Protocol of the Session on September 15, 2016

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Nächste Wortmeldung, Herr Kollege Bocklet für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Kostenfreie Kitas – das klingt gut, ist nicht falsch und ist auch für uns GRÜNE perspektivisch richtig. So einfach kann das sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Angesichts dessen, dass wir uns in bestimmten Fragen bis in die Verästelungen hinein verkämpfen, ist die entschei

dende Frage: Ist das jetzt die richtige Antwort auf die Herausforderungen des Landes Hessen? Ist das jetzt das drängendste Problem der Eltern? Ist es nicht so, dass die Eltern einen Betreuungsplatz für die Kinder unter drei Jahren brauchen, dass sie einen Betreuungsplatz vor allem für die Kinder an den Grundschulen brauchen? Ist es nicht so, wie Sie sagen, Herr Rock, dass sie tatsächlich eine gute Qualität wollen? All das kostet viel Geld. Ist es dann nicht so, wenn man seriöse Politik machen und seriös regieren will, dass man finanzpolitische Schwerpunkte setzen muss?

Wir haben für uns gesagt, wir setzen den Schwerpunkt für diese Legislaturperiode auf den Ausbau von Quantität und Qualität. Sie wissen, zur Frage der Qualität wird es Ende des Jahres erste Evaluationsberichte geben, die wir in Auftrag gegeben haben. Da wird es sicherlich eine Diskussion geben, wie wir in der Qualität noch nachlegen werden.

All das – Ausbau von Quantität und Qualität – ist eine finanzpolitische Entscheidung. Ja, es klingt gut. Viele Menschen würden gerne weniger finanzielle Belastungen haben, gerade im Kindergartenbereich. Wir können aber auch über kostenlose Zugänge zu Schwimmbädern und vieles andere mehr reden. Da gibt es eine Fülle von Möglichkeiten, die Belastungen für Familien zu reduzieren. Aber wenn man im Land regiert und sagt: „Wir haben die Haushaltssituation, so wie sie ist, und versuchen, kluge Schwerpunkte zu setzen“, dann finde ich es unseriös, im selben Atemzug Kostenfreiheit zu versprechen. Deswegen betone ich noch einmal: Wir haben den Schwerpunkt auf den Ausbau von Quantität und Qualität gelegt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Beachtlich finde ich, dass die SPD noch in ihrem eigenen Parteiprogramm genau das unterschrieben hat. Darin heißt es wörtlich:

Wir streben die allgemeine Gebührenfreiheit auch für alle Angebote der frühen Bildung an. Priorität hat für uns im ersten Schritt jedoch der Aufbau der Angebote.

Das haben Sie selbst noch vor zwei Jahren in Ihr Parteiprogramm geschrieben. Das sehen wir als GRÜNE ganz genauso. Es mag sein, dass man ab und zu eine populistische Sau durchs Dorf treiben will. Aber dafür sind wir nicht zu haben, sondern wir arbeiten seriös.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU – Lachen und Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD): Das sagt der Richtige!)

Wie finden Sie denn Ihr eigenes Parteiprogramm, Herr Kollege? Finden Sie das auch zum Lachen? Ich finde das nicht zum Lachen. Ich finde, Sie haben sich Gedanken dazu gemacht. Wir nehmen dazu Stellung.

Noch ein anderer Punkt zum Thema Seriosität in der Finanzpolitik. Mein Kollege Wagner hat einmal eine wunderschöne Auflistung gemacht: Sie wollen 2 Milliarden € für den Wohnungsbau, eine Aufstockung um 1 Milliarde € für den KFA, 230 Millionen € für die bessere Besoldung der Beamten, 50 Millionen € für mehr Personal in den Ministerien, 20 Millionen € für den Straßenbau und 400 Millionen € für Kitas in der Endausbaustufe. Das sind 3,7 Milliarden € Mehrausgaben. Ich finde es unseriös, alles auf einmal zu versprechen. Das müssen Sie mit sich selbst ausmachen. Ich finde das populistisch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Die Frage der sozialen Gerechtigkeit ist mehrfach hinreichend beantwortet worden. Es gibt dazu immer zwei Meinungen, das ist völlig klar. Aber wir wissen, sozial arme Menschen haben keinerlei Grund, ihre Kinder nicht in die Kita zu schicken. Sie bekommen wirtschaftliche Jugendhilfe, sie bekommen das erstattet.

