Wir haben, wie gesagt, einen weitgehend unstrittigen Gesetzentwurf, was die grundsätzlichen Fragen angeht, aber man muss den Entwurf doch nicht als etwas verkaufen, was er überhaupt nicht ist. Es geht um eine Vereinbarung aus der Föderalismusreform, und das ist so in Ordnung.
Interessant ist eigentlich die Frage, wie man die 100 Millionen € pro Jahr klug verteilt. Sie schreiben in Ihrem Gesetzentwurf eine über die Jahre im Durchschnitt hälftige Aufteilung zwischen dem ÖPNV-Ausbau und Straßenausbau fest, wobei die Grenzen etwas verschwimmen. So finden sich z. B. der kommunale Elektro-Lkw bei der ÖPNVFörderung und Busspuren oder Bikesharing beim Straßenbau. Von daher – das ist keine Kritik – verschwimmen die Grenzen ein bisschen.
Die hälftige Aufteilung klingt natürlich salomonisch und ist politisch gut vermittelbar. Keine Seite kann sich auf den ersten Blick übervorteilt fühlen. Man kann es als einen kleinen Schritt in die richtige Richtung anerkennen, dass immerhin 50 % der Mittel für den ÖPNV-Ausbau festgeschrieben werden. Dennoch – das sehen wir natürlich anders als die FDP-Fraktion – wäre es ein wirklich mutiger Schritt gewesen, dem ÖPNV-Ausbau einen klaren Vorrang bei der Mittelvergabe einzuräumen.
Es wäre selbstverständlich auch gut gewesen, mehr Landesmittel in die Vorhaben zu stecken. Sie haben in der Liste der förderfähigen Vorhaben im Bereich des Straßenbaus sinnvolle Maßnahmen aufgeführt: Tempo-30-Zonen, Radund Fußwege, Car- und Bikesharing-Stationen und Parkand-Ride-Anlagen. Dennoch geht es auch hier um den Ausbau des Straßennetzes, und Sie erlauben auch einen Ausbau zur Verkehrsbeschleunigung. Hier hätten wir uns eine andere Schwerpunktsetzung gewünscht. Notwendig ist nämlich eine Verkehrswende. Das ist eine Herausforderung – wie zuletzt in den Wirtschaftswunderjahren, als Autos die deutschen Städte überfluteten und ein Verkehrschaos verursachten. Damals wurden die Bundesmittel für die „Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden“ geschaffen, über deren Ablösung wir heute sprechen.
Damals wurden beispielsweise im Rhein-Main-Gebiet die Grundlagen für S- und U-Bahnen geschaffen – Teile der Infrastruktur, die heute nicht mehr wegzudenken sind, die heute aber nur schwer durchzusetzen wären. Man muss nämlich schon feststellen, dass in den letzten 20 bis 30 Jahren die Verkehrsinfrastruktur weitgehend stagnierte. Die vielleicht wichtigste Neuerung in den letzten Jahrzehnten war die Einführung der Regiotram in Kassel.
Wir brauchen aber wieder große Würfe. Wir reden über Ausbauprojekte, die zum Teil schon seit Jahrzehnten in der Pipeline sind. Deshalb sind Tempo-30-Zonen und Busspuren zwar wichtig, aber sie wären von den Gemeinden wohl auch so zu stemmen, wenn diese ansonsten auskömmlich vom Land finanziert würden.
Deshalb ist es jetzt besonders wichtig, den Bau und Ausbau kommunaler Bahninfrastruktur zu fördern, die sonst nicht ohne Weiteres stemmbar wäre. Die dringend notwendigen Erweiterungen der Stadtbahn in Frankfurt, z. B. die Ginnheimer Kurve, gehören dazu wie auch die Wiesbadener Straßenbahn, die immer wieder Thema in diesem Haus war. Aber auch andere Gemeinden müssen in ihre ÖPNVInfrastruktur investieren können – gerade auf dem Land. Wir hatten heute Morgen eine Debatte über den ländlichen Raum und haben festgestellt, dass wir dort einen massiven Ausbau des Angebots brauchen. Dass die Wiederbelebung von Eisenbahnstrecken in kommunaler Hand gelingen kann, das beweist z. B. die Erfolgsgeschichte der Taunusbahn, die sich seit 1989 im Besitz des Hochtaunuskreises befindet.
Deshalb: Eine Erhöhung der Kapazitäten und der Zahl der Direktverbindungen im Ballungsraum und die überhaupt erstmalige Herstellung eines attraktiven ÖPNV-Angebots auf dem Land sind Voraussetzungen für die Verkehrswende weg vom Privat-Pkw.
