Herr Kollege Bellino, ich wiederhole: Das, was wir brauchen, ist eine flexible Vorbereitung der jungen Menschen auf die duale Ausbildung. Wir müssen sie ausbildungsfähig machen. Sie müssen die Menschen zu einer geeigneten Ausbildungsqualifikation hinführen, damit die Ausbildung überhaupt gelingen kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in unserem Bildungssystem ist eigentlich klar: Die Herstellung der Ausbildungsfähigkeit, die Hinführung zum Hauptschulabschluss, zum qualifizierenden Hauptschulabschluss ist eine schulische Aufgabe – und keine Aufgabe von Trägern der Erwachsenenbildung.
Deswegen: Kehren Sie um. Werden Sie einmal einsichtig. Ändern Sie Ihr Verhalten. Stimmen Sie gegen Ihre eigene Beschlussempfehlung. Wenn Ihnen das hilft, können wir sie auch nochmals an den Ausschuss zurückgeben.
Tun Sie das, wenn die Erkenntnis wachsen sollte, und dann gelangen wir zu einem guten Ergebnis. So allerdings leisten Sie unserer Gesellschaft einen Bärendienst.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Ergebnis der Anhörung zu diesem Gesetzentwurf, das es heute in zweiter Lesung zu besprechen gibt, entsprach in gewisser Weise einer langen Tradition. Es war nämlich relativ überraschungsarm. Wir hatten einige klare Stellungnahmen. Wir haben eine ganze Reihe von Bedenken und Relativierungen gehört. Insgesamt war es ein relativ uneinheitliches Bild.
Das ist vielleicht das Erste, was man hier klarstellen muss, eine Mär, mit der man aufräumen muss: Es stimmt eben nicht, dass sich alle darin einig gewesen seien, dass die Heraufsetzung der Altersgrenze für die isolierte Berufsschulberechtigung per se eine gute Idee sei.
Worüber sich alle einig waren und einig sind – das hat die Debatte in diesem Hohen Hause ebenfalls gezeigt –, ist die Erkenntnis des generellen Handlungsbedarfs angesichts dieser großen Zahl zugewanderter junger Menschen mit großenteils gebrochenen Lebens- und Bildungsbiografien.
Deswegen – und darüber besteht die Einigkeit – hat die Integration von Flüchtlingen unter anderem durch Spracherwerb und Bildungsteilhabe höchste Priorität. Das gilt auch für die Politik dieser Landesregierung. Das ist die Intention – und das will ich ausdrücklich anerkennen –, die auch dem Gesetzentwurf der SPD zugrunde liegt.
Meine Damen und Herren, das gilt aber in jeder Altersgruppe. Wenn wir jetzt nicht auf den Gedanken kommen, dass einfach alle nochmals in die Schule gehen sollten, dann müssen wir an dieser Stelle differenzieren. Das gilt für die Kinder und Jugendlichen – bei denen es keinen vernünftigen Zweifel daran gibt, dass dort Spracherwerb und Bildungsteilhabe nur oder weitestgehend in der Schule erfolgen müssen. Das gilt für die Älteren, die nun wirklich niemand mehr in die Schule schicken mag. Aber das gilt eben auch für die Altersgruppe dazwischen, und über die reden wir hier.
Über die gibt es deswegen einen Dissens, weil sich hier das Engagement und die Kernkompetenzen verschiedener Bildungsinstitutionen überschneiden.
Meine Damen und Herren, ich will hier wiederholen, was ich schon in der ersten Lesung zu diesem Gesetzentwurf gesagt habe. Das Kultusministerium hat seinen Handlungsund den schulischen Bildungsauftrag an dieser Stelle mit großem Einsatz angenommen und kommt ihm kompetent nach. Wir haben unser InteA-Programm flexibilisiert und passen es den sich schnell verändernden Anforderungen an. Gerade die Spielräume, die wir mit dem gemeinsam verabschiedeten Asylpaket vom letzten Dezember eingebaut haben, ermöglichen es uns jetzt, junge Erwachsene bis zu einem Alter von 23 Jahren – man muss immer wieder betonen: 21 ist nur das Eintrittsalter, und weil die Maßnahme bis zu zwei Jahre dauern kann, reicht das faktisch bis 23 – zu erreichen.
