Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Jugendarrest in Hessen muss noch besser werden, und er braucht auch unbedingt endlich eine gesetzliche Grundlage.
Der Jugendarrest ist ein sogenanntes Zuchtmittel und bis heute nur rudimentär durch entsprechende Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschriften, aber noch nicht durch ein Gesetz geregelt. Nach der Föderalismusreform haben nun die Länder, auch das Land Hessen, die gesetzgeberische Zuständigkeit, das zu regeln.
Hessen hat von diesen neuen Gesetzgebungskompetenzen in vielen Bereichen – etwa dem Erwachsenenstrafvollzug, dem Jugendstrafvollzug, aber auch der sogenannten Sicherungsunterbringung – schon Gebrauch gemacht. Ein wichtiger Baustein fehlt aber, das ist der Jugendarrest.
Umso eindrücklicher ist, dass bereits im Jahre 2006 das Bundesverfassungsgericht eine entsprechende gesetzliche Grundlage des Jugendarrests angemahnt hat, weil entsprechende Grundrechtseingriffe wie beim Jugendarrest – es ist ein Freiheitsentzug – eben einer gesetzlichen Grundlage bedürfen.
Und das bereits im Jahre 2006. Auch muss – ich habe es schon gesagt – der Jugendarrest noch besser werden. Eine Zahl, die uns wirklich zu denken geben muss, ist, dass 70 % der Arrestanten wieder rückfällig werden.
Das ist eine denkbar schlechte Zahl. Aber wir können doch bei Jugendlichen, deren Persönlichkeitsentwicklung noch nicht abgeschlossen ist, erzieherisch wohl noch am besten und am stärksten eingreifen, um für sie ein Leben ohne Straftaten irgendwann herbeizuführen.
Meine Damen und Herren, diese Chance müssen wir bei jedem einzelnen Jugendlichen nutzen. Ich bin sehr stolz darauf, dass ich Ihnen heute mit diesem Gesetzentwurf eine Antwort darauf geben kann, wie wir den Jugendarrest hier in Hessen verbessern können.
Es ist ein Gesetzentwurf, den wir bereits in der letzten Legislaturperiode in etwas abgewandelter Form in dieses Haus eingebracht haben, der leider der Diskontinuität anheimgefallen ist. Aber wir hatten damals im Gesetzgebungsverfahren schon eine mündliche und schriftliche Anhörung zu diesem Gesetzentwurf. Diese Erkenntnisgewinne haben wir in diesen Gesetzentwurf mit eingebunden, etwa die Frage der Gewaltfreiheit als ein konkretes Beispiel.
Unser Gesetzentwurf lehnt sich an den aus NordrheinWestfalen an. Herr Honka, ich sage das für Sie zum genauen Zuhören: Er ist aber mit Fachleuten aus der Wissenschaft, der Praxis und Personenkreisen, die mit dem Arrest auf vielfältigste Art und Weise beschäftigt sind, erarbeitet und entwickelt. Er umfasst natürlich auch die Ergebnisse der länderübergreifenden Arbeitsgruppe.
Schwerpunkte unseres Gesetzes werden die individuelle Förderung, die Erziehung und die Bildung der jugendlichen Arrestanten sein.
Diese zwei Pfeiler sollen in ein pädagogisches Gesamtkonzept einfließen und sollen dazu genutzt werden, dass gleich nach dem Zugangsgespräch, das mit den Jugendlichen geführt wird, ein entsprechender Förderplan für jeden Jugendlichen erstellt wird. Konzeptionell wollen wir dabei den Schwerpunkt auf den Dauerarrest legen, der bis zu vier Wochen dauern kann. Denn in dieser etwas längeren Zeitspanne haben wir natürlich besser als im Freizeit- oder Kurzarrest die größte und die längste Möglichkeit, auf die jugendlichen Straftäter einzuwirken.
