Nicht anders liegen die Dinge bei der sogenannten Reform der Eingliederungshilfe. Sie hat das Ziel, den Standard in der Behindertenarbeit zu senken. Der Hessische Sozialminister sieht das erfahrungsgemäß anders. In seiner Antwort auf unsere Anfrage behauptet er, dass es bei der Reform der Eingliederungshilfe nicht um eine Umsetzung der Kostendämpfungspolitik geht. Man habe es vielmehr mit einer Umorientierung der Behindertenhilfe zu tun. Es sei falsch, den Eindruck erwecken zu wollen, diesem Vorgang hafte ein Makel des Sparenwollens an.
Wie ist diese Aussage zu bewerten? Im Jahr 2006 hat die FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag eine Anfrage zu den Kosten der Eingliederungshilfe an die Bundesregierung gerichtet. Gefragt wurde unter anderem danach, welche Maßnahmen die Bundesregierung treffen wird, um die Kostenlast der Eingliederungshilfe zu reduzieren, und welche Lösungsvorschläge zur Eindämmung der erwarteten Kostenentwicklung vorgelegt werden.
In ihrer Antwort sprach die Regierung von einer Phase der notwendigen Konsolidierungsbemühungen im Bereich der sozialen Sicherung. In diesem Zusammenhang habe die Einführung persönlicher Budgets einen zentralen Stellenwert.
Dann hat sich die Konferenz der Arbeits- und Sozialminister im jährlichen Rhythmus der Sache angenommen. Auch von dieser Seite wurde regelmäßig festgestellt, dass eine Konsolidierung der Ausgaben in der Behindertenhilfe erforderlich sei.
Hintergrund des Vorgangs ist die Finanznot der Kommunen. Das Problem besteht darin, dass es die Kommunen
sind, die für die steigenden Kosten der Eingliederungshilfe aufkommen müssen. Der Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes ist deshalb der Auffassung, dass der Bund für die Eingliederungshilfe zuständig werden sollte. Der Bund habe andere Möglichkeiten der Gegenfinanzierung als die Kommunen.
Meine Damen und Herren, Sie sehen, bei diesem Vorgang geht es sehr wohl ums Geld. Es ist der Minister, der einen falschen Eindruck erweckt, wenn er von einer bloßen Umorientierung spricht. Die Gründe für den Anstieg der Kosten sind allgemein bekannt. Die Kosten der Eingliederungshilfe steigen, weil die Zahl der Hilfeempfänger steigt.
Es ist zwar Fakt, dass die absoluten Kosten der Eingliederungshilfe steigen, aber es trifft ebenso zu, dass die Quote der Sozial- und Transferleistungen dabei stabil bleibt. Anders gesagt: Unsere Gesellschaft kann sich den Mehraufwand leisten.
An sich muss die Kostensteigerung der Eingliederungshilfe kein Problem sein. Das Problem besteht vielmehr darin, dass die Kommunen finanziell kurzgehalten werden. Die Lösung des Problems besteht nicht in der Reform der Eingliederungshilfe, sondern in einer angemessenen Finanzausstattung der Kommunen.
Wenn der Sozialminister auch behauptet, die Kostendämpfung sei nicht Zweck der Übung, so hat er doch einen Blick für das Finanzielle. Bei einer Reform müsse schon auch über die Kosten gesprochen werden, sagt der Minister. Die Bundesrepublik leiste sich derzeit ein Eingliederungssystem, das sehr teuer sei. Trotz der hohen Kosten könne es nicht alle Ziele und Wünsche erfüllen.
Welche Ziele und Wünsche der Minister auch haben mag, er hält das aktuelle System der Behindertenhilfe für zu teuer.
In der allgemeinen Debatte wird nun argumentiert, dass sich in der Kostenhöhe eine fachliche Fehlentwicklung ausdrücke. Das System sei zu sehr darauf ausgerichtet, behinderte Personen mit besonderen Leistungen zu versorgen. Erforderlich sei deshalb ein Paradigmenwechsel in der Behindertenhilfe. An die Stelle eines besonderen Sozialwesens sollen behindertenfreundliche Sozialräume treten. Das gilt als besonders inklusiv.
Dann sagen Sie mir bitte, wenn Sie diese Sozialräume schaffen wollen, wie Sie die hessische Wirtschaft dazu bringen wollen, 17.600 schwerstbehinderte Menschen zu beschäftigen. Ich weiß nicht, vor welchem Hintergrund Sie da jemanden zwingen wollen. Ansonsten arbeiten Sie immer auf der Basis der freiwilligen Vereinbarungen. Genau diese Formen haben wir seit vielen, vielen Jahren. Es ist einfach nicht möglich, mehr Menschen mit Behinderungen in der Wirtschaft unterzubringen. Darum bemühen sich doch alle schon viele, viele Jahre lang sehr intensiv.
