Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Die Aktuelle Stunde der GRÜNEN besteht aus zwei Teilen. Einmal geht es um die Verkündung der Vorzugstrasse durch die Bahn bei der Neubaustrecke Frankfurt – Fulda für den Abschnitt Fulda – Gelnhausen. Der zweite Teil lautet ganz theatralisch: Die Verkehrswende schreitet weiter voran.
Meine Damen und Herren, wenn es einen Preis für die Fraktion im Hessischen Landtag geben würde, die die größte Selbstbeweihräucherung mit der geringsten Substanz vertritt, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wäre für mich haushoher Favorit.
Meine Damen und Herren, am vergangenen Freitag gab die Deutsche Bahn ihren favorisierten Verlauf für die geplante Neubau- und Ausbaustrecke zwischen Gelnhausen und Fulda bekannt. Es handelt sich bei dieser Ankündigung um die Vorzugstrasse der Bahn, die Variante IV. Sie soll zu elf Minuten kürzeren Fahrzeiten auf der Strecke Fulda – Gelnhausen führen und für ein verbessertes Nahverkehrsangebot in der Region sorgen. Das finden wir gut.
Die SPD fordert diesen wichtigen Lückenschluss im Fernverkehrssystem der Deutschen Bahn schon seit vielen Jahren. Daher begrüßen wir es, dass für den Teilabschnitt Fulda – Gelnhausen ein Vorschlag von der Bahn auf dem Tisch liegt. Unser Dank gilt natürlich allen Beteiligten. Wir finden es gut, dass dieses Dialogverfahren stattgefunden hat. Wir danken den Bürgerinnen und Bürgern, also allen, die sich an diesem aufwendigen Verfahren beteiligt
Wir wissen aber auch, dass es natürlich betroffene Bürgerinnen und Bürger geben wird, die diesen Vorschlag ablehnen. Wie es in einem Rechtsstaat üblich ist, werden viele Betroffene die rechtlichen Möglichkeiten dazu auch nutzen. Es werden also noch Jahre vergehen. Optimisten sprechen von frühestens 2023, bis die ersten Gleise verlegt werden. Die Optimisten sagen, dass es vor 2030 mit der Inbetriebnahme der Strecke sowieso nichts werden wird.
Meine Damen und Herren, frühester Beginn der Bauarbeiten: 2023, früheste Inbetriebnahme: 2030. Das nehmen die GRÜNEN zum Anlass, im Landtag zur Verkehrswende, „die in Hessen mit großen Schritten voranschreitet“, eine Aktuelle Stunde abzuhalten. Das zeigt: Entweder haben die GRÜNEN die Herausforderung an eine Verkehrswende nicht begriffen, oder sie haben bei der Verkehrswende sämtliche Ambitionen abgelegt.
Wir stellen fest, dass die GRÜNEN seit einiger Zeit ein Bild stellen, das nach folgendem Muster gestrickt ist: Unter den CDU-Landesregierungen passierte in Hessen nichts. Erst, seitdem wir in der Regierung sind, geschieht etwas. – Die Regierungserklärung des Ministers am vergangenen Dienstag war nach diesem Muster, das ist aber auch schiefgegangen. Meine Damen und Herren, da haben die GRÜNEN recht: Die CDU hat bei der Neubaustrecke Fulda – Frankfurt in ihrer Regierungszeit nichts getan.
Die Behauptung, dass die Verkehrswende nun voranschreitet, ist mehr als verwegen. Was macht denn diese Verkehrswende in Hessen eigentlich aus? Sind es die vielen Autofahrer, die tagtäglich in Hessen im Stau stehen? Sind es die Pendlerinnen und Pendler im Rhein-Main-Gebiet, die in überfüllten S-Bahnen, die zum Teil auch verspätet sind, sitzen und zu spät an ihre Arbeitsstätte und zu spät in den Feierabend kommen? – Sie sollten sie einmal fragen, wie sie diese Verkehrswende, die in Hessen „voranschreitet“, empfinden.
Was sagen Sie denn den Menschen im ländlichen Raum, deren Anbindung an den ÖPNV mehr als dürftig ist, wie sie die hessische Verkehrswende empfinden? – Meine Damen und Herren, wir brauchen mehr Kapazitäten im Ballungsraum, wir brauchen mehr Angebote im ländlichen Raum, und wir brauchen vernünftige Übergänge vom Individualverkehr zum ÖPNV. Ohne einen attraktiven ÖPNV ist eine Verkehrswende nicht möglich.
Hören Sie auf mit plakativen Formulierungen, gehen Sie an die Arbeit. Was Sie gut beherrschen, sind plakative Überschriften; aber wenn man hineinsticht, kommt ganz viel heiße Luft heraus.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Tag beginnt heute durchaus friedlich, das ist zur Abwechslung auch mal ganz nett.
