Ich denke, was wir jetzt in den letzten Wochen der Berichterstattung über die drei Terroristen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ erlebt haben, ist nur die Spitze eines Eisberges.
Es gibt in Deutschland ein großes Potenzial an rechtsextremen Einstellungen. Niemand kann und darf davor die Augen verschließen. Rechtsextreme Überzeugungen sind längst in der Mitte angekommen, und vielleicht war die Mitte auch nie frei von ihnen. Das zeigt die FES-Studie „Die Mitte in der Krise“ ausdrücklich. Der Aussage: „Im nationalen Interesse ist unter bestimmten Umständen eine Diktatur die bessere Staatsform“, stimmen beispielsweise 8,8 % zu, und 18 % wollen diese Aussage weder bejahen noch verneinen.
Für die Aussage: „Die Verbrechen des Nationalsozialismus sind in der Geschichtsschreibung weit übertrieben worden“, gab es 7,3 % Zustimmung, und 16,8 % wollten diese Aussage weder bejahen noch verneinen. Ähnlich war es bei der Aussage: „Die Juden arbeiten mehr... mit üblen Tricks, um das zu erreichen, was sie wollen“. Hier stimmten 14,8 % zu, und 21,8 % wollten diese Aussage weder bejahen noch verneinen.
Deswegen müssen wir bei unserem politischen Handeln den Fokus darauf legen, den Rechtsextremen den Nährboden zu entziehen. Es muss alles unternommen werden, um dem erstarkenden Rechtsextremismus wirksam Einhalt zu gebieten.
Das heißt auch, dass wir alles, was wir in den letzten Jahrzehnten bereits getan haben, auf den Prüfstand stellen müssen. Ich will niemandem unterstellen, dass nichts getan wurde, aber das, was getan wurde, muss auf den Prüfstand gestellt, und es muss vor allen Dingen ein Gesamtkonzept erarbeitet und entwickelt werden. Ich weiß, dass es auch in Hessen Programme gibt wie das Aussteigerprogramm IKARus, das „Beratungsnetzwerk Hessen – Mobile Intervention gegen Rechtsextremismus“ oder auch das Programm „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“.
Die beiden zuletzt genannten sind aber vor allem Bundesprogramme, an denen wir in Hessen partizipieren. Deswegen hat die SPD-Landtagsfraktion auch schon zu diesen Haushaltsberatungen und zu den Haushaltsberatungen im letzten Jahr einen Haushaltsantrag über 136.000 € gestellt, die wir für das Beratungsnetzwerk Hessen zusätzlich aus hessischen Landesmitteln zur Verfügung stellen wollen, weil wir wissen, dass die stetige Weiterentwicklung dieses Beratungsangebots notwendig ist, dies aber mit den zeitlich befristeten Bundesprogrammen eben nicht möglich und machbar ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, unser Antrag fordert ein Gesamtkonzept für Hessen. Wir brauchen mehr Raum in unserem Bildungssystem für Demokratie und für die Auseinandersetzung mit dem, was man heute gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nennt. Es muss bei Kindern und Jugendlichen stärker denn je das Bewusstsein entwickelt werden, dass Demokratie ein Wert für sich ist und dass die Würde eines jeden Menschen nicht verhandelbar ist. Demokratie kann nur entwickelt und vermittelt werden, wenn Demokratie auch in den Schulgemeinden vor Ort gelebt wird und erfahrbar ist.
Rechtsextremismus ist ein Problem, das in der Mitte der Gesellschaft gelöst werden muss und nicht an ihren Rändern. Das lässt mich zu dem absurden Begriff des Extremismus kommen, wie er heute leider immer noch viel zu häufig gebraucht und definiert wird.
Wir können in Anbetracht solcher Zustimmungsraten, wie ich sie vorhin aus der FES-Studie genannt habe, zu den rechtsextremen Äußerungen nicht mehr von einem Randproblem reden. Deshalb halte ich auch die unsinnige Aufrechnung von Links- und Rechtsextremismus für völlig daneben und verfehlt.
Jedes Phänomen bedarf einer fundierten wissenschaftlichen Analyse und nicht platter Gleichmacherei. Eine solche Analyse fordern wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Denn nur so können wir wirkungsvoll gegen diejenigen vorgehen, die unsere demokratische Gesellschaft bedrohen.
