Protocol of the Session on January 26, 2017

(Beifall bei der LINKEN)

Die Welt braucht weniger Nationalstaaten und mehr internationale Kooperation. Allerdings haben weder EU noch Euro in ihrer jetzigen Form eine Zukunft. Beide müssen radikal umgebaut werden. Seit die Wechselkurse als Korrekturfaktor weggefallen sind, braucht gerade die Währungsunion neue Instrumente des Ausgleichs.

(Beifall bei der LINKEN)

Erstens muss dazu die staatliche Ausgabenpolitik viel stärker an den Erfordernissen des gesamten Euroraums ausgerichtet werden. Um die schwächelnde Wirtschaft zu stimulieren, muss die Austeritätspolitik durch ein europäisches Investitionsprogramm abgelöst werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Die zweite Reformsäule muss bei den außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten ansetzen.

(Michael Boddenberg (CDU): Wollen Sie die EU auch noch in die Pleite führen?)

Herr Boddenberg, bisher tragen wirtschaftlich schwache Staaten die Lasten der von Deutschland verordneten Austeritätspolitik praktisch allein.

(Holger Bellino (CDU): Unsäglich!)

Das hat soziale Härten zur Folge. Zukünftig müssen auch Staaten mit hohen Überschüssen im Außenhandel – beispielsweise wir – verpflichtet werden, auf eine ausgeglichene Leistungsbilanz hinzuarbeiten.

Drittens müssen Beschäftigung, Lohn- und Einkommenspolitik sowie soziale Sicherung in der Europäischen Union einen größeren Stellenwert erhalten.

(Beifall bei der LINKEN)

Es wäre ein Leichtes, mithilfe von klar definierten Indikatoren die Entwicklungen zu beobachten und korrigierende Maßnahmen einzuleiten.

Zudem kommt die Union nicht umhin, legale Zugangswege und Aufenthaltsrechte für Flüchtlinge zu schaffen. Sie muss Mittel für die Aufnahme von Flüchtlingen und die Beseitigung von Fluchtursachen mobilisieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Jede einzelne dieser Maßnahmen wäre schon ein kleiner Erfolg. In ihrer Gesamtheit zeigen sie einen Weg auf – –

(Michael Boddenberg (CDU): Wer hat Ihnen denn die Rede aufgeschrieben, Frau Wagenknecht oder Frau Wissler? – Gegenruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE): Er kann das schon selbst schreiben!)

Herr Boddenberg, wir sind in Hessen sehr klar positioniert, das wissen Sie ganz genau.

Wenn wir jetzt das Soziale nicht endlich in den Vordergrund stellen, werden sich immer mehr Menschen abwenden.

(Unruhe bei der CDU)

Wenn weiterhin Politik vor allem für Großkonzerne und große Vermögen gemacht wird, wird das Vertrauen in die Institutionen weiter sinken. Die EU sollte mit Mindestlöhnen, armutsfesten Mindesteinkommen und massiven Inves

titionen in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur mit gutem Beispiel vorangehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Statt auf wirtschaftliche Vorteile für Hessen auf Kosten der europäischen Nachbarländer zu schielen und kleinliche Interessen Hessens zu bedienen, geht es um grundlegende Fragen der europäischen Politik. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke, Herr van Ooyen. – Zur Geschäftsordnung, Herr Bellino.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Zusammenhang mit der Diskussion zum Brexit hat der Redner eine unsägliche Kriegspropaganda aus dem Ersten Weltkrieg zitiert: Wir kennen das wahrscheinlich alle: „Jeder Tritt ein Brit, jeder Schuss ein Russ“. – Darauf hat er Bezug genommen und hat das auch zitiert „Jeder Tritt ein Brit“ in Bezug auf den Brexit. Ich halte das für unparlamentarisch und der Diskussion, die bisher sachlich war, nicht angemessen.

(Beifall bei der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der FDP)

Herr Bellino, wir haben im Präsidium dieses Zitat auch gehört und haben uns kurz beraten. Bisher sind wir der Auffassung, dass Herr van Ooyen einen Bezug auf die Historie genommen hat, um auf die fürchterlichen Auswüchse von Nationalismus hinzuweisen. Wir werden gerne das Protokoll anfordern, um das im Zusammenhang zu prüfen.

Damit sind wir seitens der Abgeordneten am Ende der Rednerliste. Ich erteile Frau Staatsministerin Puttrich für die Landesregierung das Wort.

(Stephan Grüger (SPD): Man muss doch den Zusammenhang verstehen!)

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! 2017 ist ein besonderes Jahr. Wir feiern in diesem Jahr 60 Jahre Römische Verträge. Es stellt sich immer die Frage, wie man mit einem solchen Jubiläum umgeht.

Man kann in einem solchen Jubiläumsjahr eine Negativbeschreibung vornehmen und einen Krisenzustand und einen Krisenmodus beschreiben. Man kann aber auch sagen: Wir haben eine erfolgreiche Geschichte, uns einen Frieden, Freiheit und Demokratie. – Ich bin fest davon überzeugt, dass wir Menschen von Europa nur überzeugen können, wenn wir sagen, was wir geleistet haben und worauf wir stolz sein können: Frieden, Freiheit und Demokratie.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist eben angesprochen worden: Selbstverständlich ist ein wirtschaftlicher Erfolg eine wichtige Basis einer Europäischen Union – gar keine Frage. Nicht ohne Grund ist auch nach einem zerstörten Europa die Konzentration darauf gelegt worden, eine gemeinsame Basis zu schaffen und gemeinsam wirtschaftlich erfolgreich zu sein.

