Protocol of the Session on September 22, 2015

Die Ehrenamtlichen leisten wichtige und notwendige Arbeit. Damit erfüllen sie staatliche Aufgaben. Auf der einen Seite ist dieses Engagement erfreulich – aber es ist eben auch erschreckend, dass es sonst an vielen Stellen keine vernünftige Versorgung gäbe. Meine Damen und Herren, es ist doch geradezu absurd, dass Ehrenamtliche Flüchtlinge an Bahnhöfen empfangen und versorgen, während Hundertschaften der Bundespolizei zeitgleich Grenzen kontrollieren, die sich nicht kontrollieren lassen, und Mitarbeiter der Justiz Ermittlungsverfahren wegen illegaler Einreise gegen jeden einzelnen Flüchtling bearbeiten müssen. – So viel zum Thema Gastfreundschaft und Willkommenskultur in Deutschland. Dahin ist es noch ein langer Weg. Nötig wäre es, dass wir den Menschen, die in Deutschland ankommen, endlich helfen, statt Grenzkontrollen und Ermittlungsverfahren durchzuführen.

(Beifall bei der LINKEN)

Seit Monaten werden wir Zeuge, wie das europäische Asylsystem in sich zusammenfällt und dass das, was einmal als „Werte der Europäischen Gemeinschaft“ gepriesen

wurde, so schnell aufgegeben wird, dass man diese Erosion nur noch im Nachrichtenticker verfolgen kann. Wir erleben Mitgliedstaaten, die an ihren Grenzen Zäune hochziehen, an den Außengrenzen der Europäischen Union, aber auch an den Grenzen zu anderen EU-Mitgliedstaaten. Ob die Freizügigkeit zwischen den Ländern des Schengen-Raumes gerade praktiziert wird oder nicht, das muss man tagesaktuell bei den jeweiligen Innenministerien erfragen.

Meine Damen und Herren, das liegt nicht in erster Linie daran, dass die Zahl der Flüchtlinge so hoch ist. Natürlich ist sie das, und zweifelsohne ist das eine große Herausforderung. Aber Europa tut sich vor allem deshalb so schwer, weil sein Vertragswerk und seine Institutionen gar nicht auf das Ziel der humanitären Aufnahme von Asylsuchenden ausgerichtet sind, sondern auf Abschreckung und auf Abwehr von Menschen, die in Europa Schutz suchen.

Wenn ich in der aktuellen Broschüre der Europäischen Kommission zum gemeinsamen europäischen Asylsystem lese, Europa stelle einen „Raum des Schutzes und der Solidarität für die Schwächsten“ dar, dann kann ich diese Aussage angesichts der Bilder aus Ungarn – wo die Polizei mit Wasserwerfern und Tränengas auf Flüchtlingskinder schießt – nur als blanken Zynismus empfinden. Es sind die Aufnahmen des dreijährigen syrischen Flüchtlingsjungen Aylan Kurdi, dessen lebloser Körper an die türkische Küste gespült wurde, die das europäische Grenz- und Abschottungsregime charakterisieren.

Meine Damen und Herren, über 23.000 Asylsuchende sind seit dem Jahr 2000 auf ihrem Weg nach Europa ums Leben gekommen: Sie sind ertrunken, starben an Hunger oder Unterkühlung, sie erstickten in Lkws oder starben beim Überqueren von Minenfeldern. Allein in diesem Jahr haben über 3.000 Menschen die Überfahrt nicht überlebt.

Wenn Menschen auf ihrer Flucht über das Mittelmeer ertrinken, dann sind das keine tragischen Unglücksfälle, sondern das ist die Folge der EU-Abschottungspolitik. Es wird den Flüchtlingen so schwer wie möglich gemacht, europäischen Boden zu erreichen. Es gibt keine sicheren Fluchtwege. Bei der Seenotrettung wurde gekürzt. Schlimmer noch: Fischern, die Ertrinkende retten, wurde teilweise anschließend wegen Beihilfe zur illegalen Einreise noch der Prozess gemacht.

Meine Damen und Herren, für die toten Flüchtlinge in Lampedusa vom 3. Oktober 2013 wurde ein Staatsbegräbnis angekündigt – den überlebenden Flüchtlingen der gleichen Katastrophe drohten ein Bußgeld und die Abschiebung.

Was wir aktuell erleben, ist ein unwürdiges Geschacher zwischen den EU-Staaten auf Kosten der Menschen, die vor Krieg, Terror, Elend und Verfolgung fliehen und die ein Leben in Würde für sich und ihre Kinder suchen. Wir erleben eine Politik der Abschottung, die Menschen in Not nicht die Hand reicht, sondern sie mit Zäunen und Stacheldraht aussperrt. Wir sagen: Kein Mensch ist illegal. Wir brauchen eine Abkehr von dieser Politik der Abschreckung und Abschottung, die bereits Tausende von Menschen im Mittelmeer und anderswo das Leben gekostet hat.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

An dieser Stelle will ich auch deutlich sagen, dass der Einsatz der Bundeswehr im Mittelmeer, die jetzt mit Kriegsschiffen Jagd auf Schlauchboote machen soll, die Situation

nicht verbessern, sondern nur noch weiter verschärfen wird. Das Ergebnis werden noch waghalsigere Fluchtrouten und noch mehr Tote sein. Diese Militarisierung der Außengrenze wird Auseinandersetzungen mit weiteren Toten provozieren, wie dies bereits vor griechischen Inseln geschehen ist. Diese Probleme lassen sich nicht durch Militarisierung lösen. Deswegen sind auch die Pläne der Verteidigungsministerin völlig falsch.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Aufregung über die sogenannten Schlepper ist auch deshalb heuchlerisch, weil gleichzeitig an einer Illegalisierung der Flucht festgehalten wird. Kein Transportunternehmen traut sich, Flüchtlinge mitzunehmen, weil europäische Richtlinien und deutsches Aufenthaltsrecht all diejenigen mit Bußgeldern bedrohen, die Asylsuchende befördern. Europa erlaubt es Flüchtlingen nicht, Transportmittel zu benutzen, die für uns selbstverständlich sind. Es ist ja nicht so, dass es keine regulären Fähren oder Flugverbindungen gäbe – und noch dazu wären die billiger als das viele Geld, das Flüchtlinge zahlen, um von Schleppern in unsicheren Booten über das Mittelmeer gefahren zu werden. Aber diese Flüchtlinge haben gar keine andere Möglichkeit, als sich in die Schlauchboote zu setzen oder in andere seeuntaugliche Schiffe, um sich auf den Weg nach Europa zu machen.

Wir wollen kein Europa, das sich Flüchtlingen als unüberwindbare Festung mit eingezogener Zugbrücke darstellt, sodass Menschen ihr Leben riskieren müssen, weil sie Schutz suchen. Deswegen müssen dringend legale Einreisemöglichkeiten für Menschen geschaffen werden, die in Not sind und in Europa Schutz suchen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Natürlich ist es möglich, dass Menschen humanitäre Visa erhalten, damit sie in Deutschland zumindest das Asylverfahren durchführen können. Als Sofortmaßnahme brauchen wir natürlich den Aufbau eines zivilen Seenotrettungsdienstes im Mittelmeer.

Es gab das italienische Seenotrettungsprogramm „Mare Nostrum“. Das hat 130.000 Menschen das Leben gerettet und sie vor dem Ertrinken bewahrt. Es wurde eingestellt, weil die EU-Staaten zum einen nicht bereit waren, den lächerlichen Betrag von 9 Millionen € pro Monat weiterhin zu bezahlen, und schlimmer noch: Die deutsche Bundesregierung hat damals durch Innenminister de Maizière erklärt, „Mare Nostrum“ sei als Nothilfe gedacht gewesen und habe sich als Brücke nach Europa erwiesen. – Wie zynisch ist diese Aussage, wenn es diese Brücke war, die Menschen das Leben gerettet hat? Welch eine zynische Aussage von einem Mitglied der deutschen Bundesregierung.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Mein Vorredner hat es gesagt: Das Dublin-Regime ist gescheitert. Es muss abgeschafft werden, weil es Flüchtlinge einem unwürdigen Verschiebebahnhof aussetzt. Es ist gescheitert, weil es ein unsolidarisches System ist, das die Kosten der Flüchtlingsaufnahme einseitig all jenen Mitgliedstaaten aufbürdet, die relevante Außengrenzen haben. Deshalb muss die Dublin-Verordnung, das gesamte Dublin-Abkommen, abgeschafft werden – damit wir zu einer humanitären Flüchtlingspolitik in Europa kommen.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Gerade wenn man sich die schockierenden Bilder aus Ungarn anschaut, dann muss man auch deutlich machen, dass es überhaupt nicht verantwortbar ist, dass man Menschen in einem Land lässt oder gar in ein Land zurückschickt, wo eine fremdenfeindliche Rechtsaußenregierung mit Viktor Orbán an der Spitze mit Wasserwerfern und Tränengas gegen Flüchtlinge vorgeht. Deshalb ist es richtig, auch Flüchtlinge aus Ungarn aufzunehmen und ihnen in Deutschland eine Erstaufnahme zu ermöglichen.

