Protocol of the Session on November 23, 2017

Vielleicht können wir uns darauf verständigen – es wäre meine Bitte, dass diejenigen, die unsere Arbeit begleiten, das auch mitnehmen, also die öffentliche Meinung –: Was soll ein Politiker machen, wenn er immer vor dem Schafott steht, um gekreuzigt zu werden, weil er das, wofür er eingestanden ist, nicht zu 100 % nach Hause bringt,

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Wenn er vor dem Schafott steht, wird er nicht gekreuzigt!)

und als Umfaller oder als prinzipienlos bezeichnet wird? Ist er bereit, sich auf Kompromisse einzulassen, dann ist er konturenlos, dann hat er keine klare Kante, dann steht er nicht für seine Überzeugungen und ist am Ende nur noch an – igittigitt – Posten und Dienstwagen interessiert.

Diese Melodie ist ein Teil des Grundes für die Abwehr oder, besser gesagt, die Abkehr vieler Bürgerinnen und Bürger von diesem System. Deswegen geht es mir darum: Der Sinn von Demokratie ist nicht Schwarz oder Weiß – entweder haben wir recht, dann schmeißen wir alle anderen aus dem Saal, oder die anderen machen es.

Der Sinn von Demokratie ist auch nicht der Konsens. Das ist ein großes Missverständnis. Wenn wir alle nur im Konsens auftreten würden, dann wären wir nicht mehr unterscheidbar. Der Sinn von Demokratie in einer Parteienlandschaft, wie wir sie haben, muss der Kompromiss sein, nicht der Konsens. Es geht um den Kompromiss, der hart erarbeitet ist, um den wir gerungen haben, der aber tragfähig ist.

Jetzt setze ich mir einen anderen Hut auf, den des Parteivorsitzenden, und sage zu dem Kompromiss: Wenn ich das hätte alleine lösen können, dann hätten wir das so gemacht. Jetzt kann ich es aber nicht alleine lösen und muss anderen zugestehen, die es auch nicht alleine lösen können, dass wir eine gemeinsame Lösung finden. Dabei ist doch die Schnittmenge entscheidend. Finden wir etwas, was in der Sache hilft?

Damit das nicht zu theoretisch ist, hier ein Beispiel. Ich fand 80 % Entlastung für die Steuerzahler vom Soli ein sehr gutes Ergebnis. Da kann man sagen: 100 % sind besser. – Ich fand, 7 GW aus der klimaschädlichen Kohlestromerzeugung herauszunehmen, eine gute Sache. Man kann sich auch mehr vorstellen. Ich fand die Erhöhung des Kindergeldes für Familien gut. Ich hätte mir gewünscht, wir wären auch noch in eine Steuerreform eingetreten.

Gerade in meiner Funktion habe ich sehr darauf geachtet, dass wir eine Fortführung der Hochschulförderung beschließen. Das ist wichtig für unser Land.

(Beifall des Abg. Daniel May (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich bin dafür eingetreten, dass wir uns auf eine steuerliche Unterstützung der Forschungsförderung einigen. Wir waren uns in allem einig. Ich hätte auch noch ein paar Ideen mehr gehabt, die gerade für unser Land wichtig gewesen wären.

Am Ende geht es darum: Finden wir eine Gemeinsamkeit, in der wir für das Land etwas Gescheites hinbekommen, zu dem wir sagen können: „Da haben wir auch unseren Anteil eingebracht, und wir können uns wiedererkennen“?

Es kommt noch eines hinzu. Wenn das nicht nur Show sein soll, dann muss man auch die Kraft haben, vor die eigenen Leute zu treten und zu sagen: Ihr habt mir ein Mandat mitgegeben, ich habe mich nach besten Kräften bemüht, ein gutes Ergebnis zu erzielen, und ich bin auch bereit, für dieses Ergebnis in meiner eigenen Partei zu fechten.

Meine Damen und Herren, wenn wir diese Grundsätze nicht gemeinsam hochhalten, dann werden Sie erleben, dass die Dinge nicht besser, sondern schwieriger werden. Das trifft dann auch unser Hessenland. Insofern bin ich froh, dass wir heute Morgen einmal darüber sprechen.

Jede Partei hat ihre Interessen, das ist auch in Ordnung so. Am Ende sollten wir es aber nicht übertreiben.

Ich will mich ausdrücklich beim Bundespräsidenten bedanken. Ich hoffe, dass seine Bemühungen erfolgreich sind. Ich sage aber auch: Wenn es denn nicht so ist – da bitte ich jetzt um Verständnis, dass ich mich nicht noch einmal melden muss –, sind wir als Union jederzeit in der Lage, einen erfolgreichen Wahlkampf zu führen.

Bevor wir das tun, sollten wir doch einmal schauen, ob die Fragen, die wir eben miteinander diskutiert haben, es nicht wert sind, sich zusammenzutun. Die Bürgerinnen und Bürger, davon bin ich überzeugt, werden es uns danken. – Herzlichen Dank.

(Lang anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. – Meine Damen und Herren, Sie kennen die Geschäftsordnung des Hauses. Der Herr Ministerpräsident hat

(Günter Rudolph (SPD): 24 Minuten und 20 Sekunden!)

19 Minuten über die Redezeit gesprochen, deswegen wachsen jeder Fraktion in der Aktuellen Stunde diese 19 Minuten zu. Ich weise auch darauf hin, dass in der Aktuellen Stunde jeder Redner nur einmal das Wort ergreifen kann.

(Günter Rudolph (SPD): Wir haben uns auf eine andere Regelung geeinigt!)

