Protocol of the Session on June 19, 2018

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

An dieser Stelle darf ich mir einen Blick zurück erlauben. Denn ich weiß, was alles an die Wand gemalt wurde, als ich mich vor fünf Jahren um das Amt des hessischen Wirtschaftsministers beworben habe. Ich wurde als Totengräber jeder wirtschaftlichen Entwicklung und Feind der Industrie bezeichnet. Ich meine nicht Kollegen Beuth. Der hat etwas anderes gesagt. Ich meine Kollegen Rentsch. Aber der Kollege – –

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Die Realität ist doch die: Die Industrie in Hessen ist stärker und nicht schwächer geworden. Der Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der Bruttowertschöpfung Hessens ist von 2013 bis 2017 gewachsen. Das ist sehr gut so.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn ein starker Standort braucht nicht nur Dienstleistungen, sondern eine ausgewogene Wirtschaftsstruktur.

Natürlich dürfen wir uns nichts vormachen. Das ist nur eine Netto-Betrachtung. Wir alle wissen, in welcher Situation Opel steckt oder was bei Siemens in Offenbach passiert.

Ich will an dieser Stelle ausdrücklich sagen: Die Landesregierung hat sich in beiden Fällen für die Beschäftigten eingesetzt. Wir tun das weiterhin. Aber in beiden Fällen geht

es nicht um ein generelles Problem des Standorts, sondern um eine Kette verfehlter Konzernentscheidungen.

Das Wichtigste, was wir für die Beschäftigten und für alle anderen Hessinnen und Hessen tun können, ist, dazu beizutragen, dass neue, zukunftsfähige Arbeitsplätze entstehen. Deshalb haben wir z. B. den Innovationskredit der Wirtschafts- und Infrastrukturbank geschaffen. Damit können innovative Unternehmen wachsen und Arbeitsplätze schaffen.

Ich will Ihnen zwei Beispiele nennen. Der E-Bike-Hersteller Riese & Müller aus Weiterstadt finanziert damit eine größere Produktion. Gegründet wurde das Unternehmen in einer Garage, jetzt hat es Hunderte Arbeitsplätze.

Akasol aus Darmstadt baut damit in Langen eine Fertigung von Lithium-Ionen-Batterien für Elektrobusse auf. Das ist die größte Fabrik ihrer Art in Europa, ebenfalls mit der Chance auf Hunderte Arbeitsplätze. Gegründet wurde Akasol als ein Verein von Studierenden der Technischen Universität Darmstadt. Jetzt läuft der Börsengang. Das ist eine Start-up-Story par excellence.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Beide Beispiele illustrieren, dass die Energie- und Verkehrswende nicht nur für das Klima und die Umwelt gut sind, sondern auch ein gutes Geschäft sind. Denn nachhaltige Technologien werden weltweit immer stärker nachgefragt. Für das Technologieland Hessen sind die Energieund die Verkehrswende deshalb ökonomische Offensiven. Es funktioniert eben: Mit grünen Ideen kann man schwarze Zahlen schreiben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Hessen ging es noch nie so gut. Aber auch im Jahr 2018 stehen wir vor Herausforderungen. Aus Sicht der Wirtschaftspolitik sind vier zu nennen.

Erstens. Der Aufschwung muss bei noch mehr Menschen ankommen. Es ist mehr als erfreulich, dass in den vergangenen drei Jahren unter dem Strich 12.000 Männer und Frauen aus der Dauerarbeitslosigkeit herausgekommen sind. Es ist erfreulich, dass die verfügbaren Einkommen insgesamt steigen. Aber dass sie im untersten Bereich seit Jahrzehnten stagnieren und zum Teil sogar sinken, ist nicht hinnehmbar. Denn da werden Männer, Frauen und Familien von der Wohlstandsentwicklung abgehängt.

Ich will sehr deutlich Folgendes sagen: Wer ehrlich arbeitet, muss davon anständig leben können. „Leistung muss sich lohnen“, ist ein gutes Motto. Für mich heißt Leistung ehrliche Arbeit. Das bedeutet, dass ehrliche Arbeit angemessen und gut bezahlt werden muss.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Natürlich kann man die Frage stellen: Was kann ein einzelnes Bundesland da tun? – Langzeitarbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigung betreffen vor allem die, die nicht oder ungenügend ausgebildet sind. Sie sind es oft, die vom Aufschwung nicht oder zu wenig profitieren.

An dieser Stelle möchte ich eine Zahl nennen: 60 % der Arbeitslosen in Hessen haben keinen oder keinen adäquaten Berufsabschluss. Es gibt also auch weiterhin viel zu tun.