Dann ist die Frage: Führt Kostenfreiheit zu signifikant höherer Teilnahme am Kindergartenbesuch? – Sie wissen, dass Hamburg mit kostenfreien Kitas einen Hauch geringere Beteiligung am Kindergartenbesuch hat, etwa 92 %. Hessen liegt bei 93 %, Rheinland-Pfalz bei etwa 94 %. Mit etwas Großzügigkeit können wir sagen, dass alle drei Bundesländer etwa gleichauf liegen. In zwei davon gibt es in der Tat Gebührenfreiheit. Aber es ist ein Argument, zu sagen, das hat nicht zu 100 % Betreuung in Hamburg oder Rheinland-Pfalz geführt. Es ist also nicht das richtige Instrument, zu sagen: Wir machen jetzt Gebührenfreiheit, und dann gehen plötzlich alle dahin. – Die 5, 6 oder 7 %, die nicht hingehen wollen, machen das offensichtlich auch in Hamburg und Rheinland-Pfalz nicht. Dann müssen Sie ehrlicherweise diskutieren, ob Sie die Kindergartenpflicht wollen. Dann erreichen wir 100 %. Das ist momentan jedenfalls nicht unsere Auffassung.

(Zuruf des Abg. Gerhard Merz (SPD))

Ich habe festgestellt, dass wir, ob Gebührenfreiheit oder nicht, in allen drei Bundesländern eine 93-prozentige Beteiligung haben. Also kann es daran nicht liegen.

Jetzt ist die Frage: Können wir mit einer sozialen Staffel soziale Gerechtigkeit schaffen, auch wenn man momentan andere Schwerpunkte als Gebührenfreiheit setzt? – Ich komme aus Frankfurt. Wir Frankfurter haben eine soziale Staffel: Wer wenig verdient, zahlt wenig; wer viel verdient, zahlt viel.

Perspektivisch ist die Frage: Wollen wir Bildung kostenlos haben? – Ja. Ich glaube, niemand im Saal sieht das anders. Perspektivisch wollen wir alle Bildung gebührenfrei haben. Aber wenn Sie Kinderbetreuung mit Schule und Hochschule vergleichen, Herr Kollege Merz, dann ist das völlig absurd. Wir haben doch erst seit 20 Jahren überhaupt eine seriöse Kinderbetreuungspolitik. Schulen werden seit Jahrzehnten ausgebaut, Hochschulen seit Jahrzehnten, wenn nicht sogar ein Jahrhundert. Bei der Kinderbetreuung erinnere ich mich noch, wie mühselig improvisiert wurde, wie Eltern selbst eigene Initiativen ergreifen mussten, um überhaupt eine Kinderbetreuung zu finden. Seit etwa 20 Jahren haben wir gesetzliche Grundlagen geschaffen, Rechtsansprüche ausgebaut. Wir haben einen Riesennachholbedarf in der Infrastruktur. Deswegen kann man das nicht vergleichen und sagen: Schule ist kostenlos, deswegen soll Kinderbetreuung jetzt auch kostenlos sein.

Wir haben andere Hausaufgaben zu erledigen. Wir müssen erst einmal jedem Elternteil tatsächlich einen Platz bieten, und das in guter Qualität. Das geht vor, und das ist eine finanzpolitisch seriöse Ausrichtung. Dazu stehe ich auch. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Das Wort hat Frau Abg. Schott, DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Irgendwo muss verwaltungstechnisch vermutlich etwas schiefgegangen sein: Wir stimmen dem Antrag der SPD zu. Er ist aus unserer Sicht nicht der große Wurf, aber ein Schritt in die richtige Richtung. Wir meinen, die Pauschale von 100 € ist vor Ort nicht kostendeckend. Sie ist es nicht bei den über Dreijährigen, und bei den unter Dreijährigen schon gar nicht. – Das erst einmal zur Klarstellung.

Die Kitabeiträge steigen. Sie sind eine Belastung für viele Eltern. Das kann man hier wegzureden versuchen, oder man kann es lassen. Aber sie sind für eine große Gruppe Eltern de facto eine Belastung. Die Belastung wird immer größer, weil die Beiträge steigen. Ich möchte nur ein Beispiel aus meiner näheren Umgebung anbringen. Im Kreisteil Hofgeismar wollen neun von zehn Bürgermeistern die Kitagebühren erhöhen. Das belastet Eltern, das belastet Familienhaushalte; denn das sind nicht die einzigen Erhöhungen, mit denen sie in letzter Zeit leben müssen.

Dann muss man deutlich sagen, es geht doch darum, dass Familien von Gebühren entlastet werden müssen, und es geht um Qualität. Die Debatte, die hier geführt wird, die auch Sie gerade geführt haben, Herr Bocklet: „Wir wollen Qualität“, ist eine Pseudodebatte. Ich habe es im Ausschuss schon einmal gesagt, und ich wiederhole es hier gerne öffentlich: Wenn Sie entscheidende Schritte zur Verbesserung der Qualität in unseren Kitas machen würden und nicht nur davon reden würden, hätte ich überhaupt kein Problem, zu sagen: Wir nehmen unseren Gesetzesentwurf und legen ihn für ein oder zwei Jahre auf Eis. – Aber ich sehe nicht, dass Sie das eine, und ich sehe nicht, dass Sie das andere tun. Sie reden nur davon, und Sie sagen: Wir können nicht an der Gebührenschraube drehen, weil wir die Qualität verbessern wollen. – Das Gegenteil ist der Fall.

