Protocol of the Session on July 12, 2016

(Beifall bei der SPD und des Abg. Jürgen Lenders (FDP))

Ich verstehe natürlich die Zögerlichkeit des einen oder anderen. Aber wer mit Blick auf die Herausforderungen in Europa jetzt nicht die Notwendigkeit erkennt, in Wachstum und Beschäftigung, in Arbeit und Ausbildung zu investieren, der versündigt sich an diesem Europa. Europa ist mehr als die Aneinanderreihung von Fototerminen der Kanzlerin. Europa braucht endlich eine gemeinsame Fiskal- und Wachstumspolitik; ansonsten wird Europa zerbrechen.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Michael Bod- denberg (CDU))

Dass die einen hier der Austeritätspolitik weiter das Wort reden – der Ministerpräsident hat es angedeutet –, das mag für Sie ideologisch irgendwie in Ordnung sein. Aber ich will Ihnen auch sagen: Mit Blick auf die Mehrheitsverhältnisse in der Europäischen Union, in den Staaten, in der Europäischen Kommission ist das auch eine Auseinandersetzung und vor allem ein Versagen der europäischen Konservativen.

(Beifall bei der SPD)

Denn Sie regieren seit über einem Jahrzehnt mehrheitlich in den Gremien, und Sie sind es vor allem, die nicht entschieden genug in der Lage waren, sowohl auf die Bankenkrise als auch auf die Flüchtlingskrise zu reagieren.

Deswegen sage ich Ihnen, wir werden über die politischen Konsequenzen hinaus zu reden haben. Wir brauchen eine Veränderung in der Europäischen Union; denn ansonsten wird sich Europa an den Rändern weiter auflösen. Die Menschen, die verunsichert sind, werden den schamlosen Demagogen vom Schlage eines Nigel Farage oder auch anderen folgen statt den vielen, die für Stabilität stehen oder die Stimme der Vernunft sind. Wir brauchen ganz dezidiert mehr Stabilität. Wir brauchen eine gemeinsame Fiskalpolitik, was wiederum bedeutet – auch das will ich ausdrücklich sagen –, dass wir eine stärkere politische Union brauchen.

Herr Ministerpräsident, ich will ausdrücklich sagen: Martin Schulz hat nicht von einer alleinigen europäischen Regierung mit Parlament gesprochen. Er hat von Transparenz gesprochen, er hat von einem Zweikammernsystem, von einer Weiterentwicklung gesprochen.

(Beifall bei der SPD)

Jenseits aller Zuspitzungen, die ich gerade vorzunehmen versucht habe, sollten wir in dieser Situation wechselseitig schon in der Lage sein, die Differenzierungen in den Positionen wahrzunehmen. Denn es wäre angesichts der schwierigen Fragen, vor denen wir stehen, jetzt fahrlässig, zu versuchen, auf diese Art und Weise parteipolitischen Geländegewinn zu erzielen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich bleibe dennoch dabei, dass die Aufgaben, die jetzt in der Europäischen Union entstehen, welche sind, die sich vor allem und zuallererst auch an uns richten. Ich will sehr wohl auf einige Ihrer wenigen konkreten Aussagen zu Hessen eingehen, sie aber gleichzeitig im Rahmen der vier Notwendigkeiten beschreiben, die ich für die Europäische Union, unser eigenes Handeln und in unserer eigenen Verantwortung sehe. Denn wir können diese Verantwortung nicht delegieren.

Das Erste und Wichtigste ist – da bleibe ich dem, was ich schon gesagt habe, treu –: Die soziale Ungleichheit in der Europäischen Union ist ein unkalkulierbarer Sprengstoff. Wir müssen alles darauf setzen, die soziale Ungleichheit in der Europäischen Union zu überwinden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Sie haben zu Recht die Jugendarbeitslosigkeit angesprochen. Man muss sich nur vorstellen, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland eine ähnliche Situation hätten, wie wir sie derzeit in Spanien, Italien oder Griechenland vorfinden. Dort sind 50 % der unter 25-Jährigen ohne Arbeit und Ausbildung.

