Protocol of the Session on May 20, 2014

tischer war, und formulierte: „Droht der Ausbruch eines Krieges, so sind die arbeitenden Klassen und deren parlamentarische Vertretungen in den beteiligten Ländern verpflichtet, den Ausbruch des Krieges zu verhindern.“

Wir haben im Gedenken an Rosa Luxemburg an der Titania in der Frankfurter Basaltstraße eine Tafel angebracht, die an diesen Auftritt erinnert. Wir haben dort geschrieben: „Sie setzte sich für die Erhaltung des Friedens ein.“ Dann folgt das Zitat: „Wenn uns zugemutet wird, die Mordwaffen gegen unsere französischen und anderen Brüder zu erheben, dann rufen wir: Das tun wir nicht!“

Die Antikriegsidee bestimmte den Vorabend des Ersten Weltkrieges. Die Kundgebungen von September 1913 bis zum Juli 1914 waren große Massenveranstaltungen, bei denen sich die Hoffnungen – auch übrigens der bürgerlichen Friedensanhänger – auf die Durchsetzung einer friedlichen Politik durch die Sozialdemokratie richteten. Dies war dann mit dem 4. August 1914 aber zur Illusion geworden. Ich will nicht zitieren, was Rosa Luxemburg zu diesem Ereignis gesagt hat.

Noch heute hat das Wort von Wilhelm II: „Ich kenne keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche“, eine verheerende Wirkung. Wir als LINKE machen immer noch einen Unterschied zwischen Kriegsgegnern und Kriegsbefürwortern, und das in ganz Europa und übrigens auch in den USA. Also merken Sie sich: Ihre Freunde sind nicht unsere Freunde.

(Zuruf von der CDU: Nicht wirklich!)

Das ist umgekehrt sicherlich auch so. Die Militaristen sind sicherlich nicht unsere Freunde.

(Zurufe von der CDU: Unsere auch nicht! – Jetzt aber Vorsicht!)

Mit dieser Europawahl müssen wir das Signal setzen: Von Europa, von der EU, von Deutschland darf nie wieder Krieg ausgehen. Wir müssen den Rückfall in die Barbarei verhindern.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Meldungen aus der Ukraine überschlagen sich bald stündlich. Was als sozialer und demokratischer Protest in Kiew begann, wurde rasch von den USA und von der EU instrumentalisiert und von den Faschisten erobert. Der Maidan wurde gewalttätig, militärisch durchdrungen und Opfer des rechten Sektors. Damals bejubelten die Medien die Besetzung von amtlichen Gebäuden, zeigten Verständnis für die Bewaffnung von Demonstranten, und es gab keinen Widerspruch, dass ein gerade geschlossenes Abkommen zu einem wertlosen Fetzen Papier gemacht wurde. Die Verrohung ging inzwischen so weit, dass selbst das Sterben von Menschen in brennenden Gewerkschaftshäusern bejubelt wurde.

Ich erinnere mich noch, als 1998 Rot-Grün zum ersten Mal an die Regierung kam. Da glaubte ich, die Politik der Entspannung und ein neues Europa könnten entstehen. Das war naiv. Rot-Grün, Schröder-SPD und Fischer-GRÜNE, haben das Land verändert – tief zu seinem Negativen. Deutschland führte wieder Krieg, mit der NATO gegen Jugoslawien. Auch bei anderen Kriegsabenteuern, so in Afghanistan, war Deutschland dabei. – Was war aus der Einsicht der Nachkriegszeit „nie wieder Krieg“ geworden?

Ich erinnere mich daran, dass Gorbatschow Anfang der Neunzigerjahre ein „gemeinsames Haus Europa“ vor

schlug. Alle Völker und Staaten sollten ein Zimmer haben, inklusive einer gemeinsamen Teeküche und einer Kaffeebar, so etwas wie eine Wohngemeinschaft Europa. Wieder wurde nichts daraus. Statt eines gemeinsamen Hauses gibt es neue Spaltungen. Wieder steht man sich feindlich gegenüber – jetzt an der Grenze Russlands in der Ukraine.

Manches an der Politik der EU und einzelner Mitgliedstaaten lässt allerdings befürchten, dass dies einigen nicht klar ist. Wenn ich einzelne französische Stimmen höre, habe ich den Verdacht, dass man sich nachträglich für die Beresina rächen will, in bundesdeutschen reaktionären Kreisen gilt das möglicherweise für Stalingrad.

Mir geht es nicht um eine prorussische oder proukrainische Parteinahme. Es geht mir um einen Umgang mit dem Vielvölkerstaat und der Großmacht Russland, das man nicht demütigen sollte, wenn man ehrlich verhandeln will. Wir haben in diesem Jahr als Friedensbewegung angesichts der bedrohlichen Lage am 8. Mai, dem Tag des Sieges der Anti-Hitler-Koalition über den deutschen Faschismus, mit Mahnwachen und Demonstrationen der unermesslichen Opfer gedacht und vor weiterer Kriegshetze gewarnt. Aus diesem Anlass werden wir bundesweit Demonstrationen am 31. Mai vorbereiten.

