Protocol of the Session on April 5, 2000

Ich gebe das Ergebnis der Wahl bekannt. Es sind 110 Stimmzettel abgegeben worden; es waren alle gültig. Frau Rahardt-Vahldieck erhielt 92 Ja-Stimmen, 13 Nein-Stimmen und 5 Enthaltungen. Damit ist Frau Susanne RahardtVahldieck zum vertretenden Mitglied des Hamburgischen Verfassungsgerichts gewählt worden. Ich bitte Frau Rahardt-Vahldieck, auf den freien Platz vor dem Rednerpult zu kommen.

(Beifall im ganzen Hause)

Frau Rahardt-Vahldieck, die Bürgerschaft hat Sie soeben zum vertretenden Mitglied des Verfassungsgerichts gewählt. Dazu darf ich Ihnen zunächst die Glückwünsche des Hauses aussprechen.

Susanne Rahardt-Vahldieck: Ich danke Ihnen.

Ich habe Sie zunächst zu fragen, ob Sie die Wahl annehmen.

Susanne Rahardt-Vahldieck: Ja.

Dann habe ich Sie zu vereidigen.

(Die Anwesenden erheben sich.)

Nach Paragraph 7 des Gesetzes über das Hamburgische Verfassungsgericht haben die Mitglieder des Verfassungsgerichts vor Antritt ihres Amtes vor der Bürgerschaft einen Eid zu leisten. Ich lese Ihnen den Wortlaut des Eides vor und bitte Sie, bei erhobener rechter Hand die Beteuerungsformel „Ich schwöre es“ oder „Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe“ nachzusprechen.

Der Eid hat folgenden Wortlaut:

„Ich schwöre, daß ich als gerechte Richterin allezeit das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, die Verfassung und die Gesetze getreulich wahren und meine richterlichen Pflichten gegenüber jedermann gewissenhaft erfüllen werde.“

Susanne Rahardt-Vahldieck: Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.

Sie haben damit den erforderlichen Eid vor der Bürgerschaft geleistet. Ich wünsche Ihnen namens der Bürgerschaft allzeit eine glückliche Hand in der Ausführung, alles Gute, Glück und auch Befriedigung in Ihrer neuen Aufgabe. Herzlichen Glückwunsch.

(Beifall im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren! Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 und 3a auf: Drucksachen 16/4003 und 16/4049: Wahlen.

[Unterrichtung durch die Präsidentin der Bürgerschaft: Wahl einer oder eines Deputierten der Behörde für Wissenschaft und Forschung – Drucksache 16/4003 –]

[Unterrichtung durch die Präsidentin der Bürgerschaft: Wahl einer oder eines Deputierten der Behörde für Schule, Jugend und Berufsbildung – Drucksache 16/4049 –]

Wir haben zwei weitere Wahlen vorzunehmen. Die Stimmzettel finden Sie auf Ihren Plätzen.Auf beiden Stimmzetteln finden Sie drei Felder für Ja-Stimmen, Nein-Stimmen und Stimmenthaltung.Ich bitte Sie, jeden Stimmzettel nur mit einem Kreuz zu versehen.Weitere Eintragungen machen die Stimmzettel ungültig. Ich bitte Sie, die Abstimmung vorzunehmen und dann die Stimmzettel abzugeben.

(Die Wahlhandlung wird vorgenommen.)

Meine Damen und Herren! Darf ich davon ausgehen, daß alle Stimmzettel abgegeben worden sind? – Das ist erkennbar in einem Fall nicht der Fall. Sind ansonsten alle Stimmzettel abgegeben? – Das ist der Fall. Dann schließe ich die Wahlhandlung und bitte, die Stimmenauszählung durchzuführen. Ich gehe von Ihrem Einverständnis aus, daß wir nunmehr ohne Unterbrechung in der Tagesordnung fortfahren. Die Ergebnisse der Wahlen werden im Laufe der weiteren Sitzung bekanntgegeben.

Ergebnisse siehe Seite 3457 B

A C

B D

Ich rufe Tagesordnungspunkt 46 auf: Drucksache 16/3948: Antrag der CDU über Gewaltprävention und Gewaltbewältigung.

[Antrag der Fraktion der CDU: Gewaltprävention und Gewaltbewältigung – Drucksache 16/3948 –]

Wer wünscht hierzu das Wort? – Die Abgeordnete Koop hat es.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nachdem uns die Programmpunkte weit hinaus und hoch hinauf getragen haben, wollen wir wieder auf den Boden der politischen Tatsachen zurückkehren. Wir kommen gleich mit einem Knalleffekt, nämlich mit Gewalt. Gewalt ist allgegenwärtig: Sie flattert uns in den Printmedien ins Haus, wir sehen sie im Fernsehen in immer neuen Facetten und in immer neuen Möglichkeiten, sie darzustellen. Dadurch ist ein gefährlicher Gewöhnungseffekt eingetreten, dem wir entgegenwirken müssen.Zwar wird Gewalt zumeist mit Entrüstung kommentiert, aber sie gehört fast zum Alltag. Sie nimmt fast legitime Züge an, so daß es heißt, wenn viele es tun, dann ist es eben so, und da kann man nichts machen. Wen es nicht persönlich betrifft, der fühlt sich eher als Zuschauer denn als Agierender. Die Wahrnehmung von Gewalt ist sehr unterschiedlich. Sie wird zum Teil überinterpretiert und in der Reaktion fast hysterisch aufgenommen. Auf der anderen Seite nimmt aber die Sensibilität ab. Diese Entwicklung können wir nicht tolerieren.