Im Einzelnen sollen im Jugendarrest die unterschiedlichen Professionen – das ist genau unsere Stärke, das betrifft den Vollzugsdienst, den Psychologischen Dienst, die Sozialarbeiter und die Pädagogen, aber auch Ehrenamtliche sollen eingebunden werden – sehr eng im Team mit den Jugendlichen arbeiten. Unsere Konzeption umfasst ein Bündel an Maßnahmen, wie soziale Trainingskurse, Angebote der Jugendbildungsarbeit, aktive Freizeitgestaltung und die Vermittlung stabilisierender Kontakte auch zur Außenwelt und zur Familie, wenn sie geeignet ist.
Wir wollen, dass Leerlaufzeiten so weit wie möglich vermieden werden. Die wenige Zeit, die wir haben – das können nur wenige Tage sein, oder es können bis zu vier Wochen im Arrest sein –, soll für die Jugendlichen maximal genutzt werden. Dazu gehört für uns selbstverständlich auch, dass die Tagesrandzeiten, die Wochenenden und natürlich auch die Feiertage genutzt werden. Die entsprechenden Fachdienste, aber auch der allgemeine Vollzugsdienst sollen mit den Jugendlichen da weiter arbeiten.
Ein großer Schwerpunkt soll natürlich der Sport sein. Es soll gruppenbezogene Angebote und Einzelgespräche geben.
Ein weiterer wichtiger Eckpunkt unseres Gesetzesvorhabens ist natürlich auch das Netzwerk, die Nachsorge, also das, was passiert, nachdem die Arrestanten entlassen wurden. Da soll es schon nach der Aufnahme, also ganz früh, Kontakt zu der Jugendhilfe, zu außervollzuglichen Organisationen und Bildungseinrichtungen geben, damit die jugendlichen Arrestanten, wenn sie wieder in Freiheit sind, nicht in ein Loch fallen. Sie sollen vielmehr von einem Netzwerk aufgefangen werden, das mit ihnen weiterhin arbeitet.
Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Ansatz zur Resozialisierung. Es ist positiv zu bewerten, dass die Landesregierung zu diesem Thema endlich ein Symposium veranstaltet hat und an einem eigenen Gesetzentwurf arbeitet, der, wie wir aus guten Quellen wissen, auf unserem Gesetzentwurf fußt.
Sie werden nicht die Kraft und Stärke haben, das zuzugeben. Die werden Sie nicht haben. Unser Gesetzentwurf ist aber eine sehr gute Grundlage für die weiteren Gesetzesberatungen.
Wir werden natürlich die Hinweise und fachlichen Anregungen aus dem Symposium sehr gerne nutzen. Wir wol
Wir hoffen auf konstruktive Gesetzesberatungen. Wir hoffen auch darauf, dass das ohne Idealisierung geschieht. Denn wir wissen, dass die Klientel, die im Jugendarrest ist, schon viele Maßnahmen durchlaufen hat und dass wir deshalb alle Anstrengungen unternehmen müssen, um diese jungen Menschen wirklich nachhaltig zu erreichen. Wir hoffen, dass wir mit einem noch besseren Jugendarrest möglichst viele junge Menschen erreichen werden, damit diese künftig ein Leben ohne Straftaten für sich, aber auch für unsere Gesellschaft führen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es gibt Reden, die hält man gerne, die machen Spaß. Es gibt welche, mit denen hat man ein Problem. Ich habe mit dieser ein Problem.
Ich habe das Problem, dass ich den Arrest grundsätzlich für Murks halte. Er ist nicht zielführend. Er ist nicht hilfreich. Er bringt keinem Jugendlichen etwas. Er kostet uns eine Menge Geld. Wir beschäftigen Menschen in einem System, das sie permanent frustrieren wird. Wir kommen aus diesem Dilemma nicht heraus, weil wir eine gesetzliche Vorgabe haben, die ihn ermöglicht.
