter Zuckerer; wir können uns solche netten Geschichten ausmalen.
Wissenschaft hat nicht automatisch eine Zielorientierung. Sie hat auch nicht automatisch eine ethische Orientierung oder eine ethische Wertskala. Da wird versprochen, mit den neuen Dingen Krankheiten bekämpfen zu können. Aber allein die Tatsache, daß man jetzt nur mit 30 000 bis 40 000 Genen rechnet, wobei man auf 120 000 gehofft hat, wird verhindern, daß wir eine Zuordnung von Krankheit zu Gen machen können, und dieses wiederum läßt die Aktien der Pharmaindustrie sinken. Dann wird die Forschung sehr viel komplizierter. Sie sehen, wie dicht die Wirtschaft hinter der Forschung steht.
Wissenschaft ist zunächst einmal nicht zielorientiert. Aber andererseits beeinflußt Wissenschaft ganz erheblich unser aller Lebensumstände. Darum ist es eine Angelegenheit des demokratischen Gemeinwesens, über seine Lebensverhältnisse selbst zu entscheiden. Das muß dieser Staat auch tun, dafür brauchen wir aber Grundwerte.
Wenn wir eine postmoderne Beliebigkeit vermeiden wollen, daß alles erlaubt sei, was geht, dann müssen wir uns Grundsätze schaffen. Zu den Grundsätzen sollte gehören, daß wir keine gendiagnostischen Maßnahmen zur Selektion von Menschen akzeptieren, daß wir keine Erzeugung von Embryonen zu Forschungszwecken oder zu gewerblichen Zwecken befürworten, vom Klonen gar nicht zu reden.
Die Genomentzifferung, die – da hat Herr Marx recht – zum zweiten Mal gefeiert worden ist, aber in Wirklichkeit noch gar nicht fertig ist, birgt die Gefahr, zur Auslese oder Diskriminierung von Menschen mißbraucht und genutzt zu werden. Das dürfen wir nicht zulassen.
Die Menschen haben immer mehr Schwierigkeiten, den Schritten der modernen Forschung zu folgen. Früher verstanden die Menschen im allgemeinen, wie eine Dampfmaschine funktioniert. Heutzutage wissen Sie nicht mehr, was bei der Kernspaltung passiert. Sie können die Risiken mit eigenen Gefühlen nicht bewerten, sie können die Risiken bei der Kohleverbrennung, den Treibhauseffekt, nicht beurteilen. Kürzlich habe ich gelesen, wie wenig Menschen verstehen, warum ein Düsenflugzeug überhaupt fliegen kann.
Es gibt also eine Entfremdung der Menschen vom Fortschritt in Forschung und Technik. Das macht Besorgnis, weil die Menschen sich heimatlos fühlen und nicht mehr verstehen, was passiert. Das kann auch Probleme für das demokratische Wesen insgesamt aufwerfen. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Marx, es ist schon ein Thema für die Aktuelle Stunde, denn gerade nach diesem Wochenende, mit aus der Gentechnik so schlechten Nachrichten, ist auch dieser Ort ein Platz, sich darüber Gedanken zu machen.
Natürlich haben wir selten abschließende Debatten in den Aktuellen Stunden geführt. Insofern ist es auch für diese Debatte klar, daß sie auf absehbare Zeit nicht abschließend geführt werden kann. Sie muß immer wieder aktuell geführt werden, um zu überprüfen, ob das, was in der Gentechnik passiert, auch tatsächlich das ist, was wir gemeinsam wollen.
Die erste schlechte Nachricht am Wochenende war, das Erbgut des Menschen sei entschlüsselt worden. Die ermittelte Anzahl – das haben wir gerade gehört – der vorhandenen Gene war natürlich ein kleiner, aber kräftiger Schlag gegen den menschlichen Größenwahn. Nur so wenig mehr Gene wie eine simple Maus zu haben, rückt unsere Bedeutung mit Recht doch ein wenig zurecht.
Diese Entwicklung ist für mich – wie für alle meine Vorredner auch – zutiefst beängstigend. Denn natürlich bringt kaum eine Wissenschaft so viele Gefahren mit sich wie die Gentechnik. Wir sind uns hier wohl alle einig, daß es sich nicht durchsetzen darf, daß sich das, was aus anderen Ländern zu hören ist, daß Menschen aufgrund ihrer genetischen Konditionen keinen Arbeitsplatz erhalten, daß Kranken- oder Lebensversicherungen die Höhe der Police anhand der individuellen Erbinformationen taxieren oder daß Menschen – so wie es in den USA immer wieder auf der Tagesordnung steht – grundsätzlich keinen Versicherungsschutz mehr gewährt bekommen. Den gläsernen Menschen mit der Genchipkarte darf es bei uns nicht geben.
Aber wir stehen auch hier an der Schwelle vor einem zur Realität werdenden Gruselkabinett. Dieser Entwicklung
müssen Grenzen gesetzt werden. Darin kann ich Frau Senatorin Roth zustimmen. Die gesetzlichen Vorschriften dürfen nicht aufgeweicht, sie müssen angesichts der aktuellen Entwicklung noch verschärft werden. Gerade hier ist auch der Gesetzgeber gefordert, den Rahmen so eng zu ziehen, daß eine Entwicklung – wie schwer dies auch immer sein mag – zurückgedrängt wird.
