Protocol of the Session on September 22, 2022

(Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten): Das ist schon lange her!)

Das ist lange her. Ihr hadert auch damit, ich weiß. Das ist ja in Ordnung, aber diese Leidenschaft habe ich auch in der jüngeren Vergangenheit bei Ihnen so nicht wahrgenommen. Ich freue mich aber, dass wir jetzt auch thematisch in einem Boot sitzen. Die Enquetekommission „Mobilität der Zukunft in Hessen“ hat offenbar auch bei Ihnen zu einem Umdenken geführt.

(Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (Freie Demokraten): Das ist aber auch nichts Neues!)

Ihr habt nichts Neues geliefert, dann kann auch ich nichts Neues liefern. – Fakt ist, der Bund muss genauso liefern, wie das Land liefert. Das Land liefert, und vom Bund erwarten wir ein bisschen mehr als das, was bis jetzt in Aussicht gestellt worden ist. – Von daher gesehen: vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe Freie Demokraten)

Für die AfD-Fraktion bitte ich Herrn Gagel ans Rednerpult.

Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dass die FDP hier und heute feststellen will, dass das 9-€-Ticket ein Erfolg war, das müssen Sie natürlich tun, Herr Dr. Naas – gemäß dem Motto: Für das, was wir in Berlin verzapfen, muss ein entsprechendes Selbstlob her. – Bei der schwarz-grünen Landesregierung kritisieren Sie immer, dass sie sich in Pressemitteilungen so viel Selbstlob ausspricht. In diesem Falle gilt die Sache mit dem Selbstlob auch für Sie.

(Beifall AfD)

Ich will eine Klarstellung vornehmen – wahrscheinlich wird sie missverstanden. Der „Hass“ auf den ÖPNV geht Ihnen runter wie Öl. Es ist aber nicht so. Wir empfinden keinen „Hass“ auf den ÖPNV, sondern wir haben eine rationale und vernünftige Sicht auf den ÖPNV. Das muss ich hier in aller Deutlichkeit noch einmal sagen.

(Beifall AfD)

Herr Dr. Naas, Sie haben zu Recht gesagt, das Flatrate-Ticket hat vieles einfacher und vieles besser gemacht. Da bin ich zu 100 % bei Ihnen. Es ist in der Tat so: Die Bürokratie ist an der Stelle abgeschafft, das Ticket ist einfach zu buchen, man kann sich überall frei bewegen, man braucht nicht zu überlegen, wo man etwas bezahlen muss. Das ist absolut zutreffend.

Sie haben heute dem Nachfolgeticket ein Preisschild umgehängt: 69 €: Auch wir haben Berechnungen zu dem Thema angestellt. Wir sind preislich gar nicht weit voneinander entfernt, Herr Dr. Naas; denn auch wir sind dafür, ein Flatrate-Ticket fair und richtig einzupreisen, sodass die Verbünde weiterhin mittels der Fahrgeldeinnahmen existieren können.

(Zurufe Freie Demokraten)

Um nochmals auf die Natur des 9-€-Tickets zu sprechen zu kommen: Es war letztlich eine Form des fast kostenlosen ÖPNV. Wenn ich in Ihr Parteiprogramm schaue, lese ich aber nichts von einem Tankrabatt oder einem 9-€-Ticket.

(Beifall AfD)

Sie können selbstverständlich sagen: Da waren der Krieg in der Ukraine und der böse Putin, da mussten wir doch etwas tun. – Nein, es war de facto Ausfluss des hektischen Aktionismus der Ampelregierung in Berlin – da sind Sie nun einmal Mitglied – im Rahmen des ersten Entlastungspakets.

(Beifall AfD)

Die FDP, die GRÜNEN und die SPD in Berlin haben mit Strohfeuern Geld verbrannt, ohne eine wirkliche nachhaltige Entlastung für die Menschen in Deutschland zu bringen. Andere Staaten in Europa haben das zustande gebracht. In Deutschland ist das nicht so. Da wird nach drei Monaten wieder darüber diskutiert, was wir machen, wieder ein neues Paket, noch ein neues Paket, wieder mit anderen Voraussetzungen, und ständig wird nur diskutiert, statt wirklich einmal eine dauerhafte und vor allem nachhaltige Entlastung der Bürger zustande zu bringen.

