Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Minister, Sie machen es sich ein bisschen zu einfach, wenn Sie sagen, die Tatsache, dass wir dieses Thema bislang in diesem Hause nicht intensiv besprochen haben, liege möglicherweise daran, dass taubblinde Menschen nicht gesehen und nicht gehört würden. Es ist sicherlich richtig, dass taubblinde Menschen zu wenig gehört und gesehen werden; aber sowohl die Verbände der Sehbehinderten als auch die
Verbände der Hörbehinderten sagen uns seit Jahren, dass an dieser Stelle etwas passieren muss, und zwar mehr als nur ein kleines bisschen. Wenn die Betroffenen trotzdem nicht gehört werden, stellt sich die Frage: Wer hat sie denn nicht gehört? – Die Oppositionsfraktionen haben sie deutlich gehört, und deshalb stellen wir seit Jahren entsprechende Anträge zum Haushalt. Bleiben Sie an dieser Stelle korrekt, Herr Minister: Sie haben die Verbände nicht gehört. Sie brauchen hier nicht so zu tun, als ob das daran liege, dass Ihnen das niemand zugetragen hat. Sie hätten es wissen können, wenn Sie es hätten wissen wollen.
Wenn Sie einerseits sagen, es gehe Ihnen nicht darum, jemanden zu verunsichern, und andererseits sagen, es gehe um eine Evaluation und Überprüfung der Wirksamkeit des Blindengeldes, niemand wolle das Blindengeld abschaffen, dann ist das ein Widerspruch in sich. Wenn Sie nämlich erst prüfen wollen, ob das Blindengeld seine Wirkung erzielt, dann stellen Sie damit infrage, dass dem so ist. Ich denke, dieses Signal sollten wir nicht aussenden, denn das Blindengeld erzielt seine Wirkung. Wir alle in diesem Hause wissen das. Deshalb gibt es auch keine Notwendigkeit, auf einen Leitfaden hinzuweisen und zu sagen: Wir lassen es so, wie es ist.
Frau Erfurth, es hilft auch nicht, dass Sie sagen, es liege daran, dass ich das behaupte. Es ist klar, dass Regierungsfraktionen das, was Oppositionsfraktionen sagen, nun einmal nicht für besonders richtig und wichtig halten, und wenn ich etwas sage, dann schon gar nicht. Aber es bin doch nicht ich, der sagt, er sei verunsichert, sondern es sind die betroffenen Menschen, die sagen, sie seien verunsichert. In diesem Fall bin ich nur die Überbringerin der Botschaft. Sie können den betroffenen Menschen die Verunsicherung doch nicht absprechen. Sie können ihnen vielleicht sagen, es bestehe kein Anlass zur Verunsicherung. Es wäre sehr schön, wenn Sie ihnen das sagen würden. Wenn der Minister dann aber sagt, er müsse erst einmal schauen, ob das Blindengeld eine Wirkung erzielt, dann bleibt die Verunsicherung doch bestehen. Sagen Sie nicht mir, dass es falsch sei, verunsichert zu sein, sondern nehmen Sie die Verunsicherung der Betroffenen erstens zur Kenntnis und zweitens ernst. Drittens sollten Sie so darauf reagieren, dass Sie diese Verunsicherung aus der Welt schaffen. Mit der Argumentation, die hier und heute vorgetragen worden ist, schaffen Sie sie nicht aus der Welt.
Selbstverständlich muss man auch noch über andere Dinge reden, die diese Menschen brauchen, wie z. B. eine Assistenz. Ich bin zwar froh, dass wir darüber reden werden; wir stehen aber in der Situation, einen Doppelhaushalt zu verabschieden. Da wäre es doch gut, wir würden die Mittel im Haushalt verankern; das wäre für die nächsten zwei Jahre ein ganz klares Signal. Das tun wir aber nicht, und das finde ich außerordentlich bedauerlich. Ich weiß auch nicht, wann an welcher Stelle etwas passieren muss, damit das, was seit Langem in Hessen dringend notwendig ist, endlich in Gang kommt. Deswegen herrscht zurzeit ein solcher Druck. Nehmen Sie den Druck ernst. Nehmen Sie die Betroffenheit der Menschen und ihre Not ernst, tun Sie, was zu tun ist – und zwar jetzt, statt es auf die lange Bank zu schieben.
