Jeder Mensch – das muss man ihm klarmachen – kann in dieser Gesellschaft etwas. Jeder hat seine Fähigkeiten. Wir müssen ihm die Chance geben, dies auch zu zeigen. Deshalb brauchen wir, und das ist unstreitig, entsprechende individuelle Förderung.
Meine Damen und Herren, in Deutschland hat jeder freien Zugang zu unserem Bildungswesen, zu allen Angeboten. Jeder hat die Chance, das zu nutzen. Aber wir müssen auch denen helfen, die vielleicht von sich aus diese Chancen nicht erkennen. Wir müssen den Wert von Bildung begreifbar machen als Grundvoraussetzung für schulischen Erfolg, Grundvoraussetzung für beruflichen Erfolg und damit letztlich auch gesellschaftliche Anerkennung. Das heißt, wir müssen jedem helfen, wir müssen die natürliche Schere zwischen bildungsaffinen Elternhäusern und bildungsentfernteren Elternhäusern verringern, soweit es staatlich möglich ist.
Aber wir können nicht die Eltern ersetzen. Schule ist ein Gemeinschaftsprodukt. Deshalb müssen wir alles daransetzen, gemeinsam – Schule, Elternhaus und Staat – den schulischen Erfolg zu erzielen, den wir im Interesse unserer Kinder wollen.
Herr Kollege Wagner hat es zu Recht gefragt: Was soll beim Bildungsgipfel herauskommen? Unter anderem ist die Demografie angesprochen worden. Wie schaffen wir es – das sind Fragen, die dort erörtert werden müssen –, wohnortnahe Schul- und Bildungsangebote zu unterbreiten? Wir wollen kleine Grundschulen erhalten: kurze Beine, kurze Wege. Bevor ich eine kleine Grundschule schließe, überlege ich mir, was ich im Vorfeld machen kann, um das zu verhindern, ob das Kombiklassen sind, Verbundschulen, was auch immer. Das sind Überlegungen, über die man im Bildungsgipfel diskutieren kann.
Wir wollen weiterführende Schulangebote in der Fläche erhalten, auch kleine Berufsschulen. Wir wollen nicht immer die Konzentration in den großen Metropolen. Auch vor Ort brauchen wir kleinere, funktionsfähige Berufsschulen. Wir brauchen auch dort kleinere Verbundschulen im Bereich der weiterführenden Schulen. Auch das ist eine Frage, und das ist etwas, was man auf so einem Bildungsgipfel auch diskutieren kann, vielleicht einmal losgelöst von dem Herkömmlichen.
Man kann mir vorwerfen, ich halte nicht viel von gemeinsamem längerem Lernen. Das ist richtig – aus pädagogischen Gründen. Aber man muss trotzdem einmal darüber nachdenken, ob es nicht eine Chance ist, beispielsweise, bevor ich vor Ort im ländlichen Raum eine kleine Schule schließe, darüber nachzudenken, ob ich nicht im Sinne „ein Eingang, zwei Ausgänge“ erst einmal eine gemeinsame Schule mache und vielleicht in einem späteren Stadium oder in Hauptfächern differenziere. Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Aber das ist doch genau das, was in einem Bildungsgipfel erörtert werden muss.
Meine Damen und Herren, ich komme zum letzten Punkt. Der Kultusminister hat ebenfalls völlig zu Recht darauf hingewiesen: Leistungsfähigkeit von Schule und Schulsystem verbessern. Lieber Kollege Degen, das ist kein Lehrerbashing – überhaupt nicht. Aber wir müssen trotzdem überlegen. Wir haben hervorragende Rahmenbedingungen in Deutschland.
Ich möchte auch bewusst eine Vorbemerkung machen. Das Schulsystem in Deutschland ist aus meiner tiefen Einschätzung und Überzeugung heraus wesentlich besser als sein Ruf, wie es gelegentlich einmal dargestellt wird. Wir haben Spitzeningenieure, -handwerker, -techniker, -meister. Das duale System ist weltweit einzigartig, Erfolg für „Made in Germany“. Deutsche Produkte genießen Weltruf. Wir sind regelmäßig Exportweltmeister, sodass die EU schon überlegt, ob sie nicht Strafzölle auferlegt. Das will ich an dieser Stelle nicht weiter vertiefen und kommentieren.