(Beifall AfD)

Wenn man den FDP-Antrag weiterliest, erkennt man immerhin – das habe ich eben angedeutet –, dass sich die FDP doch ein bisschen an die wirtschaftspolitischen Grundsätze im Bereich von Wirtschaft und Verkehr erinnert. Das ist nicht schlecht; denn der bürgerlich-konservative Wähler, der eigentlich schon fast die AfD gewählt hätte, hat sich aufgrund des stellenweise doch vernünftig klingenden Programms für die FDP entschieden. Dieser erwartet mit Sicherheit etwas anderes als die Umsetzung kommunistischer Ideen, beispielsweise der eines kostenlosen ÖPNV.

(Beifall AfD)

Meine Damen und Herren, für uns in Hessen muss klar sein – ich sage es immer wieder –: Wollen wir den ÖPNV stark und investitionsfähig erhalten und verbessern, wollen wir die Staatsfinanzen gesund erhalten, so ist eines gewiss nicht möglich, nämlich ein voll subventioniertes ÖPNV-Ticket. Das 9-€-Ticket bedeutet nach meiner Überzeugung fast eine Vollsubventionierung des ÖPNV.

(Beifall AfD)

Sosehr hier aus der links-grünen Ecke immer mit den Schlagworten Klimanotstand und Klimakrise und der Panikattacke, dass wir keine Zeit mehr haben, gepoltert wird, so sehr müssen wir dieser Dauerpropaganda mit dem Ziel der Durchsetzung zentral gesteuerter sozialistischer Experimente widerstehen.

(Beifall AfD)

Wir müssen zurück, und das hat die FDP zum Glück richtig erkannt, zu einer guten Deckungsquote im ÖPNV. Da sind wir völlig bei Ihnen. Das mit den 69 € klingt gut. Herr Dr. Naas, das würde dem Geist dessen entsprechen, was Herr Lindner heute in Berlin noch einmal betont hat: Die Schuldenbremse muss eingehalten werden. Aber damit ist er wahrscheinlich der letzte Mohikaner im Ampelverein in Berlin.

(Beifall AfD)

Sie schreiben es auch im Antrag: Die Kosten für das Nachfolgeticket dürfen die Haushalte nicht überlasten. – Man muss sicherlich anerkennen, dass die FDP hier erkannt hat, dass es nicht um „ÖPNV für alle, und da habt ihr“ geht, sondern es geht ganz klar um ein Spannungsfeld im Rahmen der Finanzierbarkeit.

Wie ich eben schon gesagt habe: Wir sind natürlich auch für die Einführung eines Flatrate-Tickets, weil dadurch vieles viel einfacher geworden ist. Das Prinzip ist richtig – da muss man Herrn Al-Wazir recht geben, es ist aus Hessen gekommen. An der Stelle sage ich: Es war richtig, das so zu machen. Insofern sind wir da bei Herrn Al-Wazir bzw. auch bei Herrn Dr. Naas.

Zur Finanzierung. Über die Regionalisierungsmittel haben wir gestern gesprochen. Da muss man auf jeden Fall noch einmal betonen, dass die 10 Milliarden €, die vom Bund kommen, wovon Hessen etwa 700 Millionen € erhält, eine große Hausnummer sind. Die 15-%-Anteile aus KFA und Landesmitteln haben wir schon ausführlich diskutiert, wobei anscheinend immer noch Differenzen zwischen dem Verkehrsminister und Herrn Dr. Naas bestehen, ob es 3 % oder 15 % sind.

