Protocol of the Session on September 28, 2017

(Beifall bei der SPD)

All das trägt dazu bei, dass ein Bild von Politik entsteht, das den Botschaftern der Angst das Geschäft leichter

macht. Ich will das ganz deutlich am Ende des dritten Teils meiner Ausführungen sagen. Herr Wagner, es gibt in diesem Land kein Grundrecht auf eine Große Koalition.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen möchte ich gern meine letzte Minute Redezeit nutzen, um deutlich zu machen, was meines Erachtens vor uns steht. Abgesehen vom rechtsextremistischen Teil und von dem Teil, der sich der gesellschaftlichen Modernisierung verweigert, haben Menschen aus drei Gründen die AfD gewählt. Dies sind die Angst vor Wohlstandsverlust – mit der Globalisierung und der Digitalisierung haben Sie zwei Stichworte genannt –, die Angst vor dem Verlust sozialer und öffentlicher Sicherheit, auch angesichts von Terrordebatten, und ganz dezidiert auch die Angst vor dem Verlust kultureller Identität. Die Definition des Heimatbegriffs ist deswegen zentral.

Ich habe für mich eine solche Definition. Ich weiß aber auch, dass das eine kopfgesteuerte Definition ist. Für mich ist Heimat da, wo ich verstehe und wo ich verstanden werde.

Ich bin der Auffassung, dass wir genau zu diesen drei Aspekten eine Debatte brauchen. Deshalb war es richtig und notwendig, über eine zunehmende Ungleichheit, die sich unterschiedlich auswirkt – es geht nicht nur um Verteilungsgerechtigkeit –, sowie über die Frage der Verängstigung und Verunsicherung zu reden.

Deswegen bin ich nicht sicher, ob alle Bewertungen dieses „Duells“ am Ende wirklich richtig sind. Ich finde, auch darüber werden wir nachzudenken haben. Ich glaube allerdings, dass unsere Antworten durchgängig zu schwach waren, weil in dem Wettstreit, insbesondere der beiden großen Parteien, zu wenig Klarheit herrscht.

Meine letzte Bemerkung: Wir haben vor wenigen Monaten auf der Konferenz der Fraktionsvorsitzenden eine interessante Untersuchung zur Kenntnis genommen. Der Marshall Trust hat herausgefunden, dass die Rechtsnationalisten in den letzten 40 Jahren in Europa immer dann besonders erfolgreich waren, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse besonders stabil und robust waren und die beiden großen ideologischen Blöcke über die Kernfragen nicht mehr miteinander gestritten haben. Ich glaube, nach dieser Debatte haben noch nicht alle verstanden, wie scharf die Zäsur des vergangenen Sonntags in der Tat war und wie sehr wir Anlass haben, auch aus staatspolitischer Verantwortung den Streit über den richtigen Weg zu intensivieren. – Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Kollege Schäfer-Gümbel. – Das Wort hat der Herr Ministerpräsident.

Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Ich begrüße die Debatte ausdrücklich. Ich finde, sie hat sehr gute Beiträge erbracht. Sie bietet auch eine gute Gelegenheit, das zu betonen, was uns verbindet. Das möchte ich zu Beginn tun.

Herr Kollege Wagner, Ihre Fraktion hat den Antrag eingebracht, die freie, offene und vielfältige Gesellschaft zu verteidigen und für den Zusammenhalt der Gesellschaft auch in Hessen zu werben. Meine Damen und Herren, die Gesellschaft hält zusammen. Millionen Menschen liefern tagtäglich den besten Beweis dafür, indem sie sich mit Empathie, mit Leidenschaft, mit großer Solidarität auf ihre Weise für die Gemeinschaft einsetzen – im Ehrenamt, aber auch in bezahlter Arbeit. Hessen wäre kein offenes, freies und vielfältiges Land, wenn diese Haltung nicht millionenfach täglich gelebt würde. Dafür bin ich dankbar. Das ist Hessen, und so muss Hessen bleiben. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben es oft genug beschrieben, und es gehört auch heute gesagt: Hessen darf und wird kein Platz für Ausgrenzung, für Rassismus und schon gar nicht für Gewalt sein. Deshalb muss man einen intensiven Diskurs führen.