Lassen wir es auch dabei. – Es ist richtig, die Ausbaustrecke Fulda – Frankfurt ist eines der wichtigsten Projekte seit der deutschen Einheit. Die Trasse Fulda – Frankfurt gehört zu den am stärksten belasteten Abschnitten des gesamten Netzes der Deutschen Bahn. Fernverkehr, Regionalverkehr, Güterverkehr, alle gehen über die gleichen Strecken. Es ist eine zentrale Achse für die NordsüdwestVerbindung und auch für die Ostsüdwest-Verbindung.
Meine Damen und Herren, es ist eben schon einmal angeklungen, dass die GRÜNEN das als ihr Projekt verkaufen wollen. Das ist ein bisschen schwierig. Seitdem die Idee ihren Niederschlag als Projekt gefunden hat, hat in diesem Haus bis auf die LINKE jeder schon einmal Regierungsverantwortung in den unterschiedlichsten Konstellationen getragen. Das Projekt ist seit 1992 im Bundesverkehrswegeplan und seit 2000 auch im Landesentwicklungsplan, z. B. unter der Regierungszeit von Dieter Posch.
Bemerkenswert ist der Bruch 2002. Dort wurden für zehn Jahre die Planungen abgebrochen und zurückgestellt, weil der Bund für das Projekt kein Geld zur Verfügung gestellt hat. Das war Rot-Grün, das war die Bundesregierung Schröder/Fischer. Die hat damals die Planungen eingestellt, und so sind zehn Jahre verloren gegangen. Das gehört zur Ehrlichkeit dazu.
Dass es unbedingt ein grünes Projekt ist, das weiß ich nicht. Ich finde das auch gar nicht schlimm; das Projekt ist ja wieder aufgenommen worden.
Meine Damen und Herren, noch zur letzten Regierungszeit von CDU und FDP ist das Dialogverfahren aus den Erfahrungen aus Stuttgart 21 ins Spiel gebracht worden. Man hat gesagt, wir müssen die Menschen mitnehmen. Das geschah aufgrund der Erfahrungen damals, welche Proteste und Widerstände es mittlerweile in der Bevölkerung zu solchen Ausbaustrecken gibt.
Wenn wir jetzt die Variante haben, die die Deutsche Bahn herausgefunden hat – es standen am Ende von vielen Varianten nur noch zwei zur Auswahl –, dann will ich sie fachlich-sachlich gar nicht bewerten. Die beiden Varianten, die zum Schluss noch eine Rolle gespielt haben, sind von der Fahrzeit identisch. Sie sind von der Länge fast identisch. Selbst bezüglich der Tunnelbauwerke und Brückenbauwerke ist kein großer Unterschied.
Die spannende Frage wird sein – Frau Müller, Sie haben das Dialogverfahren so stark angesprochen –, wie es am Ende zum Erfolg geführt wird. Das jetzt schon im Vorfeld zum Erfolg zu erheben – das weiß ich nicht. Das wird es erst sein, wenn die Bahnstrecke kommt.
Meine Damen und Herren, wenn Sie sich das anschauen – da gebe ich dem Kollegen Frankenberger ausdrücklich recht –:
Es dauert fast 30 Jahre, bis die erste Schiene tatsächlich gelegt wird. Dann kann man fragen, wenn die GRÜNEN von der Verkehrswende reden: Wo sind Ihre neuen Projekte?
Wenn man heute etwas anschieben will, wobei wir vielleicht alle nicht mehr erleben werden, dass wir es in Amt und Würden einweihen, dann muss man jetzt damit anfangen. Frau Müller, wo ist Ihr Transrapid? Wo ist Ihre Idee für den Transrapid?
(Beifall bei der FDP – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Du lieber Gott! – Weitere Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „In zehn Minuten“, Herr Kollege Lenders! – Weitere Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Glockenzeichen des Präsidenten)
Meine Damen und Herren – Moment, bitte, Herr Kollege Lenders –, macht einmal langsam, bitte keine Aufregung.
(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In fünf Minuten! – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Lenders auf den Spuren von Edmund Stoiber! Dass ich das noch erleben darf!)
Frau Müller, die Regionaltangente West ist mit Sicherheit ein Projekt, das hervorragend ist. Aber, Herr Al-Wazir, stellen Sie sich mit mir an die Strecken: Wo sollen die Regionaltangenten Süd oder Ost geplant werden? Wo ist Ihre Idee für eine Verkehrswende im Rhein-Main-Ballungsraum?
Machen wir das zusammen. Das können wir gerne machen. Die Fantasie von Ihnen fehlt mir. Wo sind Ihre Ausbaupläne für die Verlagerung der Mittelrheintrasse?
Sagen Sie: Wir nehmen die Trasse aus dem Mittelrheintal heraus und verlegen sie, um die Menschen von dem Lärm und den Durchgangsverkehren zu entlasten. Wo ist Ihr neues Projekt dazu?