Protocol of the Session on February 28, 2019

Damit alle Menschen gleichberechtigt ein selbstbestimmtes Leben führen können, müssen Barrieren abgeschafft werden. Das sind Barrieren in Städten, in Gebäuden, bei Transportmitteln, im Internet und in der Sprache – und auch in unseren Köpfen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und verein- zelt CDU)

Es geht nicht nur um ein bisschen bessere Akzeptanz und vermehrte Hilfestellungen, sondern darum, dass die Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen aufhören. Es geht um ihre Anerkennung als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft. Es geht um ihr Recht auf Bildung und Erziehung, ihr Recht auf Arbeit, auf Assistenz und auf Unterstützungsangebote.

Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf basiert auf dem im vergangenen Jahr eingebrachten Novellierungsentwurf des HessBGG, dessen Verabschiedung dann der Diskontinuität anheimgefallen ist, und beinhaltet nun neben den neuen Regelungen aus der ersten Lesung der vergangenen Legislaturperiode auch die gemeinsam von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beschlossenen Änderungen des Sozialund Integrationspolitischen Ausschusses vom 22.11.2018. Hier wurden bereits wesentliche Verbesserungen einge

bracht, basierend auch auf den Stellungnahmen der schriftlichen Anhörung, die jetzt schon eingepflegt werden konnten.

Auf die wesentlichen Eckpunkte des nun vorliegenden Entwurfs werde ich gleich noch einmal im Einzelnen eingehen. Über die Neuregelung, über die wir uns am meisten freuen, möchte ich natürlich gleich am Anfang berichten. Das ist die Ergänzung im § 18, die wie folgt lautet: „Zukünftig wird“, wie wir es bereits im Koalitionsvertrag vereinbart haben, „das Amt … [der Beauftragten der Hessischen Landesregierung für Menschen mit Behinderungen] hauptamtlich wahrgenommen und die Dienststelle dem Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration zugeordnet werden.“

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und verein- zelt CDU)

Das Amt erfährt durch die Hauptamtlichkeit endlich nicht nur die entsprechende Würdigung, sondern betont auch den Stellenwert, den die Landesregierung dem oder der Beauftragten einräumt.

Wir alle wissen, wie wichtig die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention auf kommunaler Ebene ist. Wir wissen aber auch, wie wichtig in diesem Zusammenhang der Erfahrungsaustausch und die Zusammenarbeit mit den Verbänden und Organisationen ist, die sich mit den Interessen der Menschen mit Behinderungen befassen.

(Zuruf Freie Demokraten: Ach ja! Plötzlich!)

Kommunen können nun Unterstützung erfahren. Die oder der Landesbeauftragte kann Kommunen beratend zur Seite stehen, damit diese ihrer Pflicht zur Regelung des § 18 Abs. 2 nachkommen können. Hier können sie jetzt bei der Erstellung von Satzungen behilflich sein, und es können auch Mustersatzungen erstellt werden. Das ist auch neu geregelt.

Neben der bisherigen Berichtspflicht ist zukünftig eine Abfrage vorgesehen, wie der Prozess der Inklusion aus Sicht der Menschen mit Behinderungen wahrgenommen wird. Das ist auch eine deutliche Verbesserung.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Der oder dem Beauftragten kommt künftig auch die Rolle zu, gemeinsam mit dem Inklusionsbeirat Maßnahmen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention anzuregen. Das bedeutet insbesondere auch, Anregungen von einzelnen Betroffenen, von Selbsthilfegruppen und von Behindertenverbänden entgegenzunehmen, zu überprüfen und einzuarbeiten.

Der Inklusionsbeirat, den es bereits gibt, ist jetzt im Gesetz verankert. Diese gesetzliche Verankerung lässt ihm nun auch die angemessene Bedeutung zukommen. Die oder der Landesbeauftragte fördert die Zusammenarbeit mit den Verbänden und den kommunalen Gremien, mit den Behindertenbeiräten, mit den Beauftragten und den Ausschüssen. Alle, die in kommunaler Arbeit tätig sind, wissen, wie wichtig diese Zusammenarbeit vor Ort ist.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und verein- zelt CDU)

Zudem befasst sich der Gesetzentwurf mit der Anpassung der Begriffe „Behinderung“, „Benachteiligung“ und „Barrierefreiheit“ an die UN-Behindertenrechtskonvention. Der

Begriff „Menschen mit Behinderungen“ wird im Art. 1 Satz 2 der Behindertenrechtskonvention genau definiert.

Für uns ist es wichtig, zu begreifen, dass sich das Verständnis von Behinderung ständig weiterentwickelt und dass Behinderungen nur aus der Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren entstehen, die sie an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern. Dies gilt es endgültig zu ändern.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und verein- zelt CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Anpassung der Begrifflichkeit verändert sich auch das Bewusstsein für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Das ist zwingend notwendig.

