Protocol of the Session on March 22, 2017

Ich rufe den Antrag der Fraktion der SPD auf, Drucks. 19/4620. Wer ist dafür? – SPD, FDP, DIE LINKE und Frau Öztürk. Wer ist dagegen? – CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Damit ist dieser Antrag abgelehnt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:

Zweite Lesung des Gesetzentwurfs der Landesregierung für ein Gesetz zur Regelung des Rechts der Hilfen und Unterbringung bei psychischen Krankheiten – Drucks. 19/4650 zu Drucks. 19/3744 –

und den

Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucks. 19/4657 –

Berichterstatter ist Herr Kollege May. Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich darf Ihnen die Beschlussempfehlung des Sozial- und Integrationspolitischen Ausschusses vortragen. Sie lautet: Der Sozial- und

Integrationspolitische Ausschuss empfiehlt dem Plenum mit den Stimmen von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen von SPD, DIE LINKE und FDP, den Gesetzentwurf in zweiter Lesung unverändert anzunehmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Berichterstatter und Kollege May. – Wir beginnen mit der Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Bartelt, CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz stellt die Versorgung der Patienten in den Mittelpunkt. Es ersetzt das Freiheitsentziehungsgesetz, das nur die Unterbringung zur Gefahrenabwehr beinhaltete. Es stellt psychisch und somatisch kranke Menschen gleich. Sie haben Anspruch auf qualifizierte Behandlung und Patientenrechte. Das Grundrecht auf Bestimmung des Aufenthaltsorts kann nur in Abwägung mit dem Grundrecht auf Leben und Gesundheit unter definierten Bedingungen eingeschränkt werden. Durch Prävention und ambulante Hilfen soll die Zahl der Einweisungen gegen den Willen der Patienten in stationäre Einrichtungen erheblich reduziert werden.

In der Anhörung wurde uns die Häufigkeit dieser Erkrankungen erneut vor Augen geführt. Die Vertreterin des Sozialpsychiatrischen Dienstes des Main-Taunus-Kreises führte aus:

Wir haben 1.000 Akten. Wenn man davon ausgeht, dass 5 % der Bevölkerung eine schwere chronische psychische Erkrankung haben, dann liegen wir mit 1.000 Akten bei 200.000 Einwohnern genau im Durchschnitt, der zu erwarten ist.

Es sind also 5 % der Menschen betroffen.

Der Gesetzentwurf der Landesregierung wurde in der Anhörung überwiegend positiv bewertet. Die Anhörung erbrachte Erkenntnisse, die in unseren Änderungsantrag aufgenommen wurden. Die Stellungnahmen der Kommunalen Spitzenverbände sind für uns immer von Bedeutung. Hier sind sie aber besonders wichtig, da Kreise und kreisfreie Städte bei der Weiterentwicklung des Sozialpsychiatrischen Dienstes in der Prävention und Krisenintervention entscheidend mitwirken.

Der Hessische Landkreistag erklärte:

Vonseiten des Hessischen Landkreistages wird der Gesetzentwurf befürwortet. Er dient auf jeden Fall der Förderung der psychisch erkrankten Menschen, und er bietet auch unseren Sozialpsychiatrischen Diensten, die in unseren Landkreisen überwiegend bei den Gesundheitsämtern angesiedelt sind, … Rechtssicherheit und einen Stellenwert, der sehr zu befürworten ist.

An dieser Stelle weise ich darauf hin, dass im Gesetz – das finden wir sehr gut – aufgeführt ist, dass es einen Mehrbelastungsausgleich für die kreisfreien Städte und die Landkreise gibt.

Das sind ab 2017 2,9 Millionen € für die Einrichtung mehrstufiger ambulanter Hilfen, um die Zahl der Einweisungen unter Zwang zu verringern.

Ein Amtsleiter in einem Kreisgesundheitsamt befürwortete den Gesetzentwurf aus fachlicher Sicht ausdrücklich. Der Vertreter des Landeswohlfahrtsverbands begrüßte die Schaffung eines Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes ebenfalls. Er hob die frühzeitige Unterstützung für psychisch kranke Menschen sowie Prävention und Krisenintervention einschließlich aufsuchender Hilfen hervor. So kann die Inanspruchnahme von Eingliederungshilfen durch den LWV vermindert werden.

Der Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie begrüßte die Stärkung der Verantwortung der gemeindenahen Psychiatrie und führte aus:

Dazu gehört auch die geregelte finanzielle Ausstattung der Sozialpsychiatrischen Dienste für diese Aufgaben.

Mehr würde man sich zwar immer gern wünschen; aber ich bin froh, dass das jetzt so geregelt ist, da die Sozialpsychiatrischen Dienste dadurch bessere Möglichkeiten haben, ihre Aufgaben wahrzunehmen.

Ein letztes Zitat von einem Vertreter der Fachleute:

Wenn das Gesetz so kommt, wie es nun vorliegt, gehe ich davon aus, dass ich ein bis zwei Sozialarbeiterstellen mehr besetzen kann. Ich denke, damit können wir schon eine ganze Menge tun.

Das sagt die Vertreterin des Sozialpsychiatrischen Dienstes des Main-Taunus-Kreises.

(Gerhard Merz (SPD): Jetzt einmal zu den kritischen Stellen!)

Die differenziert kritischen Stellen kommen jetzt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Danke für den Beifall. – In den Stellungnahmen der psychiatrischen Kliniken, die die Ziele des Gesetzentwurfs ebenfalls befürworteten, wurde gefordert, die Regelung der ambulanten Krisenintervention rund um die Uhr noch stärker hervorzuheben. Daher ergänzen wir im Änderungsantrag § 4 folgendermaßen:

Ambulante Hilfen sollen nach Möglichkeit auch außerhalb der Regelarbeitszeiten zugänglich sein.

