Protocol of the Session on March 22, 2017

Jetzt können wir darüber reden, ob man das „können“ durch ein „sollen“ ersetzen soll. Da würde ich bei nochmaligem Studium und im Lichte dieser Debatte sagen: Ja, da mag „können“ – wie übrigens an vielen anderen Stellen im Gesetz auch – vielleicht zu schwach sein.

Aber es kann überhaupt keine Rede davon sein, dass hiermit irgendjemand aus seiner Verantwortung entlassen wird. Hier steht klar: Kommunen, Landkreise und andere – dazu gehören natürlich in erster Linie auch die Kassenärztliche Vereinigung und die Kassen – sollen mit einbezogen werden.

Dann können wir, wie gesagt, über die Formulierung reden. Aber an dem Grundsatz kann doch überhaupt kein Zweifel bestehen, was hier gemeint ist. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- KEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Merz. – Jetzt kommt die Antwort. Herr Kollege Bocklet, bitte.

Auch heute – so die wahnsinnig überraschende Botschaft – sind Krisendienste schon möglich, weil sie ein ambulantes Angebot sind. Ambulante Dienste können auch heute schon angeboten werden, die außerhalb der Zeiten liegen, die zur Krisenintervention vor Ort in Wohnungen gehen. Das ist heute schon möglich. So einfach ist das.

Die Frage ist, ob es im Gesetz hinreichend genug bedacht worden ist. Wir haben es noch weiter geöffnet und den Hinweis gegeben. Insofern sind wir uns von der Sache her offensichtlich einig.

Der Punkt ist nur: Wenn Sie sagen, es muss ein Krisendienst so, wie Sie ihn formuliert haben, im Gesetz stehen, wenn das Land ihn einrichten muss, dann ist es doch logisch, dass das Konnexitätsprinzip greift. Genau das wollen wir aber vermeiden, weil dann die Finanzierung ausschließlich beim Land liegt. Das halten wir in hohem Maße für ungerecht, weil mindestens zwei Drittel der Verantwortlichen, nämlich die Kassenärztliche Vereinigung oder die Krankenkassen, dann aus der Verantwortung entlassen werden.

Das nur noch einmal zur Erläuterung. Ansonsten wollen wir selbstverständlich auch ambulante Angebote, die Krisenintervention machen. Da sind wir uns einig, und so steht es auch im Gesetz.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Kollege Bocklet. – Das Wort hat Herr Staatsminister Grüttner.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir behandeln heute in zweiter Lesung einen Gesetzentwurf, bei dessen Einbringung ich im September des letzten Jahres gesagt habe, dass ich der festen Überzeugung bin, dass dieses Gesetz einen großen Fortschritt darstellt. An dieser Auffassung hat sich bis zum heutigen Tag nichts geändert, auch nicht nach der Anhörung im Sozialpolitischen Ausschuss.

Es ist an der Zeit, dass nach 65 Jahren das auf Polizei- und Ordnungsrecht basierende Hessische Freiheitsentziehungsgesetz durch ein modernes und den heutigen Ansprüchen genügendes Gesetz zur Regelung des Rechts der Hilfen und Unterbringung bei psychischen Krankheiten abgelöst wird.

Natürlich – deswegen habe ich das deutlich gesagt und werde das an einzelnen Punkten auch noch einmal belegen – ist der Erarbeitung dieses Gesetzes ein sehr langwieriger Diskussionsprozess vorausgegangen. Ich habe selten die Entstehung eines Gesetzes miterlebt, bei der im Vorfeld schon über Expertengespräche, über den Fachbeirat Psychiatrie, über viele Institutionen die Anregungen, die zum Teil auch jetzt wieder in Anträgen von den Oppositionsfraktionen vorliegen, diskutiert worden sind und dann eine Entscheidung getroffen worden ist, ob man es in das Gesetz aufnimmt oder nicht.

Ich sage einmal, das Thema Krisendienst – ich würde es besser als Krisenhilfe bezeichnen – war sehr lange Gegenstand der Diskussionen im Fachbeirat Psychiatrie. Dort wurde letztlich einvernehmlich besprochen, dass es zunächst einer inhaltlichen Diskussion bedarf, was damit denn überhaupt gemeint ist und was gebraucht wird. Insofern war auch schon an dieser Stelle innerhalb des Fachbeirats klar, dass man versuchen muss, einen Fachtag durchzuführen, auf dem genau festgelegt wird, was Krisenhilfen bedeuten und inwiefern möglicherweise Pilotprojekte geeignet sind, im Rahmen einer Evaluation dieses Gesetzes in Zukunft zu einer anderen Formulierung oder einer anderen gesetzlichen Fixierung zu kommen.

Nur, das, was momentan an dieser Stelle gefordert wird, ist eindeutig zu früh. Deswegen ist das, was in der Anhörung dargelegt worden ist, auch in Teilen in dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen mit berücksichtigt worden. Das gilt insbesondere für die Fragestellung, was im Hinblick auf Besuchskommissionen, in Bezug auf 24-StundenKrisendienst gemeint ist.

