Protocol of the Session on October 16, 2014

Ich stimme auch Herrn Erwin Sellering von der SPD zu, wenn er formuliert:

Die DDR war kein Rechtsstaat, überhaupt keine Frage. Aber das Etikett „Unrechtsstaat“ zielt darauf ab, die DDR insgesamt abzustempeln.

(Kurt Wiegel (CDU): Weil der eine eigene Meinung hatte!)

Ich gebe sowohl Herrn de Maizière als auch Herrn Sellering an dieser Stelle 100-prozentig recht.

(Holger Bellino (CDU): Unerhört ist das!)

Deswegen ist es vollkommen richtig, Unrecht und Verbrechen in der DDR auch im Namen und unter tätiger Mitwirkung der SED Unrecht und Verbrechen zu nennen, wie wir das in Hessen tun und wie wir das in Thüringen tun.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte auf ein weiteres Zitat verweisen. Diesmal zitiere ich mich selbst, aus der 18. Wahlperiode, 43. Sitzung vom 29. April 2010. Das ist also auch schon mehr als vier Jahre her:

Wir haben uns als Partei wie keine andere Partei mit unserer Vergangenheit in einer unserer Quellparteien ausführlich auseinandergesetzt. Das haben wir getan, weil es eben zu unserer Geschichte gehört. Wir haben immer wieder das Unrecht und die Verbrechen in der DDR, die im Namen der DDR und der SED begangen worden sind, Unrecht und Verbrechen genannt. Das tue ich bis heute.

Wir haben den Mauerbau verurteilt, wir haben die Toten gewürdigt, wir haben uns dafür entschuldigt.

Das, was ich gerade gesagt habe, können Sie in allen unseren Publikationen und auf all unseren Webseiten en détail nachlesen.

Soweit am 29. April 2010.

(Beifall bei der LINKEN – Armin Schwarz (CDU): Den Mauerfall haben Sie verurteilt!)

Meine Damen und Herren, nicht nur von der CDU aus der Distanz von 25 Jahren – –

(Holger Bellino (CDU): Haben Sie auch das Geld zurückgegeben, das Sie von dort erhalten haben? – Gegenruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE): Kümmern Sie sich einmal um Ihre schwarzen Kassen! Da haben Sie genug zu tun! – Gegenruf des Abg. Manfred Pentz (CDU) – Glockenzeichen der Präsidentin)

Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe für den Redner.

Wenn Sie die Geldfrage ansprechen, so haben Sie in der CDU mehr Gelder aus den Blockflötenparteien mitgenommen und haben heute mehr ehemalige SED-Mitglieder in Ihren Reihen als meine Partei.

(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der CDU)

Meine Damen und Herren, aus der Distanz von 25 Jahren wünsche ich mir mittlerweile doch mehr Gelassenheit,

(Manfred Pentz (CDU): Gelassenheit?)

sowohl gegenüber den belegbaren Vorzügen des Lebens in der DDR als auch gegenüber der Massenindoktrination und deren Folgen. – Ich bedanke mich.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. – Als Nächster hat Herr Kollege Quanz, SPD-Fraktion, das Wort.

(Holger Bellino (CDU): „Die Vorzüge der ehemaligen DDR“ – das ist das Allerletzte!)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Erneut dürfen wir ein bekanntes Ritual erleben: Die GRÜNEN baden wohlig im Fettnäpfchen,

(Günter Rudolph (SPD): Die CDU!)

und die CDU übernimmt die Rolle des Bademeisters.

(Beifall der Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE) und Jürgen Lenders (FDP))

Meine Damen und Herren, eine Redezeit von fünf Minuten für ein durchaus komplexes Thema ist nicht angemessen. Deshalb bleiben nur klare Striche, und deshalb müssen wir in eine Diktion verfallen, die klar pointiert, die aber einer Differenzierung möglicherweise nicht nahe genug kommt.