Noch weiter gehende Vorschläge, wonach ab sofort durch den Gesetzgeber eine ambulante Hilfe – auch eine aufsuchende – flächendeckend garantiert wird, sind aus sehr respektablen Motiven hervorgegangen, können aber nicht Grundlage des Gesetzestextes sein. Ich möchte das begründen:

Erstens. Eine solche Aufgabe wäre von den Kommunen weder personell noch finanziell zu leisten. Der Arbeitsmarkt könnte insbesondere den fachärztlichen Bedarf derzeit gar nicht decken. Die Aufgabenstellung wäre zweifelsohne auch konnex.

Zweitens. Der Sozialpsychiatrische Dienst hat bei der Krisenintervention eine ganz wichtige Rolle, ist aber nicht der einzige Anbieter. Unser sozialpolitischer Arbeitskreis besuchte kürzlich eine Einrichtung des Caritasverbands in Darmstadt. Wir waren von Kompetenz und Engagement sehr beeindruckt. Diese Strukturen und die zugrunde liegenden Vereinbarungen mit den gesetzlichen Krankenkas

sen wollen wir ausbauen. Über die Koordination wird im Psychiatriebeirat detailliert diskutiert. Auch das Modell der Hanauer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie ist in diesem Zusammenhang positiv hervorzuheben.

Drittens. Die Kassenärztliche Vereinigung soll hier nicht aus der Mitverantwortung entlassen werden. Die niedergelassenen Ärzte können das nicht alleine leisten. Aber der manchmal vorhandene Reflex „psychiatrisches Problem gleich notfallmäßige stationäre Einweisung“ wird dem Sicherstellungsauftrag nicht gerecht. Es war übrigens bedauerlich, dass die KV keinen Vertreter zur Anhörung entsandte.

Eine Aussage der Vertreterin des Sozialpsychiatrischen Dienstes im Main-Taunus-Kreis macht besonders nachdenklich:

Ich komme aus einem Landkreis, in dem es formal zwölf psychiatrische Facharztstellen gibt, von denen noch fünf im Betrieb sind. Alle anderen machen Psychotherapie, Neurologie und private Gutachten.

Das sind zweifelsohne wichtige Dinge, aber sie dienen nicht der Akutversorgung von psychotisch Erkrankten. Dem muss die KV nachgehen. Das ist deren Aufgabe.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Richtig!)

Das heißt, wir stärken ambulante Notfallversorgung und Prävention durch diesen Gesetzentwurf. Das ist das Anliegen dieses Gesetzentwurfs. Einige Details, wie der Aufbau, die Koordination sowie die weitere Verbesserung der ambulanten Hilfe und der Krisenintervention unter Mitwirkung aller Beteiligten, werden aber untergesetzlich geregelt.

In der Anhörung wurde von den Vertretern der Kliniken gewünscht, die regionale Pflichtversorgung eindeutig in das Gesetz aufzunehmen. Das haben wir gemacht. § 10 wird nun ergänzt:

Die in Abs. 1 Satz 2 genannte Versorgungsverpflichtung bleibt unberührt.

Auf vielfache Anregung wurde auch klargestellt, dass die Sozialpsychiatrischen Dienste nicht für psychiatrisch erkrankte Kinder zuständig sind. Hier bleibt die Verantwortung bei den Jugendämtern.

Einige Stellungnahmen befassten sich vornehmlich mit Maßnahmen, die gegen den Willen des Patienten ergriffen werden. Hierzu ist festzustellen: Das Ziel des Gesetzentwurfs ist, die Anwendung dieser Maßnahmen erheblich zu reduzieren. Die Instrumente habe ich genannt. Das sind – zusammengefasst – Prävention, ambulante Hilfen, Krisenintervention, Besuchskommission, Beschwerdestellen und Akteneinsichtsmöglichkeiten. All das sind Inhalte des Gesetzentwurfs.

Es bleiben aber leider einige wenige Situationen übrig, in denen eine Zwangsmaßnahme Leben schützt. Wahnvorstellungen im akuten Schub einer Psychose sind Beispiele für Situationen, in denen es zu Eigen- und Fremdgefährdung kommt. Ich möchte aber auch weniger spektakuläre Ereignisse nennen, die jeden von uns betreffen können: Nach einem Routineeingriff können manchmal Durchgangssyndrome auftreten. Ich meine, dass hier Bettgitter und kurzzeitige Fixierung besser zu ertragen sind als Frakturen nach dem Sturz aus dem Krankenbett.

Eine Anmerkung dazu: Hier könnten auch Patientenverfügungen helfen, die Maßnahmen in bestimmten Situationen definiert erlauben. Bislang finden Patientenverfügungen hauptsächlich Anwendung, wenn es darum geht, nach dem Willen des Patienten perspektivlose Maßnahmen zu unterlassen.

Meine Damen und Herren, das Psychisch-Kranken-HilfeGesetz ist eine ganz wichtige Umsetzung von Erklärungen in unserem Koalitionsvertrag. Psychisch kranke Menschen haben denselben Anspruch auf Hilfe, Zuwendung und Patientenrechte wie körperlich kranke.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Gesetzentwurf leistet dazu einen ganz wichtigen Beitrag.

Abschließend möchte ich all denen danken, die sich für diese Menschen engagieren: Pfleger, Sozialarbeiter und Ärzte. Sie leisten einen ganz wichtigen Dienst am Menschen, der oftmals zu wenig beachtet wird. – Herzlichen Dank.