Wir können aber auch auf Erfolgen aufbauen. Hessen ist inzwischen das Bundesland mit der niedrigsten Schulabbrecherquote. Das ist eine gute Nachricht für die Zukunft.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Seit 2014 haben wir das Bündnis Ausbildung Hessen mit dem erklärten Ziel, keinen Jugendlichen, der eine Ausbildung anstrebt, unversorgt zu lassen. Mit der Öffnung der Hochschulen für Absolventen einer Berufsausbildung haben wir die Mauer zwischen beruflicher und akademischer Bildung eingerissen und die berufliche Ausbildung deutlich attraktiver gemacht. Mit ProAbschluss haben wir erstmals ein Angebot für die, die für ihre gegenwärtige Tätigkeit nicht die passende Qualifizierung haben.

Künftig werden wir uns im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und den Fachkräftemangel noch mehr für die Nachqualifizierung engagieren müssen. Das ist umso wichtiger – das ist der zweite Punkt –, weil sich die Arbeitswelt gerade tiefgreifend verändert. Künstliche Intelligenz und Vernetzung entfachen eine Dynamik, die von manchen mit der industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts verglichen wird.

Ich will ausdrücklich sagen: Ich verstehe die Sorgen, die das auslöst. Aber ich bin davon überzeugt, dass die Digitalisierung unter dem Strich mehr Arbeitsplätze schaffen kann, als sie überflüssig macht, wenn wir sie richtig gestalten.

Unsere erste Aufgabe besteht darin, die Unternehmen dabei zu unterstützen, sich diesem Wandel anzupassen. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen brauchen da Unterstützung. Denn es geht eben nicht nur darum, eine alte Maschine gegen eine neue Maschine mit Touchscreen auszutauschen, sondern das Unternehmen und sein Geschäftsmodell neu zu denken.

Dafür haben wir den Digitalisierungs-Check Hessen entwickelt. Das ist ein einfaches Online-Tool als erster Schritt zu einer qualifizierten Digitalisierungs-Beratung, die ebenfalls gefördert wird. Es gibt ab jetzt auch den Digitalisierungs-Zuschuss. Damit unterstützen wir Investitionen in digitale Technologien und in die IT-Sicherheit mit bis zu 10.000 € pro Projekt. Ich lade jeden ein, sich das einmal auf www.digitales.hessen.de anzuschauen.

Mit dem Studiengang Master of Digital Transformation sorgt Hessen dafür, dass unsere Unternehmen die nötigen Fachleute für diese komplexe Aufgabe bekommen. Die Digitalisierung betrifft aber nicht nur die Akademiker. Daher fördern wir zweitens das Projekt Digital-Azubi, mit dem eine Zusatzqualifikation für digitale Kompetenzen der Auszubildende ausgearbeitet wird, und die von den Handwerksverbänden geplanten Digitalisierungs-Guides, mit denen das Digitalisierungswissen in die Handwerksbetriebe getragen werden wird.

Ich komme zu meinem dritten Punkt. Mindestens genauso wichtig wie die Unterstützung bestehender Firmen ist, dass hier neue Unternehmen entstehen, und zwar vor allem sogenannte Start-ups. Dabei geht es um technologiegetriebene Gründungen mit großer Wachstumsdynamik. Sie sind es, die die Arbeitsplätze der Zukunft schaffen und die Wertschöpfung ins Land holen.

Wir kümmern uns bereits um Start-ups, etwa über das HoLM, das House of Logistics and Mobility. Es bietet bei dieser für Hessen so wichtigen Frage den Start-ups zwei

Jahre lang kostenlose Räume. Es stellt ihnen Mentoren an die Seite und coacht sie.

Aber wir müssen mehr tun. Denn der Wettbewerb um die besten Geschäftsideen spielt sich international ab. Da zeigt Deutschland erheblichen Nachholbedarf.

Das ist nicht so, weil uns Talente oder Know-how fehlen würden. Es fehlt noch nicht einmal das Geld. Aber es fehlt die Bereitschaft, es Start-ups anzuvertrauen. Es gibt in Deutschland zu wenig Risikokapital. Deshalb gehen viele Start-ups mit ihren Ideen ins Ausland.

Wir wollen diesen Trend zumindest für Hessen stoppen, im besten Fall umkehren. Deshalb werde ich in Kürze mit dem Wissenschaftsminister eine gemeinsame Start-up-Initiative vorstellen.

