Protocol of the Session on March 1, 2000

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die erfolgreiche E-Business-Innovation-CenterAnsiedlung von IBM mit bis zu 400 neuen Arbeitsplätzen in der Speicherstadt macht diese Debatte, so finde ich, recht aktuell. Ich hoffe, sie ist nicht nur virtuell lebendig. Hamburg hat die Chance, zu einer der weltweit führenden Metropolen in der Informationsgesellschaft des einundzwanzigsten Jahrhunderts zu werden. Wo stehen wir also? Was ist zu leisten?

Ein Bestand von 800 Multimediafirmen mit 15 000 Mitarbeitern ist Spitzengruppe. Aber wir Hamburger sollten einmal die pfeffersäckische Leidenschaft entwickeln, ganz oben zu stehen. Daher ist unser Ziel 2500 Multimediaunternehmen mit 50 000 Arbeitsplätzen; ich finde, das ist die Kür. Das ist eine reale Perspektive.

Erstens haben wir einen ganz ausgezeichneten Wirtschaftssenator, mit den richtigen Ideen und der richtigen Performance im Kopf. Das ist schon ein Teil der Miete.

(Beifall bei der SPD)

Zweitens. Hamburg.de und Internet für alle, wie vom Senat beschlossen, ist die richtige Einstellung und doch kein Multimedia-Keynesionismus.

Drittens. Hamburg hat zwar kein Geld, doch das richtige Programm. Ricardo.de, wie ich im Newscontainer las, zahlt Fördergelder vorfristig an die Stadt zurück. Unternehmen, die sich das leisten können, sind nicht nur erfolgreich, sondern müssen sich auch sauwohl in Hamburg fühlen. Das letze Mal ist dies beim Airbus geschehen.

Viertens. Nachrichten werden zwar im Munde alt, aber ich sage es noch einmal: Hamburg ist die Hochburg für Venture-Capital-Unternehmen. Wer in Hamburg eine gute marktfähige Idee hat, findet sein Geld; nach Aussagen der Unternehmen – so lese ich im Newscontainer – 1 Milliarde DM.

Fünftens. Hamburg hat in den Marktsegmenten von Internet, also Inhalte der Netze, Bauelemente und Endeinrichtungen, die Nase vorn. Das stärkste Wachstum wird international und national im Bereich der Produktion von Inhalten erwartet. Hier ist Hamburg mit seinen Verlagen, Werbe

agenturen und Multimediaunternehmen sehr gut positioniert.

Im Rückblick betrachtet denken wir an das Jahr 1990: Hamburg – Boomtown; eine Stadt diskutierte dieses – ich sage einmal – in etwas kleinmütiger Art und Weise. Diese Art der Diskussion ist gänzlich verflogen, denn es gibt auch positive Nebeneffekte: Wirtschaftliches Wachstum und Stadtentwicklung vertragen sich wieder. Wir haben jüngst von dem Beispiel gehört, als unser „Hohepriester“ des linken Populismus in der Bürgerschaft, Herr Professor Dr. Hackbusch, uns erläuterte, daß die Menschen, die Computerfreaks alle ins Schanzenviertel kommen, weil er sie dort gemeinsam mit Herrn Ebermann ganz persönlich betreut; Ottensen, Bahrenfeld und St. Pauli werden folgen.

Für mich sind die Produktivkräfte der multimedialen Entwicklung die Menschen. Das ist wichtig. In der Gleichung von Geist und Kapital ist der Faktor Humankapital inzwischen der Engpaßfaktor. Wir werden nachher über Green Card und dergleichen diskutieren.

Der Produktivfaktor Mensch ist in der Multimediawelt jedoch hoch mobil, und die Unternehmensinfrastrukturen sind es auch. Deshalb kann es passieren, daß eines Tages die Unternehmen dort hingehen, wo sie ihre Talente finden, und nicht dort, wo die Kunden sind. Nur so war mein Hinweis im letzten Jahr zu verstehen. Wer sich die Medienausbildung nicht ganz oben auf die Fahne schreibt, leistet nicht den richtigen Beitrag zur optimalen Chancenauswertung, würde Frank Pagelsdorf dazu wohl heute sagen.

Meine Damen und Herren, heute nacht hatte ich einen Traum, den ich gleich erläutern will.

(Heiterkeit bei allen Fraktionen)

Ich muß mich beeilen, sonst blinkt die rote Lampe und ich schaffe es nicht mehr.

