Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben jetzt beide Seiten gehört, die FDP mit extrem marktliberalen Ansichten und den Gesetzentwurf der LINKEN mit stark sozialistischen Ansätzen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Lenders (FDP): Bei Gelegenheit muss man sein Manuskript ändern!)
Meine Damen und Herren, die öffentliche Hand hat eine wichtige Marktmacht bei der Beschaffung von Ausstattung und bei den Investitionen in Infrastruktur durch öffentliche Aufträge der Kommunen und auch ihrer Eigenbetriebe – was schon jetzt im HVTG festgelegt ist – oder bei der Vergabe von Dienstleistungen. Deshalb muss sie ihre Marktmacht auch nutzen, um soziale und ökologische Komponenten bei der Beschaffung zu berücksichtigen. Damit kann die öffentliche Hand Vorbild für Verbraucherinnen und Verbraucher sein. Die gebündelte Marktmacht kann auch Anreize für die Massenproduktion umweltfreundlicher Produkte bieten.
Aus diesem Grund haben wir im Jahr 2015 das Hessische Vergabe- und Tariftreuegesetz verabschiedet, in dem explizit festgeschrieben ist, dass bei öffentlichen Aufträgen – jetzt zitiere ich aus § 2 – „grundsätzlich die Aspekte einer nachhaltigen Entwicklung in Bezug auf den Beschaffungsgegenstand und dessen Auswirkungen auf das ökologische, soziale und wirtschaftliche Gefüge zu berücksichtigen“ sind.
Bevor ich auf die einzelnen Punkte des Gesetzentwurfs der LINKEN eingehe, möchte ich noch einmal etwas zur Bauwirtschaft allgemein sagen, die im Mittelpunkt der Diskussion um die Tariftreue steht. Wir haben gestern in der Fragestunde gehört, wie hoch der Preisdruck in der Bauwirtschaft ist. Bei der Sanierung von Landesstraßen muss mit Preissteigerungen von bis zu 24 % gerechnet werden.
Das liegt sicherlich nicht nur an den immer knapper werdenden Ressourcen – dazu gehört beispielsweise der wichtige Baustoff Sand –, sondern vor allem auch an der guten Konjunktur und den steigenden öffentlichen Ausgaben im Baubereich und der damit hohen Nachfrage nach Baudienstleistungen. Die Auftraggeber können also ganz andere Preise verlangen, sich mit utopischen Preisen bei Ausschreibungen bewerben und am Ende noch nicht einmal mehr die Aufträge annehmen.
Sehr geehrte Damen und Herren, diese gute Situation bei den Auftraggebern muss dann auch über die Reallöhne bei den Beschäftigten ankommen.
Wir verleugnen nicht, dass auf Baustellen teilweise schlimme Zustände herrschen. Wenn Beschäftigte keinen Lohn ausbezahlt bekommen, wenn Wanderarbeiter ausgenutzt und aufgrund geringer Sprach- oder Rechtskenntnisse um ihr Recht betrogen werden und sich nicht zu wehren wissen, dann muss die Politik, dann muss der Staat handeln.
Ich sage ganz deutlich: Wenn rechtswidrige Zustände auf Baustellen herrschen, wenn kein Lohn bezahlt wird oder die Beschäftigten unter dem Mindestlohn bezahlt werden, dann ist es Aufgabe des Zolls, zu prüfen und gegen die Verstöße vorzugehen, auch mit rechtlichen Konsequenzen gegenüber den Arbeitgebern.
Jetzt schaue ich in Richtung der SPD-Fraktion; denn die Ausstattung des Zolls ist eine Bundesaufgabe, und der
(Hermann Schaus (DIE LINKE): Das betrifft auch Ihren Koalitionspartner, er ist auch in der Koalition im Bund! – Günter Rudolph (SPD): Natürlich hat nur die SPD Schuld!)
Um die Situation der Wanderarbeiter zu verbessern, unterstützen wir in Hessen die Beratungsstelle „Faire Mobilität“ des DGB, damit dort Ansprechpartner für die Arbeitskräfte aus dem Ausland auch in der eigenen Landessprache beraten und unterstützt werden können.