Auf dieser falschen Extremismustheorie basiert auch die Extremismusklausel. Diese lehnen wir als SPD-Fraktion grundsätzlich ab. Das haben wir auch schon in der Vergangenheit im Hessischen Landtag deutlich gemacht.
Es war von Familienministerin Schröder falsch, in der Förderung der Projekte gegen rechts so herumzupfuschen, wie sie es getan hat. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten fordern stattdessen: mehr statt weniger Förderung und diese mit weniger statt mehr Bürokratie.
Lassen Sie die Menschen, die sich vor Ort für unsere Demokratie einsetzen, unsere Anerkennung spüren, statt ihnen zu misstrauen und Antipathie entgegenzuschleudern. Deshalb weg mit der Extremismusklausel und mehr Förderung für die örtlichen Initiativen! Gerade die kleinen Projekte vor Ort, wie wir sie z. B. aus Schwalm-Eder kennen, aus der Wetterau und von der Bergstraße, müssen besonders gefördert werden.
Wir haben in unserem Antrag noch mehr Punkte deutlich gemacht, z. B. die stärkere Vernetzung der Kommunen – Herr Präsident, ich komme zum Schluss –, und wie wir die Arbeit gegen rechts vor Ort noch besser konkret ausbauen können.
Lassen Sie mich meine Rede mit einem Zitat von George Bernhard Shaw beenden: „Freiheit bedeutet Verantwortlichkeit. Das ist der Grund, weshalb die meisten Menschen sich vor ihr fürchten.“ – Ich hoffe, dass alle Fraktionen in diesem Haus die Angst vor der Verantwortlichkeit ablegen und dass gute Konzepte für eine starke Demokratie in diesem Haus entstehen und umgesetzt werden. Dazu ist unser Antrag ein Beitrag. – Ich danke Ihnen.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Jedem muss klar sein: Extremismus jedweder Couleur hat in unserem Staat keinen Platz.
Aufgrund der deutschen Geschichte gilt das insbesondere natürlich für den brauen Terror durch Neonazis. Der hessische Justizminister, der zurzeit wieder seine Dienstpflichten in Berlin wahrzunehmen hat, hat hierzu schon das Richtige gesagt, als er jüngst zum Ausdruck brachte: Nicht die Migrantinnen und Migranten, sondern die rechtsradikalen Gewalttäter sind in unserer Gesellschaft die Außenseiter.
Der Hessische Landtag hat schon in seiner letzten Sitzung sehr deutlich und eindrucksvoll seine Solidarität mit den Opfern der rechtsradikalen Mordserie und mit ihren Familien zum Ausdruck gebracht. Ich will das unterstreichen, mich ansonsten aber mehr mit dem vorliegenden Antrag der Fraktion der LINKEN auseinandersetzen, der ja Gegenstand dieser Beratung ist.
Ich will vorwegschicken, dass zurzeit eindeutig noch keine abschließende Beurteilung der Taten der Zwickauer Ter
rorzelle möglich ist. Wir befinden uns im Augenblick noch in einer Phase der Aufklärung, des Zusammentragens von Informationen über die Hintergründe der feigen Morde, die, wie wir heute wissen, von dieser neonazistischen Untergrundzelle verübt wurden. Auch in Hessen hat es eine solche Tat gegeben. Die verübten Taten insgesamt beschämen und mahnen uns zu neuerlicher Wachsamkeit gegenüber Radikalen, damit aus der späteren Betrachtung erkennbare Fehler künftig vermieden werden können.
Was mich etwas besorgt macht, sind Reaktionen wie die – man muss sie wirklich als reflexhaft bezeichnen – nach einem Verbot der rechtsextremen NPD. Ich sage deutlich: Wenn ich auch grundsätzlich große Bedenken gegenüber Parteiverboten überhaupt habe, so schließe ich das im Fall der NPD nicht kategorisch aus. Wenn sich herausstellen sollte, dass auch die NPD strukturell in die Taten der rechten Terroristen verwickelt sein sollte, so bin ich dafür, diese Erkenntnisse auch im Rahmen eines eventuellen neuerlichen Verbotsverfahrens einzusetzen.
Es ist allerdings dringend geboten – und das werde ich wiederholen, so oft es erforderlich ist –, hier nicht überstürzt vorzugehen, um ein erneutes Scheitern eines solchen Verbotsantrages zu vermeiden. Es wäre unerträglich, wenn wir dieser Partei ein zweites Mal vor dem Bundesverfassungsgericht Gelegenheit geben würden, sich mit dem Scheitern eines solchen Verbotsverfahrens zu brüsten.