(Dr. Roland Salchow CDU: So ist das mit den Träu- men!)

2004. In einem halbdunklen Raum sah ich Martin Schmidt im Bademantel mit verbundenen Augen auf einem Stuhl sitzen. Da tastete sich Herr Salchow, inzwischen Fraktionsvorsitzender, im Bademantel mit verbundenen Augen in dieses Zimmer vor. „Bin ich drin?“ fragte er. „Drin“, antwortete ihm Martin Schmidt. Herr Salchow ertastete sich einen Stuhl und setzte sich. Der nächste, der den Raum im Bademantel mit verbundenen Augen betrat, war mein Fraktionskollege Jan Ehlers. „Bin ich etwa schon drin?“ fragte auch er. „Drin“, beantwortet dieses Mal Herr Salchow die Frage. Die nächste war Frau Sudmann – sie ist leider nicht da –, die fragte: „Bin ich drin?“ Ehlers: „Nein, draußen.“ Denn der Regenbogen flog 2001 aus der Bürgerschaft. Nach und nach füllt sich der Raum mit immer mehr Mitgliedern der Bürgerschaftsfraktionen, alle im Bademantel, mit der Frage „Bin ich drin?“, und „Drin“ wird stets von den bereits Sitzenden geantwortet.

Meine Damen und Herren, es bedarf nicht Freuds Traumdeutung, um zu erläutern, was dieser Traum symbolisiert. Im Jahr 2004 können wir sagen – und ich hoffe, daß es so ist –: Hamburg ruhte nicht in Schönheit und Erfolg, Hamburg hatte Anfang des Jahres 2000 eine klare Ausrichtung, und die Abgeordneten stehen inzwischen für die vielen Hamburgerinnen und Hamburger, die bereits im Internet vertreten sind, passiv konsumierend, aber auch sehr aktiv gestaltend. Die Chronisten werden schreiben: Hamburg ist Spitze geblieben.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort erhält Herr Niedmers.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich hatte einen Traum

(Heiterkeit bei allen Fraktionen – Uwe Grund SPD: Lauter Träumer heute!)

und habe mir überlegt, ob die Situation heute wohl von der SPD dazu genutzt werden würde, um sich ein wenig selbst zu beweihräuchern. Es war klar, daß sich dieser Traum bewahrheiten würde, und so geschah es auch.

Zunächst einmal haben wir folgendes zu überlegen. In den vergangenen Tagen wurde es überall kommuniziert: IBM eröffnet sein erstes E-Business-Innovation-Center außerhalb der USA in Hamburg. Senator Mirow – so ist zu hören – freut sich über diesen, wie er selbst sagt, bislang größten Ansiedlungserfolg in der IT-Branche in Hamburg. Die CDUFraktion begrüßt die Ansiedlung von IBM in Hamburg ebenfalls und dankt an dieser Stelle den Mitarbeitern der HWF, die diesen Ansiedlungserfolg entscheidend mit ermöglicht haben, für ihren gelungenen Einsatz und für ihre gute Arbeit.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Wer nun aber glaubt, man könne sich auf diesen Eintagslorbeeren ausruhen, der irrt, meine Damen und Herren. Der Erhalt der Spitzenstellung Hamburgs im Wettbewerb der vier großen Multimediastädte verlangt jeden Tag aufs neue Anstrengungen. Die Medienmetropolen München, Berlin und Köln sind ständig dabei, ihre Attraktivität zu steigern. So kommt beispielsweise eine jüngst von der IHK München vorgestellte Studie zu dem Ergebnis, daß München als Medienhauptstadt seine Spitzenposition ausgebaut habe. Bayern hat kürzlich eine Agentur für Medien-, Informationsund Kommunikationstechnologie gegründet, die den schönen Namen MIT trägt. Diese Agentur soll vor allem für Investitionen aus dem Ausland werben.

Bei der Ansiedlung von Unternehmen wird die MIT-Agentur von einem hochkarätig besetzten Beirat unterstützt. Dem Beirat gehören unter anderem an: Verleger Hubert Burda, McKinsey-Europa-Chef Herbert Hensler, Medienunternehmer Leo Kirch, Bertelsmann-Vorstandsvorsitzender Thomas Middelhoff, SAP-Chef Hasso Klattner und der Geschäftsführer der Microsoft Deutschland Richard Roy. Diese Personen bürgen gleichsam für hohe Qualität und ein hohes Gewicht, wenn es darum geht, Ansiedlungsentscheidungen vorzubereiten.

