Protocol of the Session on January 24, 2001

„ist auch eine Grenze des materiellen Interesses.“

In einem Bundesstaat, Herr Kruse – das gilt auch für Herrn Hackbusch, der von den Parteien, auf die er schaut, viel erwartet –, gibt es Ländergrenzen, und in einem bundesstaatlich organisierten Gemeinwesen sind die Landesgrenzen Grenzen des Interesses.

Durch eine inhaltliche und organisatorische Umwandlung ist es nun zu einer Neuausrichtung gekommen. Es geht schließlich darum, daß für die Bürgerinnen und Bürger überall annähernd vergleichbare Lebensbedingungen herrschen, die Einnahmen der Länder sind ja sehr unterschiedlich. Darum muß der Bund den ärmeren, schwächeren Ländern und müssen sich die Länder untereinander helfen. Diejenigen, die zahlen, hatten natürlich immer ein Interesse daran, möglichst wenig zu zahlen. Hier gibt es eine Koalition einzelner Länder, der Hamburg auch angehört.

Herr Kruse, Sie als Mitglied der hanseatischen Opposition wissen, daß wir gemeinsam in einer Stadt leben, die glücklicherweise sehr viel leistungsstärker ist als andere Länder in dieser Republik.

Nunmehr zeigt sich, daß diese Überlegungen im Zuge der deutschen Einheit nicht mehr zeitgemäß sind. Die maßgeblichen Empfänger bestehen nicht mehr nur aus einigen westlichen Bundesländern, sondern auch aus den neuen Bundesländern. Wer dieses Finanzausgleichssystem beseitigen will, versündigt sich auch an der deutschen Einheit und an der Chance, diese Menschen an das anzubinden, was wir in dieser Republik als Lebensstandard und Infrastrukturausstattung für den Staat wollen.

(Beifall bei der SPD und bei Manfred Mahr GAL)

Insofern – und das ist eigentlich das Anfechtbare – gehen die Konzepte, die auf der Südschiene entwickelt worden sind, an den Problemen unserer Zeit vorbei.

Es ist natürlich auch deswegen kompliziert, weil dies eigentlich keine Materie für einen Gesetzgeber ist, obwohl das Bundesverfassungsgericht dies gerne möchte, indem es Maßstäbe gesetzt und die Forderung danach dokumentiert hat.

In Wirklichkeit handelt es sich um ein ganz kompliziertes Vertragswerk zwischen den Interessenten, nämlich zwischen den Länderregierungen und dem Bund. Mangels anderer Möglichkeiten wird dieses Werk von den Länderparlamenten ratifiziert, insbesondere aber vom Bundesrat und vom Bundestag. Das Gesetzgebungswerk ist im engeren Sinne eigentlich kein parlamentarisches, sondern doch ein sehr politisches. Insofern ist es für diese Republik von erheblicher Bedeutung, daß es Stadtstaaten gibt, weil die Städte sonst – das wissen wir aus vielfältiger Erfahrung – von Flächenstaaten dominiert würden. Diese haben zwar auch große Städte, sie spielen aber nicht die erste Rolle, ihre Interessen gehen unter.

Das ist der Punkt. Deswegen möchte ich Ihnen zurufen, Herr Bürgermeister – das ist zwar norddeutsch, aber nicht

(Anja Hajduk GAL)

städtisch –: Vertreten Sie am nächsten Wochenende die Interessen dieser Stadt gut! Landvogt, bleibe hart! Das ist wichtig.

(Beifall bei der SPD und bei Manfred Mahr GAL)

Das Wort hat Herr Kruse.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Man kann zum HWWA viel sagen; darüber gibt es auch Gutachten. Aber wer den Wirtschaftsdienst regelmäßig liest wie ich, der weiß,

(Anja Hajduk GAL: Das mußte doch mal gesagt werden!)

daß darin auch schon Besseres und besonders Schlechtes zum Finanzausgleich gestanden hat. Das nehmen wir zur Kenntnis. Zur Presse- und zur Wissenschaftsfreiheit gehört, daß in einer solcher Zeitschrift so etwas stehen darf. So viel muß möglich sein, es sagt aber nichts über die Arbeit des Instituts.