Ihr habt euch anders geeinigt. Die Fraktionsvorsitzenden dürfen mehrfach reden. – Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende der SPD-Fraktion, Thorsten Schäfer-Gümbel.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! „Wir können unserer Partei keine Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union empfehlen“, so Claudia Roth im Oktober 2013.

Angela Merkel vor wenigen Wochen: „Auf absehbare Zeit ist die SPD auf Bundesebene nicht regierungsfähig.“

(Zuruf des Ministerpräsidenten Volker Bouffier)

Der Ministerpräsident ruft von hinten zu: „Das stimmt“, damit auch das im Protokoll steht.

(Günter Rudolph (SPD): Genau! – Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

In den Wochen des Respekts und nach seinen Ausführungen, die sich zu einem Drittel mit der Sozialdemokratie beschäftigten und wobei er am Ende wieder so tat, als ginge es doch um ein großes Gemeinsames, zeigte es sich ein bisschen – ich sage es einmal freundlich, um kein rügenswertes Wort zu verwenden – widersprüchlich zu dem,

(Günter Rudolph (SPD): Mindestens!)

was ich gelegentlich in den Sonntagsreden einiger Vertreter auch aus dem Hessischen Landtag höre.

(Beifall bei der SPD)

Die deutsche Sozialdemokratie war nicht daran beteiligt, dass Jamaika gescheitert ist. Dass Sie das hier miteinander diskutieren, ist Ihr gutes Recht; machen Sie das, das geht uns nichts an. Wir haben natürlich ein paar politische Punkte mit zu bewerten, keine Frage.

Ich habe beispielsweise aufmerksam zur Kenntnis genommen, dass die FDP im Anschluss an die Verhandlungen erklärt hat, dass die Verhandlungen durch die Bundeskanzlerin chaotisch und wenig zielführend organisiert waren.

(Zuruf von der SPD: Hört, hört!)

Ich habe zur Kenntnis genommen, dass diese Einschätzung von Robert Habeck, dem Landesvorsitzenden von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aus Schleswig-Holstein, in den letzten 48 Stunden ausdrücklich geteilt wurde. Das habe ich zur Kenntnis genommen. Das spricht ein bisschen dafür, dass auch die Botschaften anderer, denen zufolge die Bundeskanzlerin mit ihrem Politikstil und ihrer Art, Verhandlungen zu führen – das ist auch nicht ganz neu, es gibt auch auf unserer Seite Erfahrungen damit –, nicht immer ganz zielführend ist und dass das große Lob, das eben versucht wurde, vielleicht nicht ganz richtig ist.

(Beifall bei der SPD)

Es könnte auch sein, dass Frau Merkel am Wochenende nicht nur an ihre Grenzen geraten, sondern sehr wohl gescheitert ist mit dem, was sie dort in Berlin versucht hat.

(Beifall bei der SPD – Widerspruch der Abg. Karin Wolff (CDU))

Ich stelle das an den Anfang, weil die Oberflächlichkeit der Debatte in den letzten 20 Minuten wie auch in manchem Beitrag zuvor ein Teil des Problems ist. Deswegen würde ich gerne einige grundsätzliche Bemerkungen machen.

Vor der Bundestagswahl und auch danach – ich habe es gestern mehrfach wiederholt, auch öffentlich – gab es sehr viele, die auch mit Blick auf die Große Koalition gesagt haben, der Vorrat sei verbraucht, diese Koalition sei ein Schaden für das Land, diese Koalition stärke die Ränder – insbesondere den Rechtspopulismus – in diesem Land, und deswegen dürfe es keine österreichischen Verhältnisse geben.

Wir hatten gehofft, die Große Koalition in Berlin abzulösen, durch eine von der Sozialdemokratie geführte Regierung. Wir haben zur Kenntnis nehmen müssen, dass am 24. September die deutsche Sozialdemokratie eine bittere Niederlage – die schwerste in der Nachkriegszeit – eingefahren hat und unser Wunsch, eine eigene Bundesregierung anzuführen, keine Mehrheit gefunden hat. Sind damit automatisch die Argumente, die von so vielen Beobachtern und von so vielen politisch Beteiligten gegen eine Große Koalition formuliert wurden, null und nichtig? – Nein, sie

sind es nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren. Sie sind es nicht.

(Beifall bei der SPD)

Nicht in eine Regierung einzutreten per se als „verantwortungslos“ oder „nicht verantwortungsbewusst“ zu beschreiben – ich habe in den letzten Tagen noch ganz andere Worte von Vertretern der Jamaikaparteien gehört, die mich teilweise an die Zwanzigerjahre erinnert haben – ist, wenn wir das ernst nehmen, was wir vorher gesagt haben, nicht akzeptabel.

(Beifall bei der SPD)

Wenn es richtig ist, was in der Sonntagsrede von eben auch zum Ausdruck kam, dass wir die Ränder nicht stärken dürfen, dann muss man diesen sehr systematischen Punkt zumindest sehen. Ich will es offen sagen – ich habe es in meinen eigenen Reihen gesagt –, damit es auch einmal in der Zeitung steht: Wer glaubt, dass man sich per se in einer Opposition erneuert, der glaubt an den Weihnachtsmann.

(Beifall bei der SPD)

Eine Partei wie die deutsche Sozialdemokratie muss immer in der Lage sein, sich weiterzuentwickeln – egal, ob sie regiert oder in der Opposition ist. Es ist völlig egal, in welchem Zustand wir sind.

(Beifall bei der SPD)

Aber wir müssen mit Blick auf die Entwicklungen in Österreich sehr wohl in Betracht ziehen, dass diese Entwicklungen nicht das Ende erreicht haben, weil die Frage der Erkennbarkeit – gerade der beiden großen Volksparteien – in der Vergangenheit zu unklar war. Darüber sind sich doch fast alle einig.

(Zuruf)