Diese Verkehrswende brauchen wir dringend. Wir brauchen sie, um die Klimaziele noch irgendwie einhalten zu
können. Wir brauchen sie, um die Schadstoffbelastung in den Städten zu senken und um Lebensqualität und Platz im Ballungsraum zu gewinnen. Zur Attraktivität gehören natürlich auch geringere Fahrpreise. Auch ein Nulltarif wäre möglich, aber darüber können wir morgen früh in der von der LINKEN beantragten Aktuellen Stunde diskutieren.
Ich will auch noch erwähnen, dass für mich zum Ausbau des ÖPNV-Angebots auch immer die Barrierefreiheit gehört. Wenn alle Menschen wirklich den ÖPNV nutzen können sollen, bedeutet das eben auch, dass die Barrierefreiheit hergestellt werden muss und dass diese verlässlich sein muss.
Barrierefreiheit bedeutet, dass man sich darauf verlassen können muss, dass der Fahrstuhl auch fährt.
Wir haben in den letzten Wochen teilweise grausige Beispiele dafür gehört, was an hessischen Bahnhöfen in Sachen Barrierefreiheit so alles im Argen liegt.
Deshalb: Die Kommunen brauchen endlich Planungssicherheit für ihre Ausbauprojekte, auch über 2019 hinaus. Deswegen ist es richtig, dass der Gesetzentwurf jetzt endlich eingebracht wurde. Ähnliche Gesetze wurden in anderen Bundesländern – wenn ich richtig informiert bin – teilweise sogar einstimmig verabschiedet. Mit den Details sollten wir uns in den weiteren Beratungen auseinandersetzen.
Aber die Landesregierung hat an dieser Stelle weder sehr schnell gehandelt, noch hat sie eine große eigene Initiative ergriffen, sondern sie setzt Vereinbarungen aus der Föderalismusreform um. Das ist in Ordnung. Das ist nicht zu kritisieren. Aber man muss sich dafür auch nicht loben. – Vielen Dank.
Wir sind am Ende der Aussprache und überweisen den Gesetzentwurf zur Vorbereitung der zweiten Lesung an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung. – Es herrscht allgemeine Zustimmung.
Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein Zweites Gesetz zur Änderung des Hessischen Altenpflegegesetzes – Drucks. 19/6075 –
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieses Zweite Gesetz zur Änderung des Hessischen Alten
Ich will keine Umschweife machen. Der stetig wachsende Bedarf an qualifiziertem Fachpersonal in der Altenpflege ist uns allen bekannt. Wir wissen, dass zurzeit etwa 5.000 junge Leute in der Ausbildung zum Altenpfleger oder zur Altenpflegerin sind. Ich möchte feststellen: Das sind mehr als dreimal so viele wie noch vor sechs Jahren. Dennoch wissen wir auch, dass der Bedarf noch größer ist.
Gleichzeitig erkennen wir den enormen Bedarf junger Menschen mit Fluchthintergrund an persönlichen und beruflichen Integrationsmöglichkeiten. Ich begrüße die durch das Sozialministerium und durch das Kultusministerium initiierte und von Trägern, Verbänden, Arbeitgebern und Ausbildungsstätten mitgetragene Landesinitiative „Pflege in Hessen integriert“ sehr. Sie gibt nämlich die richtige Antwort auf zwei wesentliche Bedarfe: Wir brauchen mehr Pflegekräfte, und wir brauchen die berufliche Integration von Menschen mit Fluchthintergrund. Die Kooperation von Altenpflegeschulen und beruflichen Schulen im Sinne einer integrierten Modellausbildung nach Abschluss der sogenannten InteA-Klassen ist dazu genau die richtige Maßnahme.
Während der Modellausbildung werden zwei Abschlüsse erworben. Es ist der Hauptschulabschluss, und es ist der Berufsabschluss zum Altenpflegehelfer. Damit eröffnen wir viele Möglichkeiten. Es gibt die Möglichkeit, mehr Pflegefachkräfte zu gewinnen, und es ist für die jungen Leute mit Fluchthintergrund nach weiterer sprachlicher Bildung der Schlüssel zur beruflichen Integration und damit auch der Schlüssel zu einem selbstbestimmten Leben bei uns in Deutschland.