Wir kommen zur Abstimmung. Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD, Drucks. 19/5425, ab. Wer stimmt zu? – Die SPD, die Fraktion die LINKE und die Frau Kollegin Öztürk. Wer ist dagegen? – CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die FDP. Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung in dritter Lesung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD für ein Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Landesblindengeld. Wer diesem Gesetzentwurf seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. – SPD, FDP, DIE LINKE und die Frau Kollegin Öztürk. Wer ist dagegen? – CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Lesung abgelehnt.
Meine Damen und Herren, es ist vereinbart, dass wir jetzt in die Mittagspause eintreten. Ich unterbreche die Sitzung. Um 15 Uhr geht es weiter. Ich bedanke mich. Wer danach noch interessiert ist, der komme bitte wieder. Dann geht es weiter. Die Sitzung ist unterbrochen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hebe die Sitzungsunterbrechung auf, und wir fahren mit der Sitzung fort.
Zunächst wollen wir die karge Tagesordnung noch etwas bereichern. Eingegangen und an Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend verkaufsoffene Sonn- und Feiertage, Drucks. 19/5444. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Tagesordnungspunkt 76 und kann zusammen mit dem Tagesordnungspunkt 36 zu diesem Thema aufgerufen werden.
Weiterhin eingegangen und an Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Herausforderungen der Pflege gestalten – Pflegebedürftige, pflegende Angehörige und Pflegekräfte unterstützen, Drucks. 19/5445. Auch hier wird die Dringlichkeit bejaht? – Dann wird dieser Tagesordnungspunkt 77 und wird zusammen mit Tagesordnungspunkt 59 zu diesem Thema aufgerufen.
Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend mehr Personal für mehr Qualität in der Altenpflege – Drucks. 19/5413 –
Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Herausforderungen der Pflege gestalten – Pflegebedürftige, pflegende Angehörige und Pflegekräfte unterstützen – Drucks. 19/5445 –
Die vereinbarte Redezeit beträgt zehn Minuten. Als Erste spricht Kollegin Schott für die Fraktion DIE LINKE.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren und Altenpflegekräfte – falls diese im Publikum sitzen! Dieser Tagesordnungspunkt ist einer, zu dem eigentlich jemand aus der Altenpflege sprechen dürfen müsste.
Ich verstehe mich an der Stelle eigentlich nur als Sprachrohr; denn es ist wichtig, dass wir sehr deutlich machen, dass die Menschen, die in dem Bereich Altenpflege arbeiten, jeden Tag und jede Nacht eine für unsere Gesellschaft unglaublich wichtige Arbeit leisten. Wir sollten an dieser Stelle alle gemeinsam den Menschen aus der Altenpflege explizit unseren Dank für diese Arbeit aussprechen. Das halte ich für eine ganz wichtige Geste.
Mit der Geste allein ist es aber nicht getan; denn die Menschen, die dort arbeiten, brauchen viel mehr als nur unseren Dank, und sie brauchen viel mehr als nur unsere ideelle Unterstützung.
Wir freuen uns natürlich darüber, dass es immer mehr hochbetagte Menschen gibt. Das heißt nicht zwingend, dass alle in die Situation kommen, aber es gibt doch immer mehr Menschen, die gepflegt werden müssen – auch über einen immer längeren Zeitraum. Das ist auch der Grund dafür, dass ver.di für heute zu einem Aktionstag „Gemeinsam stark für mehr Personal in der Altenpflege“ aufgerufen hat, um sich für eine gute Qualität in der Altenpflege zu engagieren.
Es ist tatsächlich so, dass wir einen immer größeren Bedarf an Pflegekräften haben. Das hat aber nicht dazu geführt, dass wir zu größeren gesellschaftlichen Anstrengungen gekommen sind, um eine Erfüllung dieses Bedarfs tatsächlich zu generieren. Weder der Ministerpräsident noch der Sozialminister, noch sonst jemand ist durch die Schulen gezogen und hat Jugendliche dazu aufgefordert, eine entsprechende Ausbildung zu machen.