Ich bin bei manchem, was hier gesagt worden ist. Ich verstehe auch, dass ein paar Tage nach einer Bundestagswahl das Bedürfnis groß ist, sich darüber auszutauschen, was das Ergebnis bedeutet, was es auch für unsere Arbeit bedeutet. Ich habe mich eben aber gefragt: Haben wir mit dem einen oder anderen Redebeitrag, der hier geliefert worden ist, eine Chance, die 13 % der Menschen, die eine Partei gewählt haben, die hier im Hause übergreifend nicht für die bessere Alternative für Deutschland gehalten wird, wieder zurückzuholen? Ich glaube, das ist nicht abschließend gelungen.

Es waren viele Beiträge dabei, die ich ausdrücklich unterstreiche. Herr Kollege Rock, ich bin ganz bei Ihnen: Der pawlowsche Reflex, auf alle kalkulierten Tabubrüche in der Politik und in der Medienlandschaft anzuspringen, hat nur zur Folge, dass man von denen am Gängelband geführt wird, die nach dem Motto „Je mehr Empörung, umso besser für uns“ handeln, von denen, die mit dieser Republik etwas anderes vorhaben als wir. Ich glaube, diese Frage ist zentral. Deshalb müssen wir uns damit auseinandersetzen, wie wir damit umgehen.

Ich bin sehr bei Prof. Leggewie, der empfohlen hat, auf pauschale Diffamierungen zu verzichten; denn die führen nicht weiter. Die AfD ist von ganz unterschiedlichen Menschen gewählt worden. Es sind zum einen diejenigen, die wir auch bisher nie erreicht haben. Sie kommen aus dem Lager der Nichtwähler, die bisher nicht gewählt haben, weil ihre Stimmabgabe aus ihrer Sicht umsonst war. Dieses Gefühl haben sie jetzt nicht mehr. Jetzt haben sie eine Adresse und glauben, ihre Stimmabgabe sei nicht mehr umsonst – nicht im Sinne von Lösungen, sondern im Sinne von „Die machen den anderen mal Dampf“. Wir dürfen nicht ganz vergessen, dass wir auch in demokratischen Gesellschaften Randgruppen mit extremen Ansichten haben: die NPD, die DVU, die Republikaner, und was wir sonst noch hatten. Auch aus diesen Randgruppen speist sich die Wählerklientel der AfD.

Der dritte Block – das ist der für mich entscheidende – besteht aus den Menschen, die enttäuscht sind und deren Vertrauen wir nicht gewinnen konnten. Ich bin aber nicht bereit, diese Menschen einfach aufzugeben. Sie zurückzugewinnen ist unsere Aufgabe, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unsere Aufgabe muss es doch sein, den Kreis der Enttäuschten nicht noch größer werden zu lassen. Deshalb ist es richtig, dass wir genauer hinschauen und dass wir differenzieren. Mit Beschwörungsformeln werden Sie diese Menschen nicht erreichen.

Ich habe auch den Eindruck gewonnen, einige sind nicht zu erreichen. Ich hatte in diesem Wahlkampf öfter Gelegenheit, auf Großveranstaltungen meiner Partei gemeinsam mit der Bundeskanzlerin zu sprechen. Was mir dort aus kleinen Gruppen an Hass – bis hin zu körperlichen Attacken – begegnet ist, muss einen erschrecken. Mir soll niemand erzählen, dass diese Leute mit mir über ein Steuerthema, über das Thema Nachhaltigkeit oder irgendetwas anderes reden wollen. Nein, sie schreien: „Haut ab!“ Sie wollen einen anderen Weg gehen. Sie haben auch nichts mit dem demokratischen Diskurs im Sinne, in dessen Rahmen wir ringen. Sie halten diese Form der Demokratie schlicht und ergreifend für verabscheuungswürdig; sie wollen in eine andere Richtung gehen.

