Protocol of the Session on September 15, 2016

Hingegen stellte die Stadt Kassel fest:

Bisher gibt es aber keine Anhaltspunkte dafür, dass die Elternentgelte den Zugang einschränken.

Dann plädierte die Vertreterin für einen weiteren Platzausbau und weitere Qualitätsverbesserungen.

(Gerhard Merz (SPD): Dann haben Sie doch wieder nicht hingehört!)

Die Vertreterin der Wissenschaft, Frau Meiner-Teubner, nahm wie folgt Stellung:

Die Inanspruchnahmequote von frühkindlichen Bildungsangeboten von Kindern im Alter von vier und fünf Jahren und damit in den letzten beiden Jahren vor der Einschulung liegt bereits seit mehreren Jahren sowohl bundesweit als auch in Hessen bei fast 100 %. … Anreize zur Nutzung von Kindertageseinrichtungen müssen also für diese Altersgruppe nicht mehr geschaffen werden.

(Gerhard Merz (SPD): Ja! Immerhin haben Sie das gehört!)

Ehrlich gesagt, haben Sie einen Teil davon eben ja schon selbst vorgetragen.

(Gerhard Merz (SPD): Ja!)

Ich finde, dies ist doch eine klare Bestätigung unserer Einschätzung aus der ersten Lesung. Hessen hat kein Defizit bei der Teilnahme der Vier- und Fünfjährigen am Kindergartenangebot.

(Beifall bei der CDU)

Genau für diese schlagen Sie in Ihrem Gesetzentwurf Beitragsfreiheit vor.

Wir wissen aus der Statistik, dass Kinder mit Migrationshintergrund, die uns ein besonderes Anliegen sind – wie Ihnen wahrscheinlich auch –, den Kindergarten sogar zu einem höheren Anteil besuchen als im Schnitt.

Der Landeselternbeirat, das will ich hier noch als dritten Punkt aus der Anhörung erwähnen, hat angesichts dieser Hinweise von einer „enormen Belastung“ der Eltern durch die Beiträge gesprochen,

… die bei manchen dazu führen, ihr Kind nicht oder erst sehr spät an der frühkindlichen Förderung in der Kindertagesstätte teilhaben zu lassen.

Das ist sein gutes Recht, denn sagen darf man alles. Wir können es aber nicht nachvollziehen.

Prämisse zwei: Sie sagen, die Beitragsfreiheit im vorletzten Kindergartenjahr sei ein Beitrag zu mehr sozialer Gerechtigkeit in Hessen; das war eben Ihr Hauptpunkt.

(Gerhard Merz (SPD): Ja!)

Es trifft auch zu, dass eine Reihe von Anzuhörenden sich für die generelle finanzielle Entlastung der Eltern ausgesprochen hat und deshalb auch die von Ihnen befürwortete Abschaffung von Kita- und Kinderbetreuungsgebühren begrüßen würde oder befürwortet hat. Gleichwohl ist vonseiten der Elternvertreter und Kommunen aber auch sehr deutlich geworden, dass der Ausbau und die weitere Qualitätsentwicklung auf absehbare Zeit höhere Priorität haben sollten.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Uns als CDU ist es selbstredend ein großes Anliegen, dass Familien ihre familiären und beruflichen Pflichten vereinbaren können und dass sie auch materiell so gestellt sind, dass sie ihre Kinder möglichst sorgenfrei großziehen können. Es sind aber auch nicht alle Familien in einer vergleichbaren wirtschaftlichen Lage. Deshalb überzeugt uns insbesondere die in der Anhörung aus wissenschaftlicher Sicht vorgetragene Einschätzung, dass es auf eine überzeugende soziale Staffelung der Elternbeiträge ankomme, und zwar eine, die alle Bestandteile der Elternbeiträge einbezieht, die auf die Höhe des Familieneinkommens abstellt und die auch die Anzahl der Familienmitglieder berücksichtigt.

Die gesetzliche Regelung, die wir haben und die besagt, dass die Gebühren von den zuständigen Gemeinden nach Einkommen und Geschwisterzahl gestaffelt werden können, ist deshalb gut und wichtig; wir sollten an ihr festhalten. Wir könnten vielleicht aber auch noch dafür werben, dass vor Ort vermehrt von ihr Gebrauch gemacht wird. Das können wir übrigens alle. Auch Sie in der Opposition haben ja vielfach eine große Verantwortung vor Ort.