Deutschland verfügt über exzellente Wissenschaftler, hervorragende Universitäten, Akademiker, medizinische Spitzenleistungen. Deutschland hat eine hervorragende Infrastruktur, ein hervorragendes Sozialsystem. Wir haben die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in Europa, so viele Beschäftigte wie noch nie in diesem Staat. Und wir sind mit Abstand am besten aus der Weltwirtschaftskrise herausgekommen. Glaubt denn allen Ernstes irgendjemand, das wäre möglich gewesen, wenn wir so ein bescheidenes, schlechtes Schulsystem in Deutschland hätten?
Das, was wir geleistet haben, ist Ausdruck der Leistungsfähigkeit unseres Schulsystems, unserer Anstrengungen, parteiübergreifend der Politik aller Bundesländer. Ich glaube, das sollte man gelegentlich auch einmal formulieren.
Wir können aus meiner Sicht gemeinsam darauf auch durchaus ein klein wenig stolz sein. Das heißt doch nicht, dass es nichts zu verbessern gibt. Das Bessere ist der Feind des Guten. Deshalb ist es richtig, gemeinsam darüber nachzudenken, was wir verändern können, wie die Leistungsfähigkeit von Schule optimiert werden kann.
Ich will nur einige wenige Fragen vortragen, die man auf einem Bildungsgipfel weiter vertiefen könnte. Kollege Greilich hat einige Fragestellungen vermisst. Aber Sie hätten auch ein paar Fragen stellen können, also zur Frage Selbstständigkeit: Reicht das, was wir haben? Muss es weiter ausgebaut werden? Was ist mit der Selbstverantwortung von Schulen? Reicht es möglicherweise, eine Teilselbstständigkeit von Schule zu haben?
Wie können wir verstärkt gemeinsam Bildungsbudgets von Land und Schulträger vereinbaren und zusammenlegen? Was ist mit der Zusammenarbeit von Schulträgern und Land generell? Was können wir dort machen? Was ist mit den pädagogischen Rahmenbedingungen? Wie geht es mit dem Sozialindex weiter? Reicht das? Müssen wir verstärkt noch etwas machen oder nicht? Wie geht es mit der Ganztagsschulentwicklung weiter? Flächendeckend für alle? Zwangsweise bis zum Nachmittag, oder reichen ausgewählte Angebote vor Ort?
Wie können wir konkret gemeinsam überlegen, wie der Pakt für den Nachmittag implementiert werden kann? Brauche ich eine Weiterentwicklung der Schulinspektion z. B. in Richtung einer Taskforce? Das sind doch Fragen. Wie finde ich Schulaufsicht, Staatliche Schulämter in den Bereichen der Beratung, der internen und der externen Evaluation? Wie öffne ich Schule nicht nur am Nachmittag im Bereich der Ganztagsangebote, sondern wie öffne ich Schule – ich glaube, Kollege Wagner hat es zu Recht gesagt – auch im Binnenverhältnis im Vergleich zu anderen Schulen? Best-Practice-Beispiel: Wie können wir voneinander lernen?
Diese Kultur der Offenheit müssen wir herstellen. Wir haben sie partiell. Aber sie ist sicher noch verbesserungsfähig. Das sind pädagogische Fragen, die wir aus meiner Sicht auf einem Bildungsgipfel auch erörtern müssen.
Welche Formen der Fortbildung, der Weiterbildung, der Ausbildung gibt es? Was hilft Schulen konkret? Brauchen wir nach Abwicklung des Landesschulamtes – es wird Sie nicht verwundern, dass ich darüber nicht böse bin – eine Art hessischer Lehrerakademie, die alles bündelt, was irgendwie mit Pädagogik zu tun hat? Das sind auch Fragen, die man auf einem Bildungsgipfel erörtern muss.
