Protocol of the Session on June 22, 2000

(Glocke)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Beuß?

Nein, ich habe sehr wenig Zeit, Herr Beuß.

Sie brauchen die Ablehnung nicht zu begründen.

Der Verband ist der Ansicht, daß es bereits in der Schule ein breitgefächertes Kommunikationsangebot geben muß. Dies ermöglicht den hörgeschädigten Menschen, ihren eigenen Bedürfnissen und den jeweiligen Gegebenheiten entsprechend wählen zu können, welche Kommunikationsform sie einsetzen wollen. Das ist nur ein Argument des Fachverbandes, aber ich nenne es, weil es mir so plausibel erscheint.

Die Jugendgruppe Hamburg des Bundes der Schwerhörigen e.V. und der Gehörlosenverband Hamburg äußern sich ebenfalls positiv zur Zusammenlegung der beiden Schulen. Ich denke, es ist an der Zeit, nach vorne zu blicken. Wir sollten die Zusammenlegung der Schulen für hörgeschädigte Kinder konstruktiv begleiten. Ich wünsche mir, daß uns die Eltern ihr Vertrauen entgegenbringen, das wir dann allerdings auch nicht enttäuschen dürfen.Den Antrag der CDU lehnen wir ab. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort bekommt die Abgeordnete Dr. Freudenberg.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die GAL-Fraktion begrüßt die geplante Zusammenlegung der Schwerhörigen- und der Gehörlosenschule in eine gemeinsame Schule, nämlich in die Schule für Hörgeschädigte, die vorläufig noch an den beiden Standorten Schultzweg – Schule für Schwerhörige – und Hammer Straße – Schule für Gehörlose – arbeiten wird.

(Erika Woisin SPD)

(Wolfgang Beuß CDU: Was heißt vorläufig?)

Der Entscheidungsprozeß wurde sehr sorgfältig durchgeführt und abgestimmt. Der Antrag der CDU, die Entscheidung über die Zusammenlegung auszusetzen, ist völlig unangemessen, und wir werden ihn ablehnen.

Frau Woisin hat es schon gesagt, die Schülerzahlen gehen an beiden Schulen zurück – Herr Beuß, an beiden Schulen, nicht nur an der Gehörlosenschule –, und es ist notwendig, in Hamburg endlich die pädagogische Kompetenz für die adäquate Förderung aller Kinder mit Hörproblemen an einer Schule mit einem differenzierten Angebot zusammenzufassen. Das ist das, was geplant wird, und das ist auch vernünftig.

Frau Woisin hat es schon gesagt, daß diese Zusammenfassung in anderen Bundesländern und Ländern üblich ist und wirklich kein revolutionäres Experiment ist. Sie wollen mich etwas fragen? – Bitte schön.

(Glocke)

Frau Dr. Freudenberg, das Wort erteile hier immer noch ich. Bitte, Herr Beuß.

Ich danke Ihnen beiden. Frau Dr. Freudenberg, Ihre Vorrednerin hat gesagt, die Schulen bleiben an den getrennten Standorten bestehen.Sie reden jetzt von einem Standort.Was ist denn jetzt geplant?

Ich habe gesagt, vorläufig an einem Standort.

(Jürgen Klimke CDU: Oder an getrennten haben Sie gesagt!)

Ich denke, auf Dauer ist es sinnvoll, diese Schulen räumlich zusammenzufassen, wobei ein Aspekt auch noch wichtig ist. Es gibt einen sehr großen Anteil von mehrfach behinderten Kindern mit ausgeprägten Hörstörungen, und beide Schulen sind nicht richtig behindertengerecht ausgestattet. Es ist notwendig, daß wir eine Schule haben, in der auch Kinder, die einen weiteren Förderungsbedarf haben, zusätzlich zu ihrer Hörstörung adäquat gefördert werden können. Ich stelle mir vor, daß wir eine Schule haben für alle Kinder mit Hörproblemen, die auch die Möglichkeit bietet, weiteren Behinderungen adäquat zu begegnen, diese Kinder zu fördern, natürlich mit dem Ziel – darüber haben wir auch öfter gesprochen –, eine Kooperation mit Regelschulen zu haben, eine Zusammenarbeit und zunehmende Integration auch der Kinder, die es schaffen, eine Regelschule zu besuchen.

(Antje Blumenthal CDU:Dann ist doch unser Antrag genau richtig!)

