Protocol of the Session on July 12, 2000

Wenn Sie mit Oberstufenschülerinnen sprechen – egal aus welchem Stadtteil –, hören Sie mehr als deutlich, daß ihnen die ewige Pendelei zwischen den Schulen „auf den Geist und auf die Nerven geht“ und wenn zum Beispiel erst nachmittags um 16 Uhr der Chemieleistungskurs angeboten werden kann.

Hier komme ich auch zur Qualitätsfrage. Die GAL mißt natürlich die Qualität der gymnasialen Oberstufe nicht nur an der Frage des Kursangebots, denn durch die Novellierung der Ausbildungs- und Prüfungsordnung der gym

nasialen Oberstufe 1997 wurde jede gymnasiale Oberstufe mit 13 Lehrermehrstunden pro Woche ausgestattet. Diese zusätzlichen Stunden gibt es, um Schülerinnen besondere Lernleistungen zu ermöglichen, um fächerverbindende Kompetenzkurse – auch von der Wirtschaft gefordert – und fächerübergreifenden Unterricht zu organisieren, Projektkurse anzubieten und um Berufspraktika auch in der Oberstufe zu begleiten. Das sind höchst notwendige Veränderungen und Leistungsansprüche, damit diese jungen Erwachsenen in der gymnasialen Oberstufe auf die gesellschaftlichen Anforderungen vorbereitet werden.

Nun komme ich zu der leider etwas mageren inhaltlichen Ausbeute der Antwort auf die Große Anfrage. Da sieht es richtig düster aus. Die neuen Elemente der gymnasialen Oberstufe – die sind in der Novellierung ausdrücklich eingeführt worden – kommen kaum vor. Nur eine Minderheit der Hamburger gymnasialen Oberstufen hat sich an die Reform gemacht oder machen können. Was passiert in der Realität? In Hamburg werden lediglich an zwölf Schulen Kompetenzkurse angeboten. Nur ein Gymnasium bietet einen Kurs für die Begleitung von besonderen Lernleistungen an, und zwar vorbildlich das Gymnasium Heidberg, wo zum Beispiel die Arbeiten aus „Jugend forscht“ entsprechend Einfluß haben und angeboten werden. Wie sollen da die Schülerinnen auf die Leistungsanforderungen in Studium, Ausbildung und später im Beruf vorbereitet werden?

Das heißt mit anderen Worten: 53 Stellen – also 13 Lehrermehrstunden pro Schule – werden zur Zeit noch nicht für die Weiterentwicklung der gymnasialen Oberstufe verwendet, sondern fast vollständig für die Finanzierung der Unterfrequenzen aus der Not zweckentfremdet.

Es steht in der Antwort:

„Die genaue Verwendung dieser Stunden wird von der zuständigen Behörde nicht erhoben.“

Letztendlich sollen die Schulen im Rahmen von Autonomie selbst bestimmen, wie sie das Ziel erreichen. Aber die Zielvorgaben, die Qualität, müssen natürlich eingehalten werden.

Fazit: Die strukturelle Problematik der gymnasialen Oberstufe läßt die Qualitätsentwicklung in der Ressourcendebatte ersticken. Es besteht Handlungsbedarf, die Zahlen stehen da nun einmal.Auch durch vielfältige Kooperationen kann nicht der Mangel an Qualität und Kursangebot kompensiert werden, und das ist dringend nötig. Wir sollten es nicht hinnehmen, daß in unserer Stadt kaum Leistungskurse in Physik, Chemie, Informatik, in Musik und Französisch zustande kommen.

Es gibt zwei realistische Möglichkeiten, zu handeln.Eine ist die Zusammenfassung der Schülerinnen in gemeinsame größere Oberstufen. Das beste Beispiel ist das Eimsbütteler Modell, die gemeinsame Oberstufe des Gymnasiums Kaiser-Friedrich-Ufer und des Helene-Lange-Gymnasiums. Diese Oberstufen bieten eine breite Vielfalt an, und auch die vielfältigeren Möglichkeiten von Kompetenzkursen und Projekten haben dort eine Chance. Die gemeinsamen Systeme müssen nicht dauernd den Notstand subventionieren, weil man unbedingt seine eigene kleine Oberstufe haben will. Sie haben dann noch Luft, Minderheitenangebote anzubieten. Wenn es kleine Interessentenzahlen für Musik oder ein bestimmtes Fach gibt, sind menschliche Ressourcen sozusagen nicht genutzt, die gefordert und gefördert werden konnten.

