Herr Präsident, meine Damen und Herren! Aufgrund der Verkürzung der Schulzeit durch die Umstellung auf G 8 werden in den nächsten Jahren die doppelten Abiturjahrgänge an die Hochschulen kommen. Zudem haben wir den Wegfall der Wehrpflicht. Das führt dazu, dass die Hochschulen in Deutschland einem derartigen Andrang von Bewerbern gegenüberstehen. Das ist natürlich eine enorme Herausforderung.
Frau Ministerin, das Problem ist: Sie wissen das seit Jahren. Wir haben das hier immer wieder diskutiert, spätestens bei der Umstellung auf G 8 wurde dieses Problem natürlich absehbar. Aber Sie haben nicht gehandelt. Zumindest haben Sie nicht mit Sinn und Verstand gehandelt: Sie haben die Hochschulen nicht darauf vorbereitet.
Herr Müller, das kann man jetzt nicht einfach wegreden, indem man sich hier vorne hinstellt und sagt: Die Hochschulen sind auf einem guten Weg. – Ich muss Ihnen einmal sagen: Diese Meinung haben Sie ziemlich exklusiv. Die Hochschulpräsidenten jedenfalls sehen das offensichtlich anders.
Sie sagen, die Hochschulen können sich auf CDU und FDP verlassen. Ich befürchte, wenn die Hochschulen sich auf Sie verlassen, dann sind sie verlassen, weil Sie dazu beitragen, dass die Hochschulen in Hessen chronisch unterfinanziert sind.
Wie sich das in Zahlen konkret ausdrückt, das lässt sich ganz gut an der Uni Frankfurt darstellen. Laut „Frankfurter Rundschau“ vom Juli gab es an der Frankfurter Uni für das kommende Wintersemester bereits 62.000 Bewerber allein für die zulassungsbeschränkten Studiengänge.
Ein Jahr zuvor waren es 48.000 Bewerber. Die anderen Hochschulen haben vergleichbare Entwicklungen zu vermelden. Daher ist auch nicht verwunderlich, dass in der Presseberichterstattung inzwischen drastische Ausdrücke wie „drohender Kollaps“ zu lesen sind. Wenn man sich das heute anschaut, kann man sich in etwa ausmalen, wie das zum Wintersemester 2012 oder gar 2013 aussehen wird.
Diese Verschärfung entwickelt sich angesichts einer bereits jetzt bestehenden Mangelsituation. In den letzten Jahren war jedes neue Jahr ein Rekordjahr an den Unis. Mehr als 440.000 Erstsemester waren es bundesweit im letzten Jahr, dieses Jahr sind es schätzungsweise eine halbe Million. Auch in Hessen gibt es Jahr für Jahr einen Rekord bei den Studienanfängern. Dabei treffen die heutigen Studierenden bereits auf eine Mangelsituation: Etwa 2,2 Millionen Menschen studieren an deutschen Hochschulen, die aber eigentlich nur auf 1,1 Millionen Studienplätze ausgelegt sind.
Wer sich darauf zurückzieht, man müsste nur das Jahr 2016 oder die fortfolgenden abwarten, bis die Einführung von G 8 abgeschlossen ist, und dann würde sich die Abiturientenzahl quasi automatisch wieder normalisieren, dem muss man auch einmal sagen: Zum einen hilft das den aktuell Betroffenen jetzt herzlich wenig. Zum anderen sollte man auch nicht davon ausgehen, dass der Trend
zu einem höheren Jahrgangsanteil derer, die eine Berechtigung zum Hochschulzugang erwerben, nachlassen wird. Von daher kann nicht die Aussicht sein, darauf zu hoffen, dass man diesen Studentenberg irgendwie untertunneln wird und die Situation aussitzen kann, sondern es muss jetzt gehandelt werden.
Herr Müller, wenn Sie sich die Finanzierung der Hochschulen anschauen, müssen Sie natürlich auch sehen: Wir reden hier auch über so etwas wie Tariferhöhungen. Jeder Hochschulpräsident sagt Ihnen in jedem Gespräch, das wir im Ausschuss führen, natürlich muss man die Tariferhöhungen einrechnen, ebenso die steigenden Energiekosten. Herr Müller, deswegen geht es nicht so einfach, dass Sie sagen: Ich nehme jetzt die Zahlen von 1998 und vergleiche die mit den heutigen Zahlen. – Natürlich müssen wir uns das inflationsbereinigt anschauen; das ist das Erste. Das Zweite ist: Wir müssen uns die Mittel pro Student anschauen, weil heute sehr viel mehr Menschen an hessischen Hochschulen studieren, als das noch Ende der Neunzigerjahre der Fall war. Herr Müller, wenn man sich die Zahlen einmal inflationsbereinigt und auf Mittel pro Student heruntergerechnet anschaut, dann sieht das in Hessen wirklich nicht nach Champions League aus, dann sieht das eher nach Abstiegskampf aus, um bei Ihrem Vokabular zu bleiben.