Ich weiß, daß es eine ganze Fülle von Handlungsansätzen gibt. Die Frage ist aber, ob es die richtigen sind und ob sie von den betreffenden Leuten richtig umgesetzt werden, damit sie nachhaltig und umfassend wirksam werden.

Lassen Sie mich eine Szene schildern.Ich bin in letzter Zeit häufiger mit öffentlichen Verkehrsmitteln gefahren und mußte um die Mittagszeit vor einer Schule an der Bushaltestelle auf den Bus warten. Dort gab es eine Fülle von Rangeleien, Schubsen und Treten. Schüler wurden in den Schwitzkasten genommen, und die Leute, die dort auf den Bus warteten, reagierten sehr ängstlich. Ich habe mir das einige Male angesehen. Da ich einige Schüler aus der „ganz kleinen Zeit“ kannte, hatte ich noch einen gewissen Autoritätsbonus und forderte sie auf, die Rangeleien zu unterlassen. Es kamen Reaktionen von „Das ist doch nur Spaß“ bis hin zu „Halte dich da raus“.

Auf dem Rückweg bin ich mit einem meiner Ex-Schüler ins Gespräch gekommen. Er meinte zwar, „schön ist das nicht, aber wir tun niemandem etwas“. Dann hat er aber ganz begeistert von einer Anti-Gewalt-Woche erzählt, die sie gerade in der Schule durchgeführt haben. Sie haben mit viel Spaß Videos hergestellt, Plakate gemalt und Rollenspiele gemacht. Auf meine Frage, warum sie das aber nicht anwenden, hat er mir amüsiert und nachsichtig entgegnet: „Schule ist Schule; da weiß man, was gehört werden soll, was abläuft, und da müssen wir uns ein paar Regeln unterwerfen.Aber am Nachmittag gelten ganz andere Regeln, da tobt das Leben.“ Wer sich nicht mit bestimmten Riten in seine Gruppe hineinbringt, der hat schon verloren. Wenn man da zu reden anfängt, hat man das nötig, dann muß man darauf achten, daß man über irgendwelche Anbiederungskurse in seine Gruppe hineinkommt. Wenn man diesen Status erreichen will, setzt das natürlich auch Gewaltbereitschaft voraus. Wir wissen, daß die Bereitschaft, Gewalt in der Praxis umzusetzen, größer ist, wenn man die Gewaltanwendung auch von zu Hause kennt. Dazu gibt es das Ihnen sicher bekannte Pfeiffer-Gutachten.

Nun sollen die Kinder und Jugendlichen da abgeholt werden, wo sie stehen. Es ist die Frage, ob wir oder die Betreuer überhaupt wissen, wo sie tatsächlich sind, und ob man sich da hintraut. Es ist nicht nur ein Standortproblem, es ist auch ein Kommunikationsproblem. Verstehen und Wertevermittlung setzen Verständigung voraus. Dabei ist es wichtig, daß ich weiß, wie sich die jungen Leute unterhalten.Ich kann vielleicht noch den Jargon der Zwanzig- bis Dreißigjährigen verstehen. Ich will Ihnen aber ein Beispiel nennen, das die nächste Generation draufhat.Ich habe einmal einer Gruppe von Zehnjährigen gelauscht, die sich im Werkunterricht zwei Stunden lang über ihre Pokémons unterhalten haben, über die merkwürdigen Umgangsformen und die Handlungsweisen. Das klingt wie eine Fremdsprache.

(Barbara Duden SPD: Ja!)

Oder, ich will Ihnen einmal ein Beispiel nennen:Wissen Sie, was das heißt, wenn Bisaflor und Flektor und Wotschek um Krawacks wuseln, um auf dem nächsten Level total transformiert mit Anstrom zu frizzeln? Genausogut hätten sich die Kinder in Suaheli unterhalten können; ich hätte höchstwahrscheinlich genauso fasziniert gelauscht.Wenn man in einem Nebensatz das Wort „Bodycheck“ hört, ist man eigentlich schon froh, daß man wenigstens das versteht, aber dann weiß man auch, worum es in diesen Spielen geht. Das ist ausgesprochen niedlich in der Erscheinungsform, freundlich in den Worten, denn „wuscheln“ hat doch etwas Kuscheliges an sich. Aber da geht es ganz eindeutig darum, daß auf eine motivierende Art und Weise Gewaltanwendung eingeübt wird. Wir können es nicht mehr verstehen, weil wir nicht wissen, worum es hier geht. Es geht nicht nur um Pokémons, sondern es geht auch um andere Verhaltensweisen. Auf dieses antrainierte Gewaltverhalten kommt es an, das Betreuer und Therapeuten verstehen müssen.