Untrennbar mit dem Vorgenannten verbunden sind die heute noch zu diskutierenden Fragen der Ausbildung von IT-Fachkräften. Hier hat bekanntlich Bundeskanzler Schröder das Vorliegen erheblicher Ausbildungsdefizite eingestanden, und ich kenne keinen führenden Hamburger Sozialdemokraten, der dem irgendwie widersprochen hat. Die Stadt München ist uns also auch dort wieder ein Stück voraus. Denn über die Universitäten hinaus verfügt München seit Anfang dieses Jahres über eine Multimedia-Akademie, die Aus- und Fortbildung im Multimediabereich anbietet. In Berlin wird es ab dem Wintersemester 2000/2001 erstmals einen Studiengang geben, in dem das Internet die Hauptrolle spielt. Die Hochschule der Künste bietet dann ein Studienfach „Electronic Business“ an. Im Januar dieses Jahres wurde in Köln eine Medien-Akademie eröffnet, eine gemeinnützige Einrichtung der Bertelsmann-Stiftung, die ebenfalls durch das Land Nordrhein-Westfalen gefördert wird. Diese Akademie wird durch einen Beirat aus führen

den Vertretern von Politik, Wirtschaft und wissenschaftlicher Einrichtungen unterstützt.

Daraus erkennen Sie, meine Damen und Herren, daß die Mitbewerber oft schneller sind als Hamburg. In der IT-Branche gibt es eine Faustregel, die lautet: Nicht die Großen fressen die Kleinen, sondern die Schnellen fressen die Langsamen.

Abschließend möchte ich noch eine Bemerkung zum Multimedia-Führerschein machen. Erst vorgestern begrüßte Senator Mirow medienwirksam die erste Teilnehmergruppe. Die Hamburger Multimediabranche geht aber nach eigenen Angaben davon aus, daß man einen Bedarf von circa 12 000 Arbeitskräften hat. Vor diesem Hintergrund sind die 20 Teilnehmer des Projekts Multimedia-Führerschein noch weniger als der bekannte Tropfen auf den heißen Stein. Hier müssen Sie, Herr Senator Mirow, unbedingt und deutlich nachbessern.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erhält Herr Müller.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich weigere mich, die Frage des Internet- und Multimediabooms hier in Hamburg auf eine Standortfrage zu reduzieren. Das hat zumindest mein Vorredner explizit gemacht und damit geworben, daß es irgendwelche Firmen für Anwerbungszwecke im Ausland gibt, die von hochkarätig besetzten Beiräten begleitet werden und daß allein das schon als Kriterium gilt, daß sich andere Firmen in München ansiedeln. Ich glaube, damit verkennt man diese neue Wirtschaft.

Für IBM waren der ausschlaggebende Faktor die von uns aufgebauten Netzwerke, die natürlich auch Geld kosten und als eine versteckte Subvention gelten können, aber es sind intelligente Subventionen. Weil wir im Multimediabereich zwei Netzwerke haben, die in diesem Land bisher ihresgleichen suchen, hat sich IBM für Hamburg entschieden und nicht für die Subventionsmillionen in den neuen Bundesländern oder in Bayern. Das nur zur Standortfrage und dazu, wie man heute Firmen dieses Bereichs dorthin lockt.

Warum man meiner Meinung nach das Internet und die New Economy nicht auf die Multimediabranche reduzieren sollte, haben inzwischen auch viele Unternehmen in verschiedenen Bereichen erkannt. Das Internet wird Hamburgs Wirtschaft komplett verändern. Nicht nur Multimediaunternehmen werden demnächst davon betroffen sein, sich weiter zu entwickeln, sondern die ganz normalen Betriebe. Wer von den kleinen und mittleren Betrieben in fünf Jahren nicht im Netz ist, wird Schwierigkeiten haben, noch zu überleben. Das heißt, wir müssen uns in Hamburg darum kümmern, 95 Prozent der Hamburger Wirtschaft für dieses neue Zeitalter fit zu machen.

Das Unternehmen Otto hat bereits im März angekündigt – um mal ein paar Beispiele zu nennen –, einen Webshop als Modellprojekt mit Hauptvertriebsgebiet hier in Hamburg zu gründen. Dort kann man dann rund um die Uhr einkaufen, Lebensmittel, aber auch alles andere. Die Waren werden auch sonntags ausgeliefert, unabhängig vom Ladenschlußgesetz und anderen Kriterien. Was das für die Quartiere bedeutet, können wir jetzt noch nicht abschätzen. Es gibt uns aber eine Ahnung, welche Veränderungen auf uns zukommen.

Die Banken werden massiv ins Internetgeschäft einsteigen, und zwar um zu rationalisieren. Das bedeutet, daß die Filialen zu einem großen Teil geschlossen werden. Was das wiederum für den Arbeitsmarkt und die Lebendigkeit der Quartiere bedeutet, können wir ebenfalls nur erahnen. Sie sehen, daß das viel weiter geht, als es allein darauf zu reduzieren, das eine oder andere Multimediaunternehmen in unsere Stadt zu locken. Das wird Hamburg verändern.

Damit diese Herausforderungen in den Betrieben bewältigt werden können, müssen wir – das wurde bereits angesprochen – die Ausbildungsmöglichkeiten verbessern, und zwar nicht nur im Multimediabereich, sondern alle Ausbildungslehrgänge müssen auf Digitalisierung überprüft werden. Wir haben schon jetzt das Problem, daß die Menschen, die sich nicht im Arbeitsleben befinden – die fast 80 000 Arbeitslosen –, von dieser Weiterbildung zur Zeit nicht profitieren. Es ist meiner Ansicht nach eine der größten Herausforderungen, wie wir diese Menschen, damit sie überhaupt noch einmal ins Arbeitsleben kommen, für die veränderte Situation fit machen können. Das wird von uns die höchsten Anstrengungen fordern.

Damit aber keine digitale Kluft entsteht, von der in Amerika schon so viel gesprochen wird, muß die Medienkompetenz gerade in den sozial schwachen Quartieren gefördert werden. Wenn wir diese Menschen nicht völlig von der Entwicklung abhängen wollen, muß es uns wichtig sein, sie über Internet-Cafés, Modellschulen für Internet und Anwendung auch in diese Bereiche zu bringen, da wir sonst große Probleme kriegen, die Kluft, die sich durch die Entwicklung vergrößern wird, wieder zu schließen.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Abschließend möchte ich noch darauf hinweisen, daß ich es als sehr angenehm zur Kenntnis genommen habe, daß das Internet auch die Verwaltungsabläufe radikal verändern wird. Wir werden in absehbarer Zeit überall digitale Abläufe bekommen. Ich hoffe sehr, daß die Digitalisierung das erreichen wird, was diese Generation von Politikern nicht besonders erfolgreich geschafft hat, nämlich die Bürokratie abzubauen. Zurückkommend auf den Traum von Herrn Dobritz träume ich davon, daß ein Existenzgründer in dieser Stadt spätestens im nächsten Jahr sein Vorhaben von A bis Z im Internet durchführen und dort nicht nur Beratung erfahren kann. Das wünsche ich mir für Hamburg. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort erhält Herr Hackbusch.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wie jedes zweite Mal werden wir auch heute in der Bürgerschaft über das Internet sprechen. Wie jedes Mal müssen wir von der SPD die Lobeshymne hören, dieses Mal ein bißchen angereichert durch die Bademäntelträume von Herrn Dobritz, der wahrscheinlich durch Boris Becker inspiriert war. Von der CDU hörten wir leider wieder nur das berühmte Gerede: „Ich mag Herrn Stoiber und München so gern“, was uns auch nicht so viel Neues gebracht hat. Dementsprechend versuchen wir ein paar neue Aspekte hineinzubringen.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Wir haben in den letzten Wochen im Zusammenhang mit Internet etwas gelernt, was für uns eine neue Überlegung

hervorgebracht hat. Bei den Wiener Demonstrationen war es möglich, über SMS und über das Internet völlig neue Demonstrationsformen zu finden, sich relativ schnell in der Stadt zu bewegen und auch in der Lage zu sein, Tausende von Schülern zu mobilisieren und völlig neue Ergebnisse und Demonstrationsziele zu erreichen, mit der die Polizei völlig überfordert war. Das ist die neue Internetgeneration, mit der wir zusammen die Castor-Transporte blockieren werden und wo wir uns überlegen, wie wir in dieser Stadt neue Zeichen und Schulungen bewegen werden.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke – Dr. Martin Schmidt GAL: Das mußte ja mal gesagt werden!)