Die gegenwärtige ukrainische Regierung ist diskreditiert, weil in ihr aktive Faschisten mitwirken, sie Militär gegen die ukrainische Bevölkerung einsetzt und der Nationalgarde, die vom Sprecher des rechten Blocks im ukrainischen Parlament geführt wird, freie Hand lässt.

Ich will das ausdrücklich sagen, Torsten Schäfer-Gümbel: Die Krimannektierung verstieß gegen das Völkerrecht. Das Völkerrecht mag nicht in jeder Situation immer gerecht erscheinen. Aber wir haben nur dieses. Wir stehen zum Völkerrecht, und es funktioniert nur, wenn sich alle daran halten.

Eine Verlegung von NATO-Truppen nach Osteuropa bedeutet allerdings eine weitere Eskalation. Die EU und insbesondere die Bundesregierung dürfen sich auch nicht von der herrschenden Politik der USA treiben lassen, die ganz andere Interessen verfolgen. Sie wollen die Europäer wieder an die Kandare nehmen. Berlin zeigt leider Feigheit vor dem „Freund“. Russland ist ein Teil Europas, und deshalb muss es eingebunden werden. Jahrelange erfolglose Visaverhandlungen müssen wieder aufgenommen und zum Abschluss gebracht werden.

Zusammenarbeit und diplomatische Kanäle sind die einzige Chance, um auch Menschenrechtsverletzungen, die Rechte von Homosexuellen, die Zulassung unabhängiger NGOs und den Umgang mit demokratischer Opposition, Presse- und Medienfreiheit zu thematisieren.

Leider ist die EU bisher nicht dadurch aufgefallen, überall mit gleicher Sprache über Menschenrechte zu sprechen. Glaubwürdigkeit erreichen wir nicht durch doppelte Standards und doppeltes Spiel. Wir kritisieren z. B. China und Russland für Menschenrechtsverletzungen und fehlende demokratische Strukturen, doch wir schweigen, wenn es um EU-Mitgliedstaaten geht. Niemand diskutiert derzeit, was in Ungarn wirklich vorgeht.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Allerdings!)

Menschenrechte als Sozial- und Freiheitsrechte sind unteilbar. Sie müssen überall gelten, für jeden und für jede. Sie müssen auch für Asylbewerberinnen, Flüchtlinge, Roma, Obdachlose, Straßenkinder gelten, für Menschen, die ihre

Energierechnungen nicht bezahlen können, für Journalisten und Universitätsprofessoren.

(Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken übernimmt den Vorsitz.)

Glaubwürdigkeit verspielt die EU aber auch, wenn im Auftrag der EU-Staaten unter aktiver Mitwirkung von Institutionen der EU wie der Kommission und der Europäischen Zentralbank den sogenannten Programmländern wie Griechenland oder Portugal Auflagen erteilt werden, die vor allem einen Effekt haben: Die Grund- und Menschenrechte werden dort einfach außer Kraft gesetzt. Mindestlöhne und Renten werden gesenkt, die Arbeitszeiten werden drastisch erhöht. Wir sehen den totalen Kollaps des öffentlichen Gesundheitswesens, die Auflösung wichtiger kommunaler Verwaltungsstrukturen in den Regionen und Entrechtung der Gewerkschaften, im Klartext also: Um aus der Krise herauszukommen, werden Bankenschulden eben einmal zu öffentlichen Schulden gemacht, und gleichzeitig werden die so verschuldeten Länder zu Eingriffen aufgefordert, mit denen Menschenrechte ausgehebelt werden.

Nach meinem Eindruck ist daran auch die Bundesregierung beteiligt. Deshalb glaube ich, dass diese ganze Debatte um die Bankenentschuldung ein wichtiger Hebel war, dort die Menschenrechte außer Kraft zu setzen.

(Beifall bei der LINKEN – Florian Rentsch (FDP): Was für ein Blödsinn!)

Aus dem, was eigentlich die Basis unseres Zusammenlebens in Europa, in der EU und in der Eurozone sein sollte, dem historischen Ruf der französischen Revolution, ist jetzt im Jahr 2014 der Dreiklang geworden: Bankenspekulation, Austerität, Arbeitslosigkeit.

Das Schlimme dabei ist: So gut wie alle aktuellen Regierungen der Mitgliedstaaten sind in diesem Kontext bereit, zur Durchsetzung dieser Austeritätspolitik die nationalistische Karte zu ziehen. Am deutlichsten spüren das Migrantinnen und Migranten und Flüchtlinge wie die Roma.

Inzwischen zieht sich die Sorge um den Verlust von sozialer Sicherheit, scheinbar unantastbarer Rechte und den Verlust von Wohlstand bis in die Mitte unserer Gesellschaft. Nicht mehr nur die Ausgegrenzten sind die Zielgruppe der Rechten und rechtsextremen Ideologen, nein, rechte, rechtsextreme und nationalistische Meinungen und Haltungen sind mitten in der Gesellschaft angekommen.

