Protocol of the Session on October 11, 2016

Insgesamt wurden mit dem Arbeitsmarktbudget in den Jahren 2011 bis 2015 über 52.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer erreicht. Davon waren 70 % langzeitarbeitslos, 25 % ohne Schulabschluss und 26 % mit Betreuung von Kindern im Haushalt.

Heute Morgen habe ich eine Jobmesse von zehn kommunalen Jobcentern aus dem Rhein-Main-Gebiet eröffnet, die sich an über 2.300 arbeitslose Menschen in der Region gewendet haben, um ihnen eine Zukunft zu schaffen. Aus dem Arbeitslosen von heute wird der Mitarbeiter von morgen und die Fachkraft von übermorgen. Das ist der Weg, den wir gehen wollen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, zu den Maßnahmen der Fachkräftesicherung zählen auch die beiden Kompetenzzentren Weiterbildung Allgemeinmedizin. Wenn ich schon auf die Gesundheitswirtschaft hingewiesen habe, so ist dies ein wesentlicher Bestandteil der Fachkräftesicherung im medizinischen Bereich. Dazu gehören auch die Landarztprogramme, die wir aufgelegt haben. Dabei ist die Famulaturförderung ein ganz wesentlicher Baustein.

All das alles beweist: Bisher haben wir gesamtgesellschaftlich die Herausforderungen gut gemeistert. Nachhaltige Fachkräftesicherung ist in Hessen nach wie vor eine große Zukunftsaufgabe, Auftrag, Verpflichtung und Herausforderung für alle Akteure zugleich.

Wir werden nicht lockerlassen. Wir werden auch weiterhin die Regionen stärken. Wir haben den Hessischen Zukunftsdialog „Voneinander lernen & gemeinsam gestalten für eine nachhaltige Fachkräftesicherung in den Regionen“ eingeführt. Zwei dieser Zukunftsdialogforen fanden schon statt, in Süd- und in Mittelhessen; ein weiteres in Nordhessen wird noch in diesem Jahr stattfinden.

Wir erhalten die Beschäftigungsfähigkeit der älter werdenden Arbeitnehmerschaft durch Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. Wir schaffen durch eine bessere Verfügbarkeit von Informationen mehr Transparenz und steigern damit die Fachkräfteattraktivität Hessens. Und wir unterstützen die Branchen bei Fachkräfteengpässen; der Hessische Pflegemonitor ist ein wesentliches Beispiel dafür.

Wir unterstützen kleine und mittlere Unternehmen, indem wir ihnen Programme zur Verfügung stellen, für deren Entwicklung sie selbst keine Ressourcen haben, beispielsweise im Hinblick auf die betriebliche Gesundheitspräventionsarbeit. Wir haben in diesem Jahr noch zwei Fachberatertage, in denen wir mit dem Thema „Fachkräfte sichern durch ein gesundes Arbeitsumfeld“ speziell kleine und mittlere Unternehmen ansprechen und ihnen maßgeschneiderte Programme an die Hand geben.

Wir sind als Land auch selbst Arbeitgeber. Das darf nicht vergessen werden; darüber haben wir uns schon verschiedentlich ausgetauscht. Wir müssen auch an dieser Stelle attraktiv bleiben und das, was wir anderen gegenüber an Forderungen erheben, auch für uns selbst erfüllen. An dieser Verpflichtung lassen wir uns gern messen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden in Zukunft das Programm zur Verbesserung des Einstiegs in den Arbeitsmarkt neu auflegen. Wir werden Unternehmen weiterhin darin unterstützen, Arbeits- und Produktionsbedingungen zukunftsfähig zu gestalten. Und wir werden Unternehmen insbesondere in der Frage der Arbeitszeitgestaltung informieren. Wir entwickeln gerade ein Onlineinstrument „Arbeitszeit-Selbstcheck“ für Unternehmen. Das ist ein neues, innovatives Instrument zur Stärkung der Motivation und Information der Unternehmen, damit den Beschäftigten attraktive Arbeitszeitmodelle zur Verfügung gestellt werden können, um letztendlich auch dort Fachkräfte zu sichern.

Ich darf Sie an die Redezeit erinnern.

Herr Präsident, ich komme zum Schluss der Rede.

Meine Damen und Herren, wir möchten, dass die Hessinnen und Hessen auch weiterhin gern in diesem Land wohnen und arbeiten. Wir möchten, dass sich auch in 10 und 20 Jahren noch weit über 90 % der Menschen in Hessen

wohlfühlen und fast 90 % sagen, die wirtschaftliche Lage ist gut. Dafür haben wir uns, seitdem wir die Regierungsverantwortung tragen, immer mit ganzer Kraft eingesetzt. Hessen hat ein menschliches, aber auch ein wirtschaftlich erfolgreiches Gesicht. Dafür sind wir eingetreten, und dafür werden wir uns auch in Zukunft einsetzen. Dazu müssen wir aber zielorientiert und gemeinsam vorangehen.

