Protocol of the Session on September 13, 2018

(Janine Wissler (DIE LINKE): Die Latte liegt jetzt nicht so hoch!)

Aber das Rednerpult ist hoch. – Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Schwarz, ich bin Ihnen nicht undankbar für Ihren Beitrag;

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD, der LINKEN und der FDP)

denn es schauen doch mehr Lehrkräfte und Schulleitungen, als Sie denken, diesen Debatten zu. Ich muss sagen: Sie sind unser bester Wahlkämpfer, Herr Kollege Schwarz.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD, der LINKEN und der FDP)

Das ist übrigens bei der Landesregierung nicht anders, die inzwischen sogar keine Hemmungen davor hat, ihre PR so an die Schulen weiterzugeben, dass sie eine Ausgabe von „Schule aktuell“ an die Schulleitungen mit der ausdrücklichen Bitte des Pressesprechers des Kultusministeriums schickt: Bitte stellen Sie sicher, dass das angehängte Dokument jede Lehrkraft erreicht.

(Günter Rudolph (SPD): Neutralitätsgebot der Regierung! Bundesverfassungsgericht! – Weitere Zurufe)

Die Landesregierung argumentiert immer sehr viel mit Statistiken und Zahlen. Da sind sogar schöne Grafiken dabei. Da sieht man dann, dass wir am Ende eine Lehrerversorgung von 129,1 % haben.

(Zuruf von der SPD: Was?)

Warum debattieren wir hier eigentlich?

(Holger Bellino (CDU): Weil Sie es nicht verstanden haben! So einfach ist das!)

Sollten wir uns nicht schämen, das alles infrage zu stellen?

(Holger Bellino (CDU): 83 % waren es bei Ihnen!)

Schaut man sich das noch ein bisschen genauer an, merkt man: Ich rede gar nicht davon, wer überhaupt eine Qualifikation auf diesen Stellen hat. Da werden sogar die sozialpädagogischen Fachkräfte eingerechnet und beim Lehrerstelleneinsatz als Lehrer mitgezählt.

Meine Damen und Herren, die Lehrkräfte lachen sich scheckig, wenn sie sich das anschauen müssen.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Gabriele Faul- haber (DIE LINKE))

Ich bin der FDP dankbar, dass sie das Thema Realitätsverweigerung heute auf die Tagesordnung nimmt. Ich weiß nicht, wie viele Schulen der Kultusminister regelmäßig besucht. Ich habe seit Schuljahresbeginn 16 Schulen besucht, meine Damen und Herren. Morgen wird die 17. Schule folgen, danach beginnt die Sechswochenfrist vor der Wahl. Die Ergebnisse dieser Schulbesuche waren schon interessant. Angesprochen wurden immer wieder ähnliche Themen.

Ich muss sagen: An einigen Schulen waren sogar alle Lehrerstellen besetzt. Aber immer wieder wurde gesagt: Die Lehrerversorgung ist auf Kante genäht. – Viele Lehrkräfte sind befristet eingestellt. An einer weiterführenden Schule gab es zwölf TV-H-Verträge, und alle waren befristet. Besonders betroffen gemacht hat mich eine berufliche Schule, die mir sagen musste, dass 50 % ihres Elektrotechnikunterrichts von Studierenden gegeben werden müsse und dass der Schulleiter eine Klasse leiten müsse, da er es sonst niemandem zutrauen könne.

Ich war etwa in einer Grundschule im Rhein-Main-Gebiet, der drei BFZ-Kräfte geschickt werden. Nur bei einer dieser Kräfte handelte es sich um einen ausgebildeten Sonderpädagogen. Einige Schulen leiden darunter, dass sie keine baulichen Kapazitäten haben, dass sie voll sind, dass Räume fehlen, dass sie in Containern sind, wo es nicht einmal einen Wasseranschluss gibt.

(René Rock (FDP): In Blechcontainern!)

Ich sage ausdrücklich: Die Schulträger sind kaputtgespart und haben gar nicht immer die Möglichkeiten, das zu organisieren.

