Protocol of the Session on April 28, 2015

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Waschke. – Als Nächste spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Kollegin Hammann. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieses Jahr fallen zwei Tage mit besonderer Bedeutung zeitlich eng zusammen: Am 8. Mai jähren sich zum 70. Mal das Kriegsende und die Befreiung Deutschlands von der Tyrannei des Nationalsozialismus, und am 9. Mai be

gehen wir den Europatag. Ich möchte dies zum Anlass nehmen, darauf hinzuweisen, dass Frieden und Freiheit in Europa nicht von der Europäischen Union zu trennen sind.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Es war der französische Außenminister Robert Schuman, der am 09.05.1950 die Grundzüge einer Europäischen Gemeinschaft in einer Regierungserklärung darstellte. Sein Ziel war es, die Völker Europas zusammenzubringen und dauerhaft Frieden zu schaffen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist gelungen. Die Europäische Union ist eines der größten Friedensprojekte, das größte Friedensprojekt unserer Zeit. Darauf können wir alle sehr stolz sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie der Abg. Sabine Waschke (SPD) – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Die Europäische Union steht für Frieden, für die Überwindung von Grenzen, ein Zusammenwachsen und eine fortwährende Integration von Staaten, die sich zuvor in teils jahrhundertelanger Feindschaft gegenübergestanden sind. Dass Deutschland heute „von Freunden umzingelt“ ist, ist auch ein Verdienst der europäischen Einigung. Würde da heute noch irgendjemand davon reden, dass unsere französischen Nachbarn mit uns in einer Erbfeindschaft verbunden sind? – Nein, heute versuchen wir, die Probleme gemeinsam zu lösen statt einander entgegenstehend. Diese Gemeinsamkeit muss uns allen sehr wichtig sein; denn es ist auch festzustellen: Mit nationalen Alleingängen lässt sich kaum etwas erreichen, gerade wenn es um internationale Krisen geht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie der Abg. Sabine Waschke (SPD))

Das Schengener Abkommen hat zum Wegfall der Grenzkontrollen im europäischen Raum geführt, und die Grenzen sind heute keine Hürden mehr, die es zu überwinden gilt.

(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Die Menschen Europas sind in den vergangenen Jahrzehnten näher zusammengerückt. Auf kommunaler Ebene haben sich Städte- und Gemeindepartnerschaften gebildet. Auch das Land Hessen hat sich engagiert und ist mit Bursa, mit der Wielkopolska, mit der Aquitaine, mit der Emilia-Romagna jeweils eine gute regionale Partnerschaft eingegangen.

Was ganz wichtig ist: Es sind die jungen Menschen, die wir in Europa brauchen. Daher ist es auch gut gewesen, dass junge Generationen im Jugendaustausch, gerade auch durch Erasmus-Mundus-Programme, ihre Nachbarn kennen- und schätzen gelernt haben. Ich sage ganz deutlich: Es gibt keine bessere Vorbeugung gegen Krieg und Rassismus. Das gegenseitige Kennenlernen, das Sich-Achten und der Respekt voreinander sind das, was Europa zusammenhält.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Deshalb war es auch folgerichtig, dass die Europäische Union im Jahr 2012 den Friedensnobelpreis für den sechs Jahrzehnte lang bestehenden Beitrag zur Förderung von Frieden, Versöhnung, Demokratie und Menschenrechten in Europa erhalten hat.

Aus dem Erreichten und den Ehrungen folgt jedoch auch eine Verantwortung – wenn nicht sogar eine ganz klare Verpflichtung: Wir müssen mit Europa und mit den europäischen Werten sorgsam umgehen. Es liegt an uns allen, wie sich Europa weiterentwickelt. Wir haben uns zu einer politischen Union zusammengefunden, sind immer mehr zusammengewachsen und profitieren auch von all diesen Vorteilen, die mit der Europäischen Union verbunden sind.