Wenn wir also dem Front National, der Partei von Wilders, Jobbik, der Goldenen Morgenröte, der NPD und auch der AfD den Boden entziehen wollen, müssen wir ihnen den Kampf um die Durchsetzung der Menschenrechte entgegenstellen: der individuellen wie der kollektiven, der sozialen und ökologischen wie der Freiheitsrechte.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf der Abg. Karin Wolff (CDU))

Die Rechtsextremen und Nazis von heute wollen diese Rechte nur den Angehörigen der weißen Rasse, den Mitgliedern ihrer „völkischen Gemeinschaften“ gewähren und alle anderen ausgrenzen und rausschmeißen. Ein solches Europa, eine solche EU wollen wir nicht.

Es kann doch niemand ernsthaft glauben, dass die Partei der Luckes und Henkels auch nur im Geringsten ein Interesse an den sozialen Nöten der Menschen hier hätte. Die Zeche für den von ihnen geforderten Austritt aus dem Euro

hätten zuerst und vor allem jene zu zahlen, die schon jetzt ausgegrenzt sind und in Armut leben.

Nein, die Wahl zum Europaparlament am 25. Mai muss deshalb ein klares Signal gegen Rechtspopulismus und -extremismus sein, ein Signal für ein Europa, in dem Solidarität durch Interessen- und Lobbypolitik für die großen Banken und europäisch und global organisierten Konzerne immer mehr verdrängt wird.

Vor allem in den sogenannten Programmländern Griechenland, Portugal und Spanien müssen Menschen um ihre Existenz kämpfen. Aber auch darüber hinaus wurde im Zuge des Krisenmanagements die Spaltung in der EU zwischen den Euroländern und den Nicht-Euroländern, zwischen der Peripherie und dem Kern vertieft.

(Michael Boddenberg (CDU): Sie haben noch gar nicht von Enteignung gesprochen!)

Vielleicht sollte Hessen hier das positive Beispiel der regionalen Kooperation mit der Aquitaine, der Emilia Romagna, der Wielkopolska und mit Bursa um Regionen aus diesen betroffenen Ländern erweitern.

Der vor allem unter dem Diktat von Kanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble durchgesetzte Kurs des EU-Krisenmanagements ist gescheitert – und zwar nicht nur, weil mit Steuergeldern die Schulden der Banken bezahlt werden, sondern weil Millionen von Menschen in tiefste Armut gestürzt wurden.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Ihr Marktradikalismus, die Jagd nach immer mehr Privatisierungen von öffentlichen Gütern, Dienstleistungen und Eigentum, die Gier nach allem, was noch zu privatisieren ist, hat offensichtlich zu viele gute Ideen absterben lassen. Wasser, Energie, Gesundheitsversorgung, Bildung und soziale Sicherungssysteme gehören in die öffentliche Hand und unter öffentliche Kontrolle.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Wohnen, öffentlicher Nahverkehr, Kultur, öffentliche Dienstleistungen – jeder und jede muss den Zugang dazu haben. Niemand darf ausgegrenzt werden. In allen EUMitgliedstaaten wollen wir armutsfeste Mindestlöhne, -einkommen und -renten sowie soziale und ökologische Mindeststandards durchsetzen.

Statt die Realität zur Kenntnis zu nehmen, sollen wir allerdings mit neuen Verheißungen verdummt werden, beispielsweise beim geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA.

Die Regierungsparteien, die Industrieverbände oder die Kommission behaupten gerne, wie toll unser Leben nach dem Abschluss eines solchen Freihandelsabkommens aussehen werde. Hunderttausende neuer Arbeitsplätze, massive Steigerung des Handels usw. entstünden infolge dieses Abkommens, das hinter verschlossenen Türen verhandelt wird. Haben die Regierenden Angst, von Begeisterungsstürmen übermannt zu werden, wenn die Segnungen des TTIP öffentlich werden? Ist es deshalb geheim?

(Janine Wissler (DIE LINKE): Sehr gut!)

Leider ist das Gegenteil richtig. Es hat sich herausgestellt, dass ein Großteil der angeführten Zahlen auf Sand gebaut ist und dass wichtige soziale und ökologische Auswirkungen überhaupt nicht in Betracht gezogen wurden. Dabei

würde die Einführung der metrischen Maßeinheit in den USA sicherlich mehr Arbeitsplätze sichern als das TTIPAbkommen.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN – Michael Boddenberg (CDU): Sie können ja richtig spaßig sein! – Gegenruf der Abg. Janine Wissler (DIE LIN- KE): Das unterscheidet uns von Ihnen!)

Kurzum: Man merkt die Absicht und ist verstimmt. Zu Recht haben zivilgesellschaftliche Gruppen, beispielsweise auch Blockupy und andere Organisationen, am 15. Mai in Brüssel gegen das Freihandelsabkommen demonstriert. Wir waren auch dort.