(Beifall bei der SPD)

Einige Schulen sagen: Das alles läuft hier nur noch aufgrund des Idealismus von Eltern und von Lehrkräften. – Das ist leider wahr.

Einige Schulen nehmen am Pakt für den Nachmittag teil. Eine dieser Schulen habe ich besucht. Zur Debatte gestern – Herr Kollege Wagner ist nicht da –: Man sagte mir dort, dass, wer am Pakt für den Nachmittag teilnehme, nicht ins Profil 3 dürfe. Auch das fand ich eine interessante Aussage zu der Frage, über welche Möglichkeiten der Weiterentwicklung die Schulen in Hessen verfügen.

Ich war in einer Grundschule, wo mir gesagt wurde, dass auch dort TV-H-Kräfte beschäftigt würden, darunter eine Person mit erster Staatsprüfung für das Gymnasium und eine Person, die versucht habe, eine zweite Staatsprüfung für das Gymnasiallehramt zu bestehen, aber durchgefallen sei. Aber an der Grundschule muss sie zwangsweise unterrichten – nicht, weil man das toll findet, aber weil sonst niemand auf dem Markt ist, meine Damen und Herren.

(Günter Rudolph (SPD): Hört, hört!)

Ich habe eine Grundschule besucht, die Vorlaufkurse in Deutsch anbietet, aber nur 20 Stunden, also nur die Hälfte, mit Personal besetzen kann, weil sie dafür niemanden findet.

In einer anderen Grundschule wurde mir gesagt: Auf dem Papier sieht es einigermaßen gut aus, aber in der Realität ist das nicht der Fall.

Ich habe eine Grundschule besucht, in der ein Drittel aller Lehrkräfte, die dort mit befristeten Verträgen arbeiten, Studierende oder Übungsleiter sind, weil niemand mehr für die Grundschulen auf dem Markt ist.

Das wiederum hat ganz viel mit dem Titel des FDP-Setzpunkts zu tun: „Realitätsverweigerung im Kultusministerium gefährdet Bildungschancen“.

Zum Lehrermangel ist auch anzumerken – das zeigen die eigenen Auswertungen des Ministeriums –, dass in den Schulen in sozialen Brennpunkten der Anteil der Lehrkräfte ohne Ausbildung am höchsten ist. Das sind die Gebiete, wo man nicht hin möchte. Wenn man dort arbeitet, ver

sucht man eher, sich wegzubewerben, weil durch dieses lange Verschlafen der Entwicklungen des Lehrerbedarfs und der Lehrerausbildung leider die Lehrkräfte dorthin gehen, wo sie sich am wohlsten fühlen. Darunter leiden die Schüler, die am meisten Bedarf haben, die am meisten Unterstützung brauchen, und das ist nicht in Ordnung, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

Eine Schule sagte mir, sie habe alle Stellen besetzt, aber nur, weil sie suchen, suchen und suchen. Dabei geht sehr viel Zeit von Lehrkräften und von Schulleitungen drauf, weil sie einfach Angst haben, dass Stellen sonst nicht besetzt werden. Ich habe mehrere Fälle getroffen, da sind Kolleginnen schwanger, und man weiß nicht, wie man damit umgehen soll, wie man jemanden finden soll, wenn die betreffende Person in Mutterschutz geht.

Manchmal habe ich bei meinen Schulbesuchen auch Personen von den Schulämtern zur Seite gestellt bekommen.

(Günter Rudolph (SPD): Aufsicht!)

Auch das fand ich interessant. Wir haben bereits über den ÖPNV gesprochen. Es gibt das Landesticket, das sicherlich eine sinnvolle Einrichtung ist. Ich weiß aber nicht, ob dem Ministerium bekannt ist, welcher Mehraufwand damit für die Schulämter verbunden ist, das Landesticket zu administrieren. Die Sachbearbeiter sind überlastet, wie man hört. Auch das ist leider in den vergangenen fünf Jahren absolut vernachlässigt worden. Die Schulämter hätten mit den Mitteln ausgestattet werden müssen, die sie brauchen, um das zu administrieren.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

Ich war in einem Beratungs- und Förderzentrum, bei dem drei Stellen offen waren. Erst am vergangenen Freitag war ich in einem großen Gymnasium, bei dem die Schulleitung gerade neu besetzt worden ist, nachdem die Stelle über ein Jahr lang vakant war. Da habe ich gefragt, wie das denn sein kann. Die Sache war, der Schulleiter hat in seinem letzten Jahr ein Sabbatjahr genommen. Dementsprechend war man im Ministerium nicht in der Lage, die Stelle schneller zu besetzen. Meine Damen und Herren, das kann nicht sein.