Wenn wir aber heute hier diskutieren, dann muss der Schwerpunkt bezüglich Europas bei der Wertegemeinschaft liegen. Es sind die Werte, die uns verbinden. Wenn ich höre, dass wir uns eher mit anderen Dingen und mit Trump beschäftigen, sage ich ganz klar: Der Unterschied zwischen ihm und uns ist, dass er nur wirtschaftlich und nur über eine Wirtschaftsgemeinschaft denkt, wir aber über Werte und über eine Wertegemeinschaft reden. Wir tun das, Trump nicht.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Insofern stellt sich die Frage: Vor welchen Herausforderungen stehen wir? – Sie sind beschrieben worden. Ich will sie im Einzelnen nicht wiederholen. Exemplarisch nenne ich sie selbstverständlich: Brexit, Populismus, Nationalismus und auch Herausforderungen bezüglich der Zuwanderung nach Europa. Das sind Dinge, zu denen wir gemeinsame Antworten geben müssen. Dazu gehören auch die Ukraine und die völkerrechtswidrige Annexion der Krim, und die Krise in der Türkei.

Die Grundfrage ist, wie wir darauf reagieren und wie wir geeint und gemeinsam eine Antwort geben können. Wir alle miteinander wissen, dass die Summe von einzelnen Interessen mit Sicherheit kein gutes Ganzes ergibt. Und wir wissen, dass nationalistische Töne der vollkommen falsche Ansatz sind.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich würde mir wünschen, dass wir einerseits die Herausforderungen beschreiben, die wir haben. Das ist überhaupt keine Frage. Das müssen wir auch tun. Aber wir sollten doch mit einer Grundfröhlichkeit sagen, dass wir Lösungen finden. Ich finde, wir müssen anders als Populisten nicht sauertöpfisch auf die Straße gehen und Menschen verhetzen, sondern fröhlichen Herzens sagen: Wir demonstrieren für ein Europa.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das sollte uns auch leichtfallen, und wir sollten auch einen Ansporn haben, wenn wir sehen, was in Koblenz gesprochen wurde. Ich will nur das eine Zitat verwenden. Normalerweise möchte ich Frauke Petry nicht zitieren. Man muss es aber hier tun. Es ist widerlich, es ist abstoßend, und es ist abartig, wenn Frauke Petry bei diesem Treffen bezüglich Europas von einem System der Unterdrückung, der Knechtschaft und der Tyrannei spricht und das gleichzeitig in einen Zusammenhang mit dem nationalsozialistischen System bringt. Sie hat Europa mit der NS-Herrschaft verglichen und gesagt, der Kontinent habe nie lange eine Vormacht geduldet. Gleichzeitig hat sie gesagt, auch die Europäische Union, so Gott wolle, werde er nicht länger dulden.

(Zuruf von der CDU: Ja!)

Wenn das für uns kein Grund ist, zu sagen, dass wir fröhlichen Herzens in die Demonstration für eine Europäische

Union gehen, dann würden wir unsere Chance nicht nutzen, die wir jetzt nutzen müssen – bei allen Herausforderungen, die eben gerade beschrieben wurden.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das bedeutet selbstbewusst: Ich will nicht, dass wir nur reagieren, dass wir nur auf Trump reagieren, dass wir nur sagen, wie die anderen uns sehen. Ich möchte, dass wir uns selbst gut sehen und wir uns selbst vergewissern und dass wir stolz auf das sind, was wir gemeinsam erreicht haben. Reaktion auf andere ist immer schlecht. Die Aktion, stolz und selbstbewusst zu sagen, dass wir ein starkes Europa sind und viel erreicht haben, motiviert die Leute. Das überzeugt die Leute, und nicht die Schlechtrederei.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Hammann hat davon gesprochen: Frieden, Freiheit und Wohlstand, Freizügigkeit, Binnenmarkt – all die Dinge, über die wir eben gesprochen haben – funktionieren selbstverständlich nur in einem geeinten Europa. Dennoch – das wissen wir auch – hat der eine oder andere Unbehagen, weil Zusammenhänge schwierig geworden sind, weil ihm die Globalisierung Angst macht, weil ihm auch grenzenlose Dinge unter Umständen Angst machen, weil ihm auch neue Entwicklungen wie die Digitalisierung durchaus auch Angst machen können. Menschen sind heute in einer Situation, in der sie sich bei großen Zusammenhängen unter Umständen gern auf Kleines besinnen. Deshalb müssen wir selbstverständlich wiederum sensibel zuhören: Wovor haben die Menschen Angst? Wie können wir ihnen etwas erklären? Wie können wir das so erklären, dass wir es nicht in einer populistischen Sprache tun, sondern das wir ihnen sagen, warum sie Europa brauchen und warum das gut für sie ist?

Frau Ministerin, ich erinnere an die Redezeit.