Im Juli gab es eine Prognose vom CHE; das ist mit Sicherheit nicht uns nahestehend, das ist die Bertelsmann Stiftung.
Ich weiß auch nicht, die nennen sich so. Der arme Che Guevara würde sich im Grabe herumdrehen, wenn er wüsste, dass die Bertelsmann Stiftung dahintersteht.
Diese uns sicher nicht nahestehende Stiftung – Herr Büger lacht schon – hat festgestellt, dass bis zum Jahr 2015 bundesweit 200.000 Studienplätze fehlen werden.
Angesichts einer solchen Situation sind die Folgen doch sehr leicht absehbar: eine allgemeine Verschlechterung der Studienbedingungen, überfüllte Hörsäle, und vor allem wird das Betreuungsverhältnis zwischen Studierenden und Lehrenden noch ungünstiger werden. Aufgrund dieser schlechten Betreuung droht eine Welle von Studienabbrechern, von Studierenden, die keinen anderen Ausweg sehen, um den unerträglichen Bedingungen an den Hochschulen zu entkommen.
Sicherlich, das will ich an dieser Stelle ausdrücklich anerkennen: Die Hochschulen in Hessen bemühen sich, Lösungen zu finden. Sie versuchen, diese Löcher zu stopfen. Gerade in den letzten Wochen haben die Medien sehr ausführlich darüber berichtet, und wir wollen das ausdrücklich anerkennen. Aber natürlich müssen die Hochschulen mit Bedingungen zurechtkommen, die sie nicht selbst bestimmen konnten und die sie sich sicher anders gewünscht hätten.
Da hat der Kollege Grumbach vollkommen recht: In Hessen heißt Autonomie de facto Mangelverwaltung. Man kann selbst entscheiden, wie man den Mangel am besten verwaltet. Frau Ministerin, genau das ist das Problem. Sie
schieben den Hochschulen ein zu kurzes Tischtuch zu, und die können dann schauen, wie sie mit dem zu kurzen Tischtuch umgehen, ob sie Fachbereiche schließen, ob sie vielleicht Personal abbauen oder was sie damit machen.
Das ist ein Problem, weil die Hochschulen natürlich als Erstes anfangen, beispielsweise einen Numerus clausus einzuführen und Hochschulzulassungsbeschränkungen durchzusetzen. Das Problem dabei ist: Das mag vielleicht für die Hochschulen erst einmal ein Ausweg sein. Aber es gibt ein Recht junger Menschen auf ein Studium. Nach Art. 12 des Grundgesetzes gibt es ein Recht auf freie Berufswahl. Deswegen geht es nicht nur um die volkswirtschaftliche Frage, dass wir jetzt Fachkräfte brauchen, sondern es geht ganz elementar um ein Recht auf gute Bildung, das wir als LINKE verteidigen wollen.
Wir erleben eine Prekarisierung an den Hochschulen, was die Arbeitsbedingungen angeht, immer mehr befristete Verträge. Viele Menschen, die an den Hochschulen arbeiten, können überhaupt nicht mehr für die Zukunft planen. Das führt natürlich auch dazu, dass die Studierenden nicht mehr derart intensiv betreut werden, wie das nötig wäre.
Ein weiteres Problem darf nicht außer Acht gelassen werden, das haben wir in unserem Antrag auch geschrieben, darauf weisen die Hochschulen immer wieder hin: Die wachsende Zahl der Studierenden bringt auch die Notwendigkeit mit sich, sie an den Hochschulorten irgendwo unterzubringen. Da reden wir darüber, dass wir einen ganz massiven Mangel an studentischem Wohnraum haben. Herr Müller, dazu haben Sie leider nichts gesagt. Das ist ein Problem. Die Hochschulen versuchen jetzt, durch Aufrufe an ihre Absolventen, durch Aufrufe an Bürgerinnen und Bürger an privat organisierten Wohnraum zu kommen. Aber auch das ist eine Aufgabe der Landesregierung, die Studentenwohnheime so auszustatten, die Studentenwerke so auszustatten, dass wir in den hessischen Hochschulstädten genügend bezahlbaren studentischen Wohnraum haben. Auch hier sind Sie leider sehr untätig.
