Protocol of the Session on June 22, 2000

(Mahmut Erdem GAL: Arbeiterkampf!)

Es ist also kein Wunder, daß es vordergründig den Interessen der Wirtschaftsverbände vollständig entspricht, wenn die politischen Umbauer mit dieser Idee des Sozialstaats brechen. Wenn heute in unterschiedlichen Nuancen von der CDU über die SPD bis hin zur GAL das Lied von Standortkonkurrenz, Lohnzurückhaltung, Niedriglohnsektoren oder der immer härteren Bedürftigkeitsprüfungen bei sinkenden Sozialleistungen, sprich der Arbeitsverpflichtung, gesungen wird, brechen sie bewußt mit all dem, was aufklärerisch, modern und emanzipatorisch ist. Sie schaffen für die Wirtschaftsbosse bewußt Hebel, Tarifgefüge aufzubrechen, um Arbeitsbedingungen zu verschlechtern. Soziale Rechte bleiben auf der Strecke, nicht nur für die heute schon Marginalisierten und Ausgegrenzten, sondern für alle, die heute schon nicht mehr von ihren Vollzeitarbeitsplätzen existieren können; dieses gilt im übrigen – das möchte ich noch hinzufügen – auch für die so viel beschworene neue Mitte.

Die Hamburger Definition von Hilfen zur Arbeit treibt Menschen in die Rechtlosigkeit und entsolidarisiert weiter. Es scheint noch nicht einmal mehr den Konsens zu geben, daß minimalste Arbeitnehmerinnenrechte auch für Sozialhilfeempfängerinnen gelten. Die Formel von der prinzipiel

(Susanne Uhl REGENBOGEN – für eine neue Linke)

A C

B D

len Zumutbarkeit jeder Arbeit, laut BSHG, darf nicht zum Freibrief für Mißbrauch seitens der Ämter werden.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Die Wehrlosigkeit der Menschen darf nicht dafür benutzt werden, rücksichtslos Fallzahlen zu reduzieren oder ein weiterer Türöffner für die Ausweitung von Niedriglohnsektoren zu sein. Es muß auch für Sozialhilfeempfängerinnen das Recht geben, ohne Sanktionen Arbeit abzulehnen, ohne dafür bestraft zu werden.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Um dieses Recht geht es uns heute. Wir sind nach wie vor der Meinung, daß jeder und jede an die Arbeit gewisse Mindestansprüche stellen kann.Das Erwerbseinkommen etwa soll aus der Armut herausführen. Es sollte nicht zumutbar sein, zwei, drei oder mehr Jobs ausüben zu müssen, um dennoch an der Armutsgrenze entlang zu krebsen. Arbeitnehmerinnenrechte sollen in der Arbeit sichergestellt und Jobs müssen sozialversicherungspflichtig sein. Wenn Arbeit noch etwas mit Sinnstiftung zu tun haben soll, wie es von vielen hier vertreten wird, dann gehören dazu Mindeststandards.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Wir möchten keine Gesellschaft, wie sie von Barbara Ehrenreich aus den USA beschrieben und erlebt wurde und wie sie heute für viele schon Realität geworden ist. Nicht jede Arbeit ist besser als keine Arbeit. Es gibt das Recht eines jeden einzelnen auf freie Entfaltung und auf Glück in diesem Leben und nicht in einem anderen. Davon sind wir weit entfernt, und dafür zu streiten lohnt sich.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Das Wort hat Herr Grund.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Dem REGENBOGEN-Antrag fehlt, wie ich meine, ein Zusatz zu den von Ihnen geforderten Richtlinien. Der Zusatz könnte lauten: Das Sozialamt empfiehlt den Sozialhilfeempfängern, sich die Aufnahme von Arbeit gut zu überlegen, weil das mit Mühe und Ärger verbunden sein könnte.

(Susanne Uhl REGENBOGEN – für eine neue Linke: Völliger Quatsch!)

Meine Damen und Herren, wenn man sich den Antrag der REGENBOGEN-Gruppe genau anschaut, kann man feststellen, daß Dinge gefordert werden, die längst Gesetz sind und auch so in Hamburg praktiziert werden.

Niemand, der körperlich und geistig nicht in der Lage ist, die Arbeit, die von ihm gefordert wird, auszuüben, wird dazu gezwungen. Niemand, der alt ist oder vor der Rente steht, wird als Sozialhilfeempfänger zur Arbeit angehalten. Keiner, der erwerbsunfähig ist, soll in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder ähnliches gebracht werden. Wer krank ist, wird nicht zur Arbeit aufgefordert. Niemand wird zur Arbeit angehalten, wenn es sich um Arbeitskampfmaßnahmen handelt. Streikbrecherdienste werden hamburgische Sozialhilfeempfänger niemals leisten.

