Es muss darum gehen, gerade auch diesen Staaten ein Signal zu geben. Ja, das ist richtig. Wenn hier über den Westbalkan gesprochen wurde – meine Damen und Herren, im ersten Halbjahr 2015 kam über die Hälfte aller, die in Deutschland Asyl begehrten, vom Westbalkan. Nachdem wir beschlossen haben, dass das sichere Herkunftsstaaten sind, ist das fast auf null zurückgegangen. Vielleicht weiß es der eine oder andere nicht: Auch nachdem wir das beschlossen haben, haben die Gerichte in Einzelfällen Menschen, die vom Westbalkan kamen, als asylberechtigt anerkannt. Das darf man in der Debatte nicht unterschlagen. Für diese Situation ist das Institut der sicheren Herkunftsländer 1993 – Sie haben es erwähnt – geschaffen worden.
Jetzt will ich, obwohl ich die Zeit überziehe, es wenigstens einmal sagen. Eines der großen Missverständnisse ist das Thema der sicheren Herkunftsländer. Ich habe es nie – auch nicht die, die es damals beschlossen haben, CDU/ CSU und SPD, ich meine, auch die FDP, bin mir aber nicht sicher – im Sinne einer absoluten Sicherheit verstanden nach dem Motto: Dort kann überhaupt keine Verfolgung sein. – Das wäre doch töricht. Das kann niemand sagen, für kein Land. Deshalb ist das Anknüpfen „sicheres Herkunftsland, absolut, 100 % sicher“ falsch.
Es geht darum, dass man aufgrund langjähriger Rechtsprechung weiß, dass asylrechtlich fast niemand anerkannt wird, bis auf einen verschwindenden Prozentsatz. Wenn das so ist, dann lässt das eine Prärogative zu, d. h. eine Einschätzung, dass man in diesen Fällen ein schnelleres Verfahren machen kann – nicht das Asylrecht abschaffen, sondern ein schnelleres Verfahren –
und eine gesetzliche Vermutung, dass der, der von dort kommt, keinen begründeten Anspruch hat. Das ist der Kern. Derjenige, der Asyl begehrt, behält das Asylverfahren, und er hat die Chance, diese gesetzliche Vermutung zu widerlegen. Das ist der Kern dessen, worum es geht:
ein schnelleres Verfahren aufgrund der gesetzlichen Vermutung, die aber widerlegt werden kann. Genau darum geht es.
Ich habe es immer vertreten und vertrete es auch heute. Ich weiß, dass insbesondere unsere grünen Partner nicht erst seit heute, sondern seit vielen Jahren damit erhebliche Probleme haben. Es geht ihnen im Kern um die Frage: Wie können wir sicherstellen, dass wir diejenigen, die wir auf Neudeutsch „vulnerable Gruppen“ – teilweise ist es be
schrieben worden – nennen, die in Ländern, in die wir zu Millionen als Touristen hinfahren, verfolgt werden, aufgrund des schnellen Verfahrens nicht durch den Rost fallen lassen? Dabei handelt es sich z. B. um Homosexuelle, um Opfer sexueller Gewalt, aber auch um kritische Journalisten und um andere mehr.
Auf der einen Seite geht es jetzt darum – darum ringen wir –, dass wir eine Lösung finden, die vernünftigerweise das Signal an diese Länder aufrechterhält und damit vermeidet, dass jemand für sich selbst alles falsch macht, sein ganzes Hab und Gut aufgibt und dann doch nicht bleiben kann. Auf der anderen Seite geht es darum, dass wir die Kapazität haben, die wir brauchen, um all unsere Kraft für diejenigen einzusetzen, die hier Aufenthalt bekommen. Ich bin davon überzeugt, das kann gelingen. Daran arbeite ich mit anderen, und ich hoffe sehr, dass wir zu einer Lösung kommen, die dann auch zustimmungsfähig ist.
Im Übrigen, meine Damen und Herren, verzichte ich wirklich auf viele Punkte, die auch in dem Antrag der Sozialdemokratie genannt sind. Da geht es einmal querbeet; darin ist vieles enthalten, über das wir uns verständigen können.