Gewalt auch in der subtilen, versteckten Form zu begegnen, ist schwer. In der psychologischen Ausbildung wird das zum Beispiel erst eingehender nach dem Studium im anschließenden Therapiebereich erörtert. Das geschieht sogar meist auf eigene Kosten, und ob das immer gemacht wird, weiß ich nicht.Ich glaube, daß die Regel eher ein learning by doing ist. So können Betreuer und Therapeuten häufig nicht eingreifen, weil sie nicht über die entsprechenden Mittel verfügen. Da ist die Frage zulässig, was wir in diesem Bereich eigentlich noch bewirken. Werden hier nicht nur weitflächig Mißstände verwaltet, und hat sich hier nicht nur Hilflosigkeit breitgemacht, so daß die Gewaltbereitschaft trotz umfassender Maßnahmen, die ich vorhin nicht bestritten habe, nicht abnimmt, sondern eher zunimmt? Wie soll man Gewaltvermeidung begegnen, wenn Gewaltbereitschaft als Statusgehabe wichtig ist, wenn Gewaltausübung als Frustabbau über die strukturelle Gewalt unserer Leistungsgesellschaft empfunden wird und wenn es Abwehrmaßnahmen gegen Erziehungsmaßnahmen sind, beispielsweise durch Einengung überfürsorglicher Eltern, die ihre Kinder geradezu in einer Kleinkindhaltung halten? Wie wird aufgefangen, daß die Ächtung von Gewalt häufig ein Lippenbekenntnis bleibt?

Schule kann diese Aufgabe nicht allein erledigen. Die Betreuungsarbeit am Nachmittag und am Abend ist wesentlich wichtiger. Ihr kommt eine große Bedeutung zu. Ich wiederhole noch einmal, daß es nicht um Kritik an dieser Arbeit geht. Die Menschen, die auf diesem Gebiet arbeiten, sind sehr hart gefordert, aber sie sind auch oft genug allein gelassen. Das Engagement, das hier erforderlich ist, geht

(Vizepräsident Berndt Röder)

in vielen Fällen über das hinaus, was sie einmal gelernt haben oder was sie sich vorstellen können. Eine hohe Qualifizierung ist hier erforderlich, Weiterbildung und begleitende Unterstützung. Es gibt auch außerhalb unserer Behördenapparate Fachleute und private Initiativen – beispielsweise „Männer gegen Männergewalt“ –, die sich gerne in diesem Bereich engagieren würden und denen ich zutraue, daß sie dort handeln können. Wir brauchen neue, frische Gedanken. Der Fachkreis Gewaltprävention muß ein bißchen schneller arbeiten, denn sonst hat sich die Lesart oder Spielart von Gewaltanwendung schon wieder verändert. Mit diesen zu einem gemeinsamen Gespräch und zu einer gemeinsamen Handlung zu kommen, mag vielleicht das sein, was Frau Pape mit dem Dialog, in dem sie ihre Arbeit führen will, gemeint hat.

Kürzlich flatterte auf meinen Schreibtisch „Die Weisheit der Dakota-Indianer“.

„Wenn du merkst, daß du ein totes Pferd reitest, dann steig ab.“

(Dr. Hans-Peter de Lorent GAL: Was hat das mit Frau Pape zu tun? – Barbara Duden SPD: Das ist eine sehr gewagte Metapher!)

Ich fühlte mich sehr angesprochen in bezug auf die Jugendund Kinderpolitik, die wir in Hamburg betreiben. Nun gibt man in der Politik nicht gerne zu, daß man ein totes oder lebloses Objekt reitet. Da wird gerne extra Futter zur Belebung und zur Motivation des Pferdes eingefahren. Man kann aus dem Ausland Expertisen über das Reiten toter Pferde einholen.

(Dr. Hans-Peter de Lorent GAL: Wo ist der Zusam- menhang mit Frau Pape?)

Frau Pape wollte den Dialog eröffnen. Den möchte ich natürlich haben, denn sie hat jetzt ein totes Pferd bestiegen, Herr de Lorent. Haben Sie das jetzt verstanden?

(Lutz Kretschmann SPD: Das war ein bißchen schwierig!)

Es reicht nicht, daß man nur den Reiter oder die Reiterin wechselt, sondern es muß noch mehr dabei herauskommen. Es ist zwar ein Anfang, aber wenn Sie auch mit uns neue Wege gehen wollen, dann stimmen Sie unserem Antrag zu.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Rüdiger Schulz.

(Barbara Duden SPD: Sage etwas zu den Teletub- bies!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Man findet einen CDU-Antrag zum Thema „Jugend und Gewalt“, man erwartet Rolf Harlinghausen und bekommt Frau Koop. Das ist für mich erst einmal eine Art Kulturschock, aber kein unangenehmer, muß ich gleich dazu sagen.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb mache ich noch eine weitere Vorbemerkung, Frau Koop.Jeder, der in den letzten Jahren in der Hamburger Jugendpolitik Einrichtungen besuchte, dem wird ein Satz – neben den vielen anderen Punkten der Kritik und der Anregung – immer wieder begegnen: Ihr da in der Politik – mindestens in der veröffentlichten Diskussion – bekommt