Weil es aber gerade um die Frage des Krisendienstes und der Krisenhilfe gegangen ist, will ich noch einmal verdeutlichend sagen, dass wir zwei 24-Stunden-Krisendienste haben. Das sind auf der einen Seite für die medizinischen Notfälle logischerweise die Krankenhäuser in Hessen und auf der anderen Seite auch die Landespolizei. Jetzt diese 24 Stunden verbindlich auf Sozialpsychiatrische Dienste zu übertragen, ist der Weg des Aufbaus eines neuen Angebots, das meiner Auffassung nach so nicht notwendig ist. Wir müssen Krisenhilfen – deswegen sagte ich das ja schon – noch einmal verbessern, aber dabei sind eben alle an der psychiatrischen Versorgung Beteiligten mit einzu

beziehen. Denn nur so kann man auch regionalen Unterschiedlichkeiten gerecht werden.

Ein niedrigschwelliger Zugang zu Hilfesystemen außerhalb der Regelarbeitszeit von Behörden und Sozialpsychiatrischen Diensten oder Beratungsstellen wird von mir unterstützt. Mir ist doch auch bekannt, dass die Unterbringungszahlen in psychiatrischen Krankenhäusern während der Abendstunden und an den Wochenenden steigen. Deswegen müssen Angebote zur Hilfe auch für diese Zeiten vorgehalten werden, um Unterbringungen zu vermeiden. Deswegen ist ja entsprechend dem Antrag auch entschieden worden, dies in den Gesetzentwurf mit aufzunehmen und ambulante Hilfen auch außerhalb der Regelarbeitszeit zugänglich zu machen.

Auch das Thema Zwangsbehandlungen, also Unterbringung, Behandlungs-, Sicherungsmaßnahmen wie z. B. Fixierungen, wird zurzeit sehr intensiv diskutiert. Unbestritten ist, dass die Reduzierung von Zwang das Ziel in der Psychiatrie ist.

Sie können mir sicherlich folgen und werden mir auch nichts anderes unterstellen, wenn ich sage, dass ich genauso wie viele andere froh wäre, wenn wir Zwang in der Psychiatrie gänzlich vermeiden könnten. Aber leider wird es immer wieder Situationen im Praxisalltag einer psychiatrischen Klinik geben, in denen eine Behandlung gegen den natürlichen Willen einer Person unumgänglich ist. Für diese Fälle ist es die Pflicht eines Rechtsstaats, dafür zu sorgen, dass es keine Grauzonen und keine rechtsfreien Räume mehr gibt.

Eine Zwangsmaßnahme stellt einen derart schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Personen dar, dass gesetzlich ganz hohe Hürden zur Anwendung geschaffen werden müssen. Eines der Ziele dieses Gesetzes ist es jedoch, bereits sehr viel früher anzusetzen, indem es Instrumente bietet, eine Unterbringung und insbesondere Zwangsmaßnahmen schon im Vorfeld zu verhindern. Genau aus diesem Grund soll der Aufbau von Angeboten zur Hilfe und von Schutzmaßnahmen auch Bestandteil dieses Gesetzes sein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Durch die Verankerung von Berichtspflichten gegenüber den Fachaufsichtsbehörden wird sich die Datenlage über die psychiatrische Versorgung und über Zwangsmaßnahmen erheblich verbessern. Insbesondere im Bereich der Ausübung von Zwang gegenüber Patienten ist die Sammlung umfassender Daten erforderlich. Es gibt hierzu in Hessen bisher noch keine belastbare Datenlage. Nur wenn wir wissen, wie die derzeitige Lage ist und welche Faktoren eine Rolle spielen können, kann eine Verbesserung der psychiatrischen Versorgung erfolgen. Insofern gibt es in dem vorliegenden Gesetzentwurf auch eine erweiterte Berichtspflicht der psychiatrischen Krankenhäuser.

Noch ein Satz dazu, was nachträgliche Datenerhebung, die ja auch gefordert worden ist, bedeutet. Sie ist schlicht und einfach nicht zielführend, weil die nachträgliche Erhebung nicht nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden ist. Alle Einzelfälle müssten nachträglich gesichtet und erfasst werden. Aber damit ist die Qualität der Dateneingabe immer noch nicht gesichert und damit auch nicht die Validität der Ergebnisse. Wenn man dann daraus auch noch Schlussfolgerungen zieht, kann man möglicherweise auf eine völlig falsche Fährte gelockt werden. Insofern hilft

uns eine nachträgliche Datenerhebung an dieser Stelle überhaupt nichts.