Hier war von Erziehung die Rede. Erziehung ist etwas Prozesshaftes, also etwas, was lange dauert. Es setzt voraus, dass man einen Kontakt zu dem aufbaut, den man erziehen möchte.
Wir reden hier aber von Zeiträumen, die ein Wochenende, ein paar Tage oder maximal vier Wochen umfassen. Wir wollen in diesen maximal vier Wochen irgendetwas retten, was in den vielen Jahren vorher vermurkst worden ist. Das geht nicht. Das heißt, wir versuchen, das Unmögliche möglich zu machen, aber alle Fachleute sagen uns: Das ist nicht möglich. – Trotzdem halten wir daran fest. Das ergibt keinen Sinn. Es ergibt in der bestehenden Form keinen Sinn.
Ich schätze den Versuch hoch, das in ein Gesetz gießen zu wollen. Ich glaube, dass da viele kluge Sachen stehen. Trotzdem lässt er viele Fragen offen. Wir müssen darüber nachdenken, wie man beispielsweise mit so etwas wie der Nachbetreuung umgeht.
Man muss sich das einmal anschauen. Wir haben unter anderem den Wochenendarrest. Da erreichen Sie niemanden im Jugendamt. Da erreichen Sie keinen Psychologen. Da erreichen Sie niemanden aus einem Verein vor Ort. Da können Sie einfach gar nichts machen.
Der junge Mensch kommt, verbringt da ein Wochenende und hofft, dass es vorübergeht. Wenn es gelungen ist – also was sich manche so vorstellen, wie es gelingen soll –, hat er einen ordentlichen Schrecken gekriegt und wird nie wieder delinquent.
Aber die jungen Menschen, mit denen wir es hier zu tun haben, haben Vorerfahrungen. Diese Vorerfahrungen haben sie längst gelehrt, dass sie solche Wochenenden durchstehen müssen. Oft adelt sie das in ihren Kreisen. Sie kommen in ihr soziales Umfeld zurück und werden von ihren Peergroups dafür gelobt. Sie sind in deren Achtung gestiegen, denn sie haben es geschafft, ein Wochenende Knast hinter sich zu bringen. War es schlimm?
Das ist ganz häufig die Reaktion des sozialen Umfelds dieser jungen Menschen, über die wir reden. Das heißt, bei den wenigsten wird es dazu führen, dass sie einen Schreck bekommen, der sie von einer Straftat abhält.
Wir bauen ein ganzes System auf, schaffen Gesetze drum herum, beschäftigen Menschen und verbrennen enorme Ressourcen. Wir müssen Jugendarbeit endlich komplett anders denken.
Natürlich können wir an der Stelle sagen: Wir haben diese Jugendlichen, die sehr problematisch sind. Was sollen wir denn mit denen tun?
Die Maßnahmen, über die wir hier reden, sind in keinem Fall sinnvoll. Die Fachleute sind sich darin wirklich einig, zu sagen, dass das nicht sinnvoll ist.
Ganz besonders schlimm finde ich, dass wir da auch noch über besonders gesicherte Hafträume reden. In dem Fall handelt es sich um Arresträume. Wir kennen sie aus dem Vollzug. Das heißt, wir haben Räume, in denen der Mensch keine Möglichkeit hat, sich oder andere zu gefährden.
Das heißt, wir haben einen jungen Menschen, den wir irgendwo für vier Wochen arrestieren. Schon der Sprachgebrauch ist ein Albtraum. Wir sollten uns einmal überlegen, woher er kommt. Der junge Mensch kommt in eine Situation, in der er das nicht bewältigen kann, was ihm da gerade widerfährt, aus welchen Gründen auch immer. Eventuell ist er aggressiv und kann seine Aggressionen nicht steuern. Eventuell wird er in der Situation depressiv, oder er kommt aus anderen Gründen nicht klar. Er flippt aus und tut wirklich dumme Dinge. Den sperren wir dann in einem gekachelten Raum ein, in dem es keine Möbel gibt.