Ich will näher eingehen auf die von den LINKEN geforderte Landesbehörde zur Überprüfung. Das HVTG hat rechtliche Grundlagen geschaffen, dass Einblick in Abrechnungen und Geschäftsunterlagen gegeben werden muss, wenn ein Anlass dafür gesehen wird. Das Problem ist schlichtweg: Die Auftraggeber müssen diesen Spielraum auch nutzen. – Im Übrigen gibt es bereits Nachprüfstellen für die VOB in Hessen. Wir haben die Nachprüfstelle bei der Landesstraßenbaubehörde für die Vergaben von Hessen Mobil. Wir haben eine Prüfstelle bei der Oberfinanzdirektion in Frankfurt für die Hochbaumaßnahmen und jeweils für die Kommunen in den drei Regierungspräsidien.
Das bedeutet, es gibt durch das HVTG in den §§ 4, 6 und 9 unter anderem Regelungen dazu, wie kontrolliert wird und dass die öffentlichen Auftraggeber auch dazu da sind, diese Bestimmungen zu kontrollieren.
Unternehmen, die dagegen verstoßen – das ist die Konsequenz daraus –, riskieren, aus der öffentlichen Auftragsvergabe herauszufliegen.
Unser Ansatz ist, den Kommunen durch das HVTG freizustellen, ob sie die Kriterien nutzen und wie sie angewandt werden. Welche Kriterien genutzt und wie sie gewichtet werden, kann am besten vor Ort und auch individuell nach der jeweiligen Ausschreibung entschieden werden.
Ein weiterer Punkt ist, dass das HVTG bewusst an das Mindestlohngesetz des Bundes gekoppelt ist. Einen neuen Mindestlohn, der dann nur im Rahmen des öffentlichen Auftrags in Hessen, nicht aber bei privaten Aufträgen gilt, würde dazu führen, dass sich überhaupt keine Unternehmen mehr um öffentliche Aufträge bewerben würden,
vor allem nicht bei der jetzigen Konjunktur und Marktlage. Ich weiß schon, wer dann als Erstes schreien würde, dass es in Hessen einen Investitionsstau gäbe.
Mit dem bestehenden HVTG haben wir eine gesetzliche Grundlage geschaffen, dass die Tariftreue und der Ausgleich zwischen ökonomischen, ökologischen und sozialen Belangen eine bessere Gewichtung erfahren und – auch das ist wichtig bei der Ausgewogenheit – dass vor allem auch kleinen und mittleren Unternehmen sowie Handwerksbetrieben nicht der Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen versperrt wird.
Diese Ausgewogenheit ist wichtig, sie kommt mir bei Ihrem Gesetzentwurf deutlich zu kurz. Dann schauen wir einmal, was bei der Evaluierung hinsichtlich der Wirksamkeit der Tariftreueregelung herauskommt, die wir explizit im Gesetz verankert haben. – Vielen Dank.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Hermann Schaus (DIE LINKE): Wann wird denn mit der Evaluierung begonnen? Die müsste doch schon vorliegen!)
Vielen Dank, Frau Kollegin Kinkel. – Als nächste Rednerin spricht nun Frau Barth von der SPD-Fraktion. Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Auch die SPD-Fraktion ist nicht zufrieden mit dem aktuellen Hessischen Vergabe- und Tariftreuegesetz. Janine Wissler hat eben schon den DGB aus der Anhörung im Jahr 2014 zitiert: Es ist ein „zahnloser Tiger“.
Frau Kinkel, Sie haben eben angesprochen, es gebe doch Nachprüfungsstellen für das HVTG. Es gibt – das können Sie in der Antwort auf unsere Kleine Anfrage von Januar 2016 nachlesen – nicht einmal eine Handvoll Menschen für ganz Hessen, verteilt auf die drei Regierungspräsidien, Hessen Mobil und die OFD, die sich um Vergabeverstöße kümmern. Es sind genau 3,2 Stellen, wenn Sie es zusammenrechnen.
Diese Stellen werden auch nur bei Beschwerden tätig, nach wie vor gibt es keine Stichprobenkontrollen.
Über die Arbeit etwas Genaues zu erfahren ist schwierig. Laut der Antwort auf unsere Kleine Anfrage, Drucks. 19/2528, von Dezember 2015 würden weder bei den VOBStellen noch bei den Vergabekammern die Auftragswerte statistisch erfasst. Daher könnten nur die Fallzahlen genannt werden – übrigens auch nur bei zwei der drei Regierungspräsidien, da der Bearbeiter des RP Kassel zu diesem Zeitpunkt langfristig erkrankt gewesen sei. Die Vertretung werde daher vom RP Gießen übernommen, eine Auswertung sei für den oben genannten Zeitraum – wir sprechen von 2012 bis 2015 – nicht möglich. Weiter heißt es, für Hessen Mobil könnten keine Fallzahlen genannt werden, da keine Statistik über die Anzahl der Nachprüfungen geführt werde.