Wie erziele ich ein gutes Schulklima nicht nur im Binnenverhältnis Schulleitung zu Kollegium, Schüler zu Lehrer? Das Raumtechnische gehört auch dazu. Meine Damen und Herren, ich war 20 Jahre in verschiedenen Schulen tätig. Es war teilweise zum Kotzen – salopp formuliert –,
welche hässlichen Betonklötze vonseiten des Schulträgers bestanden. Ich nehme hier niemanden außen vor, egal, wer regiert hat. Viele von uns kennen Schule auch intern aus pädagogischer Sicht und aus schulischer Sicht – auch klar.
Meine Damen und Herren, wenn ich so manche hässlichen Betonklötze sehe: Da kann doch überhaupt kein Schulklima entstehen. Deshalb ist auch das ein wichtiger Aspekt, was Schulklima angeht.
Wir brauchen eine helle, freundliche Atmosphäre, eine angenehme Lernumgebung. Und wir brauchen die entsprechenden Fachräume. Das heißt, der Schulträger ist auch hier gefordert, seinen Teil dazu beizutragen. Deshalb ist es natürlich auch richtig, dass der Schulträger beim Bildungsgipfel dabei ist. Auch er ist gefordert. Es ist ein gemeinsames Werk – Schulträger, Land, Eltern, Schüler. Dann wir ein Schuh daraus und nicht anders.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hermann Schaus (DIE LINKE): Schulträger brauchen auch Geld! – Gegenruf des Abg. Manfred Pentz (CDU): Sehr richtig!)
Es ist oft eine Frage, auch das ist für mich ein Teil des Bildungsgipfels: Wie kann ich denn die Arbeit von Schulleitungen, von Kollegien erleichtern? Wie kann ich Entlastungen erreichen? Entbürokratisierung ist beispielsweise für uns ein wichtiges Stichwort. Brauche ich jede Statistik? Brauche ich jede Verordnung? Muss ich jeden Erlass in dieser Form haben? Gibt es dort irgendwo Ressourcen?
Deshalb bin ich der Auffassung, dass wir einmal schauen müssen, ob wir nicht die Praktiker zusammenholen, wie wir das auf dem Bildungsgipfel machen wollen. Die Praktiker können uns schon sehr wohl sagen: Darauf kann man verzichten, und das brauchen wir zwingend. – Deshalb ist das für mich ein ganz wichtiger Aspekt, die Praktiker hineinzuholen, um Rat zu fragen und letzten Endes auch ergebnisoffen an sie heranzugehen.
Meine Damen und Herren, wie kann ich beispielsweise Spielräume für die Entlastung von Lehrern und Schülern gewinnen? Wie sind die Arbeitsplatzbedingungen für Pädagogen? Im Übrigen ist das auch eine Wertschätzung kommunaler Art, wenn die Arbeitsbedingungen für Lehrer auch einmal gelegentlich überprüft werden, die nicht immer unbedingt als optimal zu bezeichnen sind.
Anerkennung des nicht immer einfachen pädagogischen, erzieherischen und bildungspolitischen Auftrages, den Lehrer heute leisten – Kollege Wagner, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu. Wir können kein Lehrerbashing gebrauchen, sondern wir müssen gelegentlich in dieser Gesellschaft einmal stärker deutlich machen, welche wertvolle Arbeit unsere Pädagogen in diesem Land letzten Endes für uns leisten.
(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Gerhard Merz (SPD))
Ich wünschte mir, dass unsere Lehrer im Bewusstsein der Öffentlichkeit irgendwann den Status wie beispielsweise in Finnland haben, wo sie von der sozialen Wertigkeit her die am zweithöchsten bewertete Berufsgruppe sind.
Natürlich, da machen wir uns bitte auch nichts vor, liegt das auch ein klein wenig in der Eigenverantwortung des Lehrers, des Pädagogen. Auch die haben ihren Teil dazu beizutragen, dass die entsprechende Akzeptanz und Anerkennung vorhanden sind.