Die andere Möglichkeit, die Profilierung und Spezialisierung von gymnasialen Oberstufen, wird bereits an der Max

(Christa Goetsch GAL)

Brauer-Gesamtschule vorgelebt.Warum soll es nicht kleine Oberstufen mit einem naturwissenschaftlichen Schwerpunkt geben oder mit den Profilen, wie es dort gemacht wird? Warum kann den Schülerinnen und Schülern nicht ein Netz von Profiloberstufen ermöglicht werden und zusammen ein sehr großes Wahlangebot im Stadtstadt Hamburg ergeben? Das Ganze dann ausgeschrieben im Internet über den Bildungsserver der BSJG, und die Schülerinnen können wählen.

Wir werden nicht nur weiter denken, sondern handeln müssen. Die Zahlen stehen. Ich bin im Gegensatz zur Antwort des Senats nicht nur der Meinung, daß man die vielfältigen bestehenden Kooperationsformen, die nur bei diesen echten gemeinsamen Oberstufen konzeptionelle Kooperationsformen sind, befürwortet oder fördert, sondern daß man ein Strukturkonzept braucht.

Vielfalt ist gut, aber „Vielzahl“ hat seine Grenzen. – Danke.

(Beifall bei der GAL)

Das Wort hat Frau Dr. Brüning.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es zeigt sich wieder einmal, Frau Goetsch, daß man Große Anfragen unterschiedlich interpretieren kann.Ich bin zu ganz anderen Schlußfolgerungen gekommen als Sie.

An den Hamburger Gymnasien herrschen sehr vielfältige Kooperationsformen vor; Sie haben diese nicht alle genannt. Ich möchte Sie für das Auditorium noch einmal nennen.

Es gibt vier Gymnasienpaare, die von Anfang an ihre Oberstufe gemeinsam planen. Darüber hinaus gibt es eine große Anzahl von Schulen, die regelmäßig – das Wort regelmäßig ist mir wichtig – Kooperationen durchführen, um ein gutes Leistungsangebot für die Schülerinnen und Schüler zu garantieren.

(Vizepräsident Berndt Röder übernimmt den Vor- sitz.)

Es gibt aber auch eine kleine Anzahl von Schulen, die nur sporadisch kooperieren. Wenn ein Leistungsfach nicht angeboten werden kann, dann arbeiten sie mit einer anderen Schule zusammen.

Das ist eine Pluralität von Kooperationsformen. Frau Goetsch, ich sehe überhaupt keinen Grund, diese Pluralität abzuschaffen. Sicherlich haben Sie recht, daß man die Schulen überzeugen, ihnen aber nicht vorschreiben sollte, daß es sinnvoll wäre, Oberstufen von Anfang an gemeinsam zu planen. Das kann nur durch Überzeugung geleistet werden.Ich möchte für die SPD-Fraktion noch einmal deutlich machen, daß wir zu der Pluralität der Kooperationsformen stehen und sie auch nicht abschaffen möchten.

Übrigens glaube ich, daß hinter der Intention Ihrer Großen Anfrage doch die Idee von Oberstufenzentren steht. Diese Idee kann man zwar weiter diskutieren, aber momentan steht die Umsetzung in Hamburg nicht an. Es ist auch nicht bewiesen, daß in einem Oberstufenzentrum eine bessere Qualität von Schule stattfinden würde.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Sie haben als zweiten Punkt die Qualität von Schule angesprochen.In Ihrer Anfrage haben Sie danach gefragt, ob es

neue pädagogische, didaktische Profile in der Oberstufe gibt.

Es gibt viele Gymnasien, die Kompetenzkurse und Projektunterricht anbieten. Aber ich glaube, daß Sie uns suggerieren wollen, daß nur die Schule, die Kompetenzkurse anbietet, auch eine gute Qualität von Unterricht gewährleistet.Hier möchte ich Ihnen widersprechen, denn es gibt alte und neue Formen von Unterricht, Kompetenzkurse und Projektunterricht. Altbewährte Formen wie Textinterpretation und Vokabelnlernen kann man aber nicht abschaffen. Insofern sollte es den Schulen selbst überlassen bleiben, wie sie ihren Unterricht gestalten wollen.