Über manches müsste man intensiver reden. Aber das kann man in einer solchen Situation, bei einem Thema, das nicht nur die deutsche Bevölkerung wie kein zweites beschäftigt, nicht tun. – Heute findet in Großbritannien die Abstimmung darüber statt, ob Großbritannien aus der EU austritt oder nicht. Und was ist dort das große Thema? Das große Thema ist die Zuwanderung, genau das, was uns auch beschäftigt. – Das sozusagen im Schweinsgalopp im Rahmen einer dritten oder vierten Aktuellen Stunde abzuhandeln, ist unmöglich. Deshalb will ich der Versuchung nicht erliegen.
Sie haben gesagt, es komme auf die hessischen Stimmen an. Das trifft nicht zu. Würden wir zustimmen, käme auch keine Mehrheit zustande. Kollege Boddenberg hat schon auf Rheinland-Pfalz hingewiesen. Sie könnten vielleicht dafür sorgen, dass sie zustimmen. Aber das würde immer noch nicht reichen. Wir brauchten ein weiteres Land – der sämtlich rot-grün regierten Länder. Ich will schon sehr deutlich sagen, dass wir versuchen sollten – das gelingt uns hier ja häufig –, dieses Thema bei aller Leidenschaft nicht im kleinsten Karo zu verhandeln.
Herr Kollege Schäfer-Gümbel, es ist jetzt Mode, auf den Bundesinnenminister einzudreschen. Das finde ich nicht in Ordnung.
Sie wissen es doch aus Ihren Berliner Begegnungen. Ich gehöre nicht zu denen, die nicht deutlich sagen, was sie von der Bundesregierung erwarten, was das BAMF und andere Dinge mehr angeht. Es ist in der Tat bedrückend, über die Rückführung zu reden. Diese Frage ist aber nicht neu. Ich habe das elfeinhalb Jahre verantwortet und weiß, wie schwierig Rückführungen sind. Aber es ist, wenn man gemeinsam in Berlin Verantwortung trägt – ich gehe davon
aus, das ist immer noch so –, nicht in Ordnung, sich hierhin zu stellen und zu sagen: Der de Maizière ist schuld; er muss mit denen verhandeln.
Meine Damen und Herren, wir haben einen Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, den ich persönlich sehr schätze. Er ist als Außenminister mindestens ebenso gefordert wie der Innenminister, wenn es um die Verhandlungen geht.
Bei einer so schwierigen Frage, die die Menschen bewegt, die sie aufwühlt, sollten wir versuchen, das beieinanderzuhalten, was uns verbindet. Es gibt auch Dinge, bei denen wir unterschiedliche Positionen einnehmen. Aber wenn wir schon gemeinsam Regierungsverantwortung in Deutschland tragen, dann sollten wir es, so finde ich, auch gemeinsam schultern. Denn die Abkommen sind von der Bundesregierung und nicht von Herrn de Maizière verabschiedet worden, meine Damen und Herren.
Frau Wissler, die Position der LINKEN ist unverantwortlich. Sie ist nicht nur unverantwortlich, sondern sie ist auch verlogen. Ich sage das ganz bewusst. Ihre Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Sahra Wagenknecht, lässt keinen Tag vergehen, an dem sie nicht praktisch wörtlich die gleichen Parolen wie Frauke Petry loslässt. Wer so etwas tut, muss uns hier im Hessischen Landtag nicht bewerten.
(Lebhafter Beifall bei der CDU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE): Unverschämt!)
Herr Kollege Rentsch, ich stehe zu meiner Haltung. Aber blasen Sie es nicht zur mangelnden Handlungsfähigkeit der Landesregierung auf. Ich könnte Ihnen jetzt einmal vorlesen, was wir zwei mit unterschrieben haben: die Koalitionsvereinbarung zwischen CDU und FDP für die 18. Wahlperiode. Darin steht, dass wir uns, wenn wir uns nicht einig werden, am Ende im Bundesrat enthalten.