(Beifall bei der SPD)

Ich glaube, Föderalismus bedeutet immer die Sicherung der Existenzfähigkeit der Kleinsten; die Großen setzen sich immer durch. Das ist gerade der Unterschied zu den Provinzen, die von der Hauptstadt durch Zuweisung materieller oder anderer Mittel regiert werden. Hier scheint mir aufgrund des Angriffs auf die relativ kleinsten Länder ein sehr tiefes Mißverständnis zu herrschen, die als Stadtstaaten ganz andere strukturelle Voraussetzungen haben als Bundesländer mit 13 oder 18 Millionen Einwohnern und sich anders gestalten können.

Daher muß es – das hat auch das Bundesverfassungsgericht gesagt – eine Regelung für die Stadtstaaten geben, die sie nicht so stellt wie Flächenländer. Ob dies bei der Einwohnerwertung oder bei der Bewertung der Steuerkraft geschieht, wird man sehen, darüber wird man verhandeln müssen. Da gebe ich Frau Hajduk völlig recht.

Was mich allerdings etwas bedrückt, ist, daß die Länder – wir reden über Länderfinanzausgleich – erkennbar nicht einigungsfähig sind. Dummerweise wird die Summe des Länderfinanzausgleichs zur Hälfte vom Bund bezahlt. Jede Bundesregierung – wohl auch diese – hat ein riesiges Interesse, wenig zu bezahlen. Zahlt der Bund aber wenig, wird Hamburg relativ mehr bezahlen müssen. Deswegen gibt es aus meiner Sicht auch ein hohes Interesse, eine Ländereinigung herbeizuführen, damit man dann mit dem Bund reden kann.

Die Verhandlungen von vor sechs Jahren bedeuteten für Theo Waigel einen großen Verlust. Herr Runde, Sie waren damals Finanzsenator.

(Erster Bürgermeister Ortwin Runde: Ja, so isses!)

Die Länder hatten damals Glück. Theo Waigel war zugleich Bundesfinanzminister und Landesvorsitzender der CSU, so daß man ihn gut teilen konnte. Ob das mit Herrn Eichel als Landesvorsitzenden der SPD in Hessen so geht, müssen wir abwarten, denn die hessische SPD ist in dieser Bundesregierung nicht so bedeutend wie die CSU in der Kohl-Regierung. Das muß man einfach feststellen, Herr Ehlers. Es geht um Geld und um Macht. Also muß man sehen, wo die Bataillone stehen.

Frau Nümann-Seidewinkel, der Aufruf ist in Ordnung. Wir sollten uns mit dem Gegenstand beschäftigen. Ich gehöre

zu denen, die das schon vor zwei Jahren so gewünscht hatten; die Mehrheit dieses Hauses hat dies erst vor einem Jahr gewollt. Wir sollten aber auch einige Dinge zur Bündnissolidarität sagen.

Hamburg verhält sich hier eher vorbildlich. Es gibt aber etwas zu beklagen: Die Lohn- und Einkommensteuern fallen nur am Wohnsitz an. 30 Prozent unserer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wohnen nicht in Hamburg; davon haben wir nichts, obwohl wir riesige Vorleistungen aus den Steuerzahlungen der Stadt zur Verfügung stellen.

Hamburg wird ökonomisch gesehen durch die Verteilung der Umsatzsteuer pro Kopf benachteiligt. Denn die Umsatzsteuer auf den Konsum liegt in Hamburg um etwa 40 Prozent höher als im Bundesdurchschnitt. Irgendwo schimmert da für mich die Einwohnermeßzahl von 135 durch.

Es gibt im gültigen Länderfinanzausgleich Idiotien. Ich glaube, die Mehrheit der Länder bekommt mit der Begründung zwischen 160 und 220 Millionen DM, weil sie so klein seien. Die meisten Länder haben aber mehr Einwohner als Hamburg.

Nun gibt es eine tolle Begründung, warum wir dieses Geld nicht bekommen: Wir zahlen ein. Ja, entweder sind wir klein oder nicht. Mit Hilfe dieser Logik müssen wir eigentlich versuchen, genau 1 DM weniger zu haben, um einen Zuschuß zu erhalten. Dann gibt es nämlich gleich 219,99 Millionen DM dazu.

