Protocol of the Session on December 14, 2011

(Zurufe von der CDU – Präsident Norbert Kart- mann übernimmt den Vorsitz.)

Ich warte ja auf den einen oder anderen Zwischenruf. – Der Energiegipfel hat auf jeden Fall so viel gebracht, das teile ich ausdrücklich, dass in abstrakten Zielsetzungen, die von Ihnen völlig präzise und richtig beschrieben wurden, eine Verständigung erzielt wurde. Das ist ein echter Fortschritt.

Im Mai dieses Jahres hat uns der Ministerpräsident noch vehement für unsere Vorstellungen beschimpft, man könne bis zum Jahr 2050 die Energieversorgung aus erneuerbaren Energien beschreiben. Er hat lautstark und mit hochrotem Kopf erklärt, diese Fantastereien seien Unfug und würden einem Industrieland nicht gerecht. Deswegen müsse man sich auch den Realitäten stellen.

Ich bin froh, dass wir nach sechs Monaten Energiegipfel zumindest so weit gekommen sind, dass das größte Fortbildungsprogramm der letzten zehn Jahre in der Energiepolitik bei den Regierungsfraktionen Früchte getragen hat.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zweiter Punkt. In der Regierungserklärung ist auch deutlich geworden, dass es eine klare Verständigung darauf gibt, die Energieversorgung von morgen so dezentral wie möglich und so zentral wie nötig zu gestalten. Das ist ein Grundsatz, den wir seit Jahren eingebracht haben, für den wir auch belächelt wurden. Auch da haben wir jetzt einen Konsens erreicht. Wir haben ebenso einen Konsens bei der Frage des Aus- und Aufbaus der erneuerbaren Energien mit einer sehr konkreten Messzahl erreicht, nämlich 2 % der Landesfläche.

Wir erinnern uns alle an die wunderbaren Plakataktionen aus dem schwarz-gelben Block noch bei der Kommunalwahl in diesem Jahr mit den „Windkraftmonstern“, die überall entstehen würden. Deswegen handelt es sich hier um einen Fortschritt. Es handelt sich auch um eine späte Wiedergutmachung für Hermann Scheer, der dafür in diesem Land beschimpft wurde.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Ich fand die Kommentierungen in einigen Zeitungen ausdrücklich richtig, die gesagt haben, dass es eigentlich auch

die späte Durchsetzung der Ideen von Hermann Scheer war, die mit diesem Energiegipfel verbunden war.

(Dr. Walter Arnold (CDU): Das stimmt doch überhaupt nicht!)

Herr Dr. Arnold, natürlich, denn genau das waren die zentralen Themen, die von der Sozialdemokratie unter Führung von Andrea Ypsilanti und Hermann Scheer in den Wahlkampf eingebracht wurden und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ausdrücklich unterstützt und mitgetragen wurden – und auch von der LINKEN. Sie hatten damals nichts anderes zu tun, als permanent dagegen zu polemisieren.

Das hat alles der Energiegipfel gebracht: An der Stelle besteht jetzt Konsens. – Das ist gut so. Ich will allerdings auch daran erinnern – jetzt kommen wir zu den ersten Passagen, die Sie nicht mehr so ganz erfreuen werden, weil sie nicht mehr so ganz konsensuell sein werden –, dass auf dem Weg zum Abschlussdokument des Energiegipfels die zentralen Ergebnisse zu allen schwierigen Fragen – wie z. B. „Wie sieht denn die Brücke ins Zeitalter der erneuerbaren Energie aus?“, „Wie ist denn die Vorrangfläche für Wind definiert?“ –, die in der Arbeitsgruppe unter Führung von Frau Puttrich und Herrn Al-Wazir als Kompromisse formuliert wurden, in dem Ursprungsentwurf der Staatskanzlei kassiert worden sind.

(Beifall bei der SPD)

Sie sind erst unter dem massiven Druck von Rot-Grün wieder aufgenommen worden. Frau Puttrich, dass Sie sich heute hierhin stellen können und überhaupt eine Regierungserklärung abgeben können, in der es einen konkreten Punkt gibt – es gibt noch zwei weitere, zu denen komme ich gleich –, das verdanken Sie ausdrücklich RotGrün. Der Ministerpräsident hat Sie in seiner Abschluss erklärung eigentlich kielgeholt mit dem, was er ausgeführt hat.

