Das nächste Thema: der Umgang mit ausländischen Berufsabschlüssen. Sie werden in Deutschland nicht anerkannt. Dafür ist die gesetzliche Grundlage, die es jetzt auf der Bundesebene gibt, absolut unzureichend. Sie ist besser als nichts; aber wir wissen, dass viele Berufe gar nicht davon betroffen sind. Es ist einfach eine unhaltbare Situation, dass hoch qualifizierte Menschen, deren ausländische Abschlüsse in Deutschland nicht anerkannt werden, in Frankfurt Taxi fahren oder andere Tätigkeiten ausüben müssen, weil sie nicht in ihrem Beruf arbeiten können.
Ausdrücklich begrüßen wir, dass in Ihrem Antrag steht, Sie wollten eine neue Willkommenskultur in Hessen verankern. Das finden wir sehr gut. Ich habe dazu auch einen konkreten Vorschlag: Sorgen Sie als Allererstes dafür, dass der „Wetzlar Kurier“ eingestellt wird. Das wäre wirklich ein Beitrag zu einer neuen Willkommenskultur in Hessen.
Entscheidend ist, dass wir den Menschen nicht weiterhin den Weg zum Arbeitsmarkt verbauen und hinterher einen Fachkräftemangel beklagen. Wir müssen diese Wege vielmehr öffnen.
Aber Ihnen geht es hier natürlich auch darum, hoch qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland anzuwerben, für deren Ausbildungskosten man nicht aufzukommen braucht. Das kann man sich sparen. Deswegen ist es wichtig, sich einmal anzuschauen, wie die reale Lage aussieht, was den Fachkräftemangel betrifft.
Es gibt eine Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarktund Berufsforschung. Dort fragt man die Betriebe nach den „Gründen von Aktivitätshemmnissen“. Der häufigste Grund für Aktivitätshemmnisse ist – wen wundert es? – ein Mangel an Nachfragen nach Gütern und Dienstleistungen des betreffenden Betriebs. Das ist nicht verwunderlich; denn zwei Drittel der Unternehmen hängen von der Binnenmarktnachfrage ab.
Damit sind wir wieder bei dem Thema Mindestlohn. Die größten Probleme, die die deutsche Wirtschaft hat, sind der Mangel an Nachfrage und eine Schwäche der Binnenkonjunktur. Da muss man ansetzen, wenn man sagt, man möchte etwas für die Wirtschaft in diesem Land tun. Nur 8 % der Unternehmen geben in dieser Umfrage an, dass die Arbeitskräfteknappheit ein wirkliches Problem darstellt.
Deshalb warnt das IAB auch vor einer Dramatisierung der Situation. Ja, wir haben stellenweise einen Fachkräftemangel; aber es ist wenig hilfreich, das zu einem allgemeinen, den ganzen Arbeitsmarkt umspannenden Phänomen zu überhöhen. Wenn man sich die sogenannten Vakanzzeiten anschaut, also die Zeiträume, in denen Stellen unbesetzt sind, stellt man fest, dass sie im letzten Jahr bei durchschnittlich 56 Tagen lagen. Das sieht das IAB als keinesfalls alarmierend an.
Längere Vakanzzeiten haben wir allerdings im Gesundheitssystem – ganz besonders lange bei den Stellen für Ärzte und Krankenschwestern. Man muss sich fragen, woran das liegt. Liegt es vielleicht auch an dem deutschen Gesundheitssystem, also daran, dass es offensichtlich nicht besonders attraktiv ist, dort zu arbeiten?
Das IAB sieht auch in der Lohnentwicklung ein Indiz dafür, dass es eben keinen dramatischen Fachkräftemangel gibt. Im IAB heißt es nämlich, ein eklatanter Mangel müsste auch zu deutlich sichtbaren Lohnsteigerungen führen. Ich glaube, wir alle sind uns einig, dass das nicht der Fall ist.
Auch wir LINKE sagen, wir wollen möglichst viele Menschen in den Arbeitsmarkt integrieren. Wir brauchen Fachkräfte. Aber das schaffen wir nur, indem wir für Ausbildungsplätze sorgen, statt immer mehr Menschen im Übergangssystem zu parken. Wichtig ist es auch, gute Hochschulen zu schaffen und die Zahl der Studienplätze zu erhöhen.
Wir müssen über die Anerkennung ausländischer Abschlüsse reden. Ich erinnere nur daran, dass DIE LINKE vor acht Wochen einen Antrag betreffend die Anerkennung ausländischer Abschlüsse im Hessischen Landtag eingebracht hat. Den haben CDU und FDP leider abgelehnt.
Um die Erwerbstätigkeit von Frauen zu fördern, halten wir es für wichtig, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern und – das sage ich an die Adresse der FDP gerichtet – Frauenquoten einzuführen. Ihrer Fraktion hätte eine Frauenquote ganz gutgetan.
