Protocol of the Session on February 27, 2018

(Michael Boddenberg (CDU): Immerhin!)

Ja, das habe ich doch auch gesagt, Herr Boddenberg.

Aber ich glaube, dem Sicherheitsgefühl der Bevölkerung entspricht nicht ganz das, was der Innenminister hier gesagt hat,

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

sondern wenn Sie die Bevölkerung einmal fragen, ob sie glaubt, ob die Straftaten insgesamt eher zurückgehen, dann werden die Menschen sagen: Nein, dieses Gefühl haben wir nicht. – Da muss man einmal sehr genau hinsehen, warum das so ist.

(Holger Bellino (CDU): Weil es schlechtgeredet wird!)

In Hessen hat sich die Zahl vor allem deshalb so verringert, Herr Boddenberg, weil es im Bereich der Verstöße gegen Aufenthalts-, Asyl- und Freizügigkeitsgesetz allein 24.355 Fälle weniger gibt.

(Holger Bellino (CDU): Aber das ist doch auch gut, dass es weniger gibt!)

Das ist kein hessisches Verdienst. Das liegt daran, dass die Zuwanderung abgenommen hat. Das ist ein bundesweiter Trend, also keine herausragende hessische Leistung.

(Beifall bei der SPD)

Dennoch bleibt ein Rückgang von nahezu 12.000 Fällen. Ich sage es noch einmal: Das entspricht nicht dem subjektiven Sicherheitsgefühl der Menschen.

Was kann man denn als Landesregierung tun, damit die subjektive Sicherheit der Menschen gesteigert wird? – Die Bürgerinnen und Bürger haben das Recht, unabhängig von ihrer persönlichen Situation, ihrer finanziellen Situation umfassend vor Kriminalität geschützt zu werden. Das ist aus unserer Sicht auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Ein starker, entschlossener und vor allen Dingen handlungsfähiger Rechtsstaat ist dafür die Voraussetzung. Dazu gehört vor allem gut ausgestattetes und ausreichendes Personal.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU – Michael Boddenberg (CDU): Uneingeschränkter Beifall, kann ich da nur sagen! Das war nämlich nicht immer so!)

Wo Straftaten nicht verhindert werden können, Herr Kollege Boddenberg, muss die Strafverfolgung konsequent und wirkungsvoll möglich sein und vor allen Dingen auch durchgesetzt werden. Da kommen wir zu einem großen Problem in Hessen.

Genau hier haben wir nämlich ein großes Problem. Wenn z. B. – das ist jetzt ein Fall aus Hessen – ein hessischer Polizeibeamter, weil er als Polizeibeamter von einem Drogendealer erkannt wurde, so krankenhausreif geschlagen wurde, dass er für immer dienstuntauglich bleibt, und der Täter dafür nur zu zwei Jahren auf Bewährung vor einem hessischen Gericht verurteilt wurde, also als freier Mensch aus dem Gerichtssaal herausspazieren konnte, dann stimmt da etwas nicht.

(Beifall bei der SPD)

Das bekommen die Bürgerinnen und Bürger mit. Dafür braucht es keine neue Strafverschärfung, sondern eine konsequente Anwendung der Gesetze.

(Michael Boddenberg (CDU): Da sind wir wirklich die Letzten, die das anders sehen!)

Wenn bei den furchtbaren Ausschreitungen der EZB-Eröffnung im Jahr 2015 150 Polizeibeamte verletzt werden und gerade einmal 14 Strafbefehle und sechs Verurteilungen dabei herauskommen,

(Michael Boddenberg (CDU): Da sind wir die Letzten, die das anders sehen! – Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

dann waren das 130 Fälle, in denen es verletzte Polizeibeamte gab, die aber nicht einmal zur Gerichtsverhandlung gekommen sind. Da frage ich mich, wo hier die Verantwortung des Innenministers ist, der sie bis heute nicht übernommen hat, Herr Boddenberg.

(Beifall bei der SPD – Michael Boddenberg (CDU), auf DIE LINKE deutend: Wir wollen mit denen nicht koalieren, Frau Kollegin!)

Das war kein bisschen konsequent in diesem Bundesland – übrigens im Gegensatz zu Hamburg.

(Michael Boddenberg (CDU): Wir wollen mit denen nicht koalieren! – Gegenruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Brauchen Sie Baldrian? – Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Die Dauer, bis in Hessen ein Strafverfahren eröffnet wird, liegt übrigens bei 3,2 Monaten. Bundesweit liegt sie bei 2,5 Monaten. Die Dauer eines Strafverfahrens beträgt in Hessen fünf Monate, bundesweit 3,9 Monate. Das ist viel zu lange. Die Täter müssen aber schnell merken, dass ihr Fehlverhalten vom Staat auch geahndet wird, und zwar zeitnah. Das wird in Hessen nicht gemacht.

(Beifall bei der SPD)

Diese verlängerte Verfahrensdauer trägt aber gerade nicht zu einem besseren Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger bei. Sie merken es auch, und sie merken es auch im Anzeigeverhalten. Ich sage Ihnen auch, woran das liegt, meine Damen und Herren von der CDU: Es liegt schlicht am Personalmangel bei der Justiz, dass die Verfahrensdauer so lange ist, und an nichts anderem.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU: Oh!)