Sie haben eben auf die 6 Milliarden € der Europäischen Kommission hingewiesen. Ich will Ihnen sagen: Diese 6 Milliarden € sind eine Mogelpackung, wie ich selten eine gesehen habe.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Diese 6 Milliarden € sind zustande gekommen, weil man alle Haushaltsausgabereste zusammengekratzt hat. Denn unter anderem Bundesfinanzminister Schäuble war nicht bereit, mehr Impulse zu setzen.

Das Ergebnis davon ist, dass Sie jetzt davon sprechen, die Mittel würden nicht abgerufen, was auch stimmt. Ich sage Ihnen auch, warum das so ist. 40 Cent pro Auszubildenden und Tag können in Andalusien nichts bewirken.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Damit soll das Programm wirksam sein: 40 Cent pro Auszubildenden und Tag in Spanien. Ich sage Ihnen – –

(Zuruf des Ministerpräsidenten Volker Bouffier)

Herr Bouffier, Sie können gerne noch einmal an das Pult kommen. Es sind bei diesem Programm 40 Cent pro Auszubildenden und Tag.

Ich sage Ihnen: Solche Programme dienen vielleicht dem einen oder anderen hier im Raum, eine bequeme Beruhigungspille zu haben, um sich anschließend auf die Schulter zu klopfen, weil irgendetwas getan wird. Aber für die Jugend in der Europäischen Union ist das ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wir brauchen mehr.

(Beifall bei der SPD)

Ich sage Ihnen: Wenn Sie die Probleme bei den Themen Beschäftigung und Ausbildung nicht lösen, ist die Gefahr groß, dass die Europäische Union scheitert. Ich sage das hier mit solcher Verve, weil der Ministerpräsident mit seinen Ausführungen zur Bedeutung der Europäischen Union ausdrücklich recht hat. Deswegen müssen wir die Aufgabe in der Tat ernst nehmen. Ich will allerdings auch das sagen:

Er hat davon gesprochen, das gehe nach dem Motto, man wolle Programme mithilfe von Schulden machen.

Ich will Ihnen sagen, zu was der Ministerpräsident heute bei diesem wichtigen Thema nichts gesagt hat. Er hat nicht über den Themenkomplex Flüchtlinge und Migration im Kontext dieser Fragen der Europäischen Union und des Brexits gesprochen. Er hat nicht über die Bekämpfung der Steuerflucht und der Steuerhinterziehung gesprochen. Das allerdings ist die Voraussetzung dafür, dass wir die notwendigen Mittel für die Europäische Union bekommen.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Herr Boddenberg, ich sage das nur deswegen, weil man sich als Ministerpräsident nicht hierhin stellen und davon reden kann, man wolle keine Finanzierung über Schulden, und es würde schon genug getan, wenn man dann solche Fragen ignoriert. Das ist nicht zulässig, wenn man sich mit dieser Frage ernsthaft beschäftigen will. Ich sage es Ihnen noch einmal: 40 Cent pro Auszubildenden und Tag ist in Spanien ein Tropfen auf dem heißen Stein, der den Jugendlichen dort überhaupt nichts bringt.

Der Ministerpräsident hat aus meiner Sicht zu Recht einige Sätze zum Thema Wohnungspolitik gesagt. Ich will das kurz an dieser Stelle einschieben. In der Tat kann momentan niemand präzise sagen, ob es am Ende 5.000, 10.000, 15.000 oder 500 sein werden. Es gibt dazu die unterschiedlichsten Untersuchungen, die alle interessengeleitet sind.

Dass wir das Thema Wohnung haben, ist völlig klar. Sie nannten die Zahl 1 Milliarde €, von der Sie wahrscheinlich behaupten, sie persönlich organisiert zu haben. Man muss aber den Blick darauf haben, dass vieles davon Bundesmittel sind und dass wir einen Teil davon gemeinsam verabredet haben. Das hat nie eine Rolle gespielt. Vielmehr sagen Sie, dass Sie es immer alleine gewesen wären. Mit der allgemeinen Debatte hier im Haus verdeckt das, dass das nicht reichen wird. Wenn ich ernst nehme, was Frau Hinz schon vor dem Brexit an Prognosen hinsichtlich des Wohnungsbaus genannt hat, dann wird das, was Sie in Wiederholung dessen, was wir vorher schon gemacht haben und was vorher schon nicht gereicht hat, ausgeführt haben, am Ende ganz sicher nicht auskömmlich sein. Auch das muss am heutigen Tag gesagt werden.