Voraussetzung dafür ist die Änderung des Gesetzes und damit die Möglichkeit, an dem Modellversuch teilzunehmen, ohne vorher den Hauptschulabschluss erworben zu haben. Ich kann mir nichts anderes vorstellen, als dass Sie diesen ausgesprochen sinnhaften Änderungen des Gesetzes zustimmen werden. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Klaff-Isselmann. – Das Wort hat Frau Kollegin Schott, Fraktion DIE LINKE. Bitte sehr.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Landesregierung hat wahrscheinlich einen Sketch von „extra 3“ gesehen. Der geht so: Es stehen zwei Befrager einer Gruppe von Menschen gegenüber und stellen ihnen Fragen. Die Menschen dürfen bei jeder Frage einen Schritt vorgehen, wenn sie das wollen. Auf die erste Frage „Wer sucht einen Job?“ gehen alle einen Schritt vor. Auf die zweite Frage „Wer will in einem hohen Maß Verantwortung übernehmen?“ gehen immer noch die meisten einen Schritt vor. Dann kommt die Frage: „Wer will einen wichtigen Job in dieser Gesellschaft erfüllen?“ Es gehen immer noch alle einen Schritt vor. Zudem kommen Fragen wie: „Wer will Menschen glücklich machen?“
Dann wird die Frage gestellt „Wer will 16-StundenSchichten arbeiten?“ Hier bleiben die meisten schon stehen. Bei der Frage „Wer ist bereit, bei seiner Arbeit regelmäßig 70 bis 80 kg zu heben?“ geht kein Mensch mehr vor. Es gehen alle zurück. Dann kommt noch die Frage „Wer will das Ganze für einen Hungerlohn machen?“ Es bleibt noch eine einzige Frau stehen, auf die sich die beiden Befrager stürzen. Diese Frau ist eine Migrantin – eine Migrantin, die kein Wort verstanden hat. Der Sketch ist wahrscheinlich Grundlage dieses Gesetzentwurfs.
Ich hoffe, dass die Absolventinnen und Absolventen der InteA-Kurse so viel Deutsch gelernt haben, dass sie verstehen, was hier auf sie zukommt: ein wunderschöner Beruf mit harten Arbeitsbedingungen, unbedingt erforderlich für die Gesellschaft, in der immer mehr Menschen hochaltrig sind und einen hohen Pflegebedarf haben, der von der Familie nicht mehr gedeckt werden kann.
Das ist aber auch ein Beruf mit einem enormen Personalmangel. Einem Personalmangel wollen Sie jetzt ein Stück weit abhelfen, indem Altenpflegehelferinnen und Altenpfleger ausgebildet werden sollen, die während der Ausbildung den Hauptschulabschluss erwerben können. Im Prinzip ist das keine schlechte Sache. Ich frage mich nur, warum der Abschluss nicht bereits in der InteA-Maßnahme erfolgt. Aber das war gar nicht erst vorgesehen. Vielleicht liegt da der erste Fehler des ganzen Konstrukts.
Den Personalmangel mithilfe von Zuwanderern zu verringern, ist sicher sinnvoll, wenn die Betroffenen sich dazu bereit erklären, nicht vom Jobcenter genötigt werden und wenn sie dafür geeignet sind. Dann ist es eine gute Sache. Es hilft aber nicht – –
Sie können gerne nach vorne kommen und reden, aber jetzt rede ich. – Es hilft aber nicht, den Personalmangel insgesamt zu bekämpfen; denn er hat seine Gründe.
Ein Problem des Berufs ist, dass Pflegekräfte von dem Gehalt in den Ballungsgebieten nicht einmal mehr ihre Miete bezahlen können, obwohl sie bis zum Umfallen arbeiten. Sie alle waren in der Debatte um unseren Antrag der Meinung, dass die Festlegung der Höhe der Vergütung die Aufgabe der Tarifparteien sei. Das ist zunächst richtig, aber nur wenn die Betriebe auch tarifgebunden sind. Das sind gerade in der Langzeitpflege immer weniger.
Deshalb gibt es einen Pflegemindestlohn. Dieser wird vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales in einer Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche festgelegt. Wir haben die Landesregierung aufgefordert, sich dafür starkzumachen, dass dieser Mindestlohn für diese so wichtige Arbeit auf 14,50 € erhöht wird. Das haben Sie abgelehnt – die SPD übrigens auch.
Mit den Pflegesätzen aus der Pflegeversicherung lässt sich keine Pflege finanzieren. Dazu gab es bereits zynische Sprüche des designierten Gesundheitsministers. Diese will ich hier nicht wiederholen; das verbietet mir meine gute Erziehung. Gleichzeitig wird von Schwarz-Grün und der