Protocol of the Session on May 11, 2000

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke und bei Dr. Dorothee Freudenberg GAL)

Das Wort erhält Frau Senatorin Roth.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Angleichung der Dauer des Zivildienstes an die Grundwehrzeit hat die Bundesregierung zum 1.Juli 2000 beschlossen, weil es eine langjährige Forderung von sehr vielen war. Es sollte keine Ungleichbehandlung zwischen Bundeswehrdienst auf der einen Seite und Zivildienst auf der anderen Seite geben. Die Bundesregierung hat also etwas umgesetzt, das schon sehr lange im politischen Raum bekannt war; insofern war es auch keine Überraschung und unkalkulierbare Maßnahme. Aber es ist richtig, daß es im Hinblick auf die Auswirkungen tatsächlich unterschiedliche Situationen gibt.

Wir haben von Anfang an darauf gedrängt, daß die Verantwortung vor allen Dingen das Bundesamt für Zivildienst und die Wohlfahrtsverbände haben, die gemeinsam eine Vereinbarung hinsichtlich der Steuerung und des Einsatzes der Zivildienstleistenden abgeschlossen haben. Wenn es bei der Verteilung der Zivildienstleistenden eine Eigensteuerung von Wohlfahrtsverbänden gibt, muß zunächst die Kompetenz derjenigen eingefordert werden, die diese Steuerung organisieren.

Wir haben im Januar und März im Vorfeld mit den Trägern und dem Bundesamt zwei Konferenzen durchgeführt, um auf das Problem hinzuweisen, daß durch die Verringerung der Zivildienstzeit um zwei Monate möglicherweise Lücken entstehen könnten. Wir haben damals schon mit den Verbänden verabredet, genau zu kalkulieren, wieviel Zivildienstleistende in der Zeit gebraucht werden. Frau Bestmann hat darauf hingewiesen, daß viele der Zivildienststellen gar nicht besetzt worden sind. Um diese Steuerung zu gewährleisten, haben wir mit den Wohlfahrtsverbänden verabredet, uns bis April/Mai zu signalisieren, wie die Bedarfe aussehen, weil wir natürlich nicht zu Lasten der Betroffenen eine Lücke entstehen lassen wollten.Wir wußten, daß sie vielleicht kommen kann, aber es war nicht sicher, weil es einen Pool gibt, aus dem regional übergreifend Zivildienstleistende eingesetzt werden.

Insofern war klar, daß es bei den Wohlfahrtsverbänden – bezogen auf die Stellen, Herr Forst – Rückstellungen und Notwendigkeiten gibt, die Einzelfälle zu überprüfen.Wir haben verabredet, Betreuungslücken im Einzelfall nachzuweisen und zu regeln. Insofern, Herr Forst, kommt Ihr An

trag zu spät, denn das, was Sie wollen, ist im Konsens mit den Verbänden verabredet worden. Insbesondere der Personenkreis mit individuellen Schwerstbehinderungen hat höchste Priorität, Frau Freudenberg. Es kann nicht sein, daß diese Menschen ins Heim müssen, obwohl sie ambulant gepflegt und betreut werden könnten, wenn zum Beispiel Zivildienstleistende einen Teil dieser Arbeit übernehmen. Das wäre absolut kontraproduktiv und nicht im Sinne dieser Arbeit.

(Beifall bei Dr. Dorothee Freudenberg GAL)

Deshalb habe ich das mit den betroffenen Verbänden, beispielsweise mit der Muskelschwundhilfe, verabredet; insofern gibt es keine Differenz. Es können aber nicht 50 oder 60 Stellen angemeldet werden, ohne den Nachweis zu führen, daß diese Stellen im Einzelfall tatsächlich gebraucht werden.Hier müssen wir den Einzelfall prüfen, darüber sind wir uns im Parlament einig.

Ich will auf den Hinweis von Frau Freudenberg eingehen, daß auch langfristige Überlegungen eine Rolle spielen.Wir wissen das und haben mit den Verbänden diskutiert, daß auch andere Instrumente, beispielsweise das freiwillige soziale Jahr oder Praktika, ergänzend sein könnten. Insofern ist die Wertigkeit dieser Tätigkeiten nicht unbedingt im Zusammenhang mit der Reduzierung des Zivildienstes zu sehen, sondern im allgemeinen gesellschaftlichen Sinne zu beurteilen; so habe ich Sie auch verstanden.