An die Stelle der Fürsorge soll die Selbstbestimmung treten – als ob das eine das andere ausschließt. Diese Positionen orientieren sich nicht an der Sache, sondern am Geld. In aller Offenheit stellt Frau Schönhut-Keil von den GRÜNEN dazu fest, dass der eigentliche Paradigmenwechsel in der Behindertenhilfe im Wegfall der Platzbzw. Angebotsfinanzierung bestehe. Diese Finanzierungsart sei zu wenig passgenau, um gleichermaßen den Sparzwängen der öffentlichen Hand und der gestiegenen Nachfrage Rechnung zu tragen.
Deshalb wird ein Finanzierungsmodell propagiert, das Sparpotenziale identifizieren soll, ein Finanzierungsmodell, das die Gesamtleistungen in Einzelleistungen aufspaltet, damit es möglich wird, die Gesamtleistungen auszudünnen. Das ist der ganze Sinn der sogenannten personenzentrierten Leistungsfinanzierung:
Was die inklusiven Sozialräume betrifft, so ist es Bernd Finke, der Geschäftsführer der überörtlichen Sozialhilfeträger, der Klartext spricht. Unter Inklusion versteht er einen gesellschaftlichen Zustand, in dem ein behinderter Mensch leben kann, ohne dass für ihn Sozialleistungen bewilligt werden müssten.
Das wäre, als reiner Satz betrachtet, ohne die Welt drum herum, wie sie existiert, sehr schön. Aber das ist doch jenseits dessen, was realisierbar ist, dass Menschen dann noch gesellschaftliche Teilhabe erleben können.
Mittlerweile schlägt der Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes allen Ernstes vor, die Eingliederungshilfe abzuschaffen und durch eine Pflichtversicherung zu ersetzen.
Meine Damen und Herren, sorgen wir gemeinsam dafür, dass dieser Spuk ein Ende hat. Streiten wir darüber, wie man die Lebensqualität von behinderten Personen verbessern kann. Aber lassen wir nicht zu, dass die Frage der Kosten die Debatte dominiert.
(Beifall bei der LINKEN – Mathias Wagner (Tau- nus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt hat es sich ausgespukt!)
Punktlandung, danke. – Die nächste Wortmeldung stammt von Herrn Abg. Decker von der Fraktion der SPD.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Eine Grundsatzbemerkung lassen Sie mich voranstellen: Wir begrüßen außerordentlich – denn das steht in engem Zusammenhang – die Umsetzung des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Sie ist in der Bundesrepublik völkerrechtlich bindend, Gott sei Dank.
Weniger begrüßen wir allerdings, dass Hessen bei der Umsetzung der Konvention hinterherhinkt. Hochglanzbroschüren und Schauveranstaltungen müssen endlich Taten folgen, Herr Minister.
Zum Einzelnen. Die UN-Konvention spricht sich deutlich gegen die Etablierung von Sondereinrichtungen aus, wo sie nicht unbedingt notwendig sind. Wir sehen dies als Bestätigung auf unserem Weg hin zu mehr Integration in Schulen und Kindergärten, um so behinderten Menschen in einer inklusiven Gesellschaft von Anfang an ein gleichgewichtiges Leben zu bieten. Die Debatte um das neue Schulgesetz, die wir geführt haben, führt an diesem Punkt leider genau in die entgegengesetzte Richtung.
Studien gehen davon aus, dass in der Bundesrepublik 80 bis 90 % aller behinderten Kinder integrativ zu beschulen sein werden. Hier kommt eine große Aufgabe auf den staatlichen Schulträger zu, deren Erfüllung wir allerdings mit sehr wachem Auge beobachten werden.
Die Gleichgestaltung des Lebensraums muss sich aber auch für die öffnen, die auf dauerhafte stationäre Pflege angewiesen sind. Wir müssen in diesen Einrichtungen weg vom Charakter eines Krankenhauses und eine privatere, wohnlichere Atmosphäre schaffen. All das wurde nach unserer Auffassung nicht ausreichend berücksichtigt. Dennoch teilen wir die Ansicht, dass es sich bei dem Wechsel von der institutionenbezogenen Behindertenhilfe hin zu einer personenzentrierten Hilfe um einen notwendigen Paradigmenwechsel handelt. Politik ist dann am besten, wenn sie den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Ich glaube, da sind wir uns alle einig.
