Ich habe die markigen Worte von Roland Koch noch im Ohr. Ich habe aber auch noch die Äußerung des Jörg-Uwe Hahn im Ohr, der gesagt hat, es handele sich um zwei Seiten ein und derselben Medaille. Jetzt gehört derselbe Jörg-Uwe Hahn einer Regierung an, die gegen die Erfüllung des von ihm gegebenen Versprechens klagt. Das ist doch verrückt.
Wir haben im letzten Jahr in dieser Republik viel über den sogenannten Wutbürger gesprochen. Wer wissen will, wie das Phänomen Wutbürger entsteht, der muss die Geschichte des Mediationsverfahrens am Frankfurter Flughafen, die Entwicklung des Nachtflugverbots und den Wortbruch der CDU und der FDP im Hessischen Landtag betrachten.
Zuerst gab es nämlich das hochheilige Versprechen: Wir belasten euch mehr am Tag, aber dafür gibt es wenigstens sechs Stunden Ruhe in der Nacht. – Dann fingen die ersten Lobbyisten an, Schwarz-Gelb neue Parolen ins Ohr zu flüstern. Herr Kollege Schäfer-Gümbel hat den berühmten parlamentarischen Abend der Lufthansa Cargo schon erwähnt. Herr Boddenberg hat sich damals sehr deutlich geäußert. Lang, lang ist es her.
Diese Regierung hat 2007 ihr Versprechen gebrochen: Sie hat den Ausbau und durchschnittlich 150 Nachtflüge zwischen 22 und 6 Uhr genehmigt, davon 17 Flüge in der vor
her geradezu zum Heiligtum erklärten Mediationsnacht zwischen 23 und 5 Uhr. Der Grund waren die Einflüsterungen der Luftverkehrswirtschaft. Die Begründung war damals natürlich eine andere. Sie lautete: Wenn man diese Ausnahmen vom Nachtflugverbot nicht genehmigen würde – wir haben es gerade eben von Herrn Kollegen Wagner noch einmal gehört –, dann würden die Nachtflüge am Ende überhaupt nicht rechtssicher eingeschränkt werden können. So hat man das damals erklärt.
Sie haben dann im Jahr 2008 und auch heute noch einmal erklärt, eine Planergänzung mit dem Ziel, das absolute Nachtflugverbot nachträglich einzuführen, würde den gesamten Ausbau gefährden. Ich denke in diesen Tagen nicht nur an manche Presseerklärungen der Landesregierung, der CDU und der FDP aus diesen Tagen zurück, ich denke auch an manche Kommentare, die in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und im „Wiesbadener Kurier“ standen. Ich will damit nur einige Beispiele nennen. Ich denke aber auch an manche Äußerungen eines gewissen Jürgen Walter aus dem Oktober 2008 zurück.
Herr Wagner, die Begründung für das nicht gehaltene Versprechen eines absoluten Nachtflugverbotes und die angebliche Unmöglichkeit einer nachträglichen Veränderung der Planfeststellung war schlicht falsch. Sie war von vorne bis hinten falsch.
Der Verwaltungsgerichtshof in Kassel hat im Jahr 2009 genau diesen Teil des Planfeststellungsbeschlusses 2009 aufgehoben und als rechtsfehlerhafte Abwägung bezeichnet.
Er hat genau die Planergänzung gefordert, von der Sie vorher immer gesagt haben, dass sie, rechtlich gesehen, unmöglich sei. Herr Wagner, diese Begründung war und ist von vorne bis hinten falsch.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))
Verehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU und der FDP, die ganze schreckliche Geschichte wird immer schlimmer. Schlimm genug, dass Sie Ihr eigenes Versprechen nicht einhalten wollten.
Im Jahre 2009 hatten Sie alle Instrumente in der Hand, um Ihr Versprechen zu halten. Der Verwaltungsgerichtshof hat Sie sogar dazu aufgefordert, Ihr Versprechen zu halten. Was haben Sie gemacht? Sie sind vor das Bundesverwaltungsgericht in Revision gegangen, um dagegen zu klagen, Ihr eigenes Versprechen halten zu müssen. Herr Kollege Wagner und Herr Ministerpräsident, ich würde an Ihrer Stelle vor Scham rot werden.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))
Die Begründung lautete diesmal, die Landesregierung sei geradezu gezwungen, Revision einzulegen, man bräuchte jetzt endlich Rechtssicherheit, deshalb sei es geradezu zwingend, Revision einzulegen. Auch diese Begründung ist schlichtweg falsch. Rechtssicherheit bekommt man durch ein Urteil der höchsten Instanz, das ist richtig. Aber
dazu bräuchte es keine Revision des Landes Hessen, schließlich ist das Land Hessen nicht der einzige Kläger.
Ich würde mit Ihnen wetten: Wenn die Landesregierung morgen beschließen würde, die Revision zurückzunehmen, würde es trotzdem am 13. März 2012 eine Verhandlung und in der Folge ein Urteil geben. Aber die Rücknahme der Revision wäre ein deutliches Zeichen, auch an das Bundesverwaltungsgericht, dass die Hessische Landesregierung das Nachtflugverbot endlich akzeptiert und ein Interesse daran hat, dass es kommt.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE) – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Wie ein Methusalem!)