Ich nenne vier Punkte, wo wir den Hebel ansetzen:

Erstens: beim Geld. Wir haben die finanziellen Förderinstrumente für Gründerinnen und Gründer in den vergangenen Jahren stetig weiterentwickelt. Das Angebot reicht inzwischen vom Mikrodarlehen bis zum millionenschweren Innovationskredit, von der Bürgschaft bis zur vorübergehenden Beteiligung. Wir verfeinern das Angebot nun im Hinblick auf Start-ups.

Ende 2017 ist der Beteiligungsfonds Hessen Kapital III an den Start gegangen. Er wendet sich ausdrücklich an Ausgründungen aus Hochschulen und Forschungseinrichtungen, die unerlässlich sind, damit Ergebnisse aus unseren hervorragenden Hochschulen schnell auf den Markt kommen.

Es gibt eine Finanzierungslücke für Start-ups in der Frühphase. Mit dem gestern gemeinsam mit dem Finanzminister vorgestellten Futury Venture Fonds helfen wir, sie zu schließen. Er stellt 20 Millionen € Risikokapital bereit. Zudem werden wir unsere erfolgreichen Mikrodarlehen – also Kredite bis maximal 25.000 € – um eine CrowdfundingKomponente erweitern. Crowdfunding gibt Gründern eine erste Gelegenheit, ihre Idee am Markt zu testen und Feedback zu erhalten. Sind die Signale ermutigend, können sie den Mikrokredit für den nächsten Schritt nutzen – eventuell in Kombination mit einer stillen Einlage. Auch dafür wollen wir die Möglichkeit schaffen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Minister, die Redezeit der Fraktionen ist erreicht.

Danke für den Hinweis.

Zweiter Ansatzpunkt: Wir zeigen, was wir haben. Bei der allgemeinen Unterstützung von Gründern ist das Land beileibe nicht allein aktiv. Alles in allem kommen wir in Hessen auf rund 250 öffentliche und private Akteure.

Dieses reiche Ökosystem aus Stiftungen, Initiativen, Hochschulen, Unternehmen und staatlichen Institutionen wird leider zu wenig wahrgenommen. Das wollen wir ändern. Denn wir wollen nicht nur Gründerinnen und Gründer in Hessen erreichen, sondern sie auch von anderswo anzie

hen. Dafür planen wir eine zentrale Anlaufstelle sowie eine Internetplattform mit allen Beteiligten und Aktivitäten.

Und – auch das ist neu – wir werden junge Talente auch an Hochschulen außerhalb Hessens und Deutschlands ansprechen, um mit den optimalen Bedingungen unserer Region zu werben: ein internationales und weltoffenes Umfeld, perfekte Erreichbarkeit und Highspeed-Internetverbindungen. Mehr noch: In Hessen werden Start-ups nicht bloß mit Geld ausgestattet und verwaltet, sondern hier wird sich gekümmert. Dazu werden wir eigens eine Anlaufstelle einrichten.

Dritter Ansatzpunkt ist die Vernetzung. Wir werden dafür sorgen, dass Start-ups, Fördereinrichtungen, Gründerzentren und Investoren in den Dialog kommen. Wir verstehen uns als Mittler zwischen etablierten Firmen und innovativen Start-ups.

Das Tech Quartier in Frankfurt zeigt uns, wie fruchtbar dieser Ansatz ist. Seit der Eröffnung vor eineinhalb Jahren ist es stetig gewachsen. Im September wird es einen zweiten Standort eröffnen. Schwerpunkt werden Start-ups aus den Bereichen Greentech und Cleantech sein. Längst greift das Tech Quartier über die Finanzszene hinaus. Das Anfang Juni vorgestellte Projekt mit Eintracht Frankfurt ist ein Beispiel, wie ein erfolgreiches mittelständisches Unternehmen die Zusammenarbeit mit Start-ups nutzt, um neue digitale Geschäftsfelder zu erschließen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben das Ziel, dass im Jahr 2022 Frankfurt/RheinMain führender Fintech-Hub Kontinentaleuropas und ein international renommierter Start-up-Standort sein soll. Dazu hat das Tech Quartier einen Masterplan mit 20 konkreten Maßnahmen ausgearbeitet, die jetzt Schritt für Schritt umgesetzt werden. Erfolge stellen sich bereits ein: Nicht umsonst hat die Silicon Valley Bank gerade ihren ersten Standort auf dem europäischen Festland in Frankfurt eröffnet.

Viertens. Dieser Punkt ist ganz zentral: Im Masterplan für die Rhein-Main-Region haben wir uns gemeinsam mit Universitäten die Einrichtung von Entrepreneurship-Lehrstühlen vorgenommen ebenso wie dezidierte Kurse zur Unternehmensgründung.