Ich möchte noch ein paar weitere Punkte erwähnen. In § 4 geht es um die Aufnahme der Beweislastumkehr. Das heißt, der Träger der öffentlichen Gewalt muss im Einzelfall nachweisen, dass keine Benachteiligung vorliegt. § 5 wird um Abs. 3 und 4 erweitert, nämlich um die Stärkung der Rechte von Frauen und Kindern sowie Eltern mit Behinderungen.

In § 8 heißt es: Menschen mit Hör- und Sprachbehinderung haben „das Recht, die Deutsche Gebärdensprache oder lautsprachbegleitende Gebärden zu verwenden“. Wir richten das Augenmerk aber auch auf taubblinde Menschen, für die die Gebärdensprache keine Lösung ist.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und verein- zelt CDU)

Dem Thema Kommunikation wird in diesem Gesetzentwurf besondere Bedeutung zuteil. Zukünftig sollen öffentliche Stellen vermehrt in Leichter Sprache kommunizieren und Behörden ihre Broschüren und Erklärtexte in Leichter Sprache verfassen. Nicht zu vergessen sind die Regelungen in § 14 des HessBGG, die barrierefreie Informationstechnik betreffen. Ich denke, das ist auch für die Zukunft ein sehr wichtiger Punkt – und für die Digitalisierung, die wir jetzt auch in einem eigenen Ministerium aufgenommen haben.

Es ist ein ganzer Strauß an Maßnahmen, der heute hier in der ersten Lesung eingebracht wird. Die UN-Behindertenrechtskonvention ist ein wichtiger Meilenstein – nicht nur für Menschen mit Behinderungen, sondern für die gesamte Gesellschaft, so Verena Bentele, Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns unseren Teil dazu beitragen, die gleichberechtigte Teilhabe aller am gesellschaftlichen Leben zu verbessern, Barrieren abzubauen und Parallelstrukturen zu vermeiden. In diesem Sinne freue ich mich auf die Beratungen. – Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Brünnel. – Nächste Rednerin ist die Abg. Böhm für die Fraktion DIE LINKE. Sie haben das Wort, Frau Kollegin.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich hatte ja ein bisschen Hoffnung.

(Vereinzelter Beifall SPD)

Die Hoffnung soll man nicht aufgeben, sie stirbt zuletzt. Ich hatte Hoffnung, als Sie Ende des letzten Jahres Ihren Gesetzentwurf zum Behinderten-Gleichstellungsgesetz zurückgezogen haben.

Ich hatte die Hoffnung, dass Ihnen Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Schwarz-Grün die umfangreiche Kritik der Non-Profit-Organisationen nicht nur überbracht, sondern auch deutlich gemacht haben, dass der Gesetzentwurf so, wie er ist, nicht weiterbestehen kann. Aber leider ist von der Kritik der Organisationen und der Behindertenverbände, die massiv war, sehr wenig umgesetzt worden. Sie enttäuschen damit die Menschen mit Beeinträchtigungen und ihre Organisationen zum zweiten Mal in kurzer Zeit.

Ich kann durchaus sehen, dass bestimmte Dinge aufgenommen worden sind. Nach langem Kampf, muss ich sagen, gibt es jetzt eine hauptamtliche Landesbeauftragte – darauf haben Sie gerade hingewiesen –, aber das ist auch notwendig. Ich denke, jeder, der in den letzten Jahren im Sozialpolitischen Ausschuss oder auf diesem Themenfeld tätig war, hat gesehen, welche großen Herausforderungen und Anforderungen das bedeutet. Sie haben der Landesbeauftragten auch die Aufgabe gegeben, Mustersatzungen zu entwickeln. Das fand ich besonders prickelnd. Das hat mir besonders gut gefallen. Ich denke, die jetzige Beauftragte kann wesentlich mehr; und Sie werden sicherlich eine neue bestellen oder die jetzige wiederbestellen, allerdings ist mir noch keine bekannt. Auf jeden Fall ist es Zeit geworden, diese Funktion aufzuwerten.

Auch, dass der Inklusionsbeirat endlich im Gesetz steht, ist erfreulich. Es ist auch erfreulich, dass dieser zur Mehrheit aus Menschen mit Behinderungen besteht. Auch die Schwerbehindertenvertretungen tauchen auf. Das Kriterium der Auffindbarkeit bei der Barrierefreiheit ist ganz wichtig; auch das ist aufgenommen worden. Aber das sind nur ein paar wenige positive Änderungen, und diese sind leider halbherzig. In Thüringen beispielsweise wird die Landesbeauftragte vom Landtag gewählt. Sie hat eine ganz andere Position, eine wesentlich wichtigere und bedeutendere Position. Ich denke, das würde auch ihrer Aufgabe entsprechen.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Danke schön. – Die Vorschläge für die Besetzung dieser Position kommen aus dem Inklusionsbeirat selbst, der nur mit Menschen aus Behindertenorganisationen besetzt ist, sowie von den Fraktionen; diese dürfen auch vorschlagen. Aber Sie können sich gern – ich habe es gestern, glaube ich, schon einmal gesagt – mit Thüringen in Verbindung setzen, um von deren Erfahrungen zu profitieren.