Stattdessen bringen Sie einen Antrag ein – das ist fast schon niedlich –, in dem steht, der Landtag begrüßt, dass die Landesregierung auf Anregung des Ministerpräsidenten einen Arbeitskreis einberufen hat. Sagen Sie einmal ganz ehrlich: Was soll das? Warum soll es der Landtag begrüßen, dass Sie auf Anregung des eigenen Ministerpräsidenten einen Arbeitskreis einberufen? Statt konkrete Schritte zu unternehmen – immerhin bilden Sie die Landesregierung –, stellen Sie derartige Anträge.
Kommen Sie mit Gesetzesinitiativen und mit konkreten Konzepten. Aber lassen Sie den Landtag bitte nicht beschließen, dass er es gut findet, dass Sie einen Arbeitskreis einrichten. Richten Sie den Arbeitskreis vielmehr ein, reden Sie nicht länger darüber, und kommen Sie wieder, wenn er Ergebnisse hat. Die können Sie dann dem Landtag vorlegen. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Wissler. – Herr Kolleg Döweling hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet.
ich habe bei Ihnen eine gewisse Verwirrung ausgemacht, was das liberale Verhältnis von Staat und Gesellschaft angeht. Deswegen will ich versuchen, ein wenig zur Aufklärung beizutragen. Sie sind recht jung an Jahren und in Ihrem Weltbild vielleicht noch nicht so gefestigt wie z. B. der Kollege van Ooyen.
Sie haben moniert, wir Liberale würden sonst immer „privat vor Staat“ sagen. Dazu sage ich ganz klar: Ja, die Liberalen sagen „privat vor Staat“. Aber der Staat hat nach liberalem Verständnis auch die Rahmenbedingungen zu schaffen, die ein erfolgreiches Wirtschaften und Wirken in diesem Land ermöglichen. Wenn es also einen eklatanten Mangel gibt, z. B. bei den Fachkräften, ist es auch unsere Aufgabe, das zu thematisieren und hier auf die Tagesordnung zu setzen. Dann muss der Staat durchaus überlegen, was er machen kann.
Das bewegt sich dann in ganz verschiedene Richtungen. Wir haben gesehen, dass Kollege Bocklet und die GRÜNEN das im Sozialbereich verorten. Wir haben auch etwas über die Schulpolitik gehört. Das ist ein allumfassendes Thema. Aber ich sage auch ganz klar, dass das liberale Verständnis vom Staat so aussieht, dass sich der Staat zwar so weit wie möglich heraushalten, aber die Rahmenbedingungen dafür schaffen soll, dass ein gutes und erfolgreiches Wirtschaften in diesem Land möglich ist, um Wohlstand für uns alle zu gewährleisten.
Sie müssen es mit sich selbst ausmachen, ob Ihr machohafter Diskussionsstil dem Hessischen Landtag angemessen ist. Das ist eine Frage Ihres Stils.
Ich will etwas zu Ihrer inhaltlichen Verwirrung sagen. Ich stelle nämlich fest, dass Sie immer dann „privat vor Staat“ schreien, wenn es um Rechte geht. Wenn es um das Recht auf wirtschaftliche Betätigung und um das Recht auf Profite geht, schreien Sie immer „privat vor Staat“.
Aber in dem Fall geht es um Pflichten und um Verantwortung. Wenn es um Pflichten und um Verantwortung geht, ist die FDP die Erste, die ganz schnell nach dem Staat schreit und sagt, die Risiken und die gesellschaftlichen Probleme solle der Staat möglichst allein lösen. Das soll möglichst die öffentliche Hand regeln. Das soll zulasten der Steuerzahler gelöst werden. Das ist Ihr „privat vor Staat“. Das kehrt sich ganz schnell um, wenn es nicht mehr nach den Unternehmen geht.
Deswegen kann man sagen, dass Sie eine klare Klientelpartei sind. Sie vertreten die Interessen von etwa 2 % der Bevölkerung. Das scheint so zu sein.
Vielen Dank, Frau Kollegin Wissler. – Nun hat für die Landesregierung Herr Minister Boddenberg das Wort.
(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das kann man kürzer sagen: Gewinne privat – Verluste Staat!)
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will zunächst einige wenige Punkte aufgreifen, die hier von Rednern der Fraktionen angesprochen worden sind. Vorab will ich sagen – Frau Kollegin Wissler, das haben nicht nur Sie, sondern auch andere Redner der Opposition erwähnt –, es gibt tatsächlich das Phänomen, dass dieses Szenario für die nächsten zehn bis 15 Jahre in vielen Unternehmen und Wirtschaftsbereichen überhaupt noch nicht angekommen ist. Insofern kann ich nicht erkennen, weshalb es falsch sein soll, dass wir heute hier darüber diskutieren. Im Gegenteil, ich bin den Fraktionen der CDU und der FDP sehr dankbar dafür – der Fraktion der FDP dafür, dass sie das als Setzpunkt gewählt hat –; denn ich glaube, wir müssen zunächst einmal alle miteinander dafür sorgen, dass insbesondere in der Wirtschaft ein Bewusstsein dafür geschaffen wird, was uns in Hessen bis 2020 oder 2030 ereilen wird.
