Protocol of the Session on November 24, 2016

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Entgeltordnung am Flughafen Frankfurt/Main muss rechtlichen Anforderungen genügen – Drucks. 19/4123 –

Es beginnt der Kollege Marius Weiß.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorgestern kam bei „tagesschau.de“ die Meldung, dass dem WDR eine Studie vorliegt, die die EU-Kommission in Auftrag gegeben hat und an der europaweit mehr als 7.000 Piloten teilgenommen haben. Das Ergebnis zeigt, dass die Piloten, die unter atypischen Beschäftigungsverhältnissen arbeiten, deutlich negativere Einschätzungen zeigen als ihre Kollegen bei Linienfluggesellschaften. Bei den Billig-Airlines stimmten 75 % des Flugpersonals der Aussage zu, dass sie oft müde im Cockpit sitzen. Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen prekärer Beschäftigung und Stress im Cockpit.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Meldung über diese Studie kam genau drei Wochen nach der von Fraport-Chef Schulte mit großem Tamtam verkündeten Mitteilung, dass Ryanair ab nächstem Sommer in Frankfurt eine Basis auf

baut. Das zeigt, wie aktuell unsere Themensetzung ist und wie dringend man über Ryanair und die Rolle der Landesregierung im Zusammenhang mit der Entgeltordnung sprechen muss.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ryanair ist nicht irgendein Low-Coster. Ryanair zahlt absolute Niedriglöhne, unterläuft gültige Sozialstandards und verweigert jede Tarifbindung für ihre Beschäftigten. Gerade die Tarifbindung ist in der Luftfahrt noch wichtiger als in anderen Branchen. Die internationale Luftfahrt wird nicht durch die WTO reguliert. Deutsche Arbeitsschutznormen gelten oftmals für die Beschäftigten in der Luftfahrt nicht. Das kann man z. B. daran nachvollziehen, dass ein Pilot keinen Anspruch nach der Arbeitsstättenschutzverordnung auf einen Pausenraum mit einem Fenster hat, das geöffnet werden kann.

(Heiterkeit)

Aber deshalb ist es umso wichtiger, dass gerade die Luftfahrtunternehmen tarifgebunden sind; denn nur durch Tarifverträge werden Lücken im Arbeitnehmerschutz geschlossen, der nach dem Gesetz besteht.

(Beifall bei der SPD)

Ryanair hat nicht nur keine Tarifbindung, sondern verweigert diese auch noch sehr aktiv. Da werden Leute schlicht hinausgeschmissen, die sich für mehr Arbeitnehmerrechte engagieren. Ryanair führt keine Sozialabgaben ab. Ryanair stellt zu Arbeitsmodellen ein, bei denen die Beschäftigten nur dann Lohn garantiert bekommen, wenn sie tatsächlich fliegen. Das Ergebnis der Studie der EU-Kommission wundert mich, von daher gesehen, gar nicht. Wenn ich nur dann Geld bekomme, wenn ich tatsächlich fliege, dann melde ich mich eher auch dann zum Dienst bereit, wenn ich mich eigentlich unfit to fly melden müsste.

Ryanair hat seinen Unternehmenssitz in Irland, wo sie nach den dortigen Arbeitsgesetzen Flugbegleiter und Piloten aus Drittländern anstellen kann. Die Crews, die ab nächstem Sommer in Frankfurt stationiert werden sollen, werden weder Rentenansprüche nach deutschem Recht erwerben noch einen deutschen Krankenversicherungsschutz haben. Wenn Mitarbeiter krank sind, dann gilt irisches Recht, und für sogenannte Non-Residents, wie die zukünftigen Beschäftigten hier in Frankfurt, gibt es im Krankheitsfall lediglich 300 € im Monat als Grundsicherung. Davon sollen sie in der Rhein-Main-Region leben. Ryanair zahlt keinen Mindestlohn, und die Beschäftigten, die ab nächstem Sommer für Ryanair bei Flügen ab Frankfurt in der Kabine arbeiten, werden einen Bruttolohn in Höhe von ca. 1.100 € erhalten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ryanair ist ein fliegender Schlecker.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- KEN)

Es steht dem Hessischen Landtag und der Hessischen Landesregierung gut zu Gesicht, wenn sie sagen: Wir wollen diese Arbeitsbedingungen nicht. Wir wollen sie nicht in Deutschland, wir wollen sie nicht in Hessen, und wir wollen sie erst recht nicht an einer Arbeitsstätte, deren größter Anteilseigner Hessen ist.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- KEN)

Kollege Weiß, der Kollege Caspar möchte Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

(Marius Weiß (SPD): Nein!)

Nein, dann lassen wir es.

Dabei sind Billigflieger nicht per se Teufelszeug. Es gibt eine große Nachfrage nach Punkt-zu-Punkt-Verkehren ohne großen Komfort. Das ist auch nichts Verwerfliches. Wenn über 40 % der Verkehre in Europa über Low-CostCarrier abgewickelt werden, dann ist es, unternehmerisch gesehen, nachvollziehbar, wenn sich der bald zweitgrößte Flughafen der EU diesem Trend öffnen möchte und an diesem Markt partizipieren möchte. Natürlich können wir den Kunden nicht vorschreiben, mit welcher Airline sie zu fliegen haben; aber man kann sie darauf hinweisen, dass Billigflieger nicht gleich Billigflieger ist. Darauf kann man im Übrigen auch Herrn Schulte hinweisen.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU)

Auch easyJet ist kein Waisenknabe, sondern hat ebenfalls eine aggressive Marktstrategie.

