Protocol of the Session on June 22, 2000

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr de Lorent war so freundlich, alle Zahlen, die wichtig sind, schon zu nennen. Leider haben nicht alle so richtig konzentriert aufgepaßt.

(Dr. Roland Salchow CDU: Jetzt kannst du sie alle noch mal sagen! – Heiterkeit bei allen Fraktionen)

Spaß beiseite!

Es hat sich viel getan in der Gesellschaft.Wir reden immer darüber und die Schlagzeilen der Presse belegen es: Bildungsgesellschaft, in die Zukunft investieren, die Zukunft sind unsere Kinder und so weiter. Wenn man es sich aber genau anguckt, wie wir es im Wissenschaftsausschuß getan haben, ist noch einiges im argen. Es hat sich in der Zeit zwischen heute und der Zeit, in der viele der Anwesenden studiert haben, vieles geändert. Da muß man dann auch einmal zur Kenntnis nehmen, was sich bewegt hat und daß das auch Konsequenzen für uns hat.

Die Hochschule ist einer unserer Schwerpunkte in der Stadt, für die wir, eine engagierte Senatorin und ein engagierter Ausschuß, viel Geld ausgeben.

Ich greife drei Punkte heraus. Erstens die Studienzeiten. Dafür haben wir etwas getan, das Hamburger Modell und so weiter; trotzdem sind die Zeiten unbefriedigend. Wie kann das passieren?

Dabei kommen wir gleich zum zweiten Punkt. Es sind die Teilzeitstudierenden;Herr de Lorent hat es bereits genannt. Wenn man es sich genau anguckt, sind es sogar ein paar mehr. 77 Prozent der Studierenden sind teilzeitbeschäftigt, und zwar jobben sie nicht in den Semesterferien, sondern während des Semesters. Das ist ein gravierender Unterschied zu früher, als man in den Semesterferien gejobbt hat, während es heute ausbildungsbegleitend geschieht.

Das hat gravierende Auswirkungen auf das Studium selbst, auf die Schnelligkeit des Abschlusses. Hier müssen wir erreichen, daß wir die Teilzeitstudierenden ernst nehmen und den Trend erkennen. Dabei müssen wir Teilzeitstudiengänge, wie es sie beispielsweise schon bei der Hochschule für Musik und Theater gibt, möglich machen und im Hochschulgesetz verankern. Dazu ist bereits einiges passiert, und wir sind auf einem guten Weg.

Dritter Punkt. Wie steht es um die Prüfungen und Prüfungsängste? Es zeigt sich, daß ein Teil aus finanziellen Gründen nicht zum Abschluß kommt. Ein fast gleich großer Teil kommt nicht zum Abschluß, weil er Prüfungsängste hat und sich einfach nicht traut, den letzten Schritt zu gehen. Es gibt Möglichkeiten, beispielsweise die Abschlußförderung, die nicht bekannt sind; das heißt, man kann im letzten halben Jahr durchaus gefördert werden. Das ist zumin

(Dr. Hans-Peter de Lorent GAL)

dest nicht bei den AStA-Vertretern bekannt gewesen, und wenn sie das nicht wissen, wie sollen es dann die Studierenden wissen.

(Dr. Ulrich Karpen CDU: Credit points!)

Credit points war eine Möglichkeit.

Wir müssen Obleute für die Beratung der Studierenden finden, um sie zum Abschluß zu führen, Herr de Lorent, bei diesem Vorschlag sind wir uns einig. Wir haben an der Fachhochschule die Erfahrung gemacht, welche positiven Möglichkeiten das sind. Wenn dann Frau Koppke behauptet, Studierendenberatung sei Zwangausübung und ohnehin schlecht, da sie in die Freiheit der Studierenden eingreifen würde, kann ich nur darauf hinweisen, daß das eine Hilfe ist,

(Julia Koppke REGENBOGEN – für eine neue Linke: Aber nicht zu spät!)

ein Angebot an die Studierenden, was von vielen angenommen wird und dazu führt, daß diese Menschen dann immerhin noch einen Abschluß schaffen oder erkennen, daß es für sie keinen Abschluß gibt.

(Beifall bei Elke Thomas und Dr. Ulrich Karpen, beide CDU)

Der Einwurf von Frau Koppke ist richtig: Bis jetzt zu spät. Deswegen müssen wir dahin kommen, daß Beratungen bereits am Anfang einsetzen.Sie können nicht erst einsetzen, wenn das Hauptstudium schon begonnen hat und man sich festgelegt und im blickdichten Gestrüpp der Studienordnung verfangen hat; es muß vorher passieren. Es kann auch nicht sein, wie es in einigen Fakultäten passiert ist, wenn es heißt, die Hälfte geht sowieso vor dem Vordiplom, das ist gut, dann sind wir die schon mal los. Die Zeit und diese Ressourcen sind kostbar. Das sind Menschen unserer Gesellschaft, um die wir uns mehr kümmern müssen. Ich denke, daß wir seitens der Wissenschaftsbehörde auf die Universitäten noch ein bißchen mehr Druck ausüben können.Wir müssen uns ferner überlegen, wie wir als Parlament mehr bewegen können.