Herr Greilich, es ist schlicht falsch, dass die Schulen, wenn sie das tun, die Mittel dafür aus dem sonstigen Unterricht nehmen müssen. Lesen Sie nochmals die Beschlüsse. Lesen Sie den Haushaltsplan vom Dezember 2015 nach: Es sind 10 Millionen € extra nur für diesen Zweck bestimmt. Damit werden 4.500 Plätze geschaffen – und dafür wird kein anderer Platz gestrichen und keine andere Unterrichtsversorgung weggenommen, sondern das ist das, was wir im letzten Dezember obendrauf gesetzt haben.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Boddenberg (CDU): Herr Greilich hätte vielleicht einmal ein Fachgespräch führen sollen!)
Meine Damen und Herren: das alles ohne eine Änderung des Schulgesetzes. Das muss man auch einmal klarstellen. Das Gesetz verbietet es doch nicht, dass junge Menschen zu den beruflichen Schulen gehen, auch nicht jungen Erwachsenen. Worüber wir hier reden, das ist ein Rechtsanspruch für alle diese jungen Erwachsenen, dorthin zu gehen.
Meine Damen und Herren, da müssen wir nun beachten: Gerade in dieser Altersgruppe von 23 bis 27 Jahren sind die Ausgangssituationen – etwa was die anerkennungsfähige Vorbildung anbelangt, aber auch die über den Spracherwerb hinausreichenden Bildungsziele – so disparat, und gleichzeitig sind so viele unterschiedliche Akteure am Start, die genau dieser Unterschiedlichkeit mit ihren jeweils spezifischen Instrumenten und Fähigkeiten begegnen – die Hochschulen, die Volkshochschulen, die Wirtschaft,
die Bildungswerke, die Bundesagentur für Arbeit, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und noch viele freie Träger –, dass wir die Chancen dieser Unterschiedlichkeit nutzen müssen
und uns nicht einbilden dürfen, mit der isolierten Übertragung dieser Altersgruppe in die Verantwortung der beruflichen Schulen das Problem gelöst zu haben.
Nun habe ich Ihnen durchaus zugehört, Herr Merz. Sie sagen immer, das sei kein Allheilmittel. So präsentieren Sie es auch nicht. Darüber brauchen wir nicht zu diskutieren.
Doch wenn Sie eine Vielfalt von Bildungsträgern und -angeboten haben, dann isoliert für eines davon einen Rechtsanspruch schaffen und sagen, dorthin sollen sie alle,
verschieben Sie ganz automatisch die Verantwortung an dieser Stelle und konzentrieren das auf einen bestimmten Bildungsträger oder eine bestimmte Bildungsinstitution.
Nicht alle gesellschaftlichen Anforderungen können einfach über eine Ausweitung der Teilhabe an schulischer Bildung gelöst werden.
Meine Damen und Herren, ich bin froh, dass wir so viele andere Bildungsträger haben, die zum Glück auch in diesem Bereich sehr aktiv sind und die Angebote machen, die ab einem gewissen Alter der bei uns zugewanderten Menschen genauso passend oder sogar passender sind als die Angebote, die die beruflichen Schulen machen können.
Das sehen im Übrigen mehr oder weniger alle Bundesländer so, auch und gerade die sozialdemokratisch regierten. Deswegen hat beispielsweise die neue Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Frau Senatorin Bogedan aus Bremen, SPD, nach unserer letzten Sitzung im Frühjahr ausdrücklich erklärt: An dieser Schnittstelle der beruflichen Bildung sind verstärkt arbeitsmarktpolitische Förderangebote gefragt.