Gut und richtig bleibt auch nach der Anhörung, dass im Bedarfsfall die Elternbeiträge vom Jugendamt ganz oder teilweise übernommen werden. Dies gilt für Hartz-IV-Bezieher und Sozialhilfeempfänger. 10 % der hessischen Eltern sind deshalb schon per Gesetz von den Kindertagesstättengebühren befreit, zusätzlich zu denen, die im Rahmen der kommunalen Beitragsregelungen keinen, nur einen kleinen oder einen symbolischen Beitrag leisten.

Ich komme damit zu dem zurück, was ich während der ersten Lesung schon gesagt habe. Es kann allenfalls ein schmales Segment an Eltern sein, die von den Gebühren im vorletzten Kindergartenjahr in schmerzhafter Weise belastet sind. Es wurde anders behauptet, aber auch nur behauptet.

Diese Eltern sind mir auch wichtig. Aber zu ihren Gunsten quasi Freibier für alle auszugeben, also all diejenigen beitragsfrei zu stellen, die diese Beiträge ohne Schwierigkeiten aufbringen können oder ganz leicht dazu in der Lage sind, ist ein seltsames Verständnis von sozialer Gerechtigkeit. Das muss ich wirklich sagen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Günter Ru- dolph (SPD): Frau Wiesmann, da müssen Sie in Frankfurt anders argumentieren, sonst wird das nichts!)

Liebe Mitglieder der SPD, Ihr Gesetzentwurf bedient vor allem Gutverdiener, die mit den vollen Beitragssätzen, die sie zahlen, heute erheblich und manche sogar gern zur Finanzierung einer hochwertigen Kinderbetreuung beitragen. Für diejenigen Familien, um die Sie sich kümmern wollen – und das auch sagen –, macht das kaum einen Unterschied.

Dritte Prämisse. Kinder gehören früh und lange in außerfamiliäre Kinderbetreuung, weil dort die eigentliche frühkindliche Bildung stattfindet. Was die Sinnhaftigkeit des Kindergartenbesuchs im vorletzten Vorschuljahr angeht, stimmen wir, die Mitglieder der CDU-Fraktion, mit Ihnen vollkommen überein. Ich habe auch das schon gesagt: Denn auch wir haben keinen Zweifel daran, dass es in aller Regel für die Kinder und ihre Entwicklung förderlich ist, wenn sie im Alter von vier Jahren täglich mehrere Stunden oder ganztags den Kindergarten besuchen. Das gilt insbesondere dann, wenn dieser nach dem Bildungs- und Erziehungsplan arbeitet, einen guten Personalschlüssel hat und umfassende Förderangebote bereitstellt, wie die CDU-geführten Landesregierungen sie in beharrlicher Weise eingeführt haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Jedoch, je jünger die Kinder sind, umso größer muss die Behutsamkeit im Umgang mit ihnen sein. Das Grundverständnis, ab einem Jahr seien alle Kinder am besten für zehn Stunden täglich in der Kindertagesstätte aufgehoben – ich unterstelle das nicht, ich sage es einfach –, es sei also quasi die Pflicht der Eltern, ihnen das zu ermöglichen, und daraus ergebe sich die politische Pflicht, die Kindertagesstättengebühren grundsätzlich abzuschaffen, weil das Bildung sei, teilen wir nicht.

Die Bildungsforschung und der gesunde Elternverstand mahnen uns dabei zu etwas mehr Zurückhaltung. Denn wir dürfen nicht die Anliegen der Eltern und der Volkswirtschaft oder gar Interessen politischer Gruppierungen mit den Bedürfnissen der Kinder verwechseln.

(Günter Rudolph (SPD): Das stimmt! Dann machen Sie das auch bitte!)

Die Wissenschaft stützt Ihre Prämisse nicht in der gebotenen Einhelligkeit. Das wissen Sie auch aus den Sitzungen der Enquetekommission. Vielmehr weist die Wissenschaft immer wieder auf den grundlegenden Bildungsbeitrag der Familien hin. Deshalb ist und bleibt für uns das Recht der Eltern, über Ort und Format der vorschulischen Bildung und Erziehung zu entscheiden, unantastbar. Deshalb halten wir es auch nach der Anhörung weiterhin für richtig, es beim gebührenfreien letzten Kindergartenjahr zu belassen.