Deshalb rufe ich alle zur Fortsetzung der aktiven Mitwirkung und zur Mitgestaltung dieser menschlichen Zukunftsaufgabe auf. Denn es muss auch weiterhin gelten: Karrieren starten in Hessen. – Dafür stellen wir als Landesregierung weiterhin zuverlässig die Weichen, und darauf werden sich die am Markt agierenden Unternehmen und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verlassen können.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Staatsminister. – Jetzt beginnt die Aussprache in der Reihenfolge SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, DIE LINKE, FDP, CDU und Frau Öztürk, wenn gewünscht. Zunächst hat Herr Kollege Decker für die Fraktion der SPD das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Landesregierung hat uns kürzlich ihren Statusbericht über die „Fachkräftesicherung Hessen 2015“ vorgelegt. Dieser ist in weiten Teilen auch Grundlage für die soeben gehörte Regierungserklärung gewesen. Der Statusbericht umfasst stattliche 91 Seiten, den Einbanddeckel mitgerechnet.

(Günter Rudolph (SPD): Ui!)

Zieht man von den 91 Seiten drei Seiten bedruckten Einbanddeckel, Impressum, Inhaltsverzeichnis und Abkürzungsverzeichnis, vier Seiten Vorwort und Einleitung über das, was wir im Prinzip alles schon wissen, sowie 47 Seiten Anhang ab, bleiben netto 35 Seiten inhaltlicher Äußerung übrig. 35 Seiten inhaltlicher Auseinandersetzung mit einem Thema, das auch für den hessischen Arbeitsmarkt und den hessischen Wirtschaftsstandort von zentraler Bedeutung ist – beachtlich.

Meine Damen und Herren, von den 35 Seiten, deren Inhalt uns ebenfalls weitestgehend schon vor der Regierungserklärung bekannt war, befassen sich ganze zwei Seiten mit der Zukunftsaufgabe Fachkräftesicherung.

(Timon Gremmels (SPD): Hört, hört! – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): So viel?)

„Gemeinsam finden, binden und stärken“ heißt die Überschrift. Im Grunde sagen die zwei Seiten zur Zukunft aber nur: Der Status muss fortgeschrieben werden.

Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen von Schwarz und Grün und verehrter Herr Grüttner, damit wir uns jetzt nicht falsch verstehen: Es ist eine ganze Reihe von Maßnahmen eingeleitet worden, die in die richtige Richtung gehen.

(Beifall des Abg. Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

Das ist vollkommen unbestritten und findet durchaus unsere Unterstützung. Das wollen wir hier auch gar nicht in Abrede stellen.

Lassen Sie mich einen kleinen Blick zurück werfen. Erinnern wir uns einmal vier Jahre zurück, an den 26. September 2012. Ich kann mich noch genau daran erinnern; ich habe zum gleichen Thema hier gesprochen. Damals ist hier im Hause der gerade erstellte Abschlussbericht der Fachkräftekommission debattiert worden. Der Kommissionsvorsitzende hat in dem damaligen Bericht deutlich zum Ausdruck gebracht, dass viel zu lange über das Ob und das Wie diskutiert worden ist, anstatt über das gezielte Gegensteuern zu reden.

(Beifall bei der SPD)

Im Kommissionsbericht waren damals sechs wichtige Handlungsfelder aufgezeigt worden, um dem Fachkräftemangel wirksam zu begegnen. Das waren in der Tat die Themen Berufseingliederung von Frauen – ein ganz wesentliches Arbeitsmarktpotenzial –, Eingliederung älterer Menschen, Eingliederung von Menschen mit Behinderungen, Qualifizierung Jugendlicher und Integration ausländischer Arbeitskräfte – von Flüchtlingen war damals in dem Maße noch nicht die Rede.

Die Kommission hatte diese Bausteine zugleich als jahrelange Versäumnisse und Defizite der Landesregierung offengelegt. Deshalb heute hier die Kernfrage: Meine Damen und Herren, sind wir in den vergangenen vier Jahren in diesen zentralen Punkten zur Bekämpfung des zunehmenden Fachkräftemangels entscheidend weitergekommen – ja oder nein?

