Protocol of the Session on September 11, 2018

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): So ist es!)

Sie umfassen a u c h sozialen Wohnungsbau, aber sie sind viel mehr, weil diese Themen in die Mitte der Gesellschaft zielen.

(Norbert Schmitt (SPD): Da hat er recht!)

Das betrifft fast alle Bürgerinnen und Bürger in unserem Land.

(Beifall des Abg. Norbert Schmitt (SPD) – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): So ist es!)

Darum muss eine Regierung darauf Antworten geben und auch sagen, wofür sie steht und was sie in Zukunft an dieser Stelle tun möchte.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Ich bin etwas überrascht, dass kein Ton zum Dieselurteil in Frankfurt gesagt wurde.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Ja!)

Ich bin überrascht. Kein Satz zu einem Urteil, das unfassbare Auswirkungen auf Tausende, Hunderttausende oder über eine Million Bürgerinnen und Bürger in unserem Land hat. Kein Ton dazu heute in dieser Regierungserklärung.

(Beifall bei der FDP und der SPD – Thorsten Schä- fer-Gümbel (SPD): Gähnende Leere! – Gegenruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Das macht mich schon ein bisschen sprachlos.

(Clemens Reif (CDU): Dann sagen Sie doch mal etwas dazu!)

Sie müssen sich überlegen: Wir haben mehrere Hunderttausend Menschen, die ein Dieselfahrzeug besitzen, das nicht mehr in die Stadt Frankfurt fahren darf.

(Clemens Reif (CDU): Was müssen Sie denn sagen?)

Hunderttausende Menschen haben einen Vermögensschaden erlitten.

(Zuruf von der SPD: Ja!)

Das geht in die Milliarden. Die Leute haben doch nichts falsch gemacht. Das ist ein milliardenschwerer Schaden, den viele, Zehntausende, über Hunderttausende Bürger in unserem Land haben. Hunderttausende Frankfurter, die einen Benziner Euro 1 oder 2 oder einen Diesel fahren, dürfen demnächst nicht mehr mit ihrem Auto in ihrer Stadt fahren. Das ist doch eine krisenhafte Situation.

(Norbert Schmitt (SPD): Was ist denn Ihre Antwort?)

Da erwartet man doch eine handlungsfähige Landesregierung, die sagt: Wir stellen uns darauf ein.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Andere Bundesländer haben tatsächlich einen Krisenstab gebildet und überlegt, wie sie damit umgehen – mit grüner Regierungsmehrheit: erst angezettelt, dann Krisenstab. Aber sie haben sich zumindest bereit erklärt, sich dieses gigantischen Themas anzunehmen, das jetzt auf Hunderttausende Menschen in unserem Land zukommt. Kein Ton zu diesem Thema. Da kann ich nur sagen: Ich erwarte von einer Regierung, dass man, wenn so etwas passiert und sie eine Regierungserklärung abgibt, zumindest einmal einen Weg, einen Plan, eine Überlegung darstellt, weil das wichtige Fragen für unsere Bürgerinnen und Bürger sind.

(Beifall bei der FDP – Zuruf von der CDU: Fassen Sie doch mal einen Gedanken!)

Dann ist die Frage: Wohin soll sich unser Land entwickeln? Welche Idee dafür haben Sie? – Wir haben uns schon vor längerer Zeit eine Agenda gegeben. Wir haben uns überlegt: Wollen wir nur im Fünfjahresrhythmus denken, oder gibt es Herausforderungen, die vor uns liegen und die über einen Fünfjahresrhythmus hinausgehen? – Die gibt es.

Es gibt globale Themen wie Energiepolitik und Zuwanderung. Es gibt große Themen, die man nicht in kürzester Zeit bearbeiten kann, sondern bei denen man eine große Perspektive braucht. Die demografische Entwicklung ist ein großes Thema. Es wird unsere Gesellschaft herausfordern – ganz besonders hier in Hessen. Darum haben wir uns damit beschäftigt und uns überlegt: Was kann man tun, um unser Land für diese Zeit fit zu machen?

Wir haben uns eine Agenda gegeben, die über fünf Jahre hinausreicht. Warum haben wir uns eine Agenda 2030 gegeben? Weil in zwölf Jahren – – Weil in zwölf Jahren

(Clemens Reif (CDU): Ja, was denn?)

jeder Rentner nur noch von zwei Arbeitnehmern bezahlt wird. Das kommt nicht irgendwann in irgendwelchen Broschüren – wir hatten eine Enquetekommission zu diesem Thema –, sondern das kommt jetzt in zwölf Jahren.

Wir haben heute 3,7 Millionen Menschen, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. In zwölf Jahren werden

das noch 3,2 Millionen sein. Wenn das Wirtschaftswachstum anhält, brauchen wir eigentlich 65.000 Menschen mehr für unseren Arbeitsmarkt, um das überhaupt abbilden zu können. Wir haben also eine gigantische Lücke in nur zwölf Jahren. In zwölf Jahren müssen wir darauf Antworten haben.

Das ist etwas – der Herr Ministerpräsident erinnert sich vielleicht noch an unsere Asienreise, als wir in Singapur und in Japan waren –, was diese Gesellschaften umgetrieben hat. Es ist genau diese Entwicklung, die die Menschen in den Gesellschaften umtreibt. Diese Entwicklung betrifft natürlich viel mehr als nur das Sozialversicherungssystem.

(Clemens Reif (CDU): Was ist denn Ihre Lösung?)