(Beifall bei der SPD)

Als wir gestern Abend die Regierungserklärung gesehen haben, hat es uns eigentlich nicht verwundert – wir haben auch danach gesucht, weil wir erwartet haben, dass es zwei wunderbare Instrumente geben wird, die immer in Regierungserklärungen auftauchen, und die Sie in aller epischen Breite dargestellt haben –, dass Sie auf jeden Fall einen Staatsehrenpreis und eine Informationskampagne machen werden. Ich sage Ihnen: Allein mit Werbung und mit der nächsten Festveranstaltung, die wahrscheinlich wieder von der Hessen-Agentur als Eventmanagementeinrichtung des Landes durchgeführt wird, werden Sie die Energiewende nicht hinkriegen.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie nach 15 Monaten, in denen Sie das Energieministerium führen – den Titel führt das Ministerium ja schon ein paar Tage länger –, eine Stabsstelle einrichten, dann ist das wirklich ein bemerkenswertes Ergebnis. Sie sind erst nach 15 Monaten in der Lage, eine Stabsstelle im Energieministerium zu beschreiben. Wenn das in der Fortschrittsgeschwindigkeit weitergeht, werden wir im Jahr 2050 die engagierten Ziele, die beschrieben wurden, ganz sicher nicht erreichen.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen will ich noch ein paar Bemerkungen, die Ihnen wahrscheinlich viel weniger gefallen werden, zum Gipfel selbst machen. So schön das ist, dass wir diese Ergebnisse

erreicht haben, so klar ist auch, dass man über die Defizite dieses Gipfels reden muss.

Als wir in diesen Gipfel gestartet sind, haben einige geglaubt, wir würden den Mount Everest ersteigen. Mit dem, was Sie eben an konkreten Ergebnissen vorgestellt haben, sind wir eher auf dem Hügel einer Wanderdüne gekommen. Sie sind stolz darauf, dass Sie diese Wanderdüne ohne Sauerstoffmaske erreicht haben. Alles andere hätten Sie nicht mehr hinbekommen. Ich sage Ihnen: Das reicht alles nicht.

Eines ist auch klar. Egal, welcher Gipfel, ob das der Mount Everest ist, eine Wanderdüne oder der Energiegipfel: Nachdem man den Gipfel erklommen hat, geht es in alle Richtungen erst einmal bergab. Ihre Regierungserklärung war Ausdruck eines Bergabs. So etwas Unambitioniertes habe ich selten erlebt.

(Beifall bei der SPD)

Einige im Saal werden alt genug sein, um sich noch an Ihre Vorgängerin, Frau Lautenschläger, zu erinnern. Wir haben sie häufig für das gescholten, was sie getan hat. Es gibt aber Tage, da wünscht man sich Silke Lautenschläger mit ihrer schofeligen und ihrer schroffen Art, aber mit ihren klaren Zielvorstellungen zurück.

(Beifall bei der SPD)

Ihre Regierungserklärung ist im Ergebnis trostlos gewesen. Sie haben immer noch keinen konkreten Plan vorgelegt, wie die Energiewende vorangebracht werden soll. Das können Sie auch nicht, denn Energiewende ist noch etwas mehr, als nur Windräder aufzustellen.

(Peter Stephan (CDU): Ganz genau!)

Herr Stephan, deswegen ist es eines der großen Defizite dieses Energiegipfels, dass beispielsweise die großen Themen Mobilität und Verkehrssektor ausgeklammert wurden. Das soll nachbearbeitet werden. Ich habe heute von der Ministerin nichts gehört, in welcher Form der Mobilitäts- und Verkehrssektor nachgearbeitet werden soll. Er ist ausgeklammert worden. Auf dem Energiegipfel gab es Vorschläge dazu seitens der Oppositionsfraktionen. Ebenso ist das Thema der Gebäudesanierung ausgeklammert worden.

(Dr. Walter Arnold (CDU): So ein Quatsch!)