(Beifall bei der SPD und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos) – Zuruf des Abg. Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Oder ist nur mit einem bunten Blumenstrauß an Maßnahmen an einer Vielzahl von Symptomen herumgedoktert worden? Ist tatsächlich Wirkung entfaltet worden? Das ist die zweite Frage: Wie ist der tatsächliche Wirkungsgrad des ganzen Konvoluts von Maßnahmen und Projekten, die wir in 47 Seiten Anhang finden? Ist das Masse, oder ist das Klasse? Welche Maßnahmen hat die Landesregierung denn in den vergangenen vier Jahren ergriffen, um die entscheidenden Ursachen des Fachkräftemangels, die nicht ausschließlich dem demografischen Wandel geschuldet sind, zu bekämpfen? Da schauen wir jetzt einmal genauer hin.

(Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Wie oft haben wir in diesem Hause schon festgestellt, dass nicht erwerbstätige Frauen und die geringfügig beschäftigten Frauen das größte Fachkräftereservoir sind? Es wurde eben nochmals bestätigt. Hunderttausende von Frauen bundesweit – in Hessen sind es ebenso viele Frauen – haben den Wunsch, endlich wieder in das Erwerbsleben zurückzukehren, anstatt eines Minijobs zumindest einen ordentlich entlohnten Teilzeitjob annehmen zu können oder endlich wieder ganztags arbeiten zu können. Sie können es in vielen Fällen nicht, weil sie keine Möglichkeiten haben, die Kinder betreuen zu lassen – jedenfalls nicht in dem Zeitraum, für den sie die Betreuung benötigen.

Wenn Sie Frauen die Rückkehr in ihren Beruf ermöglichen wollen, muss das Land Hessen endlich dafür Sorge tragen, dass ausreichend Ganztagsplätze in Kitas zur Verfügung stehen.

(Beifall bei der SPD)

Dann können Sie die Landesförderung auch nicht bei 35 Stunden enden lassen und den Kommunen bzw. den freien Trägern die Finanzierung überlassen. Sie dürfen nicht zulassen, dass die Gebührenspanne immer weiter auseinandergeht und sich die Eltern in manchen hessischen Kommunen die Kita kaum noch leisten können.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. René Rock (FDP))

Für manche Frauen lohnt es sich schlicht und ergreifend nicht, arbeiten zu gehen, wenn sie das Geld anschließend komplett für die Kita ausgeben müssen – was für ein blanker Unsinn.

(Beifall bei der SPD – Zuruf der Abg. Eva Goldbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Meine Damen und Herren, wenn Sie Frauen die Rückkehr in den Beruf ermöglichen wollen, dürfen Sie das Land nicht mit einem Flickenteppich an Betreuungsangeboten à la Pakt für den Nachmittag überziehen.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen auch hier die zentrale Frage: Wann ist die Landesregierung bereit, den Ausbau von Ganztagsangeboten in den Kitas nicht nur ein wenig, sondern in dem gebotenen Umfang zu fördern, und dies nicht zum größten Teil den Kommunen alleine zu überlassen?

Ebenfalls seit Jahren debattieren wir hier, dass es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen guter Schulbildung, qualifiziertem Schulabschluss, Berufsausbildung und Fachkräftemangel gibt. Wie sieht das denn in Hessen aus? Vor wenigen Tagen hat die Landesregierung den Entwurf zur Novelle des Hessischen Schulgesetzes vorgelegt. Es ist nicht nur für uns eine herbe Enttäuschung gewesen. Einmal mehr erweist sich die Landesregierung als Bremse der Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit bei schulischer Inklusion, und im Ganztagsschulausbau bleibt es bei Absichtserklärungen.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Barbara Cárdenas (DIE LINKE) – Zurufe der Abg. Horst Klee und Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Hierfür werden schlicht und einfach nicht die notwendigen Ressourcen zur Verfügung gestellt.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Barbara Cárdenas (DIE LINKE))

Deswegen ist die Frage auch hier ganz zentral: Wann ist die Landesregierung endlich bereit, echte Ganztagsschulen einzuführen?

(Beifall bei der SPD und der Abg. Barbara Cárdenas (DIE LINKE) – Zurufe der Abg. Horst Klee und Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Ich sage Ihnen auch gleich, warum. Völlig offen bleibt, wie die Landesregierung gedenkt, individuelle Förderungen in allen Schulformen auszubauen, damit kein Kind zurückbleibt und jedes Kind zu einem qualifizierten Schulabschluss geführt wird. Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit kommen auf diesem Weg nicht voran. Jetzt hören Sie bitte zu: Dabei ist dies eine der wichtigsten Voraussetzungen für das spätere Berufsleben und damit für die Gewinnung neuer junger Fachkräfte.