Protocol of the Session on November 17, 2011

Ich kann Ihnen da nur zurufen: herzlich willkommen in der Wirklichkeit, meine Damen und Herren von der CDU.

(Beifall bei der SPD)

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – Ich würde mir bei diesem wichtigen Thema wünschen, dass mehr passiert, als dass die Landesregierung das tut, was sie am besten kann: ankündigen. Es müssen Taten folgen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Frankenberger. – Nächster Redner ist Herr Kollege Schork für die CDU-Fraktion.

(Clemens Reif (CDU): Jetzt kommt wieder Realismus! – Gegenruf des Abg. Günter Schork (CDU): Aber nicht der sozialistische!)

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist richtig, dass wir uns vor einem Jahr im September an dieser Stelle bereits mit dem Thema Fachkräftemangel beschäftigt haben. Ich hoffe, dass heute noch das gilt, was wir damals festgestellt haben und worüber Einigkeit bestand: dass der Fachkräftemangel und die Bewältigung des Problems nicht nur eine Frage des Wachstums und unseres Wohlstands sind, sondern auch eine Frage des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

Weil das so ist, ist es gut, dass das Problem im Fokus der Hessischen Landesregierung steht. Gerade weil nicht alles gut und in Ordnung ist, sondern weil noch weiterer Handlungsbedarf besteht, ist es richtig und zu begrüßen, dass die Hessische Landesregierung die Fachkräftekommission Hessen ins Leben gerufen hat.

Wenn das hier kritisiert wird, dann stelle ich fest, dass in dem aktuellen Antrag der GRÜNEN, der heute auch zur Diskussion steht, unter Punkt 4 genannt wird:

Der Landtag fordert die Landesregierung auf, in Kooperation mit der hessischen Wirtschaft, der Regionaldirektion für Arbeit sowie den Weiterbildungsträgern umgehend Maßnahmen zu ergreifen und Konzepte zu erarbeiten, um dem Fachkräftemangel zu begegnen.

Sie schreiben genau das in den Antrag, was Sie hier kritisieren und was die Hessische Landesregierung gemacht hat: Sie hat diese Kommission ins Leben gerufen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Diese Kommission beschäftigt sich im Wesentlichen mit drei Fragen: Wo stehen wir bei der Fachkräfteversorgung? Wie wird sich die Situation an den Arbeitsmärkten in Zukunft ändern? Wie können wir einem Mangel an Fachkräften entgegenwirken?

Das hört sich alles sehr einfach und schnell lösbar an. Die Wirklichkeit ist etwas diffiziler. Mit diesen Fragen verbunden sind die demografische Entwicklung und damit einhergehend die Veränderung der Altersstruktur am Arbeitsmarkt. Damit verbunden sind die regionalen Unterschiede zwischen ländlichem Raum und Städten/Ballungsräumen. Dazu gehört die Aktivierung inländischer Potenziale. Dazu gehört die intensivere Nutzung des europäischen Arbeitsmarktes, und dazu gehört, ohne dass ich die Aufzählung als abschließend bewerten will, die Stärkung der Zuwanderung qualifizierter und hoch qualifizierter Menschen. Dies sind, nur stichwortartig genannt, die Aufgaben und Problemfelder, mit denen sich die Fachkräftekommission zu beschäftigen hat.

Richtig ist auch – das gehört zur Wahrheit hinzu –, dass nicht nur die Politik gefordert ist, sondern auch die Wirtschaft und die Unternehmen. Da gilt: Wer selbst ausbildet, hat den ersten Zugriff auf gute Fachkräfte. Ich erkenne für die CDU-Fraktion ausdrücklich an und will es lobend herausstellen, dass es gerade der Mittelstand, die kleinen und die mittleren Unternehmen sind, die da mit gutem Beispiel vorangehen und Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen.

(Beifall bei der CDU und der FDP sowie der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Für die Wirtschaft gilt auch: Wer gute Schüler in der akademischen Ausbildung, etwa bei einem dualen Studium, begleitet, kommt an gute Hochschulabsolventen. Die Frage der Mitarbeiterbindung wird weiter an Bedeutung zunehmen.

Dazu gehören laufende Qualifizierung und Weiterbildung, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, damit verbunden flexiblere Arbeitszeiten und die Ausweitung der Zahl der Telearbeitsplätze sowie andere Dinge, die von meinen Vorrednern genannt worden sind. Das ist eine Fülle von Maßnahmen, die zu erörtern sind, um daraus die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen, Maßnahmenkataloge zu bilden und sie dann entsprechend umzusetzen.

Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zu dem machen, was hier gesagt wurde. Ich will etwas zu dem „Übergangssystem“ sagen. Ich sage ausdrücklich: Ich bedauere es sehr, dass sich dieser Begriff eingeschliffen hat. Viel besser wäre der Begriff Qualifizierungssysteme. Was wird dort gemacht? In diesen Qualifizierungsystemen werden die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler in Bezug auf ihre Allgemeinbildung gestärkt. Die personalen und sozialen Kompetenzen werden gestärkt. Die Vorbereitung auf die Berufs- und Arbeitswelt bzw. die Vermittlung

von beruflichen Qualifikationen oder Teilqualifikationen wird gewährleistet. Es gibt die Möglichkeit, Schulabschlüsse nachzuholen bzw. weiterführende Schulabschlüsse zu erwerben. Deswegen sind das keine nutzlosen Übergangsschleifen, sondern es ist eine Unterstützung beim Erwerb von Kompetenzen, die die Chance bieten – für manche letztmalig die Chance bieten –, sich in die Berufs- und Arbeitswelt zu integrieren.

Ich glaube nicht, dass es der Sache dienlich ist, wenn man all die Dinge, die dort passieren, abqualifiziert. Natürlich sind zu viele Schülerinnen und Schüler in diesen Ausbildungssystemen, und natürlich müssen wir schauen, wie wir die Mittel effizienter und besser einsetzen können. Dass dies geschieht und dass das Thema nicht an uns vorbeigeht – anders, als es hier dargestellt wird –, das zeigt sich z. B. in den Hessencampi, die die Frage des Übergangsmanagements zu einem wichtigen Bestandteil ihrer Arbeit gemacht haben, um dort vorwärtszukommen.

Sie negieren, wenn wir über dieses Thema sprechen, auch das, was wir im Bereich der schulischen Bildung unternommen und umgesetzt haben, um zu besseren und höheren Abschlussquoten zu kommen und die Schülerinnen und Schüler besser auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten. Sie erwähnen hier nicht das Modell SchuB und die SchuBKlassen. Sie erwähnen hier nicht, dass wir in das Hessische Schulgesetz in diesem Jahr die Mittelstufenschule aufgenommen haben – bewusst mit der Zielsetzung, Hauptschüler bereits in der Schule so zu qualifizieren, dass sie im Anschluss an ihre schulische Ausbildung ohne Übergangs- und Ausbildungssysteme in die berufliche Ausbildung gehen können.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Sie haben recht: Es gibt immer noch zu viele Schülerinnen und Schüler, die die Schule ohne Abschluss verlassen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es die Bildungspolitik von CDU und FDP war, die dafür gesorgt hat, dass sich die Zahl dieser Schülerinnen und Schüler in den letzten zwölf Jahren mehr als halbiert hat. Auch das gehört zur Wahrheit.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Sich dann hierhin zu stellen und zu sagen, die Regierung aus CDU und FDP habe nicht gehandelt, ist schlicht und einfach nicht richtig.

Wenn wir über das Thema Ausbildungssysteme sprechen, dann muss ich sagen, ich halte die Vorschläge, die von der Wirtschaft gekommen sind, für sehr begrüßenswert. Wir müssen uns das System insgesamt anschauen. Es stellt sich die Frage, ob es nicht besser ist, wenn wir die jungen Menschen gleich in die Ausbildung geben und die Betriebe gemeinsam mit den beruflichen Bildungsinstituten versuchen, die Schüler auszubilden. Ich bin sicher, dass sich die Fachkräftekommission, die die Landesregierung einberufen hat, und das hessische Wirtschaftministerium an diesem Vorschlag orientieren und prüfen werden, inwieweit er umgesetzt werden kann.

Hessencampus habe ich schon genannt. Ich erwähne stichwortartig noch das „Netzwerk Wiedereinstieg“, mit dem die Rückkehr von Frauen in den Beruf erleichtert werden soll.

Die Hessische Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen von CDU und FDP machen das Richtige und Notwendige. Wir werden diesen Weg weitergehen.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Vielen Dank, Herr Schork. – Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Wissler für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die FDPFraktion hat das Thema Fachkräftemangel auf die Tagesordnung gesetzt. Derzeit ist ja eines der Probleme der FDP, dass sie in der Partei einen ganz akuten Fachkräftemangel hat.

(Heiterkeit bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN – Zurufe von der FDP)

Das ist im Übrigen auch ein Problem der Landesregierung. Auch die Landesregierung hat ein großes Problem mit dem Fachkräftemangel.

(Heiterkeit bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Minister Michael Boddenberg: Wie lange haben Sie für den Satz ge- braucht, Frau Kollegin?)