Für Förderungen auf dem Arbeitsmarkt trägt der Bund Verantwortung – das ist aber ein Sonderproblem. Es geht bei der Altersgruppe der 23- bis 27-Jährigen primär um einen Zugang zum Arbeitsmarkt. Deshalb geht es um Arbeitsmarktpolitik und um arbeitsmarktpolitische Förderung. Dazu können die beruflichen Schulen einen Beitrag leisten – deshalb eröffnen wir z. B. die genannten Möglichkeiten zur Flexibilisierung –, aber es ist nicht primär die Verantwortung der beruflichen Schulen, und wir sollten ihnen die primäre Verantwortung dafür auch nicht zuweisen.
Das, was Frau Bogedan zum Ausdruck gebracht hat, war Konsens auf der letzten Frühjahrssitzung der Kultusministerkonferenz. Man muss dazu sagen – auch wenn das aus unserer parteipolitischen Sicht vielleicht eine traurige Feststellung ist –, dass zwölf der 16 Kultusminister – das wird sich jetzt ändern – der SPD angehören. Trotzdem bestand und besteht in dieser Frage ein Konsens unter allen Kultusministerinnen und Kultusministern. Deswegen wäre es ein
Irrweg, mit diesem Gesetzentwurf die Zuständigkeit der beruflichen Schulen beliebig auszuweiten. Wenn ich die Metapher von Herrn Greilich aufgreifen darf: Das wäre eine Art von Schwalbe, aber eine Schwalbe macht bekanntlich noch keinen Sommer.
Das erklärt auch die Bedenken, die im Rahmen der Anhörung von unterschiedlichsten Seiten und unter unterschiedlichsten Aspekten geäußert worden sind, auch wenn jeder das dahinter stehende hehre Ziel erkannt hat. Auf die Bedenken muss ich jetzt nicht mehr im Einzelnen eingehen, denn sie sind schon vielfach angesprochen worden. Sie reichten von einem Disput über die Höhe der Altersgrenze – wobei man sagen muss, dass man, wenn man von weniger als 27 Jahren in der Spitze ausgeht, sich dem annähert, was wir an Flexibilisierung faktisch schon geschaffen haben – über Sorgen, etwa der Kommunalen Spitzenverbände, was die Kapazität der beruflichen Schulen anbetrifft, bis zu den Befürchtungen der Wirtschaftsverbände, die in der Debatte ebenfalls schon mehrfach aufgeschienen sind. Hierzu will ich nur sagen: Wir sitzen in der nächsten Woche wieder im „Bündnis Ausbildung Hessen“ zusammen, übrigens nicht nur mit den Wirtschaftsverbänden, sondern auch mit Gewerkschaftsvertretern. Ich weiß jetzt schon, dass man mir als Kultusminister Schwüre abverlangen wird, dass wir das vollschulische Ausbildungssystem zugunsten der dualen Ausbildung zurückfahren. Das muss man zumindest berücksichtigen, wenn man an dieser Stelle sagt, die Zuständigkeit der Schulen müsse entsprechend ausgeweitet werden.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gerhard Merz (SPD): Die muss nicht ausgeweitet werden!)
Aus all diesen Gründen vermag ich auch nach dieser Anhörung keinen Änderungsbedarf im Hessischen Schulgesetz zu erkennen, sondern wir bleiben als Landesregierung bei unserer Linie. Wir behalten die Situation im Blick. Wir werden die Entwicklung der Bedarfe genau beobachten. Wir werden die Verzahnung der Bildungsträger und ihrer Angebote vorantreiben. Dabei spielen unsere beruflichen Schulen eine rühmliche und sehr verdienstvolle Rolle, und wir werden natürlich unser eigenes Angebot, wie wir es zuletzt im Dezember getan haben, mit der gebotenen Flexibilität anpassen. Das ist die angemessene Antwort auf die Problemstellung, der wir uns hier gegenübersehen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich hätte wirklich nicht geglaubt, dass ein so kleiner Vorschlag für ein im Grunde, der Struktur nach, einfaches Problem solche Debatten auslösen kann. Das hätte ich wirklich nicht geglaubt, als wir diesen Vorschlag für eine Gesetzesänderung gemacht haben.