Doch gibt es auch in solchen staatlichen Zusammenschlüssen nicht nur gute Tage. Gerade die letzten Tage zählen bestimmt zu den düstersten Tagen unserer europäischen Grenzpolitik. Es wurde vorhin schon angesprochen, und ich bin Herrn Kartmann außerordentlich dankbar, dass er als Landtagspräsident das gleich zu Beginn zum Thema gemacht hat. „Europas Werte dürfen nicht untergehen!“ – so lautet ein Aufruf von deutschen und italienischen Parlamentariern. Dies ist eine Verpflichtung für uns alle.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Das Mittelmeer ist zu einer Todesfalle für Flüchtlinge geworden. Es sind unglaubliche Tragödien, die sich im Mittelmeer abspielen. Es sind Menschen, die in überfüllten, seeuntüchtigen Booten verzweifelt versuchen, nach Europa zu gelangen. Die Fluchtursachen sind uns klar. Es ist Hunger, es ist Verfolgung, es ist Krieg, es sind mangelnde Perspektiven gerade auch für junge Menschen, die sie dazu bringen, ihre Heimatländer zu verlassen, um in Deutschland Zuflucht zu finden. Diese Bilder machen betroffen. Wer es sich im Fernsehen anschaut, wer die Medienberichterstattung verfolgt, der kann erkennen, dass hier dringender Regelungsbedarf gegeben ist. Tausende Flüchtlinge sterben an den europäischen Außengrenzen, ca. 1.350 Tote allein in den letzten beiden Wochen, ertrunken im Mittelmeer und, wie einige sagen, vor der „Festung Europa“. Es sind Flüchtlingskatastrophen, die uns einfach nicht ruhen lassen dürfen, Flüchtlingskatastrophen, die uns alle moralisch zwingen, endlich auch wirksame Hilfsmaßnahmen zu ergreifen. Die Zahlen sind doch erschütternd: 23.000 Tote in den Jahren 2000 bis 2013 – Zahlen, die belegen, dass die bisherige europäische Grenzpolitik sich dringend verändern muss. Es ist auch festzustellen, dass der LampedusaGipfel im Jahr 2013 keine Erfolge gebracht hat. Umso dringender ist es, ein Rettungsprogramm zu starten. Es muss ein Rettungsprogramm sein, das mindestens dem Umfang und dem Standard von „Mare Nostrum“ entspricht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Wir müssten doch erkennen, dass das Programm „Triton“ als Rettungsprogramm nicht ausreichend war und dass eben nur an den küstennahen Bereichen Flüchtlinge aufgenommen werden konnten. „Mare Nostrum“ war in diesem Zusammenhang viel weitergehend.

(Beifall des Abg. Turgut Yüksel (SPD))

Dann müssen wir einfach ehrlicher darüber diskutieren und uns überlegen, wie diese Menschen, die dazu gezwungen werden, ihr Land zu verlassen, auch aus dem Mittelmeer gerettet werden könnten. Es muss alles getan werden – ich betone es noch einmal –, um diesen verzweifelnden Menschen zu helfen. Ich begrüße es außerordentlich, dass Frau Außenministerin Puttrich – Entschuldigung, Europaministerin Puttrich – –

(Allgemeine Heiterkeit – Zuruf des Abg. Michael Siebel (SPD))

Auch nicht schlecht. – Sie hat – noch einmal betont – etwas sehr Richtiges festgestellt; sie hat das bereits in ihrer letzten Presseerklärung getan, und ich finde es klug, dass sie es heute in der Regierungserklärung, die sie abgegeben hat, erneut getan hat. Sie hat im Namen der Landesregierung ganz klar Stellung bezogen: Das Mittelmeer darf keine Todesfalle für Flüchtlinge bleiben. Wenn wir Europäer es mit unseren europäischen Werten ernst meinen, dann dürfen wir einfach nicht länger zusehen, wie Hunderte bzw. Tausende, die sich voller Hoffnung auf den Weg nach Europa machen, vor unseren Küsten sterben;

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

denn Europa ist auch ein Kontinent der Solidarität und der Humanität. – Meine Vorrednerin hat das ebenfalls betont. Das Wohl der Menschen muss im Vordergrund stehen. Das muss uns ein Anliegen sein.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, alle Anstrengungen müssen unternommen werden, um weitere Opfer zu verhindern. Asylsuchende dürfen nicht gezwungen sein, den gefährlichen Seeweg zu nutzen, sich in die Hände von Schleppern zu begeben, nicht wissend, ob sie das rettende Ufer erreichen, nicht wissend, ob sie in einem europäischen Land Fuß fassen können, sodass sie auch eine Zukunft haben. Europa muss daher dringend legale und sichere Wege nach Europa für Asylsuchende schaffen. Daran führt kein Weg vorbei.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dazu gehört im Sinne der europäischen Solidarität auch eine gerechte Verteilung von Flüchtlingen zwischen den Mitgliedstaaten, eben auch unter Berücksichtigung sozialer, sprachlicher und familiärer Bezugspunkte. Auch gegenüber Mitgliedstaaten, die besonders viele Flüchtlinge aufnehmen, sind wir im europäischen Geiste verpflichtet, diese in ihrer Aufgabe zu unterstützen.

Doch um es deutlich zu sagen: Die Menschen brauchen in ihren Herkunftsländern Veränderungen. Wenn die Menschen dort bleiben sollen, müssen sich deren Lebensbedingungen verändern. Sie müssen Perspektiven haben, um in ihrem eigenen Land zu bleiben. Das heißt, auch in diesen Ländern müssen demokratische Systeme etabliert werden. Die Wahrung der Menschenrechte sowie eine nachhaltige, wirksame Entwicklungszusammenarbeit und auch die Beseitigung unfairer Wirtschafts- und Handelsstrukturen sind Dinge, die umgesetzt werden müssen. Sie gehören dazu, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU sowie der Abg. Heike Hofmann (SPD))

Politisch Verfolgte genießen Asylrecht, das sagt das Grundgesetz. Hier zu helfen, dies muss man immer wieder betonen, ist nicht einfach eine Wohltat, die von uns kommt, sondern es ist eine Verpflichtung, die wir alle aufgrund des Grundgesetzes haben. Deshalb muss es auch unser aller Bemühen sein, die Not dieser Menschen zu lindern. Dies kann man nur mit Taten schaffen.