Es ist so: Wenn Reisefreiheit, Meinungs- und Demonstrationsfreiheit nicht gewährt werden, wenn die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit von staatlicher Bevormundung nicht gegeben ist, wenn Wahlen gefälscht werden, wenn der staatliche Überwachungsapparat bis in die letzte Intimsphäre des Privaten eindringt, wenn Grenzsicherungssysteme nicht nach außen gerichtet sind, sondern gegen die eigenen Bürgerinnen und Bürger – dann herrscht Unrecht und eben keine Rechtsstaatlichkeit.

(Allgemeiner Beifall)

Warum gab es z. B. im Rechtssystem der DDR keine Verwaltungsgerichtsbarkeit – ein Rechtsinstrument zum Schutz des Bürgers, das den Rechten des Bürgers gegenüber dem Staat Durchsetzungsmöglichkeiten bietet? Warum kommt es denn im Jahr 1989 zu Massendemonstrationen gegen dieses Unrecht, kommt es zur friedlichen Revolution, zu einem Einigungsprozess, und die glückliche Wiedervereinigung findet 1990 statt? – Ich zitiere aus der Gründung des NEUEN FORUMS von 1989:

Allen Bestrebungen, denen das NEUE FORUM Ausdruck und Stimme verleihen will, liegt der Wunsch nach Gerechtigkeit, Demokratie, Frieden sowie Schutz und Bewahrung der Natur zugrunde.

Dafür gingen die Bürgerinnen und Bürger auf die Straße, zeigten Rückgrat, als es noch gebrochen werden konnte, zeigten ihr Gesicht, als die Greifarme der Krake Stasi noch greifen konnten.

(Vizepräsident Wolfgang Greilich übernimmt den Vorsitz.)

Über die Gründung der SDP am 7. Oktober 1989, der Vorläuferin der SPD, ist zu lesen – ich zitiere –:

Alles musste konspirativ ablaufen bei der Gründung der SDP am 7. Oktober 1989. Die Sorge war groß, dass sich das kleine Häufchen mutiger Bürgerrechtler um die Pastoren Martin Gutzeit und Markus Meckel nicht wie geplant im Pfarrhaus von Schwante trifft, sondern im Stasi-Knast von Berlin-Hohenschönhausen endet.

Dazu noch einmal grundsätzlich: Das Wesentliche eines demokratischen Rechtsstaates sind die garantierten Rechte einer Opposition. Wie es damit bestellt war, zeigen diese Äußerungen anlässlich der Gründung der SDP.

Ein Wort zur Differenzierung. Gesine Schwan hat recht, wenn sie darlegt, dass nicht jedes Urteil im Arbeits- oder Verkehrsrecht auf der Basis des real existierenden Sozialismus, sondern nach geltendem Recht gefällt wurde. Sie verlangt zu Recht auch, dass die Arbeit und das Leben sämtlicher ehemaliger DDR-Bürger nicht unter einen moralischen Generalverdacht gestellt werden darf.

Man darf die 17 Millionen Menschen in der früheren DDR selbstverständlich nicht in Täter und Opfer einteilen. Aber um gerade den Opfern des Systems gerecht zu werden, muss deutlich gemacht werden, dass das Unrecht in der DDR systemisch bedingt war, staatlich organisiert war und der Absicherung der Herrschaft der SED, vereint in den Blockparteien, diente.

(Allgemeiner Beifall)

Ich sage Ja zu der notwendigen Differenzierung in der Aufarbeitung der Geschichte. Aber auch und gerade die Rolle der sogenannten Blockparteien muss geklärt werden.

Aufklärung, ja, Differenzierung, ja, aber Relativierung des staatlichen Unrechts, nein.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Gesine Lötzsch, DIE LINKE, stellt richtigerweise fest:

Ja, in der DDR wurden Gesetze gebrochen, Menschenrechte verletzt und Oppositionelle schikaniert und verfolgt. … Doch kann man deshalb von einem Unrechtsstaat sprechen?

Auf Twitter bekam sie die, wie ich glaube, richtige Antwort – ich zitiere –:

Ja, es ist groß, grau, hat einen Rüssel und trompetet. Aber ob es deshalb ein Elefant ist?

(Heiterkeit)

Ja, es ist ein Elefant, und ja, es war ein Unrechtsstaat.

(Beifall bei der SPD, der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)