Ich verstehe Ihr Bemühen, hier einmal vorzukommen, meine Damen und Herren, aber die Hessische Landesregierung ist handlungsfähig. Das erleben Sie jeden Tag. Wir sind nicht nur handlungsfähig, wir sind auch erfolgreich.
Im Übrigen ist es uns bei diesem Thema besser gelungen als in anderen Parlamenten, die wesentlichen Dinge beieinanderzuhalten. Wir haben ein beispielhaftes Programm aufgelegt. Viele Menschen in Hessen sind unermüdlich dabei, dieses mit Leben zu erfüllen, viel Gutes zu tun, die Sorgen der Menschen ernst zu nehmen und zu entkräften. Das heißt nicht, über die Probleme hinwegzureden, aber es ist schon so – ich sage es auch heute wieder –: Dieses Land kann stolz auf das sein, was uns bei der Aufnahme gelungen ist. Und wenn wir vernünftig sind, versuchen wir nicht, um den Millimetervorteil einer Debatte im Rahmen
einer Aktuellen Stunde die Gemeinsamkeit zurückzudrängen. Lassen Sie uns in der Sache vernünftig miteinander sprechen, auch wenn wir unterschiedlicher Meinung sind, und verzichten wir auf die vermeintlichen Glockenschläge eines Publikums, das wir alle am liebsten nicht hier sitzen haben wollen. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. – Nach den Regeln unserer Geschäftsordnung sind aufgrund der Rede des Ministerpräsidenten jeder Fraktion zehn Minuten weitere Redezeit zugewachsen.
Überschreiten die Mitglieder der Landesregierung oder ihre Beauftragten die Redezeit der Fraktionen, verlängert sich die Redezeit für jede Fraktion um die Dauer der Überschreitung.
Der Herr Ministerpräsident hat 15 Minuten gesprochen. Die vereinbarte Redezeit betrug fünf Minuten. Also ergeben sich zehn Minuten Verlängerung für jede Fraktion. Für Frau Kollegin Öztürk bedeutet das im Übrigen die Hälfte, also fünf Minuten Verlängerung, wenn wir das entsprechend anwenden.
Aus den Fraktionen ist die Bitte an mich herangetragen worden, abweichend von der Regelung der Geschäftsordnung zuzulassen, dass die gleichen Redner auf Wunsch auch in der zweiten Runde sprechen. Wenn das einvernehmlich ist, können wir so verfahren.
Erste Wortmeldung in dieser zweiten Runde, Herr Kollege Rentsch für die Fraktion der Freien Demokraten. Bitte sehr.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Vertreter der Landesregierung diskutieren, ob das notwendig ist. Ich denke, diese Debatte ist notwendig.
Herr Kollege Schäfer-Gümbel, lassen Sie mich zunächst auf das eingehen, was Sie gesagt haben. Ich hätte mir gewünscht, die Debatte wäre heute nicht notwendig gewesen, weil der Bundesrat letzten Freitag entschieden hätte.
Aber nachdem der Bundesrat nicht entschieden hat, war es für unsere Fraktion die einzige Möglichkeit, dieses Thema auf die Tagesordnung zu bringen, weil die Setzpunkte bis letzten Dienstag benannt werden mussten. Das sollten die Kollegen, die die Geschäftsordnung kennen, wissen.
Jetzt sage ich einmal an die Kollegen der Union und an den Hessischen Ministerpräsidenten gerichtet: Lieber Kollege und Ministerpräsident Bouffier, ich hätte mich gefreut, wenn die Hessische Landesregierung, vertreten durch Sie oder einen Ihrer Minister, am Dienstag eine Regierungserklärung zu der Frage abgegeben hätte, wie Hessen eigentlich in diesem Land steht.
Da Sie aber mit den letzten Regierungserklärungen mit Sicherheit wichtige Themen aufgegriffen haben, aber die wahren, wirklichen Themen, die die Menschen bewegen, in diesem Landtag nicht aufgreifen, dürfen wir es uns als Opposition schon erlauben, die wichtigen Themen, die die Menschen oben auf der Tribüne interessieren, in diesen Landtag zu bringen.