Diese drei großen Blöcke habe ich herausgegriffen und denke, daß sich das Parlament damit etwas intensiver beschäftigen muß. Ferner müssen die an vier Tagen stattgefundenen Beratungen mit Anträgen unterfüttert werden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der GAL, bei Elke Thomas und Dr.Ulrich Karpen, beide CDU, und bei Julia Koppke REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Das Wort hat Frau Spethmann.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich möchte hier auch kein negatives Bild der Studenten malen. Die Anhörung hat uns sehr viele Denkanstöße geliefert, die wir aufgreifen sollten.Insoweit will ich nicht alle Zahlen wiederholen, die meine beiden Vorredner schon genannt haben.

(Beifall bei Antje Möller GAL – Dr. Roland Salchow CDU: Beifall bei den Grünen!)

Bedenklich ist natürlich schon die erheblich höhere Durchschnittsalterszahl der Hamburger Studenten mit 27,3 Jahren. Das ist 1,6 Jahre älter als der Bundesdurchschnitt. Da muß man sich natürlich schon überlegen, was in Hamburg so besonders anders ist.

(Elisabeth Schilling SPD: Das Nachtleben ist so in- teressant!)

Das Nachtleben mag interessant sein, aber das soll nicht der ausschlaggebende Grund sein.

Ich erinnere daran, daß die großen Konzerne teilweise gern auch die etwas älteren deutschen Absolventen einstellen. Ein vergleichbarer vierundzwanzigjähriger Engländer oder Spanier holt meistens mit 24 Jahren viele Erfahrungen nach, die deutsche Studenten auf längere Frist ausüben. Insoweit scheint es eine gewisse Lebenserfahrung zu sein, die man bei deutschen Studenten schätzt. Das heißt nicht, daß es nur negativ sein kann.

Genauso wenig bedenklich ist es, daß Studenten grundsätzlich nebenbei jobben. Ich halte es sogar für eine sehr gute Entwicklung, daß der Kontakt zum Berufsleben stattfindet. Problematisch sehe ich aber solche Studenten, bei denen das Studium nicht mehr im Mittelpunkt steht. Wenn das nicht der Fall ist, verkommt die Hochschule zur Volkshochschule. Das darf nicht passieren.

(Beifall bei Dr. Roland Salchow CDU)

Der Humboldtsche Gedanke, ein breites Studium anzulegen – sei es durch viele Studiengänge oder auch durch Erfahrungen im Leben –, sollte weiter von uns getragen werden.Aber der Student muß sich auch darüber bewußt sein, daß er letztendlich acht, neun Jahre auf Kosten der Gemeinschaft studiert. Dieses Bewußtsein muß er in sich tragen und dafür seine Leistungen erbringen. Insoweit war es sehr wichtig, in den Beratungen und Anhörungen mit Experten festzustellen, daß wir tatsächlich eine Desorientierung der Studenten haben, die uns sehr nachdenklich stimmen muß. Dafür sprechen die hohen Studienabbrecherquoten. Diesen Studenten müssen wir gerecht werden. Deswegen müssen Beratungen sowie Prüfungen erheblich früher stattfinden, damit der Student vielleicht schon im dritten Semester merkt, wenn es nicht der richtige Studiengang ist. Insoweit, Herr de Lorent, ist die Feed-back-Kultur eine ganz tolle Idee, und wir werden ihr nachgehen.

Zum BAföG. Glorreich war es nicht, was die alte Bundesregierung gemacht hat, aber auch nicht glorreich, was die neue Bundesregierung bisher getan hat.

(Dr. Roland Salchow CDU: So ist es!)

Wir sollten gemeinsam an einem Strang ziehen und gucken, was wir hinkriegen.

Ich möchte noch auf den Bereich der Studierenden mit Kind hinweisen, in dem es bisher kein adäquates Angebot gibt. Das betrifft insbesondere Frauen, die aus diesem Grunde ihr Studium abbrechen. Wir müßten uns sehr genau überlegen, wie wir diese Frauen – auch einige Männer – unterstützen, um in der Lage zu sein, ihr Studium zu beenden und weitere Qualifikationen zu erwerben.