Es gab noch eine andere schlechte Nachricht am Wochenende, daß nämlich die Genehmigung von Gentests für Embryonen im Reagenzglas quasi bevorstehe. Die Gesundheitsministerin hat sich von dem ablehnenden Kurs ihrer Vorgängerin verabschiedet; der Kanzler wettert in diesem Zusammenhang gegen die Scheuklappen und – um es perfekt zu machen – setzt der kritischen Ethikkommission des Bundestages einen nationalen Ethikrat vor die Nase, um deutlich zu machen, wohin es aus seiner Sicht zu gehen hat. Das scheint die mögliche Türöffnung in einen gefährlichen Bereich zu sein.
Wie jedes Mal, wenn tatsächlich Regeln der ethischen Grenzen übertreten werden, rufen auch jetzt wieder alle Protagonisten, es sei doch nur zum Besten der Menschheit. Die Erbkrankheiten würden zukünftig besser erkannt, ihre Ausbreitung werde verhindert. Aus Sicht dieser Menschen wird alles gut oder zumindest besser. Einmal abgesehen davon, daß es aus meiner Sicht nicht akzeptabel ist, die Ausbreitung einer Krankheit durch Verhinderung des Menschen einzudämmen, gilt generell immer noch, daß Gentests weder gut noch böse sind, sondern immer beides. Einmal eingeführt, werden sie weiterentwickelt werden. Nirgendwo sonst wird deutlich, daß die Freiheit der Forschung auch Grenzen haben muß.
Denn alles, was erforscht ist, drängt auf Anwendung. So ist es nur noch ein kleiner Schritt von der Präimplantationsdiagnostik über das Auswählen besonderer Nachwuchseigenschaften bis zur Veränderung von Erbinformationen. Wer ein Kind zeugt, geht seit jeher ein Risiko ein. Menschliche Allmachtsphantasien, dieses Risiko mit Technik aus der Welt zu schaffen, öffnet die Tür zu einer Horrorwelt, die ich nicht erleben möchte.
Wie kurz wir vor dieser Schwelle stehen, zeigt ein Blick nach Großbritannien. Dort sind inzwischen Experimente mit embryonalen Stammzellen erlaubt. Das darf sich hier nicht durchsetzen. In dieser Frage scheint es hier im Haus nicht so viele Widersprüche zu geben. Dementsprechend ist es notwendig, diese Debatte immer wieder und auch in den Aktuellen Stunden zu führen. – Danke.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die GAL-Fraktion hat dieses Thema nicht angemeldet, um eine Diskussion abzuschließen, sondern um sie zu beginnen. Das ist uns wichtig. Es rechtfertigt auch die heutige Anmeldung.
Die Entschlüsselung des Humangenoms ist mit der Erfindung des Buchdrucks oder mit der Mondlandung verglichen worden. Ich denke, daß die Entschlüsselung des menschlichen Genoms unser Leben in den nächsten zehn oder 20 Jahren möglicherweise grundlegend verändern wird. Ob zum Besseren, das ist noch offen.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, überhaupt zu fragen, wer über die kommenden Informationen verfügen kann. Es ist sehr wichtig, daß immerhin der deutsche Wis
senschaftler Professor Andre Rosenthal, Genforscher aus Jena, mit anderen Kollegen aus Deutschland, Japan, England und den USA Mitte der neunziger Jahre dafür sorgte, daß zumindest die staatlich und öffentlich geförderten Forschungsergebnisse innerhalb von 24 Stunden ins Internet gestellt werden und damit allen zugänglich sind. Diese Gruppe hat sich verpflichtet, auf die Patentanmeldung von Rohsequenzen menschlicher Gene zu verzichten. Das ist sehr verantwortungsvoll, denn es hat ermöglicht, daß auch ein Druck auf die Firmen entsteht, die in diesem Bereich forschen, ihre Ergebnisse ebenfalls zu veröffentlichen.
Nichtsdestotrotz sind Heilserwartungen auch für die Medizin nicht angebracht. Es wird fünf bis zehn Jahre dauern, bis zum Beispiel für Krebs aus diesen Erkenntnissen überhaupt direkte Therapiekonzepte abgeleitet werden können. Es besteht die Gefahr – darauf ist hingewiesen worden –, daß Menschen, die sich beispielsweise bewußt dafür entscheiden, ein Embryo, das möglicherweise später zu einem mongoloiden Kind wird, weil es eine Trisomie 21 hat, von der Gesellschaft nach dem Motto diskriminiert werden: Das wäre doch nicht nötig gewesen. Solche Tendenzen gibt es bereits schon heute; ihnen müssen wir ganz entscheidend entgegentreten. Es gibt auch ein Recht auf Krankheit.
Herr Jobs hat zu Recht darauf hingewiesen, daß auch im Versicherungs- oder im arbeitsmedizinischen Bereich die Testung von Genen zu Diskriminierungen führen kann. Insofern ist es wichtig, eine breite gesellschaftliche Debatte um Möglichkeiten und auch Begrenzungen dieser Erkenntnisse zu führen. Hier teilen wir durchaus die Sorgen, die Herr Salchow angeführt hat. Wir sollten diese Debatte kontinuierlich weiterführen.