Protocol of the Session on February 4, 2014

Das Wort erhält der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Herr Kollege Schäfer-Gümbel. Bitte schön.

Es waren 45 Minuten, und die sind auf 61 erhöht worden. – Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Ministerpräsident und auch meine sehr verehrten Ministerinnen und Minister, zunächst möchte ich Ihnen herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Wahl und Ihrer Vereidigung sagen. Sie haben in den nächsten fünf Jahren eine verantwortungsvolle Aufgabe. Dazu wünsche ich Ihnen persönlich zumindest erst einmal alles Gute, vor allem Kraft und Gesundheit.

(Beifall bei der SPD, der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesen Tagen wird viel über Stil und den neuen Stil geredet. Deswegen ist es mir ein Anliegen, zu Beginn dieser Regierungserklärung genau dazu einige

Bemerkungen zu machen. Das soll gerade auch im Licht der Abläufe der letzten Tage geschehen.

Ich will für die Mitglieder der sozialdemokratischen Landtagsfraktion Folgendes sehr klar sagen: Wir wollen das, was in den Sondierungsgesprächen nach einem Wahlergebnis, das sich niemand von uns gewünscht hat, gelungen ist, nämlich ein Stück weit die Fronten abzubauen und respektvoller miteinander umzugehen, bewahren. Da geht es um den Respekt gegenüber den Personen. Aber das will ich klar sagen: Es geht auch um Klarheit in der Sache.

(Beifall bei der SPD)

Demokratie braucht Alternativen, und zwar parlamentarisch wie inhaltlich. Dass es Alternativen geben kann, das sehen wir anhand der Bündnisgrenzen, die sich nach dem 22. September 2013 im Hessischen Landtag verschoben haben. Der neue Stil darf nicht dazu führen, dass jede Form der politischen Alternative sofort mit der Bemerkung diskreditiert wird: Das geht jetzt aber nicht, denn der neue Stil erfordert eigentlich, dass man erst einmal zuhört und sich ansieht, was die Regierung tut. Dahinter macht man dann einen Haken. – So wird der neue Stil ganz sicherlich nicht funktionieren.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Wolfgang Grei- lich (FDP))

Deswegen werden wir in den nächsten fünf Jahren – es sind bis zu fünf Jahre – die inhaltlichen Alternativen im Hessischen Landtag natürlich immer wieder diskutieren. Ich glaube, wir werden viele Anlässe haben, zu diskutieren.

Im Übrigen werden wir dabei Ihr Bündnis bewerten, das Sie eingegangen sind. Genauso werden wir das bewerten, was Sie inhaltlich zu tun haben.

Ich will klar sagen: Dass Sie, Schwarz und Grün, miteinander kooperieren, ist Ihnen nicht vorzuwerfen. Ich sage ausdrücklich, dass das nicht der Fall ist. Das muss in einer parlamentarischen Demokratie möglich sein.

Meiner Ansicht nach ist das eher ein Macht- als ein Gestaltungsbündnis. Damit müssen Sie leben. Ich glaube, dass Sie das unter dem Strich gut können. Ich glaube, dass Ihr Koalitionsvertrag mehr den Charakter eines Burgfriedens hat,

(Janine Wissler (DIE LINKE): Damit kennt sich die SPD aus!)

als dass er sozusagen eine Blaupause für die Gestaltung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen in diesem Land in den nächsten Jahren sein wird.

(Beifall bei der SPD)

Herr Ministerpräsident, ich weiß nicht, ob Sie all das glauben, was Sie hier eben so angestrengt verlesen haben.

(Günter Rudolph (SPD): Sehr gut!)

Ich werde Sie auch nicht an dem messen, was Sie heute verlesen haben. Vielmehr werde ich Sie, Ihre Politik, die Ihrer Landesregierung und der Koalition an dem messen, was Sie in der Sache tun.

Um Missverständnisse zu vermeiden, sage ich noch einmal: Wir werden Sie nicht dafür kritisieren, dass Sie einen Gestaltungsanspruch erheben. – Meine Bitte ist nur die: Stehen Sie dazu, dass Sie diesen Gestaltungsanspruch auch hatten. Die Rechtfertigungslegenden der letzten Wochen

darüber, wieso es zu diesem Bündnis gekommen ist, amüsieren mich überwiegend. Ich will das hier noch einmal klar für uns sagen: Dass Sie gestaltungswillig sind, ist in Ordnung. Das waren wir im Übrigen auch.