Das freut mich zu hören, dass es nicht stimmt. Ich empfände es als eine Bereicherung, wenn Sie in der Debatte etwas dazu sagen würden. – Auch die anderen Kabinettsmitglieder sind nicht unbedingt in einer Position, in der sie sehr viel dazu beigetragen haben, dass sich die Situation verändert. Es gibt die Möglichkeit, hier sehr viel zu tun.
Zumindest bei mir ist im Gegenteil der Eindruck entstanden – nicht nur bei mir –, dass der Sozialminister die Meinung vertritt, die Fachkräftesicherung sei primär Aufgabe der Arbeitgeber. Genau das steht auch wieder im Antrag der CDU – ein Antrag, der übrigens zum Ende der Mittagspause auf dem Tisch lag, obwohl seit einer Woche bekannt ist, dass wir dieses Thema heute besprechen, und obwohl noch sehr viel länger bekannt ist, dass das Thema gerade wieder eine gesellschaftliche Brisanz hat. Ich finde es sehr bezeichnend, dass uns vonseiten der Regierungsfraktionen fünf Minuten vor der Debatte ein Antrag zum Thema auf den Tisch gelegt wird.
Aus Ihrer Sicht kommt das Land Hessen lediglich bei der Finanzierung der Altenpflegeschulen ins Spiel. Dass diese Finanzierung nicht großartig ist, sagen wir schon seit Jahren. Die Schulen haben gerade jetzt große Bedenken, dass
sie im Rahmen der Neuordnung der Pflegeberufe massiv ins Hintertreffen geraten. Herr Minister, wenn Sie darauf nicht sehr sorgfältig in Ihrer Planung achten, wird es bedeuten, dass wir Ausbildungsplätze in der Altenpflege im ländlichen Raum verlieren. Hier liegt eine große Aufgabe vor Ihnen. Gehen Sie diese Aufgabe sorgfältig an – gerne mit uns gemeinsam.
Frühdienst. Außer mir sind drei Kolleginnen im Frühdienst für 28 Bewohnerinnen, davon eine examinierte Krankenschwester und eine Altenpflegehelferin – beide von einer Leihfirma. Beide sind stationsfremd.
Das heißt, ich bin für sämtliche Wundversorgungen, Insulingaben, Blutzuckerwerte messen, Tabellen stellen, Tropfen fertig machen und die Einnahme beobachten, und was sonst noch anfällt, zuständig. Na, klasse, habe ich mir gedacht, wieder so ein Tag, der für mich menschenunwürdig verlaufen soll. Das heißt, dass alles im Galopp erledigt werden muss und dann auch bloß keine Fehler gemacht werden dürfen. Unsere Bewohnerinnen müssen wieder einmal nur vertröstet werden mit: „Ich komme gleich“, „Einen Moment bitte, ich muss gerade noch etwas anderes machen“.
Die zeitlichen Einstufungen für die Grundpflege, die unsere Bewohnerinnen haben, können nicht berücksichtigt werden. Die Zeit haben wir nicht. Ich muss den beiden von der Leihfirma Fragen beantworten.
Weiter geht es: Eine demenzkranke Bewohnerin bekommt das Essen angerichtet. Sie sitzt am Tisch und hat ihren Teller mit dem Frühstückbrot vor sich stehen, rührt es aber nicht an. Trinken kann sie auch nicht alleine. Jedes Mal, wenn ich in den Speiseraum komme, um eine Bewohnerin zu bringen, versuche ich in aller Eile, die demenziell erkrankte Dame dazu zu bringen, einmal von ihrem Brot abzubeißen, oder ihr schnell ein Schlückchen Kaffee einzuflößen, damit sie wenigstens ein wenig Nahrung in den Bauch bekommt. Ich muss noch ihre Tabletten einzeln mörsern, dazu fehlt die Zeit.
Irgendwann, so habe ich einen Gedanken, werden uns Inliner gestellt, damit wir mit dem wenigen Personal noch schneller arbeiten können.