Herr Minister, ich will auf ein paar Ihrer Äußerungen antworten. Sie haben gefragt: Warum schlägt die SPD einen
Rechtsanspruch nur für den Schulbesuch vor? – Für was denn sonst? Muss ich Ihnen wirklich den Unterschied zwischen dem öffentlichen Schulwesen und der vielfältigen Förderlandschaft aus Angeboten freier Träger, teilweise öffentlicher Träger, aus Maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit usw. erklären? Muss ich Ihnen tatsächlich erklären, dass wir als Hessischer Landtag nun einmal für das Hessische Schulgesetz zuständig sind, beispielsweise aber nicht für Maßnahmen der BfA? Es ist doch evident, warum wir diesen Vorschlag gemacht haben.
Zweitens. Weil Sie so vehement – diese Vehemenz haben auch andere an den Tag gelegt – gegen die Einräumung eines Rechts auf Schulbesuch für diese Altersgruppe gestritten haben:
Erklären Sie uns und dem Haus einmal, wie Ihre Bundespartei dazu kommt, eine Pflicht für den Schulbesuch genau dieser Altersgruppe zu fordern. Erklären Sie uns das bitte, lösen Sie diesen Widerspruch auf. Darüber haben wir noch gar nicht gesprochen.
Drittens. Herr Minister, muss ich Ihnen wirklich den Unterschied zwischen der Einräumung eines Rechtsanspruchs und der faktischen Wahrnehmung eines Rechtsanspruchs erklären? Ist es nicht offensichtlich, dass zwischen beidem eine logische, in aller Regel auch eine reale Differenz besteht? Natürlich wird nicht jeder der jungen Volljährigen, von denen wir hier reden, dieses Recht in Anspruch nehmen, nämlich z. B. dann nicht, wenn ihm ein attraktives Angebot auf dem dualen Ausbildungsmarkt gemacht wird, oder auch dann nicht, wenn ihm ein Angebot im Bereich der BfA-Maßnahmen oder von Maßnahmen nach dem Kinder- und Jugendhilferecht – die für die Altersgruppe nach wie vor möglich sind – gemacht wird.
Zu dem von Ihnen vorgebrachten Scheinargument in Bezug auf die Verstärkung der Konkurrenz durch vollschulische Angebote möchte ich sagen: Darum geht es hier gar nicht. Es geht nicht um zusätzliche vollschulische Angebote, sondern darum, die vorhandenen vollschulischen Angebote, die oft in enger Verzahnung mit der beruflichen Praxis, insbesondere mit Handwerksbetrieben, dargestellt werden, für eine neue Zielgruppe zu öffnen. Es geht nicht um zusätzliche vollschulische Angebote. Deswegen geht Ihr Argument, Herr Minister, fehl.
Sie haben wieder einmal einen Beitrag zu den offenen hessischen Meisterschaften im Offene-Türen-Einrennen geleistet. Das haben heute auch viele andere getan. Natürlich sind Maßnahmen im Bereich der Arbeitsmarktpolitik erforderlich. Dafür gibt es jetzt Gott sei Dank einen Ansatz, auch für Jüngere. Ich sage aber noch einmal: Es geht hier um ein sehr begrenztes Problem, nämlich die Abschaffung bürokratischer Hürden in Gestalt einer Altersgrenze für die Inanspruchnahme eines Teilförderangebots – das quantitativ nicht ausgeweitet werden soll –, damit an ihm mehr junge Volljährige teilnehmen. Darum geht es, um nichts anderes.