Ich gebe Frau Kollegin Waschke recht: Wir diskutieren schon seit vielen Jahren über Veränderungen in diesem Be

reich. Es müssen wirklich nachweisbare positive Schritte eingeleitet werden, damit dieses Elend, das wir feststellen müssen und das wir immer wieder über die Medien gezeigt bekommen, endlich beendet wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Aber ich nehme mir gleich auch den Dringlichen Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE vor. Leider ist dieser Entschließungsantrag sehr, sehr spät eingegangen. Das mag der Zeit geschuldet sein. Es sind sehr viele Denkansätze darin, liebe Kolleginnen und Kollegen der LINKEN. Aber Sie wissen auch, dass keine einfachen Lösungen möglich sind. Deshalb ist es auch notwendig, dass man eine Diskussion darüber im zuständigen Ausschuss führt.

Ich kann Ihnen wirklich nur empfehlen, dass Sie diesen Dringlichen Entschließungsantrag zur Diskussion an den Ausschuss überweisen. Ansonsten würde man Ihnen, das sage ich Ihnen ganz deutlich, den Vorwurf machen, dass es Ihnen nicht um die Diskussion geht, sondern dass Sie einfach nur medial einen Aufschlag machen, was die Zielsetzung der LINKEN angeht. Damit, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen der LINKEN, hätten Sie aber den Menschen einen Bärendienst erwiesen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der CDU und der SPD)

Wenn wir etwas erreichen wollen, müssen wir auch inhaltlich diskutieren können, und dann müssen wir auch die Verantwortlichen benennen, die in diesen Bereichen die Zuständigkeit haben. Wir können viele Wünsche äußern. Ob das am Ende von den Verantwortlichen wahrgenommen und umgesetzt wird, ist wieder eine andere Frage. Aber wir können uns verständigen und darstellen, wo wir Veränderungen für notwendig erachten – und dazu dient ein Ausschuss im Hessischen Landtag.

Ich kann Sie wirklich nur eindringlich bitten – ansonsten müssten wir diesen Antrag ablehnen –, dies an den Ausschuss zu überweisen, sodass eine konstruktive Diskussion auch möglich ist. Eine Verweigerung an dieser Stelle wäre schlecht; denn es würde der Sache nicht dienen.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Lassen Sie uns noch einmal zu Hessen kommen. Unsere Aufgabe in Hessen ist es, Flüchtlingen eine humane Lebensperspektive und Chancen auf ein neues Leben in Frieden zu geben. Dabei stehen Menschenrechte und gelebte Humanität im Mittelpunkt unserer hessischen Asyl- und Flüchtlingspolitik. Dies muss man ebenfalls deutlich festhalten. Wir setzen uns für den Schutz und eine humane und menschenwürdige Lebensperspektive der Flüchtlinge ein.

Wir begrüßen es sehr, dass sich so viele Menschen engagieren, dass sich die Kommunen einbringen und ehrenamtlich arbeitende Menschen dafür sorgen, dass sich die Flüchtlinge, die Asylsuchenden willkommen fühlen. Wir begrüßen es, dass die Landesregierung das Landesaufnahmerecht evaluiert, entsprechend den bundespolitischen Neuregelungen anpasst sowie die EU-Richtlinie für besonders Schutzbedürfte aktiv umsetzt und bei der Erstaufnahme den Unterstützungsbedarf klärt.

Lassen Sie mich zu einem anderen Thema kommen; denn auch innerhalb Europas gibt es nun einmal noch weitere Probleme, die ebenfalls schon angesprochen wurden, Stichwort: Griechenland. Das Defizit von Griechenland

und die Frage nach dem Verbleib Griechenlands in der Europäischen Währungsunion ist das Thema, das uns ebenfalls beschäftigt und die Medienberichterstattung ausfüllt.

Zu den europäischen Werten gehört es auch, einander mit Respekt zu begegnen. Respekt heißt, dass wir gegenüber den Regierungen anderer Mitgliedstaaten eine offene und konstruktiv-kritische Haltung einnehmen. Ich glaube, dies ist immer notwendig und auch angebracht. Zugleich müssen wir alles dafür tun und dazu beitragen, dass Fremdenfeindlichkeit keinen Vorschub erhält. Gerade mit Blick auf die griechische Bevölkerung kann ich nur sagen, dass wir alles tun sollten, um eine Akzeptanz für notwendige Reformen – insbesondere bei der Bevölkerung – zu erreichen. Dies ist dringend notwendig.

Dazu gehört aber, dass auch wir erkennen und mit empfinden, welche schmerzhaften Einschnitte die bisherigen Reformschritte in die Lebenswirklichkeit brachten.

(Beifall der Abg. Heike Hofmann (SPD) und Manfred Pentz (CDU))

Dies bedeutet auch, dass wir uns eine Vorstellung davon machen müssen, was die notwendige Rettungspolitik der Troika mit den Menschen in Griechenland macht, dass wir mindestens der Empathie den Vorrang vor Vorurteilen geben, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der CDU)