Daher begrüßen wir auch das trägerübergreifende persönliche Budget, da es betroffenen Menschen größere Wunsch- und Wahlrechte einräumt als die bisherigen Ansätze. Wir kritisieren aber, wenn versucht wird, unter dem Deckmantel der politischen Reform eine Politik der Kostensenkung durchzuführen.
Es muss daher bei der Ausgestaltung des persönlichen Budgets darauf geachtet werden, dass das Budget nicht von der bisherigen Leistung abweicht und so auf Kosten der Lebensqualität von behinderten Menschen gespart wird. Offen bleibt auch, wie der Bedarf eines behinderten Menschen ermittelt werden soll. Zwar ist man sich schnell darüber einig, wie hoch er höchstens sein darf. Nach unten ist jedoch nach unserer Auffassung alles offen.
Der Leistungsträger wird also zum Hüter und zum Wächter der Mittel. Wir fragen: Wer überwacht an der Stelle den Wächter, und wer überwacht die Tauglichkeit und Sinnhaftigkeit der vereinbarten Ziele? Wer verhindert, dass das Verfahren von einer Qualitätskontrolle zur Leistungskontrolle der betroffenen Person wird? Welcher Einfluss bezüglich der Auswahl der Leistungsanbieter kommt dem Leistungsträger zu, der in letzter Konsequenz über die Finanzhoheit verfügt? Wie soll schließlich der durch die UN-Konvention zugesicherte Lebensstandard kontrolliert werden?
Wir verstehen natürlich, dass die Reformen mit Kosten verbunden sein können und sicherlich sein werden. Wir wissen durchaus die Offenheit von Minister Grüttner zu schätzen, wenn er sagt, dass die erforderlichen Strukturen bei den Kommunen erst geschaffen werden müssen und
dass dies mit Kosten verbunden ist. Weniger schätzen wir allerdings, wenn die Kostenlast hier offenbar wieder einzig und allein bei den Kommunen abgeladen werden soll.
Meine Damen und Herren, oberstes Ziel jeglicher Behindertenpolitik sollte immer sein, den betroffenen Menschen ein möglichst selbstständiges, unbeeinträchtigtes und diskriminierungsfreies Leben zu ermöglichen. Wir denken, diesem Ziel können wir mit dem persönlichen Budget gerecht werden. Dies kann aber nur erfolgreich sein, wenn es verständlich und transparent ist und auch angenommen wird. Um die Akzeptanz und das Verständnis der Menschen zu gewährleisten, sollte auch die Landesregierung ausreichend Informationsmöglichkeiten schaffen sowie personell und kompetent in der Lage sein, die Menschen mit ihren neuen Möglichkeiten vertraut zu machen.
Die Übertragung von mehr Selbstständigkeit und Verantwortung ist richtig. Falls nötig, müssen aber die nötige Hilfe und Begleitung gewährleistet sein. Weiterhin bleibt zu hoffen, dass die Zahlung des Budgets aus einer Hand nicht nur die Beantragung erleichtert, sondern auch zum Abbau von Bürokratie führt.
Die Auswahlmöglichkeiten durch den Budgetnehmer klingen zwar auf den ersten Blick verlockend, können sich jedoch als Trugschluss erweisen, wenn gerade im ländlichen Raum kaum Auswahlmöglichkeiten bestehen und so im Grunde genommen alte Strukturen, wenn vielleicht auch ungewollt, fortbestehen bleiben. Hier ist ebenfalls die Landesregierung aufgefordert, regionale Unterschiede zu glätten und Angebotsvielfalt zu fördern.
Ein selbstständiges Leben ist aber mehr als nur die Eigenverwaltung der Finanzen und Dienstleistungen. Zu einem selbstständigen Leben gehören auch die Teilhabe an der Öffentlichkeit, ein angemessenes soziales Umfeld und ein gesicherter Arbeitsplatz.
Die Werkstätten bieten vielen Menschen mit Behinderungen Arbeit und eine geregelte Tagesstruktur. Aber sie dürfen keine Einbahnstraße sein
eine Einbahnstraße für diejenigen, die in der Lage sind, auf dem Arbeitsmarkt Beschäftigung zu finden. Es sind nicht wenige, die diesen Schritt auch schaffen können. Das setzt die notwendige Durchlässigkeit des Systems und vor allem die nötige Förderung und Qualifizierung voraus. Die radikale Kürzung der Eingliederungsmittel – ich rede jetzt von den Eingliederungsmitteln als Arbeitsmarktinstrument – ist da eindeutig kontraproduktiv gewesen.