Auf unsere Frage, in wie vielen Fällen es in den letzten drei Jahren zu Beanstandungen kam, konnten ebenfalls keine Zahlen genannt werden, weil keine Statistik geführt worden sei. – In diesem Stil geht es dann noch weiter, ich erspare es Ihnen aber. So sieht die Kontrolle aus, die Sie veranlassen. – Meine Damen und Herren, das ist doch ein Witz.
Wir haben noch zwei weitere Anfragen gestellt, und zwar zu den Verkehrsdienstleistungen, bei wie vielen Betreiberwechseln auf Verlangen des Auftraggebers, also des Bestellers, die neuen Betreiber die Mitarbeiter des alten mit
ihren Ansprüchen und der Betriebszugehörigkeit aus ihren bisherigen Arbeitsverhältnissen übernommen hätten. Die Antwort war zunächst etwas dünn; immerhin erfuhren wir, dass es 28 Ausschreibungen seit Inkrafttreten des neuen Gesetzes gegeben hat.
Die Antwort auf Detailfragen, wie oft z. B. Sozialkriterien Teil der Ausschreibung waren – also Ihre so oft gelobte Kannbestimmung –, lautete vielversprechend „teilweise“. In einer zweiten Anfrage haben wir nachgehakt und erfuhren – hören Sie gut zu –, dass bei keiner Ausschreibung ein vollständiger Personalübergang angeordnet worden sei. In Rheinland-Pfalz steht das übrigens verpflichtend in dem Vergabegesetz. Das aber ficht Sie wenig an. Sie schreiben, es sei strittig, ob dies rechtlich überhaupt zulässig sei. – In der privaten Wirtschaft ist das bei einem Betriebsübergang im Übrigen völlig normal. Ich weiß nicht, woher Sie Ihre Weisheit nehmen.
Nur bei zwei der 28 Ausschreibungen waren Sozialstandards Teil der Ausschreibung. So nutzen Sie, liebe GRÜNE, die Marktmacht, die Sie vorhin beschrieben haben, mit Ihrem ausgewogenen Gesetz: in zwei von 28 Ausschreibungen.
Herr Minister Grüttner – ich weiß gar nicht, ob er da ist –, jetzt frage ich mich natürlich, weswegen Sie gestern in der „Frankfurter Rundschau“ durch Ihre Sprecherin haben mitteilen lassen, dass wir erst in einem halben Jahr Ihre Auswertung für die Verkehrsdienstleistungen erhalten sollen. Viele Stellen und Tarifpartner müssten befragt werden, behaupten Sie – dabei gab es doch lediglich 28 Ausschreibungen, und die Ergebnisse müssten Sie doch nur ausformulieren. Ich verrate Ihnen, warum: Es wird nämlich herauskommen, dass das Gesetz nicht nur beim Nahverkehr völlig unzureichend ist – ob im Baubereich, bei Dienstleistungen oder in allen anderen Bereichen. Nur deshalb wollen Sie die Evaluation verzögern.
Nein, meine Damen und Herren, so einfach geht das nicht. Wir erwarten, dass Sie jetzt zeitnah eine Überprüfung vorlegen – jetzt, und nicht erst nach der Wahl –, und dann werden wir anhand von Fakten sauber mit Ihnen darum ringen, was an dem Gesetz verändert werden muss, damit es endlich wirkt.
Es müssen endlich wirkungsvolle Kontrollen durchgeführt werden. Diese unsäglichen Subunternehmerketten müssen beendet werden. Der Hauptunternehmer muss haften. Verstöße müssen mit empfindlichen Strafen belegt und Firmen, die Verstöße begangen haben, sanktioniert werden, damit endlich die Missstände bei der Vergabe öffentlicher Aufträge wirkungsvoll bekämpft werden.
Es hat auch Auswirkungen. Aus dem Baubereich wissen wir, dass im Jahr 2017 der Baudurchschnittslohn der westlichen Bundesländer 16,68 € betrug. Und in Hessen? – Wir lagen mit 15,77 € auf dem letzten Platz in diesem Ranking.