Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es gibt wenige Behörden, die in den letzten Jahren so sehr für ihre eigene Abschaffung geworben haben wie die Landesämter und das Bundesamt für Verfassungsschutz.
Das zeigt vor allem die Geschichte des NSU und die Rolle des sogenannten Verfassungsschutzes dabei. Rechte Strukturen wurden nicht bekämpft, Hinweisen wurde nicht nachgegangen, und im direkten Umfeld des NSU gab es sage und schreibe über 40 V-Leute.
Mittlerweile wissen wir, dass führende Mitglieder der rechten Szene, darunter Straftäter, V-Leute waren: der Chef des Thüringer Heimatschutzes, der deutsche Blood&-Honour-Chef sowie führende Funktionäre von NPD und FAP.
Meine Damen und Herren, der sogenannte Verfassungsschutz hat keine Sicherheitslücken, er ist eine Sicherheitslücke im Kampf gegen Neonazis.
Deshalb gibt es auch völlig zu Recht eine breite und berechtigte Kritik an den Diensten. Aber beim hessischen Landesamt für Verfassungsschutz gab es noch einen massiven Stellenausbau unter Schwarz-Grün von 250 auf 390 Stellen,
während andere Behörden Stellen abbauen müssen. Heute beraten wir den vorliegenden Gesetzentwurf über den Verfassungsschutz, der nach vielen Jahren Ankündigung jetzt endlich vorliegt.
Meine Damen und Herren, die GRÜNEN haben auf ihrem Parteitag letztes Wochenende mehrheitlich gegen den Inhalt des Gesetzes gestimmt, und zwar völlig zu Recht. Wer Bürgerrechte verteidigen will, der muss diesen Gesetzentwurf ablehnen.
Schon vor etwa zwei Jahren hat Schwarz-Grün einen Gesetzentwurf vorgestellt. Dieser Gesetzentwurf war nicht einfach nur schlecht, er war so schlecht, dass die eigene
Expertenkommission ihn in Bausch und Bogen auseinandergenommen hat. Der Vorsitzende, Prof. Jentsch, immerhin prominentes CDU-Mitglied, sagte damals, der Entwurf sei verfassungswidrig.
Erst jetzt, wenige Tage vor der Plenarwoche, kommen knapp 70 Seiten, vermutlich vom Landesamt für Verfassungsschutz selbst geschrieben. So liest es sich jedenfalls.
Ich finde, allein dieses Verfahren – wie Sie wieder vorgegangen sind und wie Sie das heute hier eingebracht haben – ist schon eine Unverschämtheit, meine Damen und Herren.
Bevor ich einige Punkte herausgreife, will ich feststellen, dass wir als LINKE dabei bleiben: Der Verfassungsschutz wird seinem Auftrag, die Verfassung zu schützen, nicht gerecht. Wenn offenkundig Hinweisen auf Waffen und Sprengstoff und auf Untergrundstrukturen der Neonazis nicht nachgegangen wurde, wenn Hinweise nicht weitergegeben wurden, wenn Akten verschwunden ist, wenn V-Leute, die Straftäter wurden, geschützt wurden und wenn all diese Erkenntnisse dann nicht aufgeklärt werden, sondern zur Geheimsache erklärt werden – und zwar bis zum Jahr 2134 –, dann zeigt sich hier ganz deutlich: Der Verfassungsschutz ist Teil des Problems und nicht Teil der Lösung.
Jetzt will ich zu einzelnen Punkten des Gesetzentwurfs kommen. In den §§ 13 und 14 steht zunächst, dass der Geheimdienst nur dann mit V-Leuten zusammenarbeiten dürfe, wenn die V-Leute nicht selbst Straftaten oder gar schwerste Straftaten begangen haben. Aber am Ende beider Absätze gestatten Sie der Behörde Ausnahmen. Also entscheidet das Landesamt einfach selbst, ob es sich daran hält oder nicht, weil die Behördenleitung eben auch anders entscheiden kann.
Das heißt, das gesamte V-Leute-System bleibt unangetastet. Ich finde, das geht nicht. Wir müssen damit aufhören, Neonazis dafür zu bezahlen, dass sie Neonazis sind.
Das ist eine der wichtigen Lehren. Wer die V-Männer des Verfassungsschutzes in den Vernehmungen des NSU-Untersuchungsausschusses erlebt hat, wird wohl kaum behaupten, dass von ihnen die Sicherheit unseres Landes abhängt. Schlimm wäre es, meine Damen und Herren.