Auf jeden Fall sehen wir, dass der Bund noch einmal 1,5 Milliarden € zusätzlich dazugeben will. Wenn man das dann für Hessen ausrechnet und ungefähr auf das Ticket umlegt, könnte man für Hessen sagen, dass man den Preis für ein Flatrate-Ticket mithilfe der 1,5 Milliarden € um etwa 10 oder maximal 15 € absenken könnte. Wenn man ursprünglich einen fairen Wert von 79 € ermittelt hätte, um den ÖPNV kostendeckend zu finanzieren, dann wäre man eben genau bei den 69 €, die Herr Naas ins Spiel gebracht hat.

(Beifall AfD)

Bezüglich der 1,5 Milliarden € muss man noch nachfragen, ob die Summe jährlich zu erwarten ist – es ist ja ein Entlastungspaket. Kann sich der ÖPNV darauf verlassen? Was ist mit den Kosten im ÖPNV – Stichwörter: Personalkosten, Energiekosten – im Umfeld der Inflation? Sind diese Kalkulationen auch 2023, 2024 oder 2025 noch gültig? Das wissen wir nicht; denn der ÖPNV unterliegt genauso den allgemeinen Kostensteigerungen. Wenn wir uns an zweistellige Inflationsraten in der Größenordnung von 10 % gewöhnen müssen, dann stellen wir fest, das 10 % von 1 Milliarde € auch schon 100 Millionen € entsprechen.

Der RMV hat bereits mit Preiserhöhungen auf diese gestiegenen Kosten reagiert und ist dafür natürlich auch hart kritisiert worden – vor allem hier aus der linken Ecke. Aber auch diese Fragen müssen berücksichtigt werden. Der ÖPNV muss auch immer einen Teil seiner Kosten decken. Auf jeden Fall stehen wir in Deutschland an einem Scheideweg: Verlassen wir die Prinzipien der Deckungsquote – die bis 2019 auf jeden Fall galt –, oder gehen wir einen Weg des immer stärker subventionierten ÖPNV bis hin zu einem kostenlosen Ticket, wie es die LINKEN wollen? Für uns als AfD ist ganz klar: Wir bekennen uns dazu, dass der ÖPNV durch Fahrgeldeinnahmen zu einer Deckung der Kosten beitragen muss; sonst bekommen wir eine Mehrbelastung der Staatshaushalte.

Insofern sehe ich einen gewissen Widerspruch im FDPAntrag. Unter Punkt 6 schreiben Sie, dass Sie mehr Landesmittel fordern. Das haben Sie auch in Ihrer Rede klargemacht, Herr Dr. Naas. Die höheren Landesmittel müssen aber irgendwo herkommen. Eine Antwort auf die Frage: „Wo wollen Sie denn streichen, wenn Sie mehr Landesmittel für den ÖPNV fordern?“, steht in Ihrem Antrag nicht. Das liest sich so ein bisschen wie: „Weiß ich nicht, keine Ahnung“, aber die fallen schließlich nicht vom Himmel.

(Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten): Erst einmal macht die Landesregierung einen Vorschlag!)

Nein, nein. Das müssen Sie schon machen. – In Punkt 7 Ihres Antrags weisen Sie dann auf den Finanzierungsvorbehalt hin. Hier müssten Sie Ihren Widerspruch noch auflösen und sagen, von welcher Stelle des Haushaltes das Geld kommen soll. Ich befürchte, dass man am Ende des Tages doch sagt: „Wir sind in einer Krise, der Krieg, die Inflation, alles ist ganz schlimm“, und dann doch in irgendeiner Form an die Schuldenbremse geht.

Meine Damen und Herren, ich habe es hier schon verschiedentlich erklärt, dass die AfD bezüglich des ÖPNV eine ganz klare Haltung hat: Ein starker, investitionsfähiger ÖPNV muss einen Deckungsbeitrag bringen, der die hessischen Haushalte nicht weiter belastet, und die Schuldenbremse muss selbstverständlich eingehalten werden. Ansonsten stehen wir für eine klare Absage an alle zentralpla

nerischen und sozialistischen Experimente im Namen der Klimakrise, des Klimanotstands und der Klimaneutralität.