(Beifall bei der LINKEN)

Das KiföG hat eine so schlechte Qualität, dass Sie selbst hier immer gesagt haben: Wir wünschen uns, dass die Gemeinden vor Ort etwas Besseres damit machen. Das hier ist sozusagen der untere Boden, den wir einziehen. Darauf kann alles passieren. – Das waren Ihre eigenen Worte. Ich möchte Sie an der Stelle gerne zitieren:

Wir schaffen also zusätzliche finanzielle Spielräume, damit je nach Ausgangssituation vor Ort der Mindeststandard erreicht werden kann, bereits darüber liegende Standards aber gehalten oder weiter verbessert werden können.

Ihre Worte.

Unsere bürgerliche Politik schreibt weniger vor, als sie ermöglicht. Sie regelt das Unabänderliche, den Mindeststandard, das Unverzichtbare nämlich, und sie erleichtert das Wünschenswerte, den tatsächlichen Standard.

Immer noch Ihre Worte.

Vor allem aber überlässt sie die konkrete Entscheidung im Einzelfall denen, die es vor Ort am besten beurteilen können. Das sind in unserem klug ver

fassten Gemeinwesen die Kommunen, die dafür nämlich auch zuständig sind. Ich rufe deshalb alle kommunalen Verantwortlichen, und zwar mit allem Respekt, den ich hier schon öfter geäußert habe, dazu auf, aus den Chancen dieses Gesetzes nun auch etwas, und zwar am besten das Bestmögliche, zu machen.

Das waren Ihre Worte.

(Zurufe der Abg. Klaus Peter Möller (CDU) und Hermann Schaus (DIE LINKE))

So weit, so gut. Wissen Sie nur, zu wem das nicht durchgedrungen ist? Zum Rechnungshof. Der Rechnungshof hat nämlich in seinem Kommunalbericht für 26 kleine Gemeinden bei der Anwendung des hessischen KiföG ein Ergebnisverbesserungspotenzial – man achte auf das Wort – bei der Personalausstattung von insgesamt 700.000 € errechnet; sozusagen die Abmahnung für zu viel Qualität. Das ist das, was Sie mit Ihren Mindeststandards erreichen.

(Beifall bei der LINKEN)

Gleichzeitig hat er aber mitgeteilt – das hat mich mindestens ebenso sehr beunruhigt –, dass in zehn Gemeinden bei der Personalausstattung kein Ergebnisverbesserungspotenzial mehr besteht, da die Istbesetzung bereits unter dem liegt, was im Soll des KiföG steht. Jetzt denken Sie doch bitte einmal über Ihr Gesetz nach, und denken Sie noch einmal darüber nach, ob Sie hier ständig über Qualitätsverbesserungen reden sollten, wenn das die real existierende Situation in diesem Land ist. Das wäre für mich wirklich eine ganz spannende Debatte.

(Klaus Peter Möller (CDU): Real existierender Sozialismus! – Janine Wissler (DIE LINKE): Was hat er gerade gesagt? – Gegenruf des Abg. Holger Bellino (CDU): Real existierender Sozialismus! – Weitere Zurufe)

Ach du liebe Güte, Sie können noch nicht einmal real existierende Qualität in Kindertagesstätten gewährleisten. Nicht einmal das schaffen Sie. Von realem Sozialismus haben Sie doch keine Ahnung.

(Beifall bei der LINKEN – Klaus Peter Möller (CDU): Ruhig!)

Davon, was es bedeuten würde, wenn wir ein ganz kleines bisschen mehr Gerechtigkeit hätten, haben Sie auch keine Ahnung. Ich sage Ihnen, warum Sie keine Ahnung haben:

(Zurufe der Abg. Lena Arnoldt, Bettina Wiesmann und Klaus Peter Möller (CDU))

Sie reden davon, dass es nicht finanzierbar ist und dass es eine Gleichmacherei aller ist – das Wort vorhin war so ähnlich. Es war im Zusammenhang mit Kindern und mit Kitabetreuung sogar von „Freibier“ die Rede. Das finde ich einfach ekelhaft.

(Klaus Peter Möller (CDU): Ekelhaft?)

Sie reden davon, damit allen – auch denen, die es nicht brauchen – ein Geschenk zu machen.

(Klaus Peter Möller (CDU): Geschenk?)

Ich will hier nicht über Steuergeschenke an Reiche und Superreiche reden. Ich will hier nicht davon reden, dass es wieder nicht klappt, eine vernünftige Erbschaftsteuer auf den Weg zu bringen, bei der man die, die nichts dafür getan haben, dass sie etwas kriegen, ordentlich besteuert, da