Das sind überzeugte Neonazis, die das Geld der Behörde gerne nehmen. Das fließt zum Teil in den Aufbau der rechten Strukturen. Sie können doch nicht ernsthaft glauben, dass diese Nazis Ihnen offen und ehrlich erzählen, was sie wissen. Zu meinen, dass sie dort offen und ehrlich berichten, ist doch absurd.
Noch viel schlimmer: Die Landesämter haben ja nicht nur Informationen der V-Leute abgeschöpft, sondern haben sie
aktiv gesteuert. Das ist ein riesiges Problem. Deswegen muss Schluss sein mit diesem V-Leute-System. Das müsste als Allererstes beendet werden.
Da frage ich mich, warum die GRÜNEN das entgegen ihrer eigenen Überzeugung, entgegen ihrer Programmatik und im Widerspruch zu ihrer Bundestagsfraktion so mittragen wollen.
Nächster Punkt: Der Gesetzentwurf erlaubt eine so massive Ausweitung der Ausspähung, dass einem angst und bange werden muss. Wir wissen aus dem NSU-Untersuchungsausschuss,
dass der Geheimdienst ohnehin schon alles an Daten mitnimmt, was er bekommen kann. Der grundgesetzlich geschützte persönliche Kernbereich ist ihm völlig egal. Wir haben Akten erhalten, die niemals hätten angelegt werden dürfen. Diese Akten sind über Dutzende Schreibtische gegangen.
Aber selbst dieser offenkundige Datenmissbrauch hat keinerlei Konsequenzen, ganz im Gegenteil. Jetzt soll einer solchen Behörde auch noch gesetzlich zugestanden werden, noch mehr Daten auszuspähen, und zwar eigentlich alles, was den Dienst interessieren könnte: Telefone, Informationssysteme, Wohnungen, Mobilfunkgeräte, Post, Postdaten, Telekommunikationsdaten – faktisch alles.
Auch observative Mittel kommen noch hinzu. Diese Kompetenzen übertragen Sie einer Behörde, in deren Abgründe wir im NSU-Untersuchungsausschuss gerade drei Jahre lang haben schauen können, Herr Bauer.
Sie wollen den Inlandsgeheimdienst jetzt noch mit einer besonders scharfen Waffe ausstatten, mit dem Staatstrojaner, verharmlosend auch Onlinedurchsuchung genannt. Er ist aus vielen Gründen hoch problematisch; ich will sie gar nicht alle aufzählen.
Wichtig ist: Staatstrojaner funktionieren nur, wenn IT-Sicherheitslücken nicht geschlossen werden. In der Tat, ein außer Kontrolle geratener Staatstrojaner namens WannaCry hat im Frühjahr in Hessen Anzeigetafeln der Bahn und weltweit unter anderem Krankenhäuser außer Gefecht gesetzt. Das hat doch gezeigt, wie gefährlich das ist und welch eine Büchse der Pandora es ist, die Sie da öffnen und die Sie selbst überhaupt nicht kontrollieren können.
Ich will nur anmerken, dass die Beweiskraft dieser Trojaner sehr umstritten ist; denn sie können nicht nur beobachten, sondern sie können Daten auf dem Computer auch verändern.
Deshalb finden wir den Einsatz von Staatstrojanern generell hoch problematisch, selbst mit richterlicher Anordnung und auch bei Anwendung durch die Polizei.
Dieses Werkzeug aber ausgerechnet einem Inlandsgeheimdienst – nicht der Polizei, Herr Frömmrich, sondern einem Inlandsgeheimdienst – an die Hand zu geben, um die eigenen Bürger zu bespitzeln, meine Damen und Herren, das geht überhaupt nicht. Das ist völlig inakzeptabel.
Das ist ja längst nicht alles. Sie wollen jetzt die Daten von Minderjährigen unter 14 Jahren speichern. Das war auch ein Thema des CSU-Innenministers und CSU-Spitzenkandidaten Herrmann im Wahlkampf, der gesagt hat, man müsse die Altersgrenze eigentlich völlig abschaffen. Ich frage Sie: Gibt es denn einen Fall, in dem ein unter 14-Jähriger den Bestand des Landes gefährden würde? Gibt es einen solchen Fall?
Wenn man verhindern will, dass Kinder und Jugendliche in den Terrorismus abgleiten, Herr Minister, dann sollte man vielleicht einmal Sozialarbeiter einstellen, aber nicht den Geheimdienst auf Kinder ansetzen.