Ich will das mit Blick auf die Reihen der Union sehr klar sagen: Die, die wissen mussten, dass wir gestaltungsfähig waren, wussten es. – In Richtung der GRÜNEN sage ich: Sie haben hinsichtlich des Frankfurter Flughafens versucht, zu erklären, die Positionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hätten eine Äquidistanz zu denen der Sozialdemokraten und der Christlich Demokratischen Union, es gebe da also den gleichen Unterschied. So steht es in Ihren Entschließungen. – Dazu kann ich nur sagen: Auch da darf man sich keinen schlanken Fuß machen. Das, was in Sachen Flughafen mit uns möglich gewesen wäre, wäre locker das gewesen, was hier zu entscheiden ist.

Ich will ausdrücklich einen Satz des Kollegen Tarek AlWazir aufnehmen. Ich glaube, da hat er nämlich recht. Das, was Sie verabredet haben – zur inhaltlichen Bewertung werde ich später noch kommen –, ist in der Tat nur in dieser parlamentarischen Konstellation möglich, in keiner anderen. Das ergibt für mich allerdings ein sehr fatales Bild hinsichtlich dessen, wie manche Verfahren in der Vergangenheit gelaufen sind und in der Zukunft laufen werden, insbesondere mit Blick auf die Fraport.

(Beifall bei der SPD)

Herr Wagner, Sie schauen so irritiert. Ich will das noch einmal erklären. Auf der Seite der GRÜNEN wird erklärt, das sei jetzt alles nur möglich, weil sich die Fraport ansonsten nicht bewegt. Ich frage mich da allen Ernstes, wo wir inzwischen angekommen sind: Die Bewegungsfähigkeit mehrheitlich öffentlicher Unternehmen ist davon abhängig, welche politische Konstellation gerade regiert.

(Beifall bei der SPD)

Damit hier ebenfalls keine falsche Einschätzung aufkommt, möchte ich Folgendes sagen. Ich sage das ohne Häme und mit Blick auf die GRÜNEN. Herr Al-Wazir, Herr Wagner und andere, Sie werden in dieser Konstellation manche Probleme bekommen, beispielsweise dann, wenn Herr Irmer wieder einmal in seiner Postille „Wetzlar Kurier“ über Muslime fabuliert oder sich in unerträglicher Weise mit der Gleichstellung Homosexueller beschäftigt. Diese Probleme hätten auch wir gehabt. Das will ich klar sagen.

(Manfred Pentz (CDU): So viel zum neuen Stil!)

Herr Pentz, Entschuldigung, wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten schreiben nicht so etwas, wie es Herr Irmer in der Vergangenheit im „Wetzlar Kurier“ über Muslime und Homosexuelle getan hat.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Dass sie in Koalitionsverhandlungen auch erfolgreich sein kann, hat die Sozialdemokratie auf Bundesebene mit sehr harten Verhandlungen für die Große Koalition bewiesen. Mein Eindruck ist schon, dass bei Ihnen eher der Zuschnitt des Kabinetts bei den Koalitionsverhandlungen entscheidend im Fokus war, als es die Inhalte waren. Ich sagen Ihnen sehr klar: Das, was Sie hier als Koalitionsvertrag auf den Tisch gelegt haben, bzw. das, was Sie in Ihrer Regierungserklärung heute hier angestrengt vorgetragen haben, ist nicht der Politikwechsel, den wir wollten.

(Beifall bei der SPD)

Ich sage das ausdrücklich noch einmal: Der neue Stil bedeutet nicht, dass wir einfach nur einen Haken hinter das machen, was Sie im Koalitionsausschuss miteinander ausgehandelt haben. Das gilt für Fragen hinsichtlich der Energiewende. Dazu werde ich in der Sache noch kommen. Zweitens gilt das für die Fragen in der Bildungspolitik. Auch dazu werde ich in der Sache noch kommen. Das gilt auch für die Aufarbeitung der NSU-Morde hier in Hessen. Das gilt hinsichtlich der Umstände, der Ursachen und der Verfahren, die dahinter stattgefunden haben. Das gilt hinsichtlich der Notwendigkeit, all das aufzuarbeiten.

(Günter Rudolph (SPD): So ist es!)

Ich will das deswegen sagen, weil die Reaktion von Union und GRÜNEN auf etwas, was SPD und GRÜNE vor dem 22. September vorgeschlagen hatten, uns schon befremdet hat, einfach nach dem Motto, wenn es eine unabhängige Regierungskommission gibt, die sich mit der Frage der Neuausrichtung des Verfassungsschutzes beschäftigt, dann sei das Thema erledigt, und wenn Sie sich geeinigt haben, dann kämen Sie auf den Rest des Hauses zu. – Wir haben eine andere Form der Aufarbeitung verlangt, einschließlich dessen, was vor dem 22. September passiert ist, und wir werden uns in dieser Frage nicht damit abspeisen lassen, dass Sie irgendeine geschlossene Kommission auf Regierungsebene machen.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Der neue Stil wird im Wesentlichen geprägt von der Regierung – damit wir da keine Missverständnisse aufkommen lassen. Der neue Stil wird geprägt von der Regierung in ihrem Umgang mit der Opposition, ob der Grundsatz, der hier in den letzten Jahren geherrscht hat, den BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die SPD besonders kritisiert haben, nämlich dass Mehrheit die Wahrheit ist, weiter gilt oder ob es in der Tat Offenheit in der Sache gibt. Dazu werde ich gleich noch im Detail kommen.