Herr Stephan, Herr Arnold, auf unsere Nachfrage, ob bei der Gebäudesanierung nur der landeseigene Teil gemeint ist oder auch der landesgenutzte und in welcher Form der Privatteil hereingenommen wurde, wurden unsere Vorschläge ausdrücklich abgelehnt und zurückgestellt mit dem Hinweis, darauf könne man heute noch nichts sagen. Außer dass Sie gesagt haben, dass Sie sich mit der Frage beschäftigen wollen, haben Sie dazu heute wieder nichts gesagt. Ich bin gespannt, wann Sie endlich liefern.

(Beifall bei der SPD – Dr. Walter Arnold (CDU): Bundesratsinitiative!)

Im Gegensatz zu anderen Parteien im Landtag und im Bundestag haben Sie kein Produktionsproblem mehr; denn der Energiegipfel hat ein paar Punkte hergestellt. Sie haben ein Lieferproblem. Es gibt ein paar andere, die haben noch ein Produktionsproblem und kein Lieferproblem. Aber auch dazu haben Sie heute nichts gesagt.

(Dr. Walter Arnold (CDU): Bundesratsinitiative!)

Zur Industriepolitik. Wir saßen gestern mit Vertretern der chemischen Industrie in Hessen zusammen. Zur Frage,

wie der Umstrukturierungsprozess in der Industrie stattfinden soll, ist im Energiegipfel im Kern nichts gesagt worden. Man kann sich immer auf die Position zurückziehen, dass wir da wenig zu melden haben. Das sehen die im Übrigen anders, weil beim Thema Forschung und Entwicklung das Land ziemlich viel einzubringen hat.

(Judith Lannert (CDU): Wo sind denn Ihre Ideen?)

Da reicht es am heutigen Tag nicht, wenn Sie den großen Wurf erklären wollen, dass Sie Technologiepolitik in Hessen machen. Was soll denn darin sein? Was sind die Eckpunkte von Forschung und Entwicklung im Bereich der Energiewende? Dazu ist gar nichts gesagt worden.

(Beifall bei der SPD)

Ich will am Ende auch sagen: Was völlig vermurkst wurde beim Energiegipfel – dazu will ich gleich etwas ausführlicher reden –, ist die Rolle der Städte und Gemeinden. Was da gerade passiert, ist ein echtes Trauerspiel. Alle betonen – –

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Es stimmt doch nichts davon! Wir haben uns mit den Kommunalen Spitzenverbänden darüber verständigt! – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Günter Rudolph (SPD): Jetzt wird die Wahrheit auch wieder verdreht!)

Ich will den Zwischenruf von Herrn Dr. Wagner ausdrücklich aufnehmen, der eben sagte, man habe sich doch mit den Spitzenverbänden verständigt.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Sie reden alles schlecht!)

Herr Wagner, ich will es Ihnen klar sagen, und zwar ausdrücklich in Ihre Richtung. Vor einem Dreivierteljahr waren Teile Ihrer Fraktion nicht einmal in der Lage, ein Sonnenstudio von einer Solaranlage zu unterscheiden.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Platter Populismus! – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)

Herr Wagner, es tut mir leid, aber mit solchen Zwischenrufen provozieren und produzieren Sie Polemik. Die Frage, ob die Ministerin den Unterschied zwischen einer Fotovoltaikanlage und einer Solarthermieanlage erklären kann, war doch nicht unsere Erfindung. Herr Wagner, das war doch Ihre Frage im Energiegipfel.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Dr. Chris- tean Wagner (Lahntal) (CDU): Das ist Ihre Behauptung!)

Deswegen sage ich noch einmal: Es ist gut – das habe ich ausdrücklich an den Anfang gestellt, Herr Wagner –, dass wir bei der inhaltlichen Fundierung ein gutes Stück vorangekommen sind.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Sie neiden uns den Energiegipfel!)

Aber es ist doch so, dass Sie mit Ihren fadenscheinigen Kompromissen, die Sie aufgrund der 3-%-Partei FDP beim Thema HGO-Änderung – in Ihren eigenen Reihen hoch umstritten – gemacht haben, selbst gefangen sind.