Ich komme zum letzten Punkt. Auch das gehört zu einem solchen Bildungsgipfel: Wie ist es denn möglich, die besten Lehrer, die Besten eines Jahrgangs im Grunde genommen für diesen Beruf zu begeistern, Beruf im Sinne von Berufung und nicht Job? – Prof. Rauin, nicht weit weg von hier an der Universität Frankfurt, oder die SchaarschmidtStudie, da können Sie Potsdam, da können Sie alle nehmen, wie Sie wollen, alle sagen: Wir brauchen diejenigen, die innerlich pädagogisch brennen, die Freude am Umgang mit jungen Menschen haben, die das gern machen, die das nicht als Job empfinden, sondern sagen: Jawohl, ich mache eine ganz Menge mit meinen Schülern, weit über das normale Maß hinaus. – Schüler sind dann auch gern bereit, mitzumarschieren.
Sie können pädagogisch im besten Sinne des Wortes – Kollege Quanz wird es beurteilen können – junge Menschen für einen Beruf, für Fächer, für Kombinationen begeistern. Und das muss uns im Grunde genommen gelingen. Die Metastudie von Prof. John Hattie hat eines ergeben. Er hat 800 Metastudien mit über 50.000 Einzelstudien ausgewertet. Er fasst das zusammen, was an anderer Stelle längst bekannt ist, aber wissenschaftlich valide untermauert.
50 % des Bildungserfolges eines jungen Menschen ist der gute Lehrer, ist der Pädagoge. Das heißt, wenn wir das wissen, dann müssen wir alles daransetzen, auch dazu beizutragen, dass wir nicht nur 90 % oder 95 % exzellente Pädagogen haben, sondern möglicherweise eines Tages 100 %. Das muss doch unser gemeinsames Ziel sein, meine Damen und Herren. Wie ich das erreichen kann – ob Praxissemester, Praktika oder wie auch immer –, das sei einmal dahingestellt. Das gehört auch zu einem solchen Bildungsgipfel.
Das wollen wir machen. Deshalb glaube ich – das war nur eine ganz kleine Auswahl von Fragen, die ich bewusst gestellt habe, von Themen, die dort zu erörtern sind – dass wir mit einem Bildungsgipfel gut aufgestellt sind. Wir brauchen diesen Bildungsgipfel, um allen Beteiligten aus meiner Sicht zumindest bewusst zu machen, dass wir schulischen Erfolg und damit gesellschaftspolitischen und Lebenserfolg unserer Kinder nur erreichen können, wenn wir es schaffen, gelegentlich einmal die Grabenkriege zu überwinden, die Schützengräben zu überwinden.
Wenn wir es einmal schaffen würden, über den eigenen ideologischen Tellerrand hinauszuschauen, dann würden wir eine tolle Chance haben. Verehrte Kollegen der SPD,
wir sind bereit, in der Enquetekommission konstruktiv mitzuarbeiten, wie wir es unter Beweis gestellt haben.
Ich bitte Sie und wünsche mir von Ihnen, dass Sie genauso konstruktiv beim Bildungsgipfel mitarbeiten. Ich bin überzeugt, dass diejenigen, die am Bildungsprozess beteiligt sind, nämlich die Pädagogen und die Verbände, ihren Teil dazu beitragen werden. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass sie sich dieser Verantwortung stellen. Wenn Sie mitmachen – wir sowieso –, dann, so glaube ich, kann ein solcher Bildungsgipfel gemeinsam mit der Enquetekommission ein Erfolg werden. Das muss doch letzten Endes unser Ziel für Hessen sein.
Herr Irmer, danke. – Mir liegen für diese Debatte keine Wortmeldungen mehr vor. Damit ist die Regierungserklärung entgegengenommen und besprochen.
Mit aufgerufen wurde Tagesordnungspunkt 11. Das ist die erste Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein Gesetz zur Änderung des Hessischen Schulgesetzes. Dieser soll zur weiteren Beratung dem Kulturpolitischen Ausschuss überwiesen werden. Es widerspricht niemand? – Dann ist das so.