Obwohl alles sehr schwierig ist, haben wir vorgesorgt. Wir wollen nicht, daß die Reduzierung des Zivildienstes zu Lasten der Betroffenen erfolgt. Wir wollen allerdings, daß die Angleichung des Zivildienstes vorgenommen wird, weil sie richtig ist.Insofern haben wir Vereinbarungen getroffen, die dazu führen, in Hamburg im Sommer diese Betreuungslücke zu schließen.Darüber hinaus müssen wir weiter denken, Initiativen ergreifen und zum Beispiel die Rolle des freiwilligen sozialen Jahrs definieren. Das ist aber eine ganz andere Thematik. Man kann sie hier zwar mit einbringen, aber sie ist generell und nicht nur in diesem Zusammenhang zu diskutieren.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort hat Herr Wersich.

Meine Damen und Herren! Wir müssen zur Großen Anfrage und zur Realität in Hamburg zurückkommen. Die Ursache für die Verkürzung des Zivildienstes ist das Schröder-Programm „Deutschland erneuern“, durch das das Familienministerium 3,8 Milliarden einsparen will – allein 660 Millionen DM im Jahre 2000.Das sollte ohne flankierende Maßnahmen und nachträglich geschehen, nachdem die Zivildienststellen ihre Zivildienstleistenden bereits eingestellt hatten, so daß sie ihr Jahresbudget schon zu zwei Dritteln ausgeschöpft hatten. In der Antwort des Senats steht dazu kein Wort, sondern es wird nur als politischer Inhalt verbrämt, man wolle ja schon immer den Zivildienst verkürzen. Es ist eine reine Einsparmaßnahme aus Berlin auf dem Rücken der Kommunen und der sozial Schwachen. Entsprechend ist die Antwort, Frau Senatorin Roth, die uns der Senat gibt.Sie ist oberflächlich, statt Fakten hören wir Allgemeinplätze, sie ist unvollständig und zum Teil völlig sachfremd. Es heißt beispielsweise:

„Es wird davon ausgegangen, daß besondere Versorgungseinbrüche auch im dritten Quartal 2000 nach Ab

(Lutz Jobs REGENBOGEN – für eine neue Linke)

senkung der Zivildienstzeit auf elf Monate nicht zu erwarten sind.“

Was soll das heißen, Frau Roth? Müssen wir nur mit „unbesonderen“ Versorgungseinbrüchen rechnen? Was heißt: „Es wird davon ausgegangen“? Wer geht wovon aus? Was sind die Fakten? Dann schreiben Sie:

„Beim Malteser Hilfsdienst e.V. – Diözese Hamburg – erfolgt kein Stellenabbau. Aufgrund der Beschränkung der zur Verfügung stehenden Mittel wird sich allerdings eine Reduzierung des Personals nicht umgehen lassen.“

Was ist denn „Reduzierung des Personals“, was gilt denn nun? Es ist bekannt, daß bis zum Jahre 2003 ein Viertel aller Zivildienststellen abgebaut werden soll. Der Senat sagt aber, er wüßte gar nicht, ob die Kontingentierungsbegrenzung noch ab 1. Oktober 2000 gelten werde. Meine Damen und Herren, das ist in Berlin beschlossen, und die Kontingentierung wird weitergehen. Deshalb sind alle Lösungen, die es jetzt gegeben hat, nur kurzfristig und ein Tropfen auf den heißen Stein.Der Senat muß einräumen, daß es zu Kostensteigerungen bei den Trägern kommen wird, daß Nachbesetzungen im Rettungsdienst nicht mehr erfolgen können, daß es eine Einschränkung bei der Betreuung behinderter Menschen, eine Reduzierung des Fahrangebots, der Tagesförderstätten und des Schulbesuchs geben wird. Dann sagt der Senat tröstend am Schluß:

„Weitergehende Auswirkungen auf die Integration Behinderter sind derzeit nicht zu erwarten.“

Das sind massive Auswirkungen auf die Integration Behinderter. Im Gesundheitswesen behauptet der Senat sogar:

„Es ist davon auszugehen, daß hauptamtliche Kapazität in ausreichendem Maße vorhanden ist und deren Leistung bezahlt wird.“

Haben Sie die Diskussion der vergangenen Jahre zum Thema ausreichender Kräfte und ausreichender Bezahlung im Gesundheitswesen nicht mitbekommen? Wie kann man so etwas in die Antwort auf eine Große Anfrage schreiben? Wie kann man erwarten, daß wir eine ernsthafte Debatte über dieses Thema führen können, wenn Sie sich mit solchen Halbwahrheiten und lapidaren Sätzen aus der Schlinge ziehen wollen.

(Beifall bei der CDU)

„prüfen“, „beobachten“ und noch einmal „prüfen“.Diese Situation tritt in sieben Wochen ein. Da geht es nicht nur ums Prüfen, da geht es ums Handeln, da muß diese Regierung handeln. Ich bin froh, daß unsere parlamentarischen Initiativen dem Senat Beine machen und es schon erste Ergebnisse gegeben hat, aber es sind eben erste Ergebnisse.

