Protocol of the Session on September 13, 2011

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben sich mit dem von Ihnen selbst initiierten Verfahren – der Regierungserklärung, der Kommission KuK und den Kontrakten – selbst gelobt für die angeblich gelungene Kommunikation.

(Gerhard Merz (SPD): Es macht ja sonst keiner!)

Meine Damen und Herren, ich will hier nicht oberlehrerhaft auftreten, aber lassen Sie mich kurz das Wort Kommunikation, das aus dem Lateinischen stammt, übersetzen. Communicare bedeutet: teilen, gemeinsam machen, vereinen.

(Leif Blum (FDP): Dass es nicht aus dem Pfälzischen stammt, wissen wir!)

Angesichts dessen, was hier passiert ist, ist Ihre Kommunikation gründlich gescheitert.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LIN- KEN)

Das Schlimme ist, dass Sie sich in dem ganzen Gesetzgebungsverfahren bis zum heutigen Tage der zweiten Lesung als absolut beratungsresistent erwiesen haben, obwohl die Anhörung eine schallende Ohrfeige für Sie war.

Während des gesamten Gesetzgebungsverfahrens sind Ihre eigene Kommunikation und Argumentation, die Sie aufgebaut haben, wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen. Der Landesrechnungshof, den Sie einst als Kronzeugen angeführt haben, ist mehrfach im Hessischen Landtag vorstellig geworden und hat seine Rolle deutlich gemacht. Er hat sich, wie ich finde, ausdrücklich von diesen Plänen distanziert, bedeckt gehalten, zumindest seine eigene Rolle sehr deutlich gemacht. Es ist eine Missachtung des Landesrechnungshofs – das will ich hier noch einmal deutlich machen –, dass Sie nicht die Prüfung der Amtsgerichte abwarten und sie in das Gesetzgebungsverfahren einbeziehen.

(Beifall bei der SPD)

Ich will einen Bereich herauspicken. Die erwarteten Einsparungen bei den Sachaufwendungen – das hat die Anhörung deutlich gemacht – werden mitnichten erzielt werden können. Der von Ihnen selbst in Auftrag gegebene Controllingbericht hat festgestellt, dass die Gebäudekosten pro Mitarbeiter und die IT-Kosten pro Mitarbeiter an den kleinen Landgerichten in Hessen geringer sind als an den großen Gerichten.

(Stefan Müller (Heidenrod) (FDP): Soll ich Ihnen den Unterschied zwischen Amtsgerichten und Landgerichten erklären?)

Wie mag es wohl bei den Amtsgerichten aussehen? Dem Controllingbericht ist aber auch Folgendes zu entnehmen: dass die Amtsgerichte Nidda, Schlüchtern, aber auch Usingen im Landesvergleich mit anderen Gerichten in den Hauptverfahren Straf-, Zivil- und Familiensachen sehr gut dastehen. Ich kann Ihnen klar sagen, dass Nidda bei den Strafsachen den Klassenprimus abgegeben hat. Die waren Landesbeste. Als Dank dafür werden sie jetzt geschlossen.

(Brigitte Hofmeyer (SPD): Unglaublich!)

Ich will es noch einmal deutlich machen, meine Damen und Herren: Ihre Pläne sind nicht alternativlos.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Auch in der Justiz kann an anderer Stelle wirklich gespart werden. Ich möchte hier drei Beispiele nennen, die in der öffentlichen Diskussion, auch in der parlamentarischen, noch nicht so angesprochen worden sind.

(Günter Rudolph (SPD): Fangen wir ganz oben beim Ministerium an!)

Es gibt das Faktum, dass die Nebenkostenvorauszahlungen über das HI von den einzelnen Gerichten überhöht abgeführt werden. Erst viel später werden die überhöhten Nebenkosten zurückgeführt, natürlich unverzinst. Das könnte man im Justizressort anders abbilden.

(Beifall bei der SPD)

Auch bei der zentralen Beschaffung könnte man an der einen oder anderen Stelle viel Geld sparen, indem man bestimmte Sachbereiche dezentral abwickelt.

Herr Hahn, eines will ich ganz deutlich sagen, weil es ein FDP-Ministerium ist: Rechtspolitisch passiert auf Bundesebene doch überhaupt nichts mehr.

(Günter Rudolph (SPD): Die finden gar nicht mehr statt!)

Es gibt überhaupt keine Reformüberlegungen, etwa wie wir an die Kosten beim Betreuungsrecht Hand anlegen können. Es gab da eine vermurkste Reform. Die Diskussion, wie wir bei der Justiz Geld einsparen könnten, findet nicht einmal ansatzweise auf Bundesebene statt. Fehlanzeige herrscht da. Hier könnte viel Geld eingespart werden.