Außerdem sind Sie, Frau Wissler, an einigen Stellen auf Punkte eingegangen, die deutlich machen, dass es bei der Auseinandersetzung über dieses Problem unterschiedliche Ansätze gibt. Sie und auch Herr Frankenberger haben durchaus zu Recht viele Probleme in Zusammenhang mit der Arbeitsmarktdebatte – also der Arbeitslosigkeit – angesprochen, die wir seit vielen Jahren führen. Das fängt bei der Jugendarbeitslosigkeit an und reicht über die Problematik zu niedriger Erwerbseinkommen von Menschen mit Einschränkungen bis zur Erwerbsquote bei Frauen. Das ist alles notwendig.
Ich stimme auch ausdrücklich dem Satz von Herrn Frankenberger zu, dass 2,7 Millionen Arbeitslose in Deutschland immer noch bedeuten, dass jeder einzelne dieser Arbeitslosen einer zu viel ist. Aber wir wollen und müssen es schaffen, dass wir in dieser Debatte einen anderen Ansatz bekommen. Wir müssen nämlich das Bewusstsein schaffen, dass Fachkräftemangel eben etwas anderes ist als die Problematik, die wir mit 2,7 Millionen Arbeitslosen haben. Das lässt sich nicht 1 : 1 übertragen. Das heißt: Diese beiden Dinge zusammenzubringen, ist einerseits ein sehr lohnendes und mit absoluter Priorität zu versehendes Unterfangen.
Andererseits reden wir hier über Weiterungen, die bei vielen in unserer Gesellschaft bisher eben nicht im Bewusstsein angekommen sind, übrigens auch nicht im Bewusstsein der Bundesagentur für Arbeit, wenngleich ich dort nach vielen Gesprächen festgestellt habe – bei Herrn Weise angefangen bis hin zu Herrn Dr. Martin, der für Hessen zuständig ist –, dass sich die Bundesagentur für Arbeit mit ihrer dezentralen Struktur zunehmend in eine gleichzeitig dienstleistungsorientierte Agentur umwandelt, die der Wirtschaft, den Unternehmen und damit der Volkswirtschaft insgesamt hilft, dieses Problem zumindest zu lindern. Ich glaube, die Annahme, dass wir dort in den nächsten fünf oder zehn Jahren Lösungsansätze haben werden, die das Problem eliminieren, ist in den Bereich der Fantasie zu rücken.
Ich will noch zwei, drei Punkte aufgreifen, insbesondere auch das schon angesprochene Problem der Anerkennung international erworbener Abschlüsse, also von Abschlüssen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Sie haben gesehen, dass dies der Bundesrat in seiner letzten Sitzung entsprechend verabschiedet hat und wir damit, glaube ich, einen gehörigen Schritt weitergekommen sind.
Herr Bocklet, wenn im Antrag der GRÜNEN aufgeführt ist, es sei unbefriedigend, denn dort sei beispielsweise nicht geregelt, dass es genügend Beratungsleistungen für Menschen gebe, die aus Drittstaaten oder europäischen Nachbarstaaten nach Deutschland kommen, ist das schlichtweg falsch. Wir haben eine umfängliche Beratungsmöglichkeit für jedermann, außer für diejenigen – wenn Sie das mit Ihrem Teil des Antrags meinen, ist das richtig –, die lediglich über ein dreimonatiges Visum verfügen, sich hier also mehr oder weniger zum Familienbesuch oder für Saisonarbeit aufhalten. Alle anderen aber haben diesen Rechtsanspruch auf Beratung, um in ihrer persönlichen Frage der Anerkennung in deutschen Berufs- und Anerkennungsstrukturen zum Ziel zu kommen.
Wenn Herr Frankenberger eine Pressemitteilung angesprochen hat und vom Ministerpräsidenten oder von Herrn Kollegen Saebisch eine Antwort haben wollte, weshalb denn der Ministerpräsident sage, dass der WerraMeißner-Kreis und Frankfurt nicht miteinander zu vergleichen seien, glaube ich, dass Sie das ganz vorsätzlich ha
ben falsch verstehen wollen. Das heißt doch nicht, dass wir das Problem nicht auch im Werra-Meißner-Kreis haben. Es heißt aber, dass die Situation in einem Ballungsraum wie Frankfurt, bei ganz anderen Lohnstrukturen und Qualifikationserfordernissen einiger Schwerpunktbranchen, sicherlich nicht mit eher ländlichen Strukturen zu vergleichen ist, ohne dass wir das damit bewerten wollen. Wir wollen lediglich feststellen, dass wir uns – das ist eine der Aufgabenstellungen dieser Fachkräftekommission – diesen hessischen Spezifika deshalb besonders zuwenden wollen, und das halte ich für mehr als erforderlich.