Ich möchte aber auch deutlich sagen: Von Deutschland aus mit dem Finger auf andere zu zeigen, ist zu einfach. Leider hat sich auch Deutschland in der Flüchtlingspolitik nicht mit Ruhm bekleckert, auch wenn die Bundesregierung es derzeit so darstellt, als sei Deutschland ein Ort der Barmherzigkeit. Man muss schon einmal feststellen, dass sich Deutschland jahrelang einen schlanken Fuß gemacht und die Probleme einfach in die Länder mit EU-Außengrenzen verlagert hat. Das Asylrecht wurde immer weiter ausgehöhlt. Asylbewerber müssen ihren Antrag – so regeln es die Dublin-Abkommen – dort stellen, wo sie erstmals europäischen Boden betreten haben.

Bekanntermaßen kann man auf dem Landweg überhaupt nicht nach Deutschland gelangen, ohne zuvor ein anderes europäisches Land betreten zu haben. Für die wenigen Flüchtlinge, die per Flugzeug einreisen, gibt es das sogenannte Flughafenverfahren, bei dem die Flüchtlinge den Transitbereich gar nicht erst verlassen dürfen und damit deutschen Boden – zumindest formaljuristisch – nicht betreten. Man muss in Deutschland als Flüchtling also buchstäblich vom Himmel fallen, um überhaupt die Möglichkeit zu haben, einen Asylantrag zu stellen. Das ist eine Politik zulasten der Flüchtlinge, aber auch eine Politik zulasten von Ländern wie Griechenland und Italien, die EU-Außengrenzen haben und sich dieser Verantwortung nicht so entledigen können, wie das Deutschland über Jahre hinweg getan hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Jahrelang haben Italien und Griechenland Überlastung gemeldet. Sie haben eine faire Aufteilung der Flüchtlinge angemahnt. „Nicht unser Problem“, hieß es damals aus Deutschland. Die hohe Zahl an Flüchtlingen ist also kein überraschendes Ereignis, sondern die Wirkung von Ursachen, die sich über Jahre aufgestaut haben. Europäische Länder haben mit Diktatoren Vereinbarungen geschlossen, z. B. mit Gaddafi, dass er ihnen in Libyen die Flüchtlinge vom Hals hält. Als dieses System zusammengebrochen ist, sind die Flüchtlinge übers Meer gefahren und in Ländern mit EU-Außengrenzen angekommen. Jetzt ist eine Situation erreicht, in der Deutschland das Problem nicht mehr einfach wegschieben kann.

Wenn sich die Bundesregierung jetzt beschwert, sie werde von den anderen europäischen Staaten im Stich gelassen, dann sollte man, wie ich finde, auch einmal nachzählen, wie viele Flüchtlinge in den letzten Jahren von Deutschland aus in andere EU-Länder abgeschoben wurden, weil sie über diese Länder eingereist waren. Damit komme ich direkt zu einem Beispiel aus Hessen. Hessen hat nämlich im letzten Jahr extra ein Flugzeug gechartert, um drei eritreische Flüchtlinge nach Italien abzuschieben. Das hat die Steuerzahler fast 20.000 € gekostet. Da frage ich: Wie lange hätten diese drei eritreischen Flüchtlinge in Hessen

von diesen 20.000 € leben können, die man ausgegeben hat, um ein Flugzeug zu chartern, um sie nach Italien abzuschieben? Das Problem sind die deutschen Prioritäten in der Asyl- und Flüchtlingspolitik. Für Abschottung und Abschiebung war Geld da, aber nicht für die Aufnahme von Flüchtlingen oder für die Seenotrettung. Diese Prioritätensetzung muss sich ändern.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Es ist auch nicht so, dass Deutschland überrannt wird, wie manche uns glauben machen wollen. Weltweit sind schätzungsweise ca. 50 bis 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Davon sind die meisten, etwa zwei Drittel, Binnenflüchtlinge innerhalb ihres Staates. Die meisten des restlichen Drittels fliehen in Nachbarländer. Nur eine kleine Minderheit macht sich überhaupt auf den Weg nach Europa. Seit Beginn des Jahres hat Deutschland etwa 400.000 Menschen aufgenommen. Das sind nicht einmal 0,5 % der deutschen Bevölkerung. Natürlich ist diese Zahl an Menschen nicht gering, aber es muss in einer der reichsten Volkswirtschaften der Welt doch möglich sein, Flüchtlinge, die zahlenmäßig 0,5 % der Gesamtbevölkerung in Deutschland ausmachen, menschenwürdig unterzubringen und keine Zeltstädte zu errichten.