(Beifall bei der SPD)

Herr Ministerpräsident, ich sage das auch deswegen, weil die Auseinandersetzungen und das Gegeneinander-Ausspielen verschiedener Gruppen weitergehen wird.

(Zuruf des Abg. Manfred Pentz (CDU))

Haben Sie auch wieder einmal etwas zu sagen? Das ist auch nett. Auch Sie können nach vorne kommen. Dann können wir uns darüber austauschen.

Herr Generalsekretär, ich habe eben gesagt, dass ich nicht in allen Punkten mit dem Ministerpräsidenten einig bin. Sie werden akzeptieren müssen, dass wir hier nicht kniend durch den Saal robben und dieser Regierung immer sozusagen Beifallsbekundungen zuteilwerden lassen, wenn es Widersprüche in ihrer Politik gibt.

(Beifall bei der SPD)

Man kann nicht über die fehlerhafte Finanzierung reden, wenn man nicht gleichzeitig über die Steuerhinterziehung und andere Fragen redet. Man kann auch bei anderen The

men nicht so tun, als gäbe es immer nur eine Seite. Herr Pentz, es ist nun einmal unser Job, Sie darauf hinzuweisen.

(Beifall bei der SPD)

Der Ministerpräsident hat recht, dass man in einer solchen Situation über die Frage nachdenken muss: Was kann man denn jetzt in London tun? – Mit Blick auf den Finanzplatz will ich einige wenige Bemerkungen machen.

Ich wiederhole es: Ich halte die Fusion zwischen der London Stock Exchange und der Frankfurter Börse unter den jetzt bekannt gegebenen Rahmenbedingungen für tot, für mausetot.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich halte es nicht für vorstellbar, dass das unter den Bedingungen, auch den gesetzlichen Vorgaben und dem, was an Rahmenbedingungen öffentlich bekannt ist, zustimmungsfähig ist. Herr Ministerpräsident, ich will Sie gleich in Schutz nehmen. Ich habe mehrfach gesagt, dass ich vom Wirtschaftsminister nicht erwarte, dass er dazu etwas sagt. Denn das, was Sie dazu ausgeführt haben, ist völlig richtig.

Aber ich hätte schon erwartet, dass der Ministerpräsident dazu ein paar Bemerkungen mehr macht. Ich will Sie mit Blick auf das Thema, wie man sich jetzt in London aufstellen wird, zumindest mit vier kleinen Zahlen konfrontieren. Frankfurt Main Finance ist die Plattform, mit der wir die Finanzplatzaktivitäten der letzten Jahre entwickelt haben. Das geschah übrigens mit parteiübergreifender Zustimmung. Das ist gute Arbeit. Das Budget beträgt 1,1 Millionen € pro Jahr.

Luxemburg hat in diesen Tagen für seine Plattform einen Etat von 3,6 Millionen €. Die Plattform in London für die Werbung für den Finanzplatz hat einen Etat von 28 Millionen Pfund pro Jahr. Paris macht in diesen Tagen eine sehr aggressive Werbung. Sie haben, geschätzt, 40 Millionen € zur Verfügung, mit denen die Aktivitäten gestemmt werden.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Herr Boddenberg, ich will ausdrücklich sagen, dass man nicht den Umkehrschluss ziehen sollte, dass am Ende nur mehr Geld bedeuten würde, dass man seine Aktivitäten machen kann. Wer sich aber mit den Großen in dieser Welt bewegen will, der muss seine Anstrengungen schon ein bisschen verstärken. Mit den 1,1 Millionen € wird man es nicht richten.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Michael Bod- denberg (CDU))

Herr Boddenberg, das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, welche Budgets an anderer Stelle zur Verfügung stehen. Auch Sie könnten anfangen, Geld einzusammeln. Der Punkt ist aber, dass Sie das nicht tun. Ihr „großartiges“ Finanzplatzkabinett, das Sie vor ein paar Jahren an anderer Stelle eingerichtet haben, hat doch seit zweieinhalb Jahren nicht mehr getagt. Was Sie hier veranstalten, ist doch lächerlich.