Es stellt sich die Frage, wie wir diese Herausforderungen bewältigen können. Aus unserer Sicht gibt es drei wichtige Themengebiete, die wir angehen müssen. Dazu gehört auch die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt. Wir brauchen Menschen, die von außen kommen und uns bei der Erbringung von Wertschöpfung unterstützen, die hier arbeiten, die im Gesundheitssystem, in der Industrie usw. arbeiten. Wir brauchen Menschen, die hier einen Beitrag leisten, damit wir wirtschaftlich arbeiten können. Das ist ein wichtiger Punkt.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Dem darf man sich nicht verweigern; denn es ist zwingend notwendig, Arbeitszuwanderung zu organisieren. Diese kann auch ein Stück weit egoistisch sein, weil wir natürlich auch Menschen zu uns holen wollen, die einen Teil zur Wertschöpfung beitragen. Unabhängig davon ist die Asylfrage zu sehen. Die Asylfrage ist unabhängig davon. Vielmehr geht es um die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt, um die Herausforderungen, die vor uns liegen, bewältigen zu können. Wir haben als Landesgesetzgeber nicht so viele Möglichkeiten, an dieser Stelle direkt einzugreifen. Wir könnten aber über den Bundesrat eine Initiative ergreifen. Andere Bundesländer machen das.

(Beifall bei der FDP)

Der zweite Bereich betrifft die Frage der Digitalisierung. Das ist für uns Freie Demokraten natürlich besonders wichtig. Es geht um eine Erhöhung der Wertschöpfung, eine bessere und effizientere Art der Produktion und der Wissensvermittlung. Die Digitalisierung hat aber eine Grundvoraussetzung: Man muss zumindest einen Internetzugang haben. Das wäre toll. Andernfalls braucht man zumindest einen Funkmasten in der Nähe, sodass man Daten versenden kann. Schon hierbei sind wir in Hessen nicht gut aufgestellt. Sie können jetzt natürlich darauf verweisen, welchen Platz wir im bundesweiten Vergleich einnehmen. Wir konkurrieren aber doch nicht mit Bremen, Hamburg oder Rheinland-Pfalz. Wir sind ein internationaler Wirtschaftsstandort. Wir konkurrieren mit der gesamten Welt. Bei diesem Vergleich sind wir sehr schlecht aufgestellt. Da müssen wir viel mehr auf den Weg bringen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Das beginnt mit der Hardware. Das beginnt mit Kabeln und Funkmasten. Das ist die Grundvoraussetzung dafür, dass wir überhaupt beteiligt sein können. Es ist vielfältig. Es hat viele Facetten. Es verändert die Produktionsprozesse. Das heißt, wir müssen auch unseren Arbeitsmarkt an diese Situation anpassen. Das verunsichert Menschen. Also müssen wir überlegen, wie wir den Menschen die Angst vor der Digitalisierung nehmen können und wie wir das

absichern können. Sicherlich wird der Start-up-Unternehmer in Deutschland anders sozialisiert sein als in Israel oder in Kalifornien. Der Deutsche ist an dieser Stelle vielleicht etwas sicherheitsverliebter als die Menschen dort. Wir müssen Lösungen finden, die auf unsere Gesellschaft zugeschnitten sind und die es uns trotzdem erlauben, daran zu partizipieren.

(Beifall bei der FDP)

Ich erinnere den Ministerpräsidenten einmal daran, dass es Zeiten gegeben hat, zu denen vom hessischen Arbeitsmarkt Impulse ausgegangen sind, die in Berlin gehört worden sind. Da war Hessen ein Bundesland, das in Berlin mitgestaltet hat. Hessen hat bei wichtigen gesellschaftspolitischen Fragen Marken gesetzt. Das wünschen wir uns auch in diesem Fall. Hessen sollte die wichtigen Themen auch in Berlin wieder auf die Agenda setzen. Das wäre eine Herausforderung.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Bei der Frage der Digitalisierung der Landesverwaltung sprechen wir von Hunderttausenden Stunden Lebenszeit der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Die Bürgerinnen und Bürger verbringen Hunderttausende Stunden Lebenszeit in Amtsstuben und mit dem Ausfüllen von Formularen, was heute viel einfacher und technisch besser zu lösen wäre.

(Beifall bei der FDP)

Vorausgesetzt ist natürlich immer, dass man einen Zugang zum Internet hat oder die Möglichkeit, über eine Funkstelle ins Internet zu kommen. Das sind Dinge, die uns umtreiben. Uns treiben auch die Frage der künstlichen Intelligenz und die Frage von Big Data um. Das sind Fragen, die wichtig für uns sind. Dabei kann auch Hessen einmal Vorreiter sein. Es hat mich ein bisschen erschüttert, dass wir neuerdings nach Österreich fahren, um uns dort nach der Gesundheitskarte zu erkundigen, die wir seit gefühlt 20 Jahren in Deutschland einzuführen versuchen. Mir war neu, dass wir Digitalisierung von den Österreichern lernen wollen.

(Beifall bei der FDP)

Das ist nicht die zukunftsweisendste Art, in die Digitalisierung einzusteigen; denn die Gesundheitskarte in Österreich ist eine bessere Speicherkarte für PDFs. Das ist nicht das, was wir uns eigentlich darunter vorgestellt haben. Trotzdem sind die Österreicher noch weiter als wir.

Es gibt also noch unfassbar viel zu tun. Die Landesregierung hat am Ende ihrer Regierungszeit die Notwendigkeit eines Digitalisierungsministeriums erkannt. Man könnte ja einmal die Kompetenzen zusammenfassen.

(Norbert Schmitt (SPD): Das ist aber früh!)

Damit mache ich mir jetzt auf der Regierungsbank wahrscheinlich keine Freunde: Mir war nicht klar, dass der Ministerpräsident bzw. die Staatskanzlei bisher für die Digitalisierung zuständig war. Das habe ich erst gemerkt, als im Landtag bekannt gegeben wurde, dass nun der Finanzminister zuständig sein soll. Entschuldigung, dass ich das so sagen muss, aber so war es leider.