(Beifall bei der SPD)

Unglaublich finde ich auch, dass Sie im Rahmen dieses Kontraktes die Richter und Folgedienste – ich will es deutlich sagen – hinters Licht geführt haben. Stets haben Sie gesagt: Entweder es gibt weniger Standorte und mehr Personal, oder es gibt mehr Standorte mit weniger Personal. Was soll jetzt passieren? Gerichte werden geschlossen, aber es wird auch massiv Personal abgebaut werden.

Sie haben vor einigen Wochen durchsickern lassen, dass über 18,2 Millionen € an Personalkosten zusätzlich eingespart werden sollen.

(Petra Fuhrmann (SPD): Hört, hört!)

Das sind mehr als 45 Richterstellen. Gerade im Folgedienst werden Sie die Justiz mit 170 Stellen im mittleren und einfachen Dienst empfindlich treffen.

Dabei sagen die PEBB§Y-Zahlen selbst, dass für Hessen rechnerisch ein Mehrbedarf besteht. Die durchschnittliche Belastung bei den Richtern und Staatsanwälten beträgt jetzt schon 110 %. Wo soll dann noch mehr Personal gespart werden bei der faktischen Belastungssituation, die bei dem Personal in der Justiz jetzt schon herrscht?

Herr Justizminister, ich kann Ihnen nur zurufen: Halten Sie inne. Legen Sie endlich Vorschläge auf den Tisch, die zu einer echten, zielführenden Einsparung bei der Justiz führen. Legen Sie nicht die Axt an eine gute, bürgernahe und effiziente Justiz an. – Ich beantrage hiermit die dritte Lesung.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LINKEN – Hartmut Honka (CDU): Keine Überraschung!)

Ich erteile Herrn Abg. Dr. Jürgens für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! „Wer Gerichtsstandorte schließt, entfernt den Rechtsstaat von sei

nen Kunden“ – dieser Satz stammt nicht von mir, sondern vom Präsidenten des Deutschen Anwaltvereins, Prof. Dr. Ewer, ausgesprochen in seinem Grußwort zum 25-jährigen Bestehen des Hessischen Landesverbandes des DAV, in der vorletzten Woche im Schloss Biebrich. Es waren außer mir noch ein paar andere Kolleginnen und Kollegen dabei, und wir konnten erleben, dass dieser Satz der Kritik lebhaften Beifall bei allen anwesenden Rechtsanwälten, bei Angehörigen und Freunden der Justiz fand.

Es wurde überdeutlich, dass niemand Verständnis für die erneute Schließungsrunde bei den Amtsgerichten und erstmals auch bei den Arbeitsgerichten hat. Auch in der Anhörung im Rechts- und Integrationsausschuss war das Ergebnis mehr als eindeutig. CDU und FDP konnten keinen einzigen Sachverständigen aus Hessen – oder darüber hinaus – aufbieten, der die Schließungspläne unterstützt hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Zuletzt hat der Hessische Städte- und Gemeindebund auf die Bedeutung der Örtlichkeitsnähe, gerade bei amtsgerichtlichen Entscheidungen, hingewiesen, wenn es um zivilrechtliche Streitigkeiten, etwa Verkehrsunfälle, Betreuungsverfahren und Ähnliches geht. Er hat zugleich von einer weiteren Schwächung des ländlichen Raums gesprochen, wenn gerade hier kleine Gerichte geschlossen werden.

All das müsste Ihnen doch eigentlich zu denken geben. Stattdessen erleben wir auch hier: Augen zu und durch. Natürlich weiß jeder, dass sich der Rechtsstaat tatsächlich zurückzieht, wenn Gerichte aus der Fläche verschwinden. Das wird von niemandem bestritten, ich glaube, auch vom Minister nicht. Aber seine Behauptung, dies sei durch notwendige Einsparungen gerechtfertigt, konnte er bis heute nicht nachvollziehbar belegen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Es ist weiterhin unbekannt, ob die Gerichtsschließungen im Jahr 2004 tatsächlich zu spürbaren Einsparungen geführt haben. Das wäre ja die Grundlage weiterer Schließungen gewesen. Nahezu alle Behauptungen über angebliche Einsparungen wurden in der Anhörung des Rechtsund Integrationsausschusses widerlegt oder zumindest mit guten Gründen angezweifelt.

Wir haben in der letzten Plenarrunde schon darüber gesprochen: Noch in einem Bericht an den Hessischen Landtag vom Dezember 2007 hat das damalige Justizministerium den Vorschlägen des Rechnungshofs auf Zusammenlegung von Arbeitsgerichten ausdrücklich widersprochen. Die hessischen Arbeitsrichter, das wurde damals festgestellt, lagen hinsichtlich der Eingänge und Erledigungen bundesweit auf dem vierten Platz und damit deