Protocol of the Session on June 14, 2001

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Kinder und Jugendliche mit besonderer Begabung sind ein Gewinn für die Gesellschaft. Hamburg hat dies erkannt und ein Netzwerk der schulischen und außerschulischen Förderung entwickelt, das von der Beratungsstelle für besondere Begabung der BSJB koordiniert wird, eine Institution, die in der Bundesrepublik einmalig ist. Aus dem Bericht des Senats geht hervor, daß vor allem das individuelle Überspringen einer Klassenstufe an den Gymnasien kontinuierlich gestiegen ist. Im Schuljahr 1996/97 wurde das geförderte Springen in Hamburg eingeführt. Schülerinnen und Schüler, die eine Klasse überspringen wollen, können dafür eine Lehrerwochenstunde in Anspruch nehmen, um den ihnen fehlenden Unterrichtsstoff gemeinsam mit einem Lehrer oder einer Lehrerin aufzuarbeiten.

Der Schulversuch „Schulzeitverkürzung in Springergruppen“, der in diesem Schuljahr an sieben Gymnasien gestartet ist, hat jetzt seine Vorbereitungsphase abgeschlossen. Das heißt, es wurden bisher Kriterien für die Auswahl der Schülerinnen und Schüler und schulbezogene Förderkonzepte erarbeitet. Die Springergruppen werden jedoch erst im kommenden Schuljahr mit dem Schulversuch beginnen. Die SPD-Fraktion geht davon aus, daß in zwei Jahren erste Evaluationsergebnisse vorliegen werden.

Alle sieben beteiligten Gymnasien haben die Begabtenförderung als einen Schwerpunkt in ihr Schulprogramm aufgenommen, was die SPD-Fraktion begrüßt. Dies gilt auch für andere Schulen in Hamburg. Wie viele das sind, wird nach einer endgültigen Auswertung der Schulprogramme im Juli 2001 zu erfahren sein.

Im Grundschulbereich ist das individuelle Springen allerdings rückläufig. Hier erwartet die SPD-Fraktion, daß die BbB Ursachenforschung betreibt, zumal sie gerade für Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer einen speziellen Fortbildungskurs „Philosophieren und Begabtenförderung“ anbietet, der sehr gut besucht wird.

Aus dem Bericht des Senats geht in erfreulicher Weise weiterhin hervor, daß das Förderangebot im außerschulischen Bereich aus meiner Sicht kaum noch zu steigern ist: Talentförderung, Mathematik an der Universität, Jugend forscht, Angebote des privaten Studienkreises in Chemie und Mikrobiologie, Computerkurse, kreatives Schreiben, Philosophieren mit Kindern und vieles mehr.

Dieses großartige Angebot ist eine Folge des 1999 gegründeten Netzwerks Begabtenförderung, in dem die Beratungsstelle, die William-Stern-Gesellschaft für Begabungsforschung und Begabtenförderung und die Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind zusammenarbeiten und gemeinsam Aktivitäten initiieren. In der Beratungsstelle für besondere Begabungen wurden seit 1997 circa 1500 Einzelberatungen und über 4000 Folgekontakte durchgeführt, 71 Prozent davon mit Eltern und 17 Prozent mit Lehrerinnen und Lehrern.

Vor allem ist jedoch zu begrüßen, daß Begabtenförderung ein wichtiger Bestandteil des Curriculums der zweijährigen Beratungslehrerausbildung geworden ist, denn für eine optimale Förderung von begabten Kindern und Jugendlichen ist es wichtig, daß ihre Begabungen frühzeitig erkannt werden. Viele Eltern betroffener Kinder klagen darüber, daß man diese Begabung nicht erkannt hat und dann Kinder und Jugendliche zu Leistungsverweigerungen neigen und sogar Verhaltensstörungen zeigen können. Deshalb ist es besonders begrüßenswert, daß bereits in der Grundschule begonnen wird, Begabungen zu erkennen und zu fördern.

Die SPD-Fraktion schlägt weiterhin vor, Begabtenförderung in der Grundschule zu intensivieren. Projekte wie „Philosophieren mit Kindern“ oder „Mathematik in der Primarstufe“ sind ein erster Schritt in diese Richtung, der ausgebaut werden muß.

Weiterhin muß die Begabtenförderung auch als Schwerpunkt in die Reform der Lehrerausbildung Eingang finden und in das Kerncurriculum Erziehungswissenschaft aufgenommen werden. Bisher finden wir dazu im Bericht der Kommission leider nichts.

Es gilt natürlich auch, nach alternativen Förderkonzepten zu suchen. Die Schulzeitverkürzung in Springergruppen sollte nicht das einzige Modell bleiben. Vorstellbar wäre für mich auch, wie zum Beispiel an der Brecht-Schule geplant, spezielle Kurse in einzelnen Fächern für besonders begabte Kinder einzurichten, die dann nicht springen und in ihrer Klasse verbleiben können.