(Beifall bei der CDU)

Was die Fragestellung der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention anbelangt, wissen Sie, dass die Hessische Landesregierung beschlossen hat, dass alle Gesetzesvorlagen und Verordnungen nach den Normen der UNBRK geprüft werden. Das ist selbstverständlich auch bei diesem Gesetzentwurf geschehen, und es ist völlig klar, dass an dieser Stelle die Vereinbarkeit festgestellt worden ist und es keine verbindlichen gesetzlichen Vorschriften geben muss, die über das, was in dem Gesetzentwurf aufgeführt ist, hinausgehen. Insofern sind auch die Vorgaben der UN-BRK vollumfänglich erfüllt worden.

Herr Minister, die Frau Kollegin Schott möchte Ihnen gern eine Frage stellen.

(Minister Stefan Grüttner: Nein, vielen Dank! Im Moment bitte keine Fragen!)

Gut.

Dann will ich an der Stelle noch auf das eingehen, was der Kollege Rock gesagt hat. Ja, wir machen die ersten Schritte. Ganz bewusst ist dieses Gesetz auch als ein lernendes Gesetz angelegt. Denn wir müssen erst einmal Erfahrungen mit einem Instrument sammeln, das es bisher in dieser Art und Weise in Hessen noch nicht gegeben hat. Im Rahmen eines solchen lernenden Gesetzes werden sich möglicherweise auch zusätzliche Regelungsbedarfe ergeben können. Dann sind wir im Sinne einer fortlaufenden Verbesserung frei, diesen zusätzlichen Regelungsbedarfen auch noch entsprechend im Gesetz Rechnung zu tragen.

Ansonsten haben wir im Rahmen der Vorbereitung der dritten Lesung im Ausschuss noch ausreichend Zeit, jetzt nicht gestellte Fragen zu beantworten oder zu diskutieren. Ich gehe davon aus, dass die dritte Lesung des Gesetzes beantragt worden ist.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das ist so!)

Ja? Gut. – Dann danke ich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Herr Minister, herzlichen Dank für Ihre Ausführungen. – Es gibt keine weiteren Wortmeldungen.

Es ist die dritte Lesung beantragt worden. Dann überweisen wir den Gesetzentwurf und den Änderungsantrag an den Fachausschuss zur Vorbereitung der dritten Lesung.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:

Antrag der Fraktion der FDP betreffend jungen Menschen eine Chance geben, sich etwas aufzubauen – Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer einführen – Drucks. 19/4524 –

Der Kollege Jörg-Uwe Hahn hat das Wort. Bitte sehr.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit diesem Antrag möchten wir als Freie Demokraten erreichen, dass die Landesregierung im Bundesrat eine Initiative ergreift – eine Initiative für mehr Freiheit, eine Initiative für mehr Eigentum, eine Initiative gerade für mehr Eigentum für junge Familien mit geringem und mittlerem Einkommen.

(Beifall bei der FDP)

Wir möchten, dass im Bundesgesetz verankert wird, dass die Länder, wenn sie denn wollen, einen Freibetrag für die erste selbst genutzte Immobilie bei der Grunderwerbsteuer bis zu einem Kaufpreis von 500.000 € einführen können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum tragen wir Ihnen das vor? – Wir haben, insbesondere die Konferenz der Fraktionsvorsitzenden der FDP in den Ländern, eine wissenschaftliche Ausarbeitung erbeten, anhand derer wir feststellen mussten, dass wir in Deutschland im Jahre 1990 eine Wohneigentumsquote von 36,9 % und im Jahr 2014 eine Wohneigentumsquote von 45,4 % hatten. Das ist eine löbliche und gute Entwicklung. Das macht deutlich, dass eine große Zahl der Menschen bereit ist, sich in Wohneigentum zu engagieren.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Michael Bodden- berg (CDU))

Dieses Engagement ist auch sehr vernünftig, weil es unter anderem zur Altersvorsorge dient, aber es gibt auch eine Vielzahl anderer positiver Dinge. Ich hatte schon darauf hingewiesen, dass in meinen Augen Eigentum auch ein Stück Freiheit ist.

Dann haben wir aber gefragt: Wie ist die Verteilung bei den verschiedenen Einkommensquintilen? Wir haben festgestellt, dass 1990 beim untersten Quintil eine Wohnungseigentumsquote von 25,3 % bestand und 2014, also fast 25 Jahre später, von 17,4 %. Bei dem unteren Quintil hat sich die Entwicklung der Wohnungseigentumsquote also genau andersherum gezeigt, als wir sie in der Allgemeinheit sehen. Noch 25,3 % im Jahre 1990 und nur 17,4 % im Jahre 2014.

Auf der anderen Seite des Spiegelbildes kann man feststellen, dass im höchsten Quintil die Eigentumsquote von 54 % auf 69,1 % gestiegen ist.

(Beifall bei der FDP)

Wir halten das für nicht gut. Wir halten das für nicht ausgewogen. Wir halten das auch, um das Wort politischer Mitbewerber zu benutzen, für nicht sozial gerecht.