(Glocke)

Bitte beenden sie Ihre Rede, Herr Kruse.

Ja, ich möchte aber meinen Satz zu Ende bringen.

Das zeigt die Absurditäten, die auch erledigt werden müssen. Werden diese nicht erledigt, können Sie den Bürgern den Finanzausgleich nie klarmachen.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat der Erste Bürgermeister.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht hier in der Tat um die Existenzgrundlagen unserer Stadt, aber auch um die verschiedener anderer Stadtstaaten und Länder. Außerdem geht es um Weichenstellungen und ihre Langzeitwirkung.

Deswegen kommt es nicht nur darauf an, ein Ergebnis zu erzielen, das für einige Zeit hält, sondern es muß schon eines sein, das langfristig die Existenzgrundlagen aller gewährleistet. Von daher muß man schlicht und einfach feststellen, daß die Vorschläge der Südschiene eine Mogelpackung sind. Sie haben keine Langzeitwirkung und bieten keine Sicherheit für die Stadtstaaten, im Gegenteil.

Es ist geradezu eine Unverschämtheit, einem Zahlerland wie Hamburg auch aufgrund seines Schuldenabbaus – Bundesergänzungszuweisung – das Siegel aufzustempeln, als wäre es ein Nehmerland. Erst nimmt man uns 2 Milliarden DM, dann gibt man uns gnädig 750 Millionen DM. So hätten es die Herren gern. Das wird so aber nicht gehen, das kann nicht sein.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

(Jan Ehlers SPD)

A C

B D

Ich bin dankbar, daß wir es in Hamburg hinbekommen – was diesen Punkt angeht –, eine Allianz zu schließen, um gemeinsam die Interessen der Stadt zu vertreten. Das gilt sowohl für den parlamentarischen Bereich als auch für die gesellschaftlichen Gruppen.

Wir Hamburger sind immer großzügig genug, wenn ein Ilmenauer TUH-Professor einen Artikel in einer Zeitung des HWWA schreibt. Diesen Gastkommentar habe ich mit Vergnügen zur Kenntnis genommen. Wir wissen dann, wie die Wissenschaft in diesen Teilen der Republik funktioniert.

Ich habe auch mit großem Interesse das Ifo-Gutachten gelesen. Frau Nümann-Seidewinkel hat bereits festgestellt: Anstatt die 1993 entwickelte valide Methodik zu aktualisieren, hat das Ifo-Institut offensichtlich gemerkt, daß diese nicht zum gewünschten Ergebnis führt. Das Gutachten ist dann in die Fragwürdigkeit einer natürlichen Input-Output-Analyse abgerutscht. So kann man eigene Gutachten, eigenen wissenschaftlichen Ruf in Frage stellen.

Wenn ich mir dieses vergegenwärtige, wundert mich vor diesem Hintergrund die frühere Bewertung des Ifo-Instituts durch den Wissenschaftsrat nicht mehr.

Was die gesamte Frage der Strategie angeht, befindet sich Hamburg in einer Situation, in der die Interessenlage ambivalent strukturiert ist. Hamburg ist eines der starken Zahlerländer. Pro Einwohner zahlt Hamburg nach Hessen am meisten ein, und zwar weit mehr als anderen Länder, einschließlich Bayern und Nordrhein-Westfalen.

Auf der anderen Seite sind wir in der Situation, ein Stadtstaat zu sein. Die gesamte Strategie der Südschiene war von vornherein darauf angelegt, die Stadtstaaten zu isolieren, den Finanzausgleich und die Verteilungswirkung dadurch zu verschieben, indem sie sich eine Minderheit aussuchte, auf die der Angriff lohnt, und das waren die Stadtstaaten. Deswegen war es selbstverständlich, daß wir ein Bündnis mit den anderen Stadtstaaten eingegangen sind, das im übrigen während der ganzen Zeit gut funktioniert hat. Innerhalb dieses Bündnisses werden wir uns auch weiterhin fest verhalten.

(Beifall bei der SPD)

Das hat im übrigen auch den Vorteil gehabt, daß wir auf diese Art und Weise eine Steuerreform durchsetzen konnten. Ohne diese Bündnisbemühung der Stadtstaaten wäre auch das nicht möglich gewesen.