Sittenwidrige Arbeit wird in Hamburg nicht angeboten; jedenfalls nicht vom Sozialamt gefördert angeboten. Soweit es darum geht, daß Sozialhilfeempfänger solche Arbeit annehmen werden, sind wir völlig einer Meinung: Das kommt nicht in Frage. Auch ortsunübliche untertarifliche Bezahlung – das ist übrigens längst allgemeine Rechtsprechung

kann nicht von Sozialhilfeempfängern verlangt werden. Ebenso soll keine gesundheitsgefährdende Arbeit an Sozialhilfeempfänger abgedrückt werden. Die Kindererziehung soll gewährleistet und die Pflege von Angehörigen ermöglicht werden. Ferner sollen Sozialhilfeempfänger, die vor Abschluß einer Ausbildung stehen, diesen Abschluß machen können und werden nicht zur Arbeit herangezogen.

Meine Damen und Herren, das alles ist Rechtslage. Um was geht es also? Was bleibt nach sorgfältiger Prüfung des REGENBOGEN-Antrags?

(Farid Müller GAL: Nichts!)

Das erste Thema ist das Lohnabstandsgebot. Ich kann das als Gewerkschafter gut verstehen, daß das für einen Beteiligten ein Problem ist, wenn er feststellt, daß die Bezahlung für ausgeübte Tätigkeiten niedrig ist und daß, wenn er viele Familienangehörige hat, die Sozialhilfe für die gesamte Familie höher ist als der Arbeitslohn, den er durch redliche Arbeit erzielen kann. Das ist aber ein Unterschied – das ist den Tarifpolitikern genauso bekannt wie Ihnen –: Wer vertraglich Arbeit leistet, wird für diese Arbeit bezahlt und nicht für seinen Familienbedarf.Wenn Sie also fordern, daß Arbeit abgelehnt werden kann, deren Leistung etwa im Zusammenhang mit dem Lohnabstandsgebot für die Familie nicht in Einklang zu bringen ist, dann werden wir gemeinsam Probleme bekommen; das ist nicht möglich.

Zweitens.Sie schlagen vor, befristete Arbeit soll nicht durch Sozialhilfeempfänger geleistet werden. In welcher Welt leben Sie eigentlich? In dieser Stadt werden inzwischen Neueinstellungen – ich schätze einmal – zu mehr als der Hälfte befristet, bevor man überhaupt in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis kommt. Warum glauben Sie eigentlich, daß Sozialhilfeempfänger von solchen Regelungen, die wir manchmal beklagen, ausgenommen werden können? Ich halte das für völlig unrealistisch.

Drittens. Sie kritisieren besonders die Zeitarbeit. Die Zeitarbeit ist eine der am stärksten wachsenden Branchen in dieser Stadt.Das mag man da und dort beklagen, unter anderem deshalb, weil die Arbeitsbedingungen, die dort angeboten werden, von uns nicht immer begrüßt werden; es gibt dort schwarze Schafe. Es ist völlig unrealistisch, das Gewerbe pauschal in Bausch und Bogen zu verdammen und zu sagen, Zeitarbeit darf von 50 000 bis 60 000 Arbeitnehmern in Hamburg geleistet werden, aber nicht von Sozialhilfeempfängern.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Doris Mandel SPD: Das ist völliger Schwachsinn!)

Sie schreiben – das ist Punkt 4, der mir aufgefallen ist –, daß es nicht rechtlich abgedeckt sei und Sie der Meinung seien, daß Sozialhilfeempfänger Arbeit ablehnen könnten, wenn mögliche Ansprüche auf Lohnersatzleistungen geschmälert würden.Was heißt das? Meine Frage an Sie lautet: Bedeutet das, daß ein Arbeitslosenhilfeempfänger besser keine Arbeit in Anspruch nehmen sollte, weil ihm seine Arbeitslosenhilfe, wenn er nebenher ergänzende Sozialhilfe bezieht, vielleicht angerechnet würde? Wenn das gemeint ist, ist es aus unserer Sicht völlig unzumutbar.

Meine Damen und Herren, ich bin mit Ihnen der Auffassung, daß es nicht so sein darf, daß Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger sozusagen die Knechte der Nation sind. Alles, was niemand tun will, muß am Ende diesen Menschen aufgelastet werden. Ich bin mit Ihnen der Auffassung, daß viele, die unverschuldet in Sozialhilfe geraten

(Susanne Uhl REGENBOGEN – für eine neue Linke)

und bislang hochqualifizierte Tätigkeiten ausgeübt haben, hinreichend Zeit angeboten bekommen müssen, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu finden. Nehmen Sie zur Kenntnis, daß die Arbeitslosenzahlen dieser Stadt deutlich sinken und die Zahl der freien Stellen deutlich zunimmt. Es gibt reelle Chancen auf diesem Arbeitsmarkt, und darüber sind wir doch froh und dankbar.