Aber was können wir tun, um das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu verbessern und um vielleicht auch zu einem besseren Anzeigeverhalten zu kommen? – Wir fordern heute mit unserem Antrag, eine Studie mit wissenschaftlicher Begleitung in Auftrag zu geben, mit der das Dunkelfeld der Kriminalität erforscht werden soll. Denn in der Kriminalitätsstatistik – ich sage das Jahr für Jahr – sind nur die Straftaten erfasst, die durch Anzeige der Bürger oder durch Wahrnehmung der Polizei bekannt geworden sind.

(Alexander Bauer (CDU): Das ist überall so!)

Wir wissen aber, dass im Bereich der häuslichen Gewalt oder der Sexualdelikte das Dunkelfeld sehr hoch ist und nur wenige Straftaten tatsächlich angezeigt werden. Aber auch in einem Bereich, wo man es vielleicht nicht vermutet – Herr Bauer, wir waren bei einer gemeinsamen Veranstaltung, wo das gesagt wurde, beim dbb –, auch bei den Gewaltdelikten z. B. im Bereich der Körperverletzung, werden nur 50 % aller Fälle zur Anzeige gebracht. 50 % – da ist das Dunkelfeld wirklich enorm. Das hat natürlich auch

etwas damit zu tun, wenn die Bürgerinnen und Bürger meinen, eine Anzeige würde nichts bringen.

Deshalb brauchen wir in Hessen eine solche Dunkelfeldstudie, um ein umfassendes, realistisches Kriminalitätslagebild zu haben. Die letzte Innenministerkonferenz hat so etwas für Gesamtdeutschland gefordert, und andere Bundesländer haben das übrigens schon längst durchgeführt. So etwa Niedersachsen – das haben Sie übrigens selbst in der Beantwortung einer Frage als wegweisend beschrieben –, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern haben solche Dunkelfeldstudien bereits umgesetzt. Nur wer das wirkliche Ausmaß von Kriminalität erfasst, kann die richtigen Präventionskonzepte erstellen und die Kooperation mit der Bevölkerung verbessern. Negative Entwicklungen können früher und klarer erkannt werden und entsprechende Maßnahmen ergriffen werden.

Meine Damen und Herren, ich hoffe sehr, dass wir Ihre Unterstützung für eine solche Dunkelfeldstudie bekommen. Ich wüsste nicht, was dagegen spricht.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE) – Zuruf von der CDU: Im Leben nicht! – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): „Im Leben nicht“, sagt er! – Clemens Reif (CDU): Damit Sie weiter im Trüben fischen können!)

Zurück zur Kriminalitätsstatistik, die nicht nur in manchen Bereichen Licht, sondern auch viel Schatten enthält. Die Aufklärungsquote im Bereich der Wohnungseinbruchdiebstähle, die vom Innenminister so viel gelobt wird, liegt gerade mal bei 21 % –

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

nicht annähernd so hoch wie die Gesamtzahl der Aufklärungsquote und im Vergleich zum Vorjahr übrigens gesunken. Das hat der Innenminister in seiner Rede natürlich nicht gesagt.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Natürlich nicht! – Michael Boddenberg (CDU): Für das andere haben wir Sie doch!)

Er lobt nur den hohen Rückgang der Fallzahlen, was erfreulich ist, aber im Übrigen auch wieder ein bundesweiter Trend und kein hessisches Spezifikum ist. Herr Boddenberg, insofern glaube ich, dass man bei den Delikten der Wohnungseinbrüche etwas genauer hinschauen muss. Es ist ein sehr belastendes Delikt,

(Michael Boddenberg (CDU): Erst einmal ist es weniger geworden!)

das die Menschen total belastet, wenn in ihren Wohnraum eingebrochen wird.

(Michael Boddenberg (CDU): Ich habe es schon erlebt! Aber es ist weniger geworden!)

Wir haben heute nicht erlebt, dass der Minister viel dazu gesagt hat. Wir haben bereits 2012 Vorschläge dazu gemacht, wie man diese Zahlen zurückführen könnte. Zur Bekämpfung dienen insbesondere präventive Maßnahmen zur Eigensicherung, die Entwicklung von Konzepten mit den Wohnungsbaugesellschaften, um Einbruchschutz zu gewährleisten, strukturelle Verbesserungen der Ermittlungsarbeit,

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Machen wir!)

Best-Practice-Modelle aus anderen Bundesländern, länderübergreifende Zusammenarbeit, um Mehrfach- und Intensivtäter besser zu verfolgen,

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das macht das Land! Wo leben Sie? – Gegenruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): In Hessen!)

und eine bessere Personalausstattung.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Erst einmal müssen Sie sich die Präventionsarbeit des Landes anschauen!)

Herr Innenminister, wo waren eigentlich Ihre Vorschläge heute? Sie haben dazu nichts gesagt. Sie loben sich nur oberflächlich für Ihre vermeintlichen Erfolge.

(Beifall bei der SPD)