Ich denke, der Gesetzentwurf drückt sich um eine Menge von Problemen, die in der Anhörung genannt worden sind. Zumindest einige will ich aufführen: die selbstbestimmte Wahl der Wohnform. Es ist selbstverständlich, dass Menschen mit Behinderungen selbst entscheiden sollen und müssen, wo und in welcher Wohnform sie leben möchten. Das muss aber ausdrücklich festgehalten werden, sonst kommt es aus Kostengründen immer zu bestimmten Wohn

formen in Einrichtungen oder in betreuten Wohngemeinschaften, die sie vielleicht nicht möchten.

Die Taubblinden kommen nicht so vor, wie es eigentlich notwendig wäre. Sie schreiben noch immer „Menschen mit Hör- oder Sehbehinderung“. Zumindest die älteren Kolleginnen und Kollegen, die damals bei der Anhörung im Ausschuss dabei waren, haben doch eindrücklich festgestellt, dass es auch Menschen gibt, die beide Behinderungen haben und natürlich eine ganze besondere Form der Kommunikation brauchen. Daher ist es notwendig, dass das Lormen auch in den Katalog mit aufgenommen wird.

(Beifall DIE LINKE)

Psychische Erkrankungen werden nicht erwähnt; deren Bedarf spielt keine Rolle. Finanzielle Mittel zur Umsetzung sind nicht ausgewiesen. Die Kommunen bleiben weitgehend außen vor oder sind nur als Freiwillige eingebunden, um das Konnexitätsprinzip zu umgehen. Das verstehe ich von Ihrer Seite natürlich. So machen Sie das ja mit dem Konnexitätsprinzip der Verfassung, das eigentlich nicht das Papier wert ist, auf dem es steht, weil Sie nie etwas ins Gesetz hineinschreiben, sodass irgendeine Kommune irgendwann einmal einen Anspruch entwickeln könnte.

(Holger Bellino (CDU): Was Sie alles wissen!)

Ja, das weiß ich; als Kommunalpolitikerin weiß ich das. Damit habe ich oft genug zu tun.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Dann wäre das auch geklärt!)

Ich denke, weitere Verpflichtungen wären notwendig, gerade auch auf kommunaler Ebene, um die Situation zu verbessern. Gerade hier ist es notwendig, dass Menschen eingebunden und die Bedürfnisse und der Bedarf von Menschen mit Behinderungen mehr berücksichtigt werden. Es ist notwendig, eine Vorgabe zur hauptamtlichen Behindertenbeauftragten zu machen, zur Leichten Sprache, zu Berichtspflichten.

Besonders interessant ist aber – denn eigentlich war es notwendig, diesen Gesetzentwurf aufzulegen, weil Normen aus der EU-Richtlinie zu barrierefreien Webseiten und mobilen Anwendungen umgesetzt werden mussten –, dass dies im letzten Jahr nicht geglückt ist, weil Sie zwar einen Gesetzentwurf eingereicht und hierzu einen Änderungsantrag gemacht haben, aus lauter Panik aber alles zurückgezogen haben.

Jetzt sind Sie aber wesentlichen Entscheidungen im Gesetz wiederum nicht gefolgt; und Sie dürfen das nicht in eine Verordnung auslagern, denn das ist ein Verstoß gegen das Wesentlichkeitsgebot. Ich glaube, auch die Verwaltung muss verpflichtet werden, ihre Internetanwendungen und elektronischen Akten innerhalb einer kurzen Zeit barrierefrei zu gestalten. Nur so lassen sich angesichts des digitalen Wandels Arbeitsplätze für Menschen mit Beeinträchtigungen langfristig sichern.

Ich sage Ihnen: Da gibt es ganz viele Befürchtungen, gerade von Menschen mit Hör- und Sehbeeinträchtigungen. Sie merken, dass sie, wenn die Barrierefreiheit im Internet nicht gestaltet wird, ihre beruflichen und kommunikativen Möglichkeiten aufgrund der digitalen Situation verlieren. Aber auch andere Dinge wie das Kompetenzzentrum Barrierefreiheit stehen nicht drin. Auch die privaten Unternehmen spielen keine Rolle. Auch das ist mit in die UN-Richtlinie aufgenommen worden, sowie andere Dinge.

Ich will gar nicht alles aufzeigen, was im Gesetzentwurf alles fehlt. Ich denke, die Anhörung im Ausschuss wird das aufzeigen; Sie werden das zu hören bekommen. Entscheidend ist, wie Sie, die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen, nun mit dem Gesetzentwurf umgehen. Sie haben im letzten Jahr mit Ihrer Weigerung, im Ausschuss eine mündliche Anhörung zu dem Gesetzentwurf durchzuführen, einen riesigen Schaden angerichtet. Das wiedergutzumachen wäre nur möglich, wenn Sie Ihren Gesetzentwurf möglichst schnell nach den Vorschlägen der Verbände – und nur diese habe ich heute vorgetragen, und nur einen kleinen Teil davon – überarbeiteten.

Frau Kollegin, ich muss Sie auf die Redezeit hinweisen.