So weit das Zitat. Das war nur ein kleiner Ausschnitt aus ihrem Morgen. So gehen die Schichten weiter – mal früh, mal spät, mal Nachtschicht und oft genug ohne vorgeschriebene Pausen. Auch die zitierte Altenpflegerin konnte keine Pause machen und musste trotzdem die Dokumentation nach Schichtende erledigen.
Da es an Personal mangelt, kommt es oft vor, dass die Mitarbeiterinnen aus ihrer Freizeit in den Betrieb geholt werden. Viele sind in Teilzeit beschäftigt, weil die Arbeitgeber sie dann besser in den Schichtplan einbauen können. Bei dem Lohn kann man sich eigentlich keine Teilzeitarbeit leisten. So bleibt vielen nichts anders übrig, als sich einen Nebenjob zu suchen.
Mit den Aufgaben in der Familie, der Zeit für Freunde oder für Aktivitäten im Verein oder in einer Organisation ist
dieser Beruf kaum vereinbar. Hinzu kommen ein ständiges Miterleben von Leid und Tod, verbale Demütigungen oder physische Angriffe dementer Bewohnerinnen oder Bewohner sowie die Sorge um die eigene spätere Rente.
Es ist ein Wunder, dass es bei den Beschäftigten nicht mehr Widerstand gibt. Der Grund dafür ist häufig deren hohe Arbeitsmoral. Sie haben es mit dem letzten Lebensabschnitt von Menschen zu tun, für den sie sich verantwortlich fühlen. Sie arbeiten oft in kirchlichen Betrieben oder in profitorientierten Unternehmen ohne Betriebsrat und meist unter massivem Druck.
So kommt es vor, dass sie sich an ver.di wenden, um heimlich einen Betriebsrat zu gründen. Offensichtlich wäre es ihnen zu riskant, das allein zu machen. Das allein ist schon ein Skandal.
Wenn die Arbeit wenigstens gut bezahlt wäre – das ist aber auch nicht der Fall. Im Jahr 2013 hat eine Altenpflegekraft in Hessen 2.484 € im Monat verdient, wenn sie Vollzeit arbeitete. Das sind 15 % weniger als das Durchschnittsgehalt der hessischen Fachkräfte insgesamt. Seither dürfte sich an den Zahlen nicht viel geändert haben. Daher muss dieser Beruf eine Berufung sein, wenn man ihn auswählt. Kein Wunder, dass der Nachwuchsmangel so groß ist. Die Belastung zeigt sich an dem hohen Krankenstand. In der Altenpflege sind besonders lange krankheitsbedingte Fehlzeiten wegen Beschwerden am Muskel-Skelett-Apparat sowie physische Erkrankungen zu beobachten. Lediglich 20 % der Beschäftigten können sich vorstellen, den Beruf bis zur Verrentung auszuüben. Überlegen Sie, was das in einer Situation bedeutet, wo wir ohnehin schon einen Mangel haben. Dagegen müssen wir etwas tun.
Diejenigen, die es gern länger aushalten würden, schaffen es aber oftmals körperlich nicht; und in 35 % kommt es zu einer Frühverrentung.
Welche Aufgaben hat die Politik an dieser Stelle? – Dieses Arbeitsfeld braucht mehr Aufmerksamkeit. Damit haben wir heute schon einmal angefangen. Aber das allein reicht natürlich nicht. Der Beruf braucht eine umfassende Aufwertung. Neben der besseren Bezahlung – eine Maßnahme ist der Pflegemindestlohn – ist die Verbesserung der Arbeitsbedingungen unabdingbar. Mehr Personal ist der Schlüssel für mehr Nachwuchs. Ich weiß, dass sich die Katze an dieser Stelle in den Schwanz beißt. Das ist klar. Aber es muss einen Betreuungsschlüssel geben, der so ist, dass diejenigen, die ein Interesse an diesem Beruf haben, auch das Vertrauen haben können, dass sie in diesem wirklich arbeiten und alt werden können und dass sie keinen Beruf ergreifen, der sie selbst in die Krankheit und Altersarmut führt.