Für mich steht im Mittelpunkt, daß in der gymnasialen Oberstufe – ich zitiere Ihre Anfrage – das selbständige Lernen, also die Entwicklung eigener Ideen und eigener Formen der Wissensaneignung im Vordergrund stehen sollte. Die Gymnasien und natürlich auch die gymnasialen Oberstufen der Gesamtschulen sind da auf einem guten Weg. Daher sehe ich keine Notwendigkeit, irgendwelche strukturellen Veränderungen durch die Behörde herbeizuführen. Sie sind doch sonst auch immer für die Autonomie der Schulen. Wir sollten es den Gymnasien und Gesamtschulen selbst überlassen, wie sie ihre Oberstufen gestalten wollen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, bei Heide Simon GAL und Elke Thomas CDU)

Das Wort erhält der Abgeordnete Engels.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Goetsch, Sie beklagen die mangelnde Qualität der Antworten des Senats auf Ihre Große Anfrage.

(Dr. Holger Christier SPD: Das ist keine Atom- debatte!)

Ich muß Ihnen aber sagen: Wer fast nur nach Quantitäten fragt, der hat selbst schuld, wenn er diese Antworten bekommt. Das fällt auf Sie als Befragerin zurück.

(Beifall bei der CDU)

Wenn Sie im übrigen – hören Sie bitte genau zu – hier beklagen, daß aufgrund Ihrer eigenen Zahlenanalyse die Hamburger Gymnasien ein strukturelles Problem haben – das haben Sie wörtlich so gesagt –, dann sollten Sie an dieser Stelle in sich gehen.

Sie haben ausdrücklich die Zahl von 22 Schülern genannt, die auf die Ausrichtung der Dreizügigkeit abzielt.Sie sagen, es kommen für die Einführung der Dreizügigkeit nur 29 der Hamburger Gymnasien auf die notwendige Zahl von 66 Schülern.

Wer hat diese Zahl denn um 10 Prozent an den Hamburger gymnasialen Oberstufen angehoben und sie von diesem Podium begeistert beklatscht und begleitet? Sie wollten diese Anhebung, und Sie wollten damit das Nichterreichen der Dreizügigkeit. Nun stellen Sie sich hier hin und weinen Krokodilstränen. Frau Goetsch, das bin ich von Ihnen nicht gewöhnt. Das ist so etwas von unwahrhaftig, daß ich es fast unerträglich finde.

(Beifall bei der CDU)

Sie haben dafür gesorgt, daß diese Strukturprobleme entstanden sind.

(Christa Goetsch GAL)

Nun sagen Sie, die Zahl 66, die von der Behörde dann von 3,0- auf 2,5-Zügigkeit gerundet wurde, sei zu beklagen, sie sei nicht realistisch. Ich möchte Sie einmal an die Diskussion um die Zügigkeiten von Gesamtschulen erinnern.

(Antje Möller GAL: Das klingt jetzt etwas aufge- setzt!)

Damals haben Sie anders geredet als heute.Frau Goetsch, bleiben Sie wenigstens konsequent und arbeiten Sie auch bei der Auswertung von Zahlen nicht nur nach Ihrem ideologisch vorgeformten Muster. So geht das nicht.

(Beifall bei der CDU)

Wenn wir schon bei einem strukturellen Problem sind, dann schauen wir doch einmal genauer nach, wie es bei den Oberstufen der staatlichen Gymnasien und der Gesamtschulen aussieht.

(Dr. Hans-Peter de Lorent GAL: Was soll das denn heißen?)

Hier hätten Sie auch einmal rechnen müssen. 4,5 Prozent der Gymnasien erreichen nicht die Zweizügigkeit; 35 Prozent der Oberstufen an den Gesamtschulen erreichen sie auch nicht. Bei den Gymnasien ergibt sich insgesamt ein Anteil von etwa einem Drittel, das nur die Dreizügigkeit erreicht. Bei den Gesamtschulen sind es glatte 63 Prozent. Wenn ich die Gesamtschule Finkenwerder hinzurechne, erreichen aber zwei Drittel aller Gesamtschulen nicht die Zweizügigkeit. Frau Goetsch, es war nicht klug, daß Sie diese Bemerkung gemacht haben.