Wenn nun auch schon die Spitze des Schulamts in Hanau seit März dieses Jahres nicht besetzt ist, frage ich mich: Wie will man da ordentlich arbeiten können, wenn Sie es einfach nicht hinbekommen, Stellen angemessen zu besetzen?

(Beifall bei der SPD)

Ich könnte noch viele weitere Beispiele bringen, aber das soll aufgrund der Zeit jetzt ausreichen.

Mein Fazit ist: Die schwarz-grüne Koalition der vergangenen fünf Jahre ist ein Modernisierungsverweigerer. Unsere Schulen müssen dringend modernisiert werden bei Unterstützungsstrukturen und beim Ganztag. Auch das ist ein Beispiel. Das haben wir gestern gehört. Der Bedarf der Schulen ist ganz massiv. Sie hingegen sagen, alles sei in Ordnung, der Rechtsanspruch werde erfüllt werden. Eigentlich kennen Sie den Bedarf an den Schulen aber nicht, wie Sie es selbst gesagt haben.

Wir haben eine Ahnungslosigkeit beim Lehrermangel. Das habe ich genannt. Wir haben Tausende Lehrkräfte, die auf Lehrerstellen sitzen, ohne eine Ausbildung zu haben. Der

Kultusminister hat zu Schuljahresbeginn gesagt, er setze nur auf qualifizierte Kräfte. Andererseits muss er zugeben, belastbare Daten hat er erst zum November dieses Jahres.

Im vergangenen Jahr gab es fast 100 Überlastungsanzeigen. Über die Krankenstatistik weiß der Kultusminister aber gar nichts. Er sagt, daraus könne er keine steuerungsrelevanten Ergebnisse ableiten. Meine Damen und Herren, das ist keine Fürsorgepflicht in Hessen.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Wolfgang Grei- lich (FDP))

Wir haben Unterrichtsausfall, der immer weiter zunimmt. Das Kultusministerium behauptet dazu einerseits, es gebe keine Daten dazu, andererseits behauptet es aber, es gebe keinen Unterrichtsausfall in Hessen.

Außerdem haben wir einen sehr großen Investitionsbedarf in den Schulen. Das Ministerium sagt dazu: Das wollen wir eigentlich gar nicht wissen. Der Investitionsbedarf kümmert uns eigentlich gar nicht. – Damit wird letztlich Schulentwicklung in Hessen boykottiert; denn man braucht nun einmal gut ausgestattete Gebäude. Die Schulträger müssen dabei unterstützt werden, um Ganztag, Inklusion und viele andere Zukunftsthemen voranzubringen.

Nicht alles kostet Geld. Ich glaube, auch das ist eine Frage, wie man ein Schulsystem auf der Höhe der Zeit ausgestaltet. Wir wollen, dass Schulen selbstständiger werden, dass endlich mehr Initiative in die Selbstständigkeit hineinkommt; denn das, was man im Ministerium heutzutage in einer immer schneller werdenden Gesellschaft entscheidet, braucht ewig, bis es an der einzelnen Schule ankommt.

Deshalb müssen wir wieder zu einer Situation auf Augenhöhe zurückkommen. Wir brauchen ein Ministerium, das mit den Schulleitungen auf Augenhöhe spricht, das auch Anregungen aufnimmt, das ein Experimentieren ermöglicht und das nicht bei jedem kleinsten Regelverstoß oder bei einer öffentlichen Äußerung gegenüber der Presse, in der es heißt, dass nicht alles so wunderschön und glänzend ist, wie Sie es sagen, die Leute einbestellt und dann auch disziplinarisch belangt.