Aber ein Problem ist doch, daß die Gehörlosenschule mittlerweile über ein Drittel Kinder hat, die mehrfach behindert sind. Etwa die Hälfte dieser Kinder sind nicht gehörlos und gar nicht so hochgradig schwerhörig, aber sie können dem Programm der Schwerhörigenschule nicht folgen und dort nicht adäquat gefördert werden. Das ist wirklich eine sehr komplexe Problematik. Wir müssen differenzieren und uns sehr viel Mühe geben, daß wir allen Kindern gerecht werden, und das haben wir vor. Ich denke, da ist die räumliche Zusammenfassung sinnvoll, und zwar für alle Kinder und nicht, wie Sie es wollen, daß Sie immer irgendwelche ausgrenzen und sortieren. Das ist ja fürchterlich.

(Antje Blumenthal CDU: Wir wollen ein Jahr aus- setzen!)

Jetzt möchte ich auf einen anderen Punkt eingehen. Auch wir als GAL-Fraktion haben mit der Gruppe der Eltern der Schwerhörigenschule gesprochen, die Angst haben, daß die lautsprachliche Förderung ihrer Kinder unter einer Zusammenlegung der Schulen leiden könnte, wenn ihre Kinder mit Gebärden in Berührung kommen. Wir nehmen die Ängste dieser Eltern ernst

(Wolfgang Beuß CDU: Aha!)

trotz der irrationalen Heftigkeit, mit der die meisten von ihnen ihren Protest vortragen. Wir haben auch Verständnis für diese Haltung, die oft irrational ist, weil sie Ausdruck der Sorge um die Entwicklung der eigenen Kinder ist.

(Antje Blumenthal CDU: Aber helfen tun Sie ihnen nicht!)

Die Konzeption der geplanten Hörgeschädigtenschule kann diese Ängste entkräften. Es sind drei Abteilungen geplant. Eine Abteilung mit lautsprachlichem Unterricht mit Einsatz lautunterstützender Gebärden. Diese sind notwendig, um oftmals überhaupt ein Verständnis für die Begriffe zu haben, denn nur hörgerichtet geht es nicht. Dann eine zweite Gruppe gebärdenbegleiteter lautsprachlicher Unterricht, also nicht nur punktuelles Einsetzen von Gebärde, sondern begleitend, aber nicht Deutsche Gebärdensprache, sondern Einzelgebärden. Und in dieser Abteilung soll auch der bilinguale Unterricht stattfinden, das heißt die Vermittlung der Lautschriftsprache und auch die der Deutschen Gebärdensprache in ihrer ganzen Komplexität, die sie als vollwertige Sprache hat.

Die dritte Abteilung wird die Abteilung für Frühförderung sein, die pädiatrische Audiologie und ambulante Förderung schwerhöriger Kinder in allgemeinbildenden Schulen, was auch jetzt schon geleistet wird.

Der gemeinsame Unterricht der Kinder – das ist auch immer wieder diskutiert worden – aus den beiden schulischen Abteilungen ist nur für handlungsorientierte Fächer geplant, also für Sport, Kunst und Werken. Die Angst der Eltern, ihre Kinder könnten mit der Gebärdensprache in Berührung kommen, ist nicht nur irrational, sondern auch wirklichkeitsfremd. Die schwerhörigen Kinder untereinander kommunizieren nämlich sowieso mit Gebärden. Ihnen geht es um Kommunikation und nicht um die reine Lehre. Gerade die Tatsache, daß schwerhörige Kinder so rasch die Gebärdensprache aufgreifen, zeigt doch, wie sehr sie diese Kommunikationsmöglichkeit brauchen. Die Kinder brauchen eine Sprache. Sie müssen doch miteinander reden können, und es ist grausam, Kindern überhaupt Sprache vorzuenthalten, denn Sprache ist die Grundlage dafür, daß man überhaupt miteinander reden, sich verständigen und mitteilen kann.

Das schulpolitische, behindertenpolitische Ziel ist, allen Kindern mit einer Hörschädigung eine möglichst gute Entwicklung zu ermöglichen. Der Erwerb der Lautsprache ist dabei ein ganz wichtiges, aber wirklich nicht das einzige Ziel. Es geht darum, alle Möglichkeiten der Kommunikation zu eröffnen und damit die emotionale und intellektuelle Entwicklung der Kinder zu fördern.

Wir erwarten in dem Zusammenhang mit Spannung den Schlußbericht zum bilingualen Schulversuch. Schon der Zwischenbericht war sehr ermutigend, denn Mehrsprachigkeit ist auch für Kinder mit Hörstörungen eine große Chance. Mehrsprachigkeit bedeutet hier, erstens die Deut

(Dr. Dorothee Freudenberg GAL)

sche Gebärdensprache und dann möglichst weitgehend die Lautsprache und damit auch die Schriftsprache zu erlernen, denn das Erlernen der Schriftsprache ist wichtig und natürlich für uns Lautsprachler sehr viel leichter.