Wir stellen auch fest, daß gerade Langzeitarbeitslose endlich wieder in Arbeit gelangen können. Unser erklärtes Ziel ist es: Jeder arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger und jede -empfängerin in dieser Stadt, die neu in Sozialhilfebezug kommt, muß ein konkretes Angebot auf Arbeit und/oder Ausbildung bekommen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das ist die Antwort, die Rotgrün gemeinsam gibt, und das ist eine richtige Antwort. Wir wollen vermeiden, daß Menschen in den Sozialhilfebezug hineinschlittern und nicht wieder herauskommen.

Zusammengefaßt, meine Damen und Herren von der REGENBOGEN-Gruppe,

(Heike Sudmann REGENBOGEN – für eine neue Linke: Haben Sie nichts gelernt?)

stelle ich fest, daß wir Ihren Antrag ablehnen werden. Er ist für jeden rechtschaffenen, hart arbeitenden und Steuern zahlenden Arbeitnehmer unzumutbar.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort erhält Herr Forst.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Uhl, wenn Sie uns denn demnächst wieder einmal mit Ihren Anträgen beglücken, das ist Ihr gutes Recht, dann tun Sie uns einen Gefallen und setzen sich inhaltlich substantiell mit der Materie auseinander, denn das ist sicher ein Mindestanspruch, den man in einem Parlament hat, insbesondere dann, wenn man Anträge stellt.

Wieder einmal führen Sie mit Halbweisheiten und falschen Darstellungen eine sozialpolitische Betroffenheitsdebatte, die den Eindruck der Entrechtung von Hilfeempfängern in zumutbaren Arbeitsverhältnissen vermitteln soll.Das ist unredlich und soll Ihre wahre politische und ideologische Zielsetzung nach Sozialrente und Bürgergeld verdecken.

Wenn Sie das wollen, dann haben Sie auch den Mut, das zu sagen, und verzichten Sie auf Anträge und Debatten, die den Eindruck dieser Entrechtung in zumutbaren Arbeitsverhältnissen vermittelt.

Meine Damen und Herren, worum geht es denn? Es geht darum, daß mit den sozial- und arbeitsmarktpolitischen Instrumenten der Zugangssteuerung und den bezirklichen Einrichtungen der Fachstellen zur Arbeit Bemühungen unternommen werden, Langzeitarbeitslose aus dem Hilfebezug zu lösen und sie wieder in den Ersten Arbeitsmarkt zu integrieren.Dabei ist es zu einer etwas konsequenteren Anwendung des Paragraphen 18 BSHG gekommen.

So werden von den Fachstellen zur Arbeit vermehrt individuelle und an den persönlichen Qualifikationen und körperlichen Fähigkeiten ausgerichtete Angebote zur Arbeit unterbreitet mit der Zielsetzung, Hilfeempfänger aus dem Hilfebezug herauszuführen und Lebensperspektiven aufzubauen. Wenn bei einer zugewiesenen Stelle und der Arbeitsaufnahme das Arbeitseinkommen den Lebensunter

halt nicht deckt, bleibt der rechtliche Anspruch auf ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt und einmalige Hilfen in vollem Umfang erhalten. So ist es unzutreffend, wenn Sie in dieser Frage auch von einer sozialen Entrechtung sprechen.

Es ist grober Unfug, den Eindruck zu erwecken, Arbeitsstelle sei schlechter als Sozialhilfebezug, wie auch von tarifrechtlichen Entflechtungen und Entrechtungen zu sprechen und deutlich machen zu wollen, daß eine tarifrechtliche Entrechtung bei zugewiesenen Arbeitsverhältnissen gegeben sei. Frau Uhl, nehmen Sie bitte auch einmal zur Kenntnis, daß es unter den Arbeitsuchenden viele gibt, die arbeiten wollen

(Heike Sudmann REGENBOGEN – für eine neue Linke: Ach!)

und froh darüber sind, wieder eine Beschäftigung gefunden zu haben, auch wenn sie nicht sofort mit dem mühevollen Wiedereinstieg in eine Stelle ihres ehemals erlernten Berufes verbunden ist.

(Zuruf von Susanne Uhl REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Viele sind zunächst dankbar, über eine Zeitarbeits- und Beschäftigungsagentur in einem befristeten und tarifrechtlich entlohnten Arbeitsverhältnis zu stehen, aus dem sich die Chancen entwickeln, wieder in eine dauerhafte Beschäftigung zu kommen.