Hamburg hat ein vielfältiges Netzwerk der Begabtenförderung entwickelt. Jetzt kommt es darauf an, die Fäden noch feiner miteinander zu verweben. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Herr Engels.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Dr. Brüning, über Ihre Eingangsbemerkung, besondere Begabungen müßten gefördert werden, sind wir uns alle einig. Daß Sie dann aber hinzugefügt haben, Hamburg habe das erkannt, hat bei mir eine Erinnerung ausgelöst.

Als ich als junger Lehrer 1971 verbeamtet wurde,

(Dr. Barbara Brüning SPD: Das ist 30 Jahre her!)

hielt der damalige Oberschulrat eine kurze Ansprache, und die endete in folgendem Satz:

„Meine Damen und Herren! Kinder sind nicht begabt, sie werden begabt.“

Dies war die Einstellung, die diese Schulbehörde, die dieses Parlament Jahrzehnte, noch 25 Jahre später, geprägt haben. Hamburg hat es erkannt, aber Sie hätten schon hinzufügen müssen, Frau Dr. Brüning, viel zu spät erkannt.

(Beifall bei der CDU und Zuruf von Dr. Hans-Peter de Lorent GAL)

Herr Dr. Lorent, Sie hätten Anfang der siebziger Jahre frühzeitiger aufhören sollen, sich in Ideologien zu verrennen. Genau das war Ihr Irrtum. Begabungen müssen gefördert und auch gefordert werden, und dies haben Sie jahrzehntelang vernachlässigt.

(Beifall bei der CDU – Anja Hajduk GAL: Nein!)

Ich will nicht zu lange in die Vergangenheit gehen. Natürlich ist bei uns jetzt eitel Freude, nachdem wir immer wieder Anträge dazu in diesem Haus eingebracht haben. Aber dieses belustigte Gesicht, das Sie jetzt mal wieder demonstrieren, finde ich nicht angebracht, Sie könnten auch einmal einen wirklich grundlegenden Irrtum einräumen.

(Zuruf von Dr. Hans-Peter de Lorent GAL)

Ich freue mich natürlich, daß heute eine Drucksache dazu von seiten des Senats zur Debatte steht. Auf der anderen Seite, Frau Dr. Brüning, ist in der Drucksache eigentlich von zwei Schülergruppen die Rede, einmal natürlich von den ausgesprochen Hochbegabten, die nach amerikanischen Studien, aber auch nach internationalen Forschungen, etwa 2 Prozent eines Jahrgangs ausmachen, aber auch von den bei der Lernausgangslagenuntersuchung bekannt gewordenen circa 30 Prozent von Schülern, die in den ersten beiden Schuljahren im Gymnasium eindeutig zu wenig beziehungsweise fast gar keine Lernzuwächse erfahren, weil sie schlicht und ergreifend zu wenig gefordert und dadurch zu wenig gefördert werden. Dies ist das eigentliche Manko, und Sie wissen, daß bei dem Versuch der sieben Gymnasien – ich freue mich, daß ich an einem Gymnasium bin, das daran teilnimmt – das letzten Endes der Kern des Problems in Hamburg ist; vielfältige Angebote für besondere Begabungen haben wir schon sehr lange.

(Dr. Barbara Brüning SPD: Für Hochbegabte gelten die auch!)

Es gibt kleine Zusatzausnahmen, zum Beispiel die besondere Förderung der Einzelspringer. Das finde ich sehr gut und ist akzeptabel. Aber andere, etwa zusätzliche Wettbewerbe, insbesondere die Mathematik-Förderangebote, gibt es schon sehr lange, und sie haben eine beachtliche Qualität. Allerdings sind sie meistens Initiativen von verschiedenen Interessierten, aber nicht unbedingt von seiten des Senats, auch wenn er sich gerne damit schmückt.

Kommen wir noch einmal zu den 30 Prozent unterforderten Schülern – die beiden Gruppen überschneiden sich natürlich – an den Gymnasien. Diese Unterforderung verschleudert wirklich Begabungspotential, denn auf Begabung alleine darf man sich nicht ausruhen, Begabung kommt erst dann zum Tragen, wenn sie auch in den Schulen gefördert wird. Aber wie sind die Probleme eigentlich zustande gekommen? Da darf ich Ihnen aus der Antwort des Senats auf Ihre Große Anfrage, die wir vor etwa einem Dreivierteljahr diskutiert haben – Perspektiven der Hamburger Gymnasien – folgendes Zitat geben. Die Drucksache hatte die Nummer 16/4605: Schulentwicklung Gymnasien. Dort sagt der SPD-geführte Senat:

„Der Rückgang der Schülerzahlen zu Beginn der achtziger Jahre... hat darüber hinaus zu einem Wettbewerb zwischen den Standorten und auch zwischen den Schulformen“

gemeint sind natürlich die Gesamtschulen –

„geführt, bei dem die Eignung der anzumeldenden Schülerinnen und Schüler für einen gymnasialen Bil

dungsgang nicht immer im Mittelpunkt der Beratung durch die aufnehmende Schule stand.“

Lassen Sie sich diesen Satz – er ist ohnehin ein Understatement – einmal auf der Zunge zergehen. Hier gibt der Senat zu, daß seine Schulpolitik in ihrer grundsätzlichen Struktur dazu geführt hat, daß massenweise in Hamburger Gymnasien Schüler, die eigentlich einer Förderung bedurften, diese nicht bekommen haben, weil zu viele nicht geeignete Schüler parallel mit dabeisaßen.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Herr Frank, das ist der Punkt – ich habe mir Ihre Rede genau angehört –, an dem dieses Schulwesen krankt, nicht an den Zahlen – das ist nicht das Problem –, sondern an der Qualität. In der qualitativen Ausstattung haben Sie versagt.