Es ist für mich keine Frage und es steht außerhalb jeder Diskussion, dass die NPD mit ihren Äußerungen und mit ihrem Verhalten Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundhaltung verfolgt. Entscheidend ist aber die verfassungsrechtliche Frage, ob diese Äußerungen und Handlungen der NPD gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung auch das für ein Verbot erforderliche Kriterium der – so hat es das Bundesverfassungsgericht formuliert – aktiv kämpferischen aggressiven Haltung erfüllt. Das bleibt für die Erfolgschancen eines Verbotsverfahrens eine im Vorhinein kaum zu prognostizierende Frage, bzw. die Antwort ist kaum zu prognostizieren.
Noch eines muss klar sein und sollte von jedem in diesem Hause unterstrichen werden: Die hessischen Organe – die Hessische Landesregierung, die hessische Polizei, der hessische Verfassungsschutz – sind nicht auf dem rechten Auge blind. Und wir dürfen uns auch nicht künstlich blind machen, wie das vor allem die Extremisten hier im Hause fordern.
(Beifall bei der CDU und der FDP – Janine Wissler (DIE LINKE): Wie bitte? Das ist doch das Allerletzte! – Hermann Schaus (DIE LINKE): Sie können es nicht lassen! – Barbara Cárdenas (DIE LINKE): Das sind unverschämte Unterstellungen! – Janine Wissler (DIE LINKE): Wir reden hier über Nazimorde!)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Wahrheit mag manchmal wehtun. Aber sie kann deswegen nicht ungesagt bleiben.
Ich rede über die Verteidigung unseres Rechtsstaates. Da stelle ich fest, dass ohne V-Leute jeder Versuch, die Strukturen der rechtsradikalen NPD aufzuklären und eine
eventuelle Verstrickung der Partei sowie nicht nur einzelner Funktionäre im rechten Terror zu beweisen, wie ein Blindflug durch dichten Nebel ist. V-Leute sind gewissermaßen die Augen und Ohren des Verfassungsschutzes, und sie bleiben im Kampf gegen Radikalismus und Extremismus unverzichtbar.
Die V-Mann-Problematik wird man nicht im Sinne des Bundesverfassungsgerichts lösen können, ohne auf einem Auge blind zu werden. Nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts müssen vor einem neuen Verbotsantrag alle V-Leute aus den Führungsebenen der NPD abgezogen oder zumindest abgeschaltet werden.
Vielleicht sollten wir die Sitzung unterbrechen, um Gelegenheit zu Einzelgesprächen zu geben. Aber ich rede auch gern weiter.
Es müssten alle V-Leute aus den Führungsebenen der NPD abgezogen oder zumindest abgeschaltet werden, wie es so schön heißt. Das Bundesverfassungsgericht hat hier zumindest einen Abzug aus den Vorständen der Bundesund Landesebene für erforderlich gehalten. So hat es betont, dass es problematisch sei, wenn abgeschaltete V-Leute nach wie vor in den Vorständen aktiv seien. Abgesehen von der Frage, ob es überhaupt möglich wäre, alle ehemaligen V-Leute dazu zu bewegen, auf eine Wiederwahl in den Gremien dieser Partei zu verzichten, würde dieser Prozess erkennbar mehrere Jahre benötigen.
Das hilft gerade denen, die nach schnellen Schritten rufen, nicht weiter. Außerdem könnte mit einem Abzug der Quellen die NPD nur noch offen – d. h. über öffentlich zugängliche Informationen – beobachtet werden. Damit gingen aber gerade die sicherheitsrelevanten Informationen verloren, z. B. Informationen darüber, ob sich die NPD etwa in die Richtung von mehr Gewalt bewegt.
Ich sage deshalb nochmals: Bei dieser Frage sind große Vorsicht und Sorgfalt geboten. Wer überstürztem Handeln das Wort redet, der betreibt, ob er das will oder nicht, im Ergebnis gerade das Geschäft derer, die er bekämpfen will. Das sollten wir uns alle nicht antun.
Lassen Sie mich noch ein Letztes zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE sagen: Diese Koalition und diese Landesregierung benötigen keinerlei Nachhilfe bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus.