Protocol of the Session on August 23, 2018

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Kollege Bellino. – Ich sehe, es gibt Konsens im Haus, dass wir das so machen, in Richtung Hauptausschuss. Dann ist dies so beschlossen.

Wie machen wir jetzt weiter? Machen wir eine Pause?

(Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE): Natürlich nicht! – Anhaltende Zurufe von der LINKEN und der FDP)

Meine Damen und Herren, ich habe nur gefragt; bitte beschimpfen Sie den Präsidenten nicht, wenn er eine Frage stellt. – Es geht also in der Beratung weiter.

Dann rufe ich Tagesordnungspunkt 52 auf:

Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend Zukunft hessischer Schulen – Drucks. 19/6673 –

Frau Kollegin Faulhaber hat das Wort.

(Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsiden- ten)

Meine Damen und Herren, wenn Sie alle sagen, man solle weitermachen, dann sollten Sie entweder dableiben oder sich vernünftig aus dem Saal begeben. Wenn hier jetzt jeder feiert und singt, dann brauchen wir es nicht zu machen. Ich bitte um Aufmerksamkeit. – Frau Kollegin Faulhaber hat das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auch dieses Jahr bricht der Kultusminister mit der langen Tradition, zum Schuljahresbeginn eine Regierungserklärung abzugeben. Das ist jetzt das zweite Jahr in Folge. Und was soll ich Ihnen sagen: Das wundert mich eigentlich überhaupt nicht. – Entgegen den Wiederholungen, der Endlosschleife des Abg. Schwarz, es gehe Hessens Schulen so gut wie nie zuvor, und alles sei so toll, weiß der Kultusminister: Es gibt keine Jubelmeldungen, die zum Schuljahresbeginn die Schlagzeilen füllen könnten; und das ist in einem Wahljahr natürlich schlecht.

Es gibt jede Menge Anlass, die schwarz-grüne Bildungspolitik zu kritisieren. Sie hat nämlich eine Negativbilanz; trotz aller Mahnungen aus der Opposition und den Lehrerverbänden sind Sie Ihrem eigenen Märchen der demografischen Rendite viel zu lange selbst auf den Leim gegangen. Was finden wir nun vor? – Lehrermangel in einem erschreckenden Ausmaß. An den hessischen Schulen ist Unterrichtsausfall Alltag. Das wissen wir von den Schulen selbst; und die Stichprobenerhebung der Landesschülervertretung im April dieses Jahres hat es nachdrücklich bestätigt. Trotzdem setzt sich das Kultusministerium nicht mit den Problemen auseinander. Der Unterrichtsausfall wird nach wie vor nicht systematisch erfasst. Jetzt stellt sich die Frage, wie dem gegengesteuert werden soll, wenn man das Problem einfach nicht zur Kenntnis nimmt.

(Beifall bei der LINKEN)

Ebenso wenig werden die enorm hohen Belastungen der Lehrkräfte und die daraus resultierenden gesundheitlichen Folgen zur Kenntnis genommen. Studien, die sich mit gesundheitlichen Belastungen von Schulleitungen und Lehrkräften beschäftigen, werden ignoriert. Das Kultusministerium kennt nach eigenen Angaben noch nicht einmal die krankheitsbedingten Fehltage an hessischen Schulen. Was soll das denn für ein Arbeitgeber sein?

(Janine Wissler (DIE LINKE): Ja!)

Betriebe mit einer ähnlich hohen Beschäftigtenzahl richten Präventivmaßnahmen ein, um die Gesundheit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu erhalten. Das Kultusministerium sieht aber keinen Handlungsbedarf, sondern wälzt eher weitere Aufgaben an die Schulen und Lehrkräfte ab, ohne an anderer Stelle für Entlastungen zu sorgen. DIE

LINKE hat daher mehrfach gefordert, eine Studie zur Belastung der Lehrkräfte und zur Ermittlung des tatsächlichen Lehrerbedarfs in Auftrag zu geben. Aber dazu sahen sich weder das Kultusministerium noch die die Regierung tragenden Fraktionen veranlasst.

(Alexander Bauer (CDU): Wir haben jetzt doch über 1.000 Lehrer mehr!)

Herr Kollege Bauer, dazu komme ich noch. – Vielmehr wurde weiter behauptet, es gebe keine Probleme. Zum Jahresbeginn legte das Kultusministerium seine Prognosen vor, allerdings mit viel zu niedrig angesetzten Schülerzahlen. Dort tauchen Tausende Schülerinnen und Schüler aus den Intensivklassen gar nicht auf, um nur ein Beispiel zu nennen. Dafür wiederholt man dieses Zahlen-Dropping, auf das Sie jetzt wieder kommen wollen – denn das ist ja Ihre Masche –, dass 4.350 Lehrerstellen und 700 Stellen für Sozialpädagogen geschaffen werden. – Ja, das ist wahr, ob das aber reicht bzw. wie hoch der Bedarf tatsächlich ist, wird nicht benannt.

(Alexander Bauer (CDU): Es ist aber ein Anfang! Es ist ein guter Anfang!)

Herr Bauer, nehmen wir doch einmal die rund 400 Sozialpädagogen für den Grundschulbereich. Die Zahl von 400 Sozialpädagogen hört sich zunächst gut an; aber setzt man sie in Relation zu den Grundschulen in Hessen, das sind im Moment 1.160, dann wird klar, wo man bei der Bedarfsdeckung eigentlich steht.

(Alexander Bauer (CDU): Das sind zum Teil Stellen, die geteilt werden! – Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Aber Sie wollen ja nicht sagen: „Wir wollen nur für ein Drittel der Grundschulen eine Sozialpädagogin finden“; denn das wäre ja keine Jubelmeldung. Dies würde aber zeigen, wo wir in Bezug auf die Bewältigung unserer Probleme stehen.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD – Zuruf des Abg. Alexander Bauer (CDU))

Jedenfalls uns hat das Jubelprogramm irgendwann gereicht; und im März haben wir dem renommierten Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie den Auftrag gegeben, den Lehrkräftebedarf bis zum Jahr 2030 zu ermitteln. Die Ergebnisse der Studie zeichnen ein ganz anderes Bild als Ihre Märchenlandschaft, die Sie hier gern erzählen. Ich würde Ihnen am liebsten die gesamte Studie vorlesen, doch dafür reicht hier leider die Zeit nicht. Wir haben diesen Antrag gestellt, damit es hier diskutiert wird und man sich damit auseinandersetzt.

Davon abgesehen, dass es mehr als bedenklich ist, wenn die Opposition die Arbeit der Landesregierung machen muss, würde ich Sie eindringlich auffordern, nun genau hinzuhören:

Bis zum Jahr 2030 steigen die Schülerzahlen an, und es werden 6.200 zusätzliche Lehrkräfte nötig sein. Mindestens 15.000 Lehrkräfte werden bis 2030 in den Ruhestand gehen; und es muss auch berücksichtigt werden, dass in den vergangenen fünf Jahren etwa 3.000 Lehrkräfte wegen Berufsunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand gegangen sind. Diese Zahl ist zwar gesunken, aber das wird sich irgendwie fortsetzen. Insgesamt besteht bis zum Jahr 2030 ein Bedarf, mindestens 26.000 Lehrerinnen und Lehrer zu ersetzen – hierunter sind jetzt keine Berufsschulen, keine

BFZs und keine Ausweitung der Inklusion. Es ist eine ganz konservative Berechnung. Auch gilt es nur, wenn alles bleibt wie bisher, wenn wir also die schlechte Lehrer-Schüler-Relation beibehalten, wenn Inklusion weiterhin ein Sparprogramm ist und wenn wir uns mit dem mageren Ganztagsschulprogramm zufrieden geben.

Meine Damen und Herren, werden wir diese 26.000 Lehrkräfte in der uns zur Verfügung stehenden Zeit überhaupt gewinnen können? – Wenn man sich die Studienkapazitäten in Hessen anschaut: Wenn diese bleiben, wie sie sind, dann werden sich in Hessen bis dahin 27.964 Menschen, also rund 28.000 Menschen, für ein Lehramtsstudium einschreiben können. Es sieht so aus, als würde es reichen. Aber der Anteil der Studierenden, die ihr Studium nicht beenden bzw. nicht in das Referendariat eintreten, liegt seit Jahren gleichbleibend bei 40 %.

(Alexander Bauer (CDU): Was ist mit dem Ländertausch?)

Mit den derzeitigen Ausbildungskapazitäten erreichen wir keine Deckung des Bedarfs. Das heißt: Hessen wird 2030 netto etwa 10.000 unbesetzte Lehrerstellen haben: 10.000 Lehrer, die wir nicht selbst ausbilden können, weil uns dafür die Kapazitäten fehlen.

(Alexander Bauer (CDU): Was kommt denn von anderen Bundesländern? Die bilden doch auch aus! – Gegenruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE): Dann ziehen wir die einfach von anderen Bundesländern ab!)

Ja, dann machen wir den Lehrermangel in der Bundesrepublik noch schlimmer. – Woher sollen diese Lehrerinnen und Lehrer kommen? Ich sage es noch einmal: Der Fehlbedarf von 10.000 Lehrkräften netto ist konservativ berechnet und reicht nur, um das Schulsystem so recht und schlecht weiterzuführen wie im Moment, also mit überfüllten Klassen vor allem in den Ballungsgebieten, in denen es noch nicht einmal genügend Schulen oder Räumlichkeiten gibt.

(Anhaltende Zurufe des Abg. Alexander Bauer (CDU))

Ich verstehe, dass Sie sich aufregen. – Dabei ist nicht berücksichtigt, dass andere Bundesländer uns Lehrkräfte abwerben. Sie werben uns Lehrkräfte ab, und das werden sie auch weiterhin tun. Nirgendwo ist die Wochenarbeitszeit von Beamtinnen und Beamten so hoch. Das ist nur ein Aspekt, ich sage nur: Nullrunde und Deckelung der Besoldungsanstiege.

Andere Bundesländer haben jetzt angefangen, ihre Grundschullehrkräfte vernünftig nach A 13 zu bezahlen. Davon will man in Hessen auch nichts wissen.

(Marjana Schott (DIE LINKE): Leider!)

Ich will jetzt noch einmal erwähnen, dass Hessen mit seiner Bildungspolitik im Bundesvergleich nicht vorne steht, sondern im Ländervergleich auf einem schwachen Platz 6. Das steht jetzt nicht in unserer Studie, das sagt der „Bildungsmonitor 2018“ des Instituts der deutschen Wirtschaft. Diese Studie wurde letzten Donnerstag vorgelegt. Wo steht Hessen? – Hinten bei der Schulqualität, bei der SchülerLehrer-Relation, bei den Bildungsausgaben, beim Fremdsprachenunterricht und bei der Ganztagsbeschulung. Beim Zusammenhang von Bildungserfolg und sozialer Herkunft

und bei der Lesekompetenz hat sich Hessen im Vergleich zum Jahr 2015 sogar verschlechtert.

Meine Damen und Herren der Regierungsparteien, so bewerten Ihre Freunde, die Unternehmer, die hessische Bildungspolitik. Das machen nicht wir, das machen sie schon.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gäbe also mehr als einen Grund zur Beunruhigung für den hessischen Kultusminister und zu einer realistischen Bestandsaufnahme und Planung. Es ist keine Werbung für den Lehrerberuf, wenn die Arbeit an den Schulen krank macht, wenn die Belastungen ständig steigen und der Kultusminister noch nicht einmal den Krankenstand kennt.

Meine Damen und Herren, was Sie nach fünf Jahren schwarz-grüner Bildungspolitik hinterlassen, ist erschreckend. Erschreckend ist auch, dass es so unprofessionell ist. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Faulhaber.

Bevor wir in der Debatte weitergehen, lassen Sie mich bitte eine Bemerkung machen: Diejenigen, die am lautesten geschrien haben, wir sollten weiter beraten, waren die Ersten, die aufgestanden sind und den Saal verlassen haben. Ich muss sagen, das ist ein unmögliches Verhalten. Das soll im Protokoll festgehalten werden. So kann es nicht sein.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und der FDP)

Ich bin mir auch nicht im Klaren darüber, ob es überhaupt noch eine Mittagspause geben soll, ob es später eine geben soll. Ich weiß es nicht. Aber ein solches Verhalten, das muss ich sagen – ich hätte fast gesagt, das verwirrt sogar mich, da gehört einiges dazu –, das finde ich unmöglich.

(Holger Bellino (CDU): Sie sind aber nicht da!)

Sie sind nicht da, sie sollen es aber hören. Sie sitzen alle irgendwo, wo sie die Übertragung hören. Deshalb sage ich das. – So geht es meiner Ansicht nach nicht, das ist auch kein vernünftiges parlamentarisches Verhalten. Das will ich protokollarisch festhalten, bevor wir weiter debattieren.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und der FDP)