Meine Damen und Herren, das Grundproblem ist – das ist auch das Problem der AfD –, dass man in einer freien Demokratie sagen kann, dass man diese Demokratie sogar abschaffen will. Das darf man sagen, und bei uns kommt dafür niemand ins Gefängnis. Die Grundvoraussetzung dafür, dass diese Meinung nicht weiter um sich greift, ist aber, dass die Demokraten klar sagen, wo es langgeht. Deshalb müssen provokative Grenzverletzungen nach dem Motto „Alle regen sich auf, je mehr sich aufregen, desto mehr Wähler werden wir gewinnen“ klug beantwortet werden müssen. Mein Rat ist: Behandeln wir sie korrekt, in der Sache beinhart, und lassen wir Grenzverletzungen nicht durchgehen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich denke, wir sollten uns um die kümmern, die enttäuscht sind, die mit dem politischen Angebot nicht zufrieden waren. Auch da lohnt ein Blick. Wir sollten jetzt nicht der Versuchung erliegen, zu erklären, wer woran schuld ist. Davon halte ich vergleichsweise wenig. Eigentlich haben alle Anlass – wenn es denn so ist –, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie es dazu kommen konnte.

Im europäischen Vergleich ist das überschaubar. Der europäische Vergleich hilft uns hier aber nicht. Wir haben Städte, in denen die Menschen vielen ausländischen Menschen begegnen, vielen – auch irritierenden – Formen des Andersseins. Daher könnte man erwarten, dass in diesen Städten die AfD Bombenergebnisse hätte, z. B. in Frankfurt. Dort hat die AfD deutlich schwächer abgeschnitten. Wir haben aber auch in Hessen Gemeinden, in denen es überhaupt keine Ausländer und keine Flüchtlinge gibt; trotzdem hat dort die AfD außergewöhnlich viele Wählerstimmen bekommen. Deshalb sind einfache Antworten nicht nur nicht hinreichend, sondern in der Regel auch falsch, und deshalb müssen wir uns intensiver mit dieser Geschichte beschäftigen.

Herr Kollege Schäfer-Gümbel, ich will ausdrücklich sagen: Ich habe von diesem Pult aus der Sozialdemokratie und auch Ihnen persönlich dafür gedankt, dass wir die Frage, wie wir mit der großen Herausforderung klarkommen, dass 120.000 Menschen innerhalb weniger Monate in dieses Land gekommen sind, gemeinsam und übereinstimmend beantwortet haben. Ich halte daran ausdrücklich fest.

Heute ist vielleicht der Tag, an dem man das Gemeinsame herausstreichen kann. Aber ich kann natürlich nicht darauf verzichten, das eine oder andere deutlich zu machen, Frau Kollegin Wagenknecht – „Frau Kollegin Wagenknecht“ sage ich schon.

(Allgemeine Heiterkeit und Zurufe)

Sehr verehrte Frau Wissler, Sie sehen, wie weit das schon geht. – Kollege Rock und Kollege Boddenberg haben Ihnen doch ins Stammbuch geschrieben, was Sie selbst wissen. Das wissen Sie doch. Im Vergleich mit allen anderen Parteien – Ihre Gesamtwählerzahl ist eine kleine, Ihre Partei ist immer noch klein – hat niemand so viele Wähler an die AfD abgegeben wie DIE LINKE: über 400.000 Stimmen.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Es sind mehr als eine Million bei der CDU! – Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Sie bezeichnen jetzt alle Wähler als Nazis: Waren diese 400.000 ehemaligen Wähler der LINKEN alle Nazis?