Es müssen viele Rahmenbedingungen verbessert werden, unter anderem die Verbesserung der Lehrqualität.Wir werden im Wissenschaftsausschuß und später mit Anträgen im Parlament intensiv daran weiterarbeiten.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat Frau Koppke.Ich muß Sie daran erinnern, daß Ihre Gruppe noch eine Gesamtredezeit von drei Minuten und einer Sekunde hat.

(Jan Peter Riecken SPD)

Ich rede ganz schnell.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Trotz der engagierten Reden war es für mich eher ein schlechter Witz, daß sich die drei Fraktionen in dem Resümee, das sie in dem Bericht gezogen haben – ich war leider bei der letzten Sitzung nicht anwesend –, nur auf ein einziges Thema beziehen, und zwar auf die Betreuungssituation.Sie finden sie durchweg gut, beziehungsweise es heißt, man könnte vielleicht ein bißchen mehr Information oder Kooperation einbringen. Aber mehr steht nicht in dem Fazit des Berichts. Es ist also auch kein Auftrag für politisches Handeln des Parlaments. Insofern hatte ich den Eindruck, der GAL war das im nachhinein zu Recht etwas peinlich, und sie hat das Thema immerhin noch einmal zur Debatte angemeldet.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Ich möchte ein paar Zahlen zur sozialen Lage der Studierenden ergänzen beziehungsweise korrigieren: In Hamburg liegen die Lebenshaltungskosten um 160 DM über dem Bundesdurchschnitt. 75 Prozent der Studierenden sind – bei steigender Tendenz – erwerbstätig, um ihre Existenz zu sichern, also nicht, um sich Luxusgüter zu leisten.

(Dr. Ulrich Karpen CDU: Zum Teil!)

Trotzdem bewerten 37,8 Prozent das Studium als ihren Lebensmittelpunkt, Herr de Lorent. Das ist eine Steigerung gegenüber der letzten Sozialerhebung um 78 Prozent und ein wichtiger Fakt in bezug auf das Thema Teilzeitstudium. Immer weniger Studenten bekommen BAföG; Sie haben darauf hingewiesen. Der Anteil von Studierenden aus sogenannter niedriger sozialer Herkunft wird immer bedeutungsloser. Sieben von 100 Kindern aus einkommensschwachen Familien gehen zur Uni, 72 von 100 aus einkommensstarken. Hamburg liegt dabei noch unter dem Bundesdurchschnitt. Hamburg hat einen über dem Bundesdurchschnitt liegenden Anteil von Studierenden mit Kind. Die Betreuungssituation wurde als mangelhaft ausgewiesen.Die Wohnheimplätze reichen nicht aus, was zum Beispiel an den enorm langen Wartezeiten für ausländische Studierende augenscheinlich wird.Die Lösungsvorschläge des Senats befassen sich in der Regel nicht mit dieser materiellen Situation der Studierenden, sondern mit der Studienstruktur, der Qualifikation und der Qualitätssicherung. Nur an zwei Punkten versucht der Senat, in dieser Hinsicht Konsequenzen zu ziehen. Als Antwort auf die desaströse BAföG-Situation verweist er auf die verbesserte Regelung der Studienabschlußförderung und auf die bekanntermaßen völlig unzureichende BAföG-Novelle für das Jahr 2001 und bringt schließlich das Gebührenmodell der Studienkonten ins Spiel, was man ironischerweise als Freudsche Fehlleistung verbuchen kann.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Ansonsten will der Senat in der anstehenden Novellierung des Hamburgischen Hochschulgesetzes das Teilzeitstudium einführen, um damit der Realität Rechnung zu tragen, daß faktisch aufgrund der Erwerbssituation Studierende heute Teilzeitstudierende seien. Damit wird der Ist-Zustand zementiert. Vorstellungen zur Änderung der Rahmenbedingungen gibt es keine. Wenn dies passiert, bin ich wirklich sehr amüsiert, wie er dann den Faktor 0,5 für die Studierenden berechnen will.

Ich sehe, daß die Lampe blinkt; letzter Satz: Folgende Notwendigkeiten ergeben sich aus den Beratungen:

Erstens: Hamburg braucht mehr Wohnheime. Zweitens: Hamburg braucht eine Ausweitung der Kinderbetreuung.

Drittens: Der Bund braucht eine BAföG-Reform. Viertens gab es bezüglich der Betreuung einen konkreten Vorschlag, nämlich die Einführung einer HauptstudiumsOrientierungseinheit. Fünftens sollten Studienabschlüsse finanziell gefördert werden, anstatt mit der Zwangsberatung Studienabbrüche zu produzieren.