Letzter Satz, Frau Präsidentin. – Digitalisierung ist natürlich ein Mittel, aber kein Ziel, um die Effizienz zu steigern, die Kosten zu senken und die Benutzerfreundlichkeit zu erhöhen.

(Beifall AfD)

Kostenloser, hoch subventionierter ÖPNV kommt für die AfD nicht infrage, das habe ich hier schon oft klargemacht. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall AfD)

Für DIE LINKE erteile ich nun Abg. Gerntke das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In der Tat haben wir die letzten Tage schon sehr lange über unterschiedlichste Aspekte der Verkehrspolitik diskutiert. Gleichwohl hat die FDP noch einmal die Frage nach den Strukturen aufgeworfen. Meiner Ansicht nach hat der Redner, Towarischtsch Naas, nicht zu Unrecht hinterfragt, ob die Strukturen, die wir jetzt haben, noch adäquat sind. Die FDP nennt das „Kleinstaaterei“ und macht auf Tarifgebiete, Übergangsgebiete, Fahrkartenverkauf, Kontrollen usw. aufmerksam. Das hängt alles zusammen. Diese Probleme wären zum großen Teil durch Flatrate-Tickets, aber am allerbesten durch einen Nulltarif zu überwinden. Auch Flatrate-Tickets muss man kontrollieren, um sicherzustellen, dass sie auch entsprechend bezahlt sind. Aber das mag nur eine technische Frage sein.

Relevanter ist die Frage: Wer kann sich das am Ende noch leisten, und sehen wir es als ein Problem an, wenn sich ein Viertel der Bevölkerung das nicht leisten kann? Das muss man klären. Daneben ist die Frage relevant: Wie ist es zu diesen zersplitterten Strukturen gekommen? Diese sind schließlich nicht vom Himmel gefallen, sondern das sind Strukturen, die gesetzmäßig festgelegt sind und die man auch gesetzmäßig verändern könnte, wenn man wollte.

Ich finde, da muss man klären: Wollen wir, dass der ÖPNV eine sozialstaatliche Leistung ist, oder ist er eine Ware, die wir auf dem Markt verkaufen? Das kann man so oder so sehen. Wenn man sagt, man möchte ihn als Ware auf dem Markt verkaufen, dann hat man das Problem, dass man eine Buslinie auf dem Land nicht fahren lassen kann. Man kann sie schon fahren lassen, aber die wenigsten potenziellen Kundinnen und Kunden werden bereit sein, für eine Fahrt die 200 €, die fällig würden, wollte man kostendeckend arbeiten, zu zahlen. Das wurde hier teilweise eingefordert.

Sozialstaatliche Finanzierung hieße nicht, dass die Kosten geringer wären, sondern sie würden von der Gesellschaft getragen. Je höher die Kosten für die einzelnen Nutzerinnen und Nutzer sind und je unmittelbarer sie an die Nutzerinnen und Nutzer angebunden sind, desto weniger ist es sozialstaatlich organisiert, wenn ich die einzelne Fahrt wirklich kostendeckend haben will.

Das habe ich bei einer Flatrate nicht. Selbst bei einer Flatrate werden die Kosten umgelegt; denn, wenn der eine sich

eine Monatskarte für 60 € kauft und zweimal damit fährt, und ein anderer kauft sich eine Monatskarte für 60 € und fährt damit 50-mal, dann zahlt der Zweite relativ natürlich weniger pro Fahrt. Schon bei einer Flatrate ist es so, dass die Kosten nicht mehr 1 : 1 umgelegt werden. Wenn gesagt wird, wir wollen einen gewissen Kostendeckungsgrad über die Nutzerinnen und Nutzer erzeugen und wollen aber gleichzeitig Flatrates, dann ist das ein gewisser innerer Widerspruch, weil natürlich auch die Flatrates schon darauf hinwirken, dass ein Ausgleich, in diesem Fall unter den Nutzerinnen und Nutzern, stattfindet.

(Beifall DIE LINKE)