(Zurufe von der CDU)

Aber easyJet arbeitet mit Tarifverträgen. Auch bei Eurowings ist die Mehrheit der sechs Unternehmen, die unter diesem Namen fliegen, tarifgebunden.

(Zuruf des Abg. Ulrich Caspar (CDU))

Herr Caspar, ich verstehe, dass Sie sich getroffen fühlen,

(Widerspruch des Abg. Ulrich Caspar (CDU))

aber vielleicht hören Sie bis zum Ende zu. Ich mache das dann auch bei Ihnen; vielleicht kann ich zu Ihren Ausführungen dann noch etwas sagen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das zeigt, dass es bei der Strategie der Fraport, sich dem Low-Cost-Bereich zu öffnen, möglich gewesen wäre, dies mit Fluggesellschaften zu tun, die anständiger mit ihren Mitarbeitern umgehen, als Ryanair dies tut. Ich finde, darauf hätte das Land Hessen im Aufsichtsrat der Fraport hinwirken sollen.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, außer Herrn Schulte und Herrn Bouffier habe ich im Übrigen noch niemanden gefunden, der die Ansiedlung von Ryanair gut findet.

(Ulrich Caspar (CDU): Doch, Frau Dreyer in Rheinland-Pfalz!)

Die Stimmung in der Luftverkehrsbranche ist unterirdisch, Herr Caspar. Die Airline-Verbände laufen Sturm. BDF und BARIG schreiben empörte Briefe an Minister Al-Wazir. Die Lufthansa läuft Sturm, die Condor läuft Sturm. Ich war letzte Woche bei einem politischen Abend der Condor in Frankfurt und habe dort am eigenen Leib mitbekommen, wie die Stimmung bei den Beschäftigten ist. Ich kann Ihnen sagen, in manchen Teilen der Luftverkehrswirtschaft gilt Rufmord inzwischen als natürliche Todesursache.

(Heiterkeit bei der SPD – Zurufe von der CDU)

Nicht nur in der Branche, sondern auch in der Politik hört man nicht ein einziges gutes Wort über diese Entscheidung.

Herr Caspar, in der Offenbacher Stadtverordnetenversammlung haben die Fraktionen der CDU, der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN am Donnerstag letzter Woche einen Antrag beschlossen, in dem die Ansiedlung von Ryanair abgelehnt wird.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und bei Abge- ordneten der LINKEN)

Der Ministerpräsident steht als Ryanair-Fan im Land, in der Region und auch in seiner eigenen schwarz-grünen Koalition offensichtlich sehr alleine da.

(Widerspruch bei der CDU)

Man muss aber auch noch ein paar Worte zum Verfahren der Ryanair-Ansiedlung und zu der Rolle verlieren, die die Landesregierung dabei gespielt hat. Da schwebt am 2. November medienwirksam der erste Ryanair-Flieger in Frankfurt ein, und es wird eine Partnerschaft aufgrund eines neuen Rabattmodells bekannt gegeben. Ministerpräsident Bouffier ist offensichtlich gut darauf vorbereitet, lobt dies noch am gleichen Tag überschwänglich und erklärt die Rabatte bereits für vertretbar, die sein Verkehrsminister erst noch genehmigen muss.

(Heiterkeit bei der SPD)

Eine Woche später kommt im Wirtschaftsausschuss bei der Antwort auf einen Dringlichen Berichtsantrag der SPDFraktion heraus, dass nicht nur die Entgeltordnung noch nicht genehmigt ist, sondern dass noch nicht einmal die Endversion des externen Gutachtens vorliegt, das die Genehmigungsfähigkeit überhaupt erst rechtlich prüfen soll. Da war ich schon mehr als irritiert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt für dieses Vorpreschen der Fraport eigentlich nur zwei mögliche Erklärungen:

Erstens. Das Ergebnis der Prüfung der neuen Entgeltordnung ist vor der Entscheidung und Veröffentlichung an die Fraport durchgestochen worden. An diese Variante glaube ich eher nicht, da der Minister im Ausschuss selbst gesagt hat, dass noch gar kein Ergebnis vorliegt, das hätte durchgestochen werden können.

(Norbert Schmitt (SPD): Hört, hört!)

Die zweite Variante: Hier sind schlichtweg Fakten geschaffen worden. Wahrscheinlich hatte der Ministerpräsident Angst, dass sein grüner Verkehrsminister im Antrag der Fraport den Teil mit der Incentivierung extra extern prüfen lässt, weil er ihn politisch ablehnt und dafür jetzt rechtliche Gründe sucht.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Deswegen hat der Ministerpräsident einfach zu Herrn Schulte gesagt: Mach mal.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Machen wir! – Günter Rudolph (SPD): Jawohl!)

Herr Minister Al-Wazir, Sie können gleich etwas dazu sagen. Wie soll der Verkehrsminister diese Entgeltordnung denn jetzt noch ablehnen?

(Günter Rudolph (SPD): So ist es!)

Der Schaden wäre immens. Herr Schulte müsste seinen Hut nehmen, und für die Fraport würden ein finanzieller und vor allem ein Imageschaden entstehen,