Das hilft doch überhaupt nicht. Wir reden von Menschen im Alter zwischen 14 und 25 Jahren. Wenn sich ein solcher Mensch selbst gefährdet, muss er sofort aus dem Arrest heraus. Er muss, wenn überhaupt, in eine andere Einrichtung. Aber auf keinen Fall darf er in so einem gekachelten Raum untergebracht werden. Wenn er aggressiv ist, braucht er eine ganz individuelle Betreuung. Wir brauchen Menschen, die pädagogisch hoch qualifiziert ausgebildet sind, um mit solchen Menschen umzugehen.
Auch das fehlt mir in diesem Gesetzentwurf: Wir brauchen klare Vorgaben, wer in welcher Anzahl und mit welcher Qualifikation in solchen Einrichtungen arbeiten soll und darf. Das ist eine ganz elementare Forderung, die die SPD selbst an anderen Stellen immer wieder formuliert. Das muss man sehr genau beschreiben. Da reicht es nicht, Beamte zu haben, die irgendwo einen Kursus in Kurzzeitpädagogik absolviert haben. Wir brauchen Fachleute. Das muss an dieser Stelle auch klar festgeschrieben sein. Sonst kommen wir dazu, dass Bedienstete – deren Arbeit ich überhaupt nicht infrage stellen will und die wirklich guten Willens sind, dort eine gute Arbeit zu leisten – noch zusätzlich einen Kurs absolvieren müssen. Das kann es aber
nicht sein. Wir brauchen Therapeuten. Wir brauchen Erzieherinnen und Erzieher, Psychologinnen und Psychologen.
Was aber wollen all diese Menschen an einem Wochenende, in einer Woche, in maximal vier Wochen mit diesen jungen Leuten tun? Es geht um das mühsame Konstrukt, Beziehungen aufzubauen. Dieser Versuch aber wird nach maximal vier Wochen wieder beendet. Das heißt, diese jungen Menschen erleben wiederum Brüche. Das aber hat sich in der Regel durch ihre Biografie gezogen: dass sie Brüche erleben, die dazu führen, dass sie oft nicht mehr beziehungsfähig sind. Erneut produzieren wir hier eine Situation, in die sich Menschen einlassen sollen, in der wir ihnen aber zugleich klarmachen: Lass dich eigentlich nicht ein, denn in drei Tagen ist diese Situation vorüber. – Das ist in sich so paradox, dass wir es doch nicht tun können.
Stattdessen müssen wir gemeinsam überlegen, wie wir zu anderen Formen kommen, um junge Menschen davon abzuhalten, überhaupt delinquent zu werden, und den jungen Menschen, die es geworden sind, Wege zu eröffnen, wie sie das beenden und ihr Leben anders gestalten können.
Das erfordert viele Ressourcen über lange Zeit und aus meiner Sicht auch ein frühes Einschreiten. Die Gesellschaft, wir alle – die Jugendämter und andere Behörden – schauen oft zu lange hin, ohne zu reagieren. Wir müssen sehr viel früher und sehr viel intensiver begleitend reagieren und den Eltern noch mehr Möglichkeiten der Unterstützung anbieten. Nach wie vor gibt es eine Unterstützung auf der Ebene, die für viele Eltern, die nicht in der Lage sind, ihrem Erziehungsauftrag nachzukommen, zu schwierig zu erreichen ist.
Diese Brüche passieren äußerst früh. Wenn wir das zu spät bemerken, weil wir diesem Thema zu wenig Aufmerksamkeit widmen, dann müssen wir uns am Ende Gedanken darüber machen, wie wir mit diesen schwierigen Jugendlichen umgehen. Dann kommen wir zu so etwas wie gesicherten Arresträumen.
Meine Damen und Herren, das aber kann es nicht sein. Wir reden von Menschen zwischen 14 und 25 Jahren. – Herzlichen Dank.