Der Ministerpräsident hat im Übrigen recht, wenn er sagt, dass der neue Stil auch heißt, anzuerkennen, dass eine Fraktion mit ihrem Vortrag unter Umständen recht haben könnte. Das ist aber nur die eine Seite. Es bedeutet gleichzeitig, dass man einräumen können muss, dass man unter Umständen auch selbst unrecht hatte. Ich will das ausdrücklich für alle Fraktionen sagen.

Wir werden beispielsweise in den Prozessen zur Verfassungsreform – ich bin sehr gespannt, wie weit die gehen sollen – sehen, wie weit wir in der Sache kommen. Ich will ausdrücklich sagen, auch wir haben dort in der Vergangenheit nicht alles richtig gemacht. Ich bin gespannt, ob Sie in der Lage sind, einem solchen Anspruch genauso gerecht zu werden, wie wir versuchen werden, es zu tun.

Wir werden mit Blick auf den neuen Stil auch darauf achten, ob die Maßstäbe, die beispielsweise von der ehemaligen Oppositionsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gemeinsam mit der sozialdemokratischen Fraktion und in Teilen auch der Linksfraktion gegenüber diversen Verfahren von Schwarz-Gelb angelegt wurden, auch heute noch gelten. Eine erste Probe dieser Herausforderung werden wir sehr zeitnah bei der weiteren Bearbeitung der rechtswidrigen Stilllegung von Biblis vornehmen können. Ich bin sehr gespannt, ob die Maßstäbe immer noch die gleichen sind. Auch dazu werde ich später noch etwas im Detail sagen.

(Beifall bei der SPD)

Damit will ich zu einem anderen Punkt kommen; denn über diesen neuen Stil ist in der Vergangenheit viel geredet worden. Von Max Weber stammt das berühmte Zitat – Sie alle werden es kennen –:

Die Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich.

Wenn ich Ihren Koalitionsvertrag und diese Regierungserklärung lese, dann kommt mir doch eher eine kleine Abwandlung in den Sinn: Politik bedeutet wohl eher das langsame Bohren von dünnen Brettern ohne Leidenschaft, und nach dem Augenmaß suchen wir noch.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Wir haben selten eine leidenschaftslosere Regierungserklärung gehört. Ich will das auch mit Blick auf die Themen sagen. Ich glaube, dass sie den inhaltlichen Anforderungen der Zukunftsgestaltung Hessens in den nächsten Jahren ausdrücklich nicht gerecht geworden ist. Nachdem noch vor wenigen Wochen der Kollege Al-Wazir den Kollegen Ministerpräsidenten als „Rechtspopulisten“ bezeichnet hat

(Heiterkeit der Abg. Florian Rentsch (FDP) und Manfred Pentz (CDU))

ist doch so – und auf der anderen Seite der Ministerpräsident in einem Interview erklärt hat: „An einer schwarzgrünen Regierung reizt mich nichts, eine erfolgreiche Regierung braucht ein Mindestmaß an inhaltlicher Übereinstimmung; das sehe ich mit CDU und GRÜNEN in Hessen nicht“, will ich sagen, dass die inhaltlichen Herausforderungen in den nächsten Jahren doch erheblich sind.

Ich sage das auch deswegen, weil ich ein bisschen irritiert bin über einen zweiten Teil der Berichterstattung in den letzten Wochen, wenn es darum geht, beispielsweise darüber zu fabulieren, ob jetzt Krawattenfarben abgestimmt werden, wer welchen Brotaufstrich morgens beim Frühstück nutzt, ob man das wechselseitig weiß, ob man sich jetzt duzt oder nicht. Die Steigerung kommt – Herr Boddenberg, Sie werden mir das verzeihen – mit Ihrer Bemerkung in „Schlossplatz 1“, als Sie erklärt haben, dass die harten Attacken gegen meinen Freund und Kollegen Tarek Al-Wazir im Wahlkampf, als er erklärt hat, er wolle Wirtschafts- und Verkehrsminister werden, nur Wahlkampf gewesen seien.

(Günter Rudolph (SPD): Ah! – Janine Wissler (DIE LINKE): Der grüne Schatten über Hessen!)

Herr Boddenberg, ich will das deswegen aufnehmen, weil dieses Argument: „Das war alles nur Wahlkampf und nicht böse gemeint“,