Aber nein, am 10. Oktober 2011 erfolgt der nächste Beschluss des VGH. Er lautet: Das Nachtflugverbot kommt. – Es wurde nicht von denen durchgesetzt, die es versprochen haben, sondern von klagenden Anwohnern und unter anderem den Städten Rüsselsheim und Offenbach. Es wurde gegen diejenigen durchgesetzt, die das Nachtflugverbot immer versprochen hatten. Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU und der FDP, Herr Ministerpräsident, spätestens jetzt müssten Sie doch merken, was für eine Katastrophe Sie hinsichtlich des Vertrauens in die Politik angerichtet haben, und diese Revision zurücknehmen.
Es geht in diesem Trauerspiel aber nicht nur um die Politik, es geht auch um die Rolle der Luftverkehrswirtschaft. Lufthansa-Chef Christoph Franz hat mit seinem Interview im „Spiegel“ den Gipfel des Irrsinns erreicht. Er hat dort wörtlich gesagt:
Hätten wir diese Entwicklung vorhergesehen, hätte unsere Forderung nach einer neuen Bahn ganz anders ausgesehen.
Ich übersetze das einmal: Die Lufthansa, die den Bau der neuen Bahn als Erste forderte und damit letztlich den Ausbau in Gang setzte, hatte nie vor, sich an das Nachtflugverbot zu halten. Sie hat immer darauf vertraut, dass sie in der Landesregierung willige Vollstrecker ihrer Wünsche finden wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß nicht, ob Herr Franz ein gläubiger Mensch ist. Aber ich finde, von den sieben Todsünden begeht er mindestens drei: Habgier, weil ihm eine Steigerung von 500.000 auf mindestens 750.000 Flugbewegungen im Jahr nicht genügt. Nein, er möchte auch noch in der Zeit von 23 bis 5 Uhr die Anwohner um des schnöden Mammons willen quälen. Maßlosigkeit, weil ihm eine Steigerung von 50 % der Bewegungen immer noch nicht genügt. Und Hochmut, weil ihm die Nöte der Anwohnerinnen und Anwohner offensichtlich völlig egal sind.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))
Natürlich ist es geradezu irrsinnig, wenn innerhalb von zehn Tagen der Flugplan von Lufthansa Cargo umge
strickt werden musste und jetzt jeden Abend kurz vor 23 Uhr ein Frachtflugzeug nach Köln startet, dort ein paar Stunden wartet, um dann von dort nach China zu fliegen. Aber, und das sage ich auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Lufthansa Cargo: Schuld daran sind nicht die Ausbaugegner.
Schuld daran ist der Lufthansa-Vorstand, der mindestens zwei Jahre Zeit hatte, um sich um neue Slots für den Flug nach China zu bemühen, es aber nicht getan hat.
Schuld daran ist die Hessische Landesregierung, die genau diesem Vorstand offensichtlich immer gesagt hat, dass das Nachtflugverbot am Ende nicht kommt, obwohl sie selbst genau dieses versprochen hatte. Und so ganz nebenbei: Die Tatsache, dass dieses Flugzeug kurz vor 23 Uhr voll starten kann, ist übrigens der Beweis, dass das Argument, der Interkontinentalverkehr brauche Bewegungen zwischen 23 und 5 Uhr wegen der Beladung und der Warenkette, schlicht Unsinn ist. Auch dieses Argument ist schlichter Unsinn.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE) – Minister Michael Boddenberg: Wo landet er denn, Herr Al-Wazir?)
Er landet in Köln, wird aber vor 23 Uhr in Frankfurt fertig beladen. Wenn die sich rechtzeitig um neue Überflugrechte, um neue Slots gekümmert hätten, dann könnte er auch direkt nach China fliegen, Herr Boddenberg.
Ich fordere die Landesregierung auf, sich ihre Argumente nicht mehr von solchen Leuten einflüstern zu lassen, sondern endlich ihrem Amtseid entsprechend die Interessen der hessischen Bevölkerung zu vertreten. Es geht jetzt darum, das Leben rund um den Flughafen nicht immer unerträglicher werden zu lassen, sondern endlich im Sinne der Bürgerinnen und Bürger zu handeln und nicht immer im Sinne dieser maßlosen Menschen in der Luftverkehrswirtschaft.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist jetzt elf Jahre her, dass der Landtag drei Tage lang in den Rhein-Main-Hallen die große Anhörung rund um das Mediationsergebnis durchführte. Es ist geradezu ein Witz, dass es vom Mai 2000 bis zum Oktober 2011 dauerte, bis der Verkehrsminister Posch eine „Taskforce“ einrichtete, die sich mit der offensichtlich völlig überraschenden Frage auseinandersetzen soll, was man denn für zusätzlichen Lärmschutz am Flughafen tun kann. Es ist ein wirklicher Witz.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))
Reden wir einmal darüber, worüber der Ministerpräsident und der Kollege Wagner nicht geredet haben, nämlich über die Frage, was wir jetzt tun. Wir könnten schon längst einen anderen, steileren Anflugwinkel haben, damit die Flugzeuge aus größerer Höhe anfliegen, schneller sinken und dadurch weniger Menschen belästigen. Wir brauchen das nicht irgendwann, sondern jetzt.
Wir könnten schon längst Steilstarts haben, damit die Flugzeuge schneller an Höhe gewinnen. Wir brauchen sie nicht irgendwann, sondern jetzt.
Wir könnten schon längst eine noch höhere Gebührenspreizung bei den Start- und Landegebühren haben, um lautere Flugzeuge stärker zu belasten und dadurch einen Anreiz zu geben, die Flugzeugflotten schneller zu modernisieren. Eine MD 11 F ist nicht nur zwischen 23 und 5 Uhr eine Zumutung, sondern auch tagsüber.