Für DIE LINKE gilt: Wer Fachkräfte haben will, der muss sie ausbilden. Deshalb verstehe ich die Prioritätensetzung und den Aufbau Ihres Antrags nicht ganz. Bei Ihnen kommt die Verantwortung der Unternehmen als letzter Punkt. Eigentlich müsste das der erste Punkt sein, vor allem wenn eine solche Initiative von einer Partei eingebracht wird, die immer sagt, der Staat solle doch nicht alles regeln. Während die FDP sonst immer „privat vor Staat“ sagt, schreiben Sie in Ihren Antrag erst einmal acht Punkte zu all den Maßnahmen, die der Staat ergreifen soll, um bei Punkt 9 anzumerken, auch die Unternehmen sollen einen Beitrag leisten.

(Mario Döweling (FDP): Dass Sie nichts von Liberalismus verstehen, ist mir klar!)

An der Stelle ist wohl nichts mit „privat vor Staat“. An der Stelle soll der Staat nämlich wieder einmal die Kohlen aus dem Feuer holen, weil die Unternehmen ihrem Auftrag nicht nachkommen.

(Zurufe der Abg. Clemens Reif (CDU) und Mario Döweling (FDP))

Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht, auf welchen dieser niveaulosen Zwischenrufe ich eingehen soll. Deshalb sage ich einfach zu keinem etwas.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Zuallererst sind die Unternehmen in der Pflicht, die den Fachkräftemangel beklagen. Die müssen wir doch fragen, wie viele Leute sie in der letzten Zeit ausgebildet haben. Solange viele Unternehmen ihrer Ausbildungsverpflichtung nicht nachkommen – wir haben die Situation, dass nur 35 % der Unternehmen überhaupt ausbilden, wir haben eine Ausbildungsquote in Hessen von 4,4 % –, so lange muss man die Unternehmer an ihre Verantwortung erinnern und ihnen klarmachen, dass die Verantwortung bei ihnen liegt. Sie sollen nicht über einen Fachkräftemangel klagen, sondern ihn beheben und endlich gute Ausbildungsplätze schaffen.

(Beifall bei der LINKEN – Florian Rentsch (FDP): Man kann es Ihnen wirklich nie recht machen!)

Wer Fachkräfte haben will – darüber haben wir gestern und heute Morgen geredet –, der muss natürlich auch die Hochschulen vernünftig ausstatten und sich dafür einsetzen, die Studierendenquote zu erhöhen, statt immer darüber zu reden, wie man den Studentenberg, den wir derzeit haben, „untertunneln“ kann. Man muss die jetzige Situation nutzen, um die Lage grundsätzlich zu verbessern.

Ich fand es ganz interessant, was Herr Lenders zur Frage der Frauenerwerbstätigkeit gesagt hat. Ansonsten merkt man ja nicht viel davon, dass Ihnen die Frauen und die Erwerbstätigkeit von Frauen am Herzen liegen. Aber auch das, was in Ihrem Antrag zu der Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf steht, bleibt leider eine Floskel. Sie schreiben in den Antrag, Sie wollen, dass Familie und Beruf besser vereinbar sind. Vor etwa zwei Wochen trat die neue Bedarfsgewerbeverordnung in Kraft, mit der Sie die Sonntagsarbeit ausweiten, beispielsweise im Versandhandel – das haben Sie später zurückgenommen – und bei Callcentern.

(Stefan Müller (Heidenrod) (FDP): Unsinn!)

Sie rufen „Unsinn!“ Wer arbeitet denn überwiegend in Callcentern? Das sind überwiegend Frauen. Sie reden in Ihrem Antrag von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, und gleichzeitig weiten Sie die Sonntagsarbeit aus. Das ist doch ein Widerspruch, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Wer die Erwerbstätigkeit von Frauen fördern will, der darf die Arbeitsmärkte nicht immer mehr flexibilisieren, weil es gerade die Frauen sind, die dann Beruf und Familie – denken Sie z. B. an die Kinderbetreuung – überhaupt nicht mehr unter einen Hut bringen können.

(Zurufe von der FDP)

Das nächste Thema: der Umgang mit ausländischen Berufsabschlüssen. Sie werden in Deutschland nicht anerkannt. Dafür ist die gesetzliche Grundlage, die es jetzt auf der Bundesebene gibt, absolut unzureichend. Sie ist besser als nichts; aber wir wissen, dass viele Berufe gar nicht davon betroffen sind. Es ist einfach eine unhaltbare Situation, dass hoch qualifizierte Menschen, deren ausländische Abschlüsse in Deutschland nicht anerkannt werden, in Frankfurt Taxi fahren oder andere Tätigkeiten ausüben müssen, weil sie nicht in ihrem Beruf arbeiten können.