(Beifall bei der LINKEN)

Natürlich müssen wir auch über die Fluchtursachen reden; denn die Ursachen für die Migrationsbewegung, die wir erleben, sind Krieg, Gewalt, Hunger, Diktaturen und ökonomische Perspektivlosigkeit. Dafür tragen auch die Staaten Europas und die USA eine große Verantwortung. Europäische Fangflotten gefährden die Existenz der Fischer in vielen Ländern Afrikas. Das Land-Grabbing von Großkonzernen beraubt Bauern ihrer Existenz. Die auf Export getrimmte und subventionierte EU-Landwirtschaft überschwemmt die Märkte der Entwicklungsländer. Freihandelsabkommen unter wirtschaftlich ungleichen Regionen stärken die Starken und schwächen die Schwachen. Banken und Spekulanten bereichern sich an Nahrungsmittelspekulationen und tragen dadurch zu Hunger und Lebensmittelknappheit bei. Nahrungsmittelspekulationen sind immer noch nicht verboten.

Nicht vergessen werden darf, dass sich gerade infolge der in den Industrieländern verursachten Klimaerwärmung die Lebensumstände in vielen Ländern verschlechtern, Wüsten sich ausbreiten und Ackerböden unfruchtbar werden. Die Antwort auf die Fluchtbewegungen sind eben keine hohen und immer höheren Zäune. Eine Möglichkeit, um die Fluchtursachen zu bekämpfen, ist der Einsatz für eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung, der Einsatz dafür, dass eine Gruppe von Ländern nicht immer reicher wird – auf Kosten anderer Länder, die vollkommen verarmen.

Deutschland hat auch deshalb eine Verantwortung, Flüchtlinge aufzunehmen, weil viele der Flüchtlinge vor Kriegen fliehen, an denen Deutschland direkt oder indirekt beteiligt war. Das Kosovo und Afghanistan sind Beispiele dafür. Wenn man sich vor Augen hält, wie die Situation im Irak ist, dann darf man natürlich nicht ausblenden, dass die Situation im Irak einer jahrzehntelangen westlichen Kriegspolitik geschuldet ist. Wenn man all das Geld, das man in den letzten Jahren und Jahrzehnten für Rüstung und für Kriege ausgegeben hat, in die Entwicklungszusammenarbeit gesteckt hätte, um den Menschen ein gutes Leben zu garantieren, dann wäre einiges gewonnen. Deshalb: Wer

sich an Kriegseinsätzen beteiligt, wer Diktaturen unterstützt und Waffen in alle Welt liefert, der darf sich nicht wundern, wenn die Menschen auf der Suche nach einem menschenwürdigen Leben für sich und ihre Kinder irgendwann ihre Heimatländer verlassen.

Wir alle sollten uns auch dessen bewusst sein, dass es ebenso gut wir, unsere Familien, unsere Kinder sein könnten, die an den europäischen Außengrenzen warten und Schutz suchen. Jeder von uns hätte ebenso gut in einem Kriegsgebiet geboren werden können. Jeder von uns könnte von Hunger, von Armut betroffen sein. Ich finde, auch das sollten wir uns vor Augen halten, wenn wir darüber nachdenken, welche Flüchtlingspolitik wir in Hessen, welche Flüchtlingspolitik wir in Deutschland praktizieren.