Durch Fortschritte in der Medizin, vor allen Dingen in der Medizintechnik, eröffnet sich für viele erheblich schwerhörige Menschen die Möglichkeit, die Lautsprache zu erlernen und in ihr zu kommunizieren. Die Entwicklungen der letzten Zeit sind wirklich ermutigend. Es gibt sehr viel leistungsstärkere Hörgeräte, wie auch das Cochleaimplantat, aber die Anwendung dieser Techniken macht nur Zweck, wenn sie sehr früh eingesetzt werden. Sie müssen in der Zeit der normalen sprachlichen Entwicklung von Kindern eingesetzt werden, das heißt vor Ablauf des zweiten Lebensjahres. Darum ist es sehr wichtig, daß Hörstörungen bei Kindern früh diagnostiziert werden. Jetzt ist es so, daß viele Hörstörungen erst dann erkannt werden, wenn die sprachliche Entwicklung verzögert ist und sich auch sonst Auffälligkeiten zeigen. Es ist medizinisch kein großes Problem, schon bei Neugeborenen Hörstörungen festzustellen. Wir setzen uns dafür ein, daß endlich alle Neugeborenen routinemäßig auf Hörstörungen untersucht werden, die zu den häufigsten angeborenen Störungen gehören.

(Wolfgang Beust CDU: Zum Thema!)

Wir wissen, daß Hamburg da sehr weit gekommen ist. Das ist auf einem sehr guten Weg, und wir erwarten, daß Hamburg demnächst ein Neugeborenen-Hörscreening einführen wird, bevor das endlich auch bundesweit möglich ist. Wir finden das so wichtig – Sie sagten, zum Thema –, weil wir deutlich machen wollen, daß natürlich die lautsprachliche Entwicklung schwerhöriger Menschen für uns ein großes Anliegen ist und daß wir diese soweit es geht fördern wollen. Aber es geht primär hier um Kommunikation, und dafür müssen wir noch viel tun. – Danke schön.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort erhält der Abgeordnete Jobs.

Meine Damen und Herren! Zum Anlaß und zur Ursache möchte ich noch einmal zwei grundsätzliche Gedanken verwenden. Wie ist es eigentlich zu erklären, daß solch ein massiver Streit um die Zusammenlegung von zwei Schulen, in denen Kinder und Jugendliche mit Hörbehinderungen unterrichtet werden, entsteht? Wenn man sich die Argumente der besorgten Eltern anhört, wird schnell klar, worum es geht. Es geht um Integration und das Verständnis von Integration.

Dieser Streit wirft ein bitteres Licht auf das, was Integration für Menschen mit Behinderungen in der Hamburger Realität immer noch bedeutet. Die Menschen mit Handicaps müssen alles Erdenkbare tun, um möglichst reibungslos in der Normalität der Mehrheitsgesellschaft zu funktionieren.

(Andrea Franken GAL: O Gott!)

Wir aber wissen, daß Menschen nicht von sich aus behindert sind, sondern die Gesellschaft behindert sie mit unseren Normalitätsanforderungen und ihren Möglichkeiten.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Allerdings ist in dieser Stadt der Umgang mit Menschen mit Behinderungen nicht immer von dieser Einsicht getragen. Deshalb streiten die Eltern der weniger behinderten schwerhörigen Kinder so engagiert dafür, daß ihre Kinder maximal dazu in die Lage versetzt werden, in der laut

sprachlichen Welt zu funktionieren, und dagegen, daß sie einen Zugang zu den nicht lautsprachlich orientierten Ausdrucksmöglichkeiten bekommen.Das würde aus ihrer Sicht ihre sogenannte Integration gefährden.

Dabei kann Gebärdensprache – das haben wir gerade gehört – nicht nur für Gehörlose, sondern auch für schwerhörige Kinder eine Sprache sein, die ihnen hilft, die Welt zu verstehen und in Kontakt mit anderen zu treten. Aus unserer Sicht ist deshalb klar, was die Hausaufgaben des Senats sein müssen.Integration darf nicht eine Einbahnstraße sein, das heißt, auch der Senat muß alles dafür tun, daß Gebärdensprache als Sprache anerkannt wird, und es muß dafür Sorge getragen werden, daß sich Menschen mit dieser Sprache in dieser Stadt und nicht nur in solchen Ausnahmesituationen, sondern auch generell verständlich machen können.

(Beifall bei Heike Sudmann REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Es muß für Kinder mit Hörbehinderung sichergestellt werden, daß sie die Möglichkeit haben zu lernen, sich lautsprachlich und in der Gebärdensprache auszudrücken. Wenn wir über Perspektiven reden und Integration praktizieren wollen, dann ist es doch an der Zeit, darüber nachzudenken, ob nicht Kinder und Jugendliche mit Hörbehinderung und anderen Behinderungen gemeinsam mit allen anderen Kindern in integrativen Regelklassen unterrichtet werden sollten.