Meine Damen und Herren! Auch wenn viele dieser genannten Programme in der Drucksache von uns unterstützt werden, dennoch hätte ich mir ein bißchen mehr Kreativität, auch in den Ausführungen des Senats, erwünscht.

(Dr. Barbara Brüning SPD: In welchen Punkten denn?)

Ein Riesenproblem ist zum Beispiel die Begabungsförderung bei begabten Mädchen. Die Prozentsätze sind bei Jungen und Mädchen die gleichen. Tatsache ist, daß bei Jungen die Begabung tatsächlich dann auch in der Förderung zum Tragen kommt, während bei den Mädchen – das geht einher mit deren höherer sozialer Sensibilität – diese Begabung nicht im gleichen Ausmaß zum Tragen kommt. Das können Sie auch an den Anmeldezahlen für die verschiedenen Studienzugänge sehen.

(Dr. Barbara Brüning SPD: Ja, aber es gibt da Fort- bildungskurse!)

Sie können auch Frau Bulmahn nachlesen, die dazu ebenfalls Ausführungen gemacht hat. Hier muß gerade in bezug auf die Begabungsförderung bei Mädchen noch vieles getan werden. Damit ist sich überhaupt nicht befaßt worden.

Zweiter Punkt. Wir haben in Hamburg zahlreiche Förder-, aber auch Teilungsstunden. Meine Frage lautet: Werden eigentlich diese Förderstunden in Hamburg optimal genutzt? Ich weiß, daß einzelne Schulen dies tun. Aber im wesentlichen wird dadurch, daß viele, viele Tausende dieser Förderstunden im Prinzip Nachhilfeunterricht oder Hausaufgabenbetreuung für fünf, sechs, sieben junge Leute sind, ein ungeheueres pädagogisches Fachkapital verschleudert. Ich wünsche mir, daß diese Förderstunden auch gezielt zur Begabtenförderung eingesetzt werden.

(Beifall bei der CDU)

Auch dazu sagt der Senat nichts.

Ein wesentlicher Punkt ist natürlich die Diagnostik gerade bei den begabten Schülern und Schülerinnen, bei denen die Begabung dazu führt, sich unterfordert zu fühlen, und es dann zu Mißverhaltensweisen und noch Schlimmerem kommt, teilweise zu totalem Schulversagen, obwohl Begabung da ist. Da muß die Diagnostik erheblich verbessert werden. Auch hier befinden wir uns natürlich zum Teil noch in den Kinderschuhen. Die BbB hat einige Ansätze. Das räume ich ein. Aber ich sage Ihnen auch, daß die Beratung der BbB eigentlich sehr, sehr häufig nur eine abstrakte Information ist, daß die eigentliche Beratung vor Ort in den Schulen stattfinden muß, weil nämlich das Grundproblem bei der Förderung immer auch der soziale Zusammenhang

(Hartmut Engels CDU)

sowohl der Klasse wie der Schule, auch das Wechselspiel Lehrer und Elternhaus ist. Das kann natürlich eine zentrale Beratungsstelle nur relativ abstrakt beurteilen. Meinetwegen rechtliche, vom Schulweg und der Schullaufbahn her vernünftige Ratschläge geben, aber es muß vor Ort stattfinden. Hier ist ein Mangelpunkt in Hamburg.

Wenn wir die Diagnostik wirklich verbessern wollen, dann muß sie auch Einzug in die Lehrerausbildung bekommen. In der Drucksache steht nur, daß es Lehrangebote gibt, aber dort steht nicht, daß es verpflichtende gibt. Ich meine, hier muß eine Verpflichtung hin, um auch dieser Aufgabe der Diagnostik und Früherkennung gerecht zu werden, und die fehlt bisher.

(Beifall bei der CDU)

Abschließend möchte ich noch einmal darauf aufmerksam machen, daß wir mit einem Antrag nicht eine Christophorus-Schule hier, sondern ein analoges, ähnliches Schulangebot für Hamburg gefordert haben. Damit hat sich die Drucksache überhaupt nicht beschäftigt. Ich kann Ihnen nur sagen, es ist schön, daß Sie sich der Problematik der Begabtenförderung angenommen haben. Das Original aber in diesem Hause, nämlich Begabtenförderung überhaupt zu betreiben, kommt von der CDU. – Danke schön.