Wenn abwertend über „Wirtschafts- und Armutsflüchtlinge“ gesprochen wird, dann frage ich: Wer kann es einer Mutter oder einem Vater ernsthaft vorwerfen, dass sie nicht wollen, dass ihre Kinder in Not und Elend aufwachsen? Wer kann ihnen vorwerfen, dass sie das bestmögliche Leben für ihre Kinder wollen, dass sie wollen, dass ihre Kinder in Frieden, ohne Hunger und mit bestmöglicher medizinischer Versorgung aufwachsen? Wie verzweifelt müssen Menschen denn sein, dass sie sich in Boote setzen und ihr Leben riskieren, um nach Europa zu kommen? Diese Menschen haben sich nichts zuschulden kommen lassen. Sie setzen ihr Leben für die Hoffnung auf ein besseres Leben aufs Spiel. Wer verhindern will, dass diese Menschen massenhaft flüchten, der muss die Fluchtursachen – und nicht die Flüchtlinge – bekämpfen. Man muss den Flüchtlingen vielmehr eine Zuflucht bieten und dafür sorgen, dass die Fluchtursachen bekämpft werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Bundesregierung hat nun einen Gesetzentwurf zur Änderung des Asylrechts vorgelegt, der in krassem Widerspruch zur großen Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung steht. Die geplanten Verschärfungen in den Asylgesetzen sind zum Teil beschämend – das will ich so deutlich sagen –, auch wenn sich SPD und CDU/CSU auf eine angebliche Entschärfung geeinigt haben. Der Kreis der betroffenen Personen wurde etwas verkleinert, aber es sollen weiterhin Leistungen gekürzt werden, was auch viele der Flüchtlinge treffen wird, die in den letzten Wochen von der Bevölkerung an den Bahnhöfen mit Willkommensgesten empfangen wurden. Geldleistungen sollen so weit wie möglich durch Sachleistungen ersetzt werden, und der zwangsweise Aufenthalt in den Erstaufnahmeeinrichtungen soll bis zu sechs Monate lang möglich sein.

Die Organisation Pro Asyl hat erklärt, mit dem Gesetzentwurf würden Abschottung, Abschreckung und Obdachlosigkeit zum Programm. Der Gesetzentwurf verbietet vielen Flüchtlingen die Ausübung einer Erwerbstätigkeit und die Aufnahme oder Fortführung von Bildungsmaßnahmen.

Ich finde es schon erschreckend, in welcher Art und Weise sich die Bundesregierung über unsere Verfassung und auch über Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts hinwegsetzt. Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich deutlich gesagt, die Menschenwürde sei migrationspolitisch nicht relativierbar. Ein Absenken der Sozialleistungen unter das soziokulturelle Existenzminimum ist mit der Verfassung und den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts unvereinbar. Deshalb sind die geplanten Leistungskürzungen eklatant verfassungswidrig.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Das zeigt leider auch, an der grundlegenden Ausrichtung der deutschen Asylpolitik hat sich nichts geändert. Die humanitäre Geste von Kanzlerin Merkel, die syrischen Flüchtlinge aus Ungarn nach Deutschland einreisen zu lassen, war kaum mehr als ein kurzes Aufflackern einer anderen Politik. Aber an einer Fortsetzung dieser Politik scheint die Bundesregierung nicht interessiert zu sein. Sie begibt sich – ich will das so deutlich sagen – in einen Wettbewerb der Schäbigkeiten, und sie beteiligt sich an dem unwürdigen Geschacher um die Aufnahme von Flüchtlingen.

Wir treten dagegen für ein faires Asylverfahren ein, das Asylsuchenden die Chance bietet, ihre Asylgründe umfassend darzulegen. Das Asylrecht ist ein individuelles Grundrecht.

Deshalb steht das ganze Konzept der sicheren Herkunftsstaaten, deren Liste durch den Gesetzentwurf jetzt erweitert werden soll, einem fairen Asylverfahren entgegen; denn in dem Gesetzentwurf wird den Asylsuchenden aus sicher eingestuften Ländern von vornherein unterstellt, dass ihr Asylbegehren unbegründet ist. Den Gegenbeweis zu erbringen – so, wie sie es müssen – gelingt ihnen selten, auch weil die rechtliche Hilfestellung für Asylsuchende nicht besonders gut ist.

Deswegen wenden wir uns ganz entschieden gegen die geplante Erweiterung der Liste der angeblich sicheren Herkunftsländer um Montenegro, Albanien und Kosovo. Man ändert an der Situation in diesen Ländern überhaupt nichts, wenn man sie formal als sicher einstuft. Deswegen ist es ein großer Fehler und eine weitere Aushöhlung des Asylrechts, weitere sogenannte sichere Herkunftsländer festzulegen.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Im Übrigen bin ich auch keineswegs der Ansicht, dass die Lebensumstände vieler Menschen in den Ländern des Westbalkans als sicher gelten können. Angehörige der Roma und Angehörige anderer Minderheiten in den Balkanstaaten sind vielfältigen Diskriminierungen und rassistischen Übergriffen ausgesetzt. Sie leben oftmals in existenzieller Armut. Das zeigen zahlreiche Menschenrechtsberichte.

Ehrlich gesagt, frage ich mich: Warum werden Menschen in den Kosovo abgeschoben, weil es dort angeblich so sicher ist, wenn doch der KFOR-Einsatz der Bundeswehr gerade erst im Sommer mit dem Verweis auf die Sicherheitslage verlängert wurde?

(Beifall bei der LINKEN)