So viel wollte ich zu den Prämissen Ihres Gesetzesvorschlags sagen. Ich verzichte darauf, darzulegen, dass in der Anhörung viele weitere Kritikpunkte genannt wurden. Die gab es etwa zur Tagespflege, aber auch zu der Frage, ob ein Ausstieg aus den Elternbeiträgen nicht die Gefahr berge, dass dadurch der Gestaltungsspielraum der Träger im Hinblick auf die qualitativen Aspekte oder differenzierte Angebote dann eingeschränkt würde. Ich habe mich auf die Aspekte konzentriert, die für unsere Gesamtbewertung maßgeblich sind.

Aber eines möchte ich doch noch anfügen. Ihr Vorschlag kommt insbesondere im Vergleich mit dem der Linkspar

tei, den wir sicherlich bei anderer Gelegenheit noch einmal beraten werden, recht harmlos daher. Es wäre nur ein Einstieg. Es wäre zunächst nur die Kleinigkeit von 62 Millionen € pro Jahr. Das könnte man meinen.

Geschenkt dabei ist, dass der Städtetag in der Anhörung der Auffassung war, dass diese Summe nicht reichen würde. Er hat sogleich eine Dynamisierung und ein Anpeilen der echten Drittelfinanzierung angemahnt.

Aber auch für die läppischen 62 Millionen € haben Sie keine seriöse Gegenfinanzierung präsentiert. Sie haben das schon gar nicht für das kommende Jahr getan – denn da wollen Sie das schon als gültiges Gesetz sehen –, geschweige denn, für die logische Fortführung Ihrer Politik des Einstiegs in den Komplettausstieg.

Ich fasse deshalb so zusammen: Die Mitglieder der CDUFraktion sehen sich darin bestätigt, dass die Bereitstellung eines dem Bedarf vollständig entsprechenden Kinderbetreuungsangebots und auch die weitere Verbesserung der Qualität höhere Priorität als eine Ausweitung der Beitragsfreiheit haben. Ein Mehr an Beitragsfreiheit wird nicht, wie behauptet, zu einer stärkeren Inanspruchnahme der Kinderbetreuung und der frühkindlichen Bildung führen. Das wird schon stark in Anspruch genommen. Eltern, die das benötigen, werden bereits jetzt durch die Staffelung, durch die Sozialgesetzgebung, durch die wirtschaftliche Jugendhilfe und teilweise sogar durch das Bildungs- und Teilhabepaket des Bundes entlastet. Das geschieht aber eben nach Bedarf und nicht mit der Gießkanne. Ihr Gesetzentwurf will als Gesetz ein Problem beseitigen, dass es so gar nicht gibt, und die soziale Gerechtigkeit gegenüber Familien unterstützen, die bereits durch gut funktionierende andere Mechanismen unterstützt werden.

Frau Wiesmann, kommen Sie bitte zum Schluss Ihrer Rede.

Wir können dem heute im Licht der Anhörung so nicht zustimmen. Wir freuen uns aber selbstverständlich auf die Fortführung dieser sehr großen Debatte. Das wird dann mit bestem Wissen und mit großem Vergnügen geschehen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Frau Wiesmann, danke schön. – Zu einer Kurzintervention hat sich Herr Merz von der SPD-Fraktion zu Wort gemeldet.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Manchmal sieht man sich ganz schnell zum zweiten Mal, nämlich innerhalb derselben Debatte.

Frau Kollegin Wiesmann, ich freue mich in der Tat immer wieder auf die Debatten mit Ihnen. Denn nirgendwo sonst werden die fundamentalen Unterschiede zwischen Ihrer Familienpolitik und der sozialdemokratischen Familienpolitik so deutlich wie in Ihren Wortbeiträgen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das ist mit zwei Ausnahmen, auf die ich gleich zu sprechen kommen werde, intellektuell auf hohem Niveau. Das ist erstens der Ausdruck eines zutiefst konservativen Familienverständnisses, das im Wesentlichen aus der saturierten Lebenserfahrung der Menschen der Mittelschicht gespeist wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LIN- KEN – Widerspruch bei der CDU)

Das ist so. Herr Minister, wie könnte man sonst auf den Gedanken kommen, dass es jenseits der Empfänger der Sozialgesetzbuch-II-Leistungen nicht noch eine ganze Menge Familien gibt, die dringend auf eine finanzielle Entlastung ihres Budgets angewiesen sind? Wie kann man eigentlich auf so einen Gedanken kommen? Frau Kollegin Wiesmann, das ist so außerhalb der Welt, dass mir da wirklich die Worte fehlen. Mir fehlen wirklich die Worte.

(Minister Stefan Grüttner: Da haben Sie nicht zuge- hört!)

Ich habe zugehört. Ich habe ziemlich genau zugehört.