(Petra Brinkmann SPD: Was sind das nur für Un- terstellungen! – Wolf-Dieter Scheurell SPD: Vor Jahren haben Sie die als Drückeberger bezeich- net!)

Ich kann gar nicht verstehen, was Sie dazwischenschreien, aber Sie können sich gerne melden.

(Petra Brinkmann SPD: Jetzt kommen Sie mit einer anderen Platte!)

Ist der Senat wirklich so ahnungslos, oder sollen wir mit diesen Antworten bewußt getäuscht werden? Statt Problembewußtsein, Verantwortung und Tatkraft zeugt die Senatsantwort nur von Arroganz und Planlosigkeit gegenüber den Hilfsbedürftigen in der Stadt.

(Beifall bei der CDU)

Die Verkürzung des Zivildienstes mit gleichzeitiger Reduzierung der Platzzahlen ohne jede Form der Abfederung ist ein sozialpolitischer Amoklauf, und deshalb ist unser Antrag genau der richtige.

(Beifall bei der CDU)

Frau Senatorin Roth hat das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Wersich, wenn man Reden vorbereitet, bevor man die Antworten des Senats gehört hat, passiert so etwas.

(Dietrich Wersich CDU: Wir haben eine Große An- frage gestellt!)

Ich habe Ihnen gerade erklärt, daß wir in der Zwischenzeit, bezogen auf die Lücke – darauf haben Sie sich ja gerade sehr stark bezogen –, Lösungen gefunden haben. Frau Bestmann hat aus einer Erklärung des Diakonischen Werks zitiert. Deshalb brauchen Sie nicht zu erklären, daß ich hier Halbwahrheiten verbreite, sondern ich sage Ihnen ganz deutlich, daß der Senat sich auf diese Situationen vorbereitet hat. Wir können nur das steuern, was die Wohlfahrtsverbände an Defiziten melden.

(Glocke)

Frau Senatorin, gestatten Sie eine Zwischenfrage? – (Zustimmung)

Eine Anmerkung an die Abgeordneten hier im Saal.Ich versuche immer, die Redner erst ihren Satz beenden zu lassen, bevor ich läute. – Danke schön.

(Carsten Lüdemann CDU: Sie brauchen sich nicht zu rechtfertigen!)

Frau Senatorin, können Sie uns bitte einmal darlegen, welche Regelungen Sie getroffen haben, um die Kostensteigerungen bei den Trägern aufzufangen, die bisher Zivildienstleistende eingesetzt haben, die die Vakanzen im Rettungsdienst ausgleichen, die den Schulbesuch behinderter Kinder ausgleichen, die das Fahrangebot für Behinderte ausgleichen und die den Einsatz der Zivildienstleistenden in der persönlichen Betreuung als Einkaufshilfe in Pflegediensten und so weiter ausgleichen? Bisher war mir nur bekannt, daß es dies für die Schwerstbehinderten geben soll.

Herr Wersich, wir haben sehr deutlich gesagt, daß das Thema des Kontingents der Zivildienstleistenden durch das Bundesamt für den Zivildienst gemeinsam mit den Wohlfahrtsverbänden gesteuert wird.

(Dietrich Wersich CDU: Das ist doch keine Antwort auf meine Frage!)

Der Umfang des Einsatzes der Zivildienstleistenden wird von diesem Bundesamt organisiert, und die Wohlfahrtsverbände gehen davon aus, daß sie durch Rückstellungen dieses Defizit zum Teil ausgleichen können. Wir haben im Rahmen unserer beiden Konferenzen gebeten, uns mitzuteilen, welche Defizite nicht nur im Bereich der Schwerstbehindertenbetreuung, sondern auch in anderen Bereichen durch die Reduzierung des Zivildienstes entstehen. Bisher haben wir von seiten der einzelnen Träger noch

(Dietrich Wersich CDU)

keine abschließende Mitteilung. Wir haben nur – bezogen auf die Schwerstbehindertenbetreuung...

(Dietrich Wersich CDU: Sie haben doch eben von neuen Nachrichten gesprochen, die ich in meine Rede hätte mit einbeziehen sollen!)

Wir haben – bezogen auf die ISB – konkrete Zahlen gefordert; diese Zahlen liegen noch nicht vor. Bei der Schwerstbehinderung wird im Einzelfall geprüft, bei den anderen Bereichen des Zivildienstes gibt es eine Verabredung mit dem Bundesamt. Hier sind also entsprechende Poolbildungen vorhanden, um die fehlenden Zivildienstleistenden auszugleichen. Es geht darum, die Verantwortlichkeit der Wohlfahrtsverbände auf der einen Seite und des Bundesamts für den Zivildienst auf der anderen Seite zu koordinieren. Wir als Hamburger übernehmen die Betreuungslücken für den Zeitraum zwischen den Kürzungen, aber nicht für die generelle Reduzierung des Zivildienstes.