(Janine Wissler (DIE LINKE): Das habe ich überhaupt nicht gemacht! Ich habe über die Partei gesprochen! Ich habe nicht gesagt, dass jeder Wähler ein Nazi ist!)

Es ist gut, dass Sie das klarstellen. – Ich kann Ihnen nur sagen: Diese Form der pauschalen Kritik richtet sich immer gegen die, die sie erheben.

(Zurufe von der LINKEN und der CDU)

In aller Klarheit schreibe ich Ihnen zwei Dinge ins Stammbuch: Die Wortwahl von Herrn Gauland und die von Frau Wagenknecht müssen Sie einmal nebeneinanderstellen. Dann werden Sie feststellen, dass sie nicht nur in mancherlei Hinsicht, sondern in jeder Hinsicht eines Geistes sind.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Das ist doch eine Frechheit! – Weitere Zurufe von der LINKEN – Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Die Sache wird nicht besser, wenn Sie dauernd unterbrechen. – Wenn es Ihnen mit dem Ringen darum ernst ist – das wollte ich jetzt unterstellen –,

(Zuruf der Abg. Gabriele Faulhaber (DIE LINKE))

müssten Sie doch denjenigen, die Ihre Partei prominent repräsentieren, einmal klarmachen, dass der Kampf gegen diesen Ungeist nicht dadurch gewonnen werden kann, dass man den Menschen teilweise bis in die Wortwahl hinein genau das Gleiche anbietet. Deshalb sind Sie auch abgestraft worden.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jürgen Lenders (FDP) – Zuruf von der SPD: Ausgerechnet die CDU! – Zuruf der Abg. Heike Habermann (SPD) – Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Ein weiterer Punkt, den man nicht stehen lassen kann: Sie bringen wider besseres Wissen immer wieder den Vorwurf, dass auch in Hessen – und damit durch diese Regierung – Flüchtlinge und Einheimische gegeneinander ausgespielt worden seien. Dies ist eine Unverschämtheit. Das entspricht nicht der Wirklichkeit.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jürgen Lenders (FDP))

Meine Damen und Herren, auf diese Weise bedienen Sie genau den Protest, den Sie vorgeblich bekämpfen. Das nenne ich verlogen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jürgen Lenders (FDP))

Dieses Haus hat vor zwei Jahren beispielhaft etwas beschlossen – einmalig in Deutschland –, was, wenn man es im Rückblick betrachtet, geradezu grandios war. Alle deutschen Bundesländer haben sich angestrengt und Programme vorgelegt, wie wir mit der Herausforderung der Aufnahme von Flüchtlingen klarkommen. Aber nur wir in Hessen haben schon vor zwei Jahren einen Aktionsplan gemacht, der aus zwei Teilen bestand. Die Aufnahme der Flüchtlinge war der eine Teil.

(Holger Bellino (CDU): So ist es!)

Der zweite Teil dieses Aktionsplans hieß: „Bewahrung des gesellschaftlichen Zusammenhalts“. Meine Damen und Herren, diese Regierung und die sie tragenden Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, wir überheben uns nicht, aber wir dürfen ein bisschen stolz darauf sein, dass wir schon vor zwei Jahren in einer ganz außergewöhnlichen Situation eine gute Antwort auf diese Herausforderung gegeben haben. Deshalb brauchen wir von Ihnen keine Belehrung darüber.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zur Sozialpolitik ist hier kaum etwas gesagt worden. Das lässt die Zeit vielleicht auch nicht zu. Aber das Sozialbudget und die vielen Programme sollen hier nicht einfach untergehen. Wir haben viele Programme, die Menschen, die vorübergehend hilfsbedürftig sind, dabei helfen sollen, ihr Leben aus eigener Kraft vernünftig zu gestalten: von der Hilfe am Arbeitsplatz über die Familienhilfe und die Frühe Hilfe bis zur Hilfe in der Schule. Das sollten wir nicht vergessen.