Ohne eine ausreichende Finanzierung der Bildung wird sich die Situation weiter verschärfen. Bereits seit Jahren hinken die finanziellen Mittel den Aufgaben hinterher. Es gibt genug Untersuchungen, die das belegen. Wir haben gerade eine aktuelle OECD-Studie von heute, die besagt, dass die Bildungsausgaben in Deutschland, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, rückläufig sind. Das ist auch kein Wunder, wenn wir hier über Sparpakete und Schuldenbremse reden. Der Anteil der Hochschulabsolventen liegt deutlich unter dem Durchschnitt der OECD-Länder. In Deutschland ist der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg nach wie vor besonders stark. Gerade Jugendliche aus armen Familien, Jugendliche mit Migrationshintergrund werden systematisch benachteiligt.
Herr Müller, wenn Sie hier davon reden, man könnte doch Hochschulen im Schichtbetrieb organisieren, dann frage ich mich wirklich: Sie kommen aus einer Partei, die sich immer der Familienfreundlichkeit rühmt. Denken Sie vielleicht einmal an Studierende, die ein Teilzeitstudium machen, die beispielsweise ein Kind haben?
Vielleicht machen wir die Hochschulen noch sonntags auf, das wäre das Allerbeste. – Wir brauchen keine Hochschulen im Schichtbetrieb, sondern wir brauchen gut ausgestattete Hochschulen und vor allem Rücksichtnahme auf Menschen, die gezwungen sind, neben ihrem Studium zu arbeiten – das betrifft zwei Drittel aller Studierenden –, auf Studierende, die Angehörige pflegen müssen oder die Kinder haben. Deswegen finde ich, was Familienfreundlichkeit angeht, sollten Sie noch einmal in sich gehen, ob das wirklich eine Position ist, die Sie hier öffentlich vortragen wollen, Herr Müller.
In Hessen haben Sie den Hochschulen seitens der Landesregierung einen Hochschulpakt mit ganz massiven Kürzungen diktiert – trotz des Protests der Hochschulpräsidenten, der Studierenden und der Hochschulangehörigen. Gleichzeitig fördern Sie mit der European Business School eine Privatuni – man muss es immer wieder sagen –, die ihren Studierenden 12.000 € Studiengebühren pro Jahr abverlangt. Sie haben genug Geld, um dieser Skandaluni Millionen in den Rachen zu werfen, und gleichzeitig kürzen Sie die Mittel an den öffentlichen Hochschulen. Das ist eine vollkommen falsche Politik, eine vollkommen falsche Prioritätensetzung.
Deswegen sind wir der Meinung, wir brauchen eine andere Prioritätensetzung in der Hochschulpolitik, weg von Exzellenzinitiative, nationalen Stipendienprogrammen und der Förderung von Privatunis. Was wir brauchen, ist eine gute Bildung für alle, Herr Büger, und nicht nur für die Klientel der FDP. Die wird eh immer weniger. Nicht nur für die brauchen wir gute Schulen und Elitebildung, sondern wir brauchen gute Bildung für alle.
Ich muss leider zum Schluss kommen. Die systematische Unterfinanzierung der Hochschulen ist kein Betriebsunfall. Sie ist Folge einer falschen Finanzpolitik und einer falschen Bildungspolitik. Wer heute gute Bildung will, der darf sich nicht weiter dagegen wehren, dass hohe Vermögen in diesem Land ordentlich besteuert werden.
Dann muss man schauen, wie man Einnahmen für die öffentliche Hand erzielen kann, damit wir gute Schulen und gute Hochschulen in diesem Land haben, nicht nur für die Kinder reicher Eltern, die sich das vielleicht leisten können. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auf dem Campus der altehrwürdigen Universität von Harvard steht ein Denkmal mit einer Statue, unter der übersetzt steht: John Harvard, Gründer der Harvard-Universität im
Jahre 1638. – Diese Statue heißt dort die Statue der drei Lügen; denn in Wirklichkeit ist John Harvard nicht der Gründer der Hochschule, es war 1636, und der Mann aus Stein, der dort zu sehen ist, ist gar nicht John Harvard.
denn von dem, was Sie heute erzählt haben, was angeblich in der Hochschulpolitik in Stein gemeißelt ist, bleibt bei näherer Betrachtung nicht sehr viel an Wahrheit übrig.
Dabei denke ich an Ihre drei Kernaussagen: Erstens stünden die hessischen Hochschulen angeblich vor dem Kollaps, zweitens behandle Schwarz-Gelb die Hochschulen stiefkindlich, und es sei sogar ein Notprogramm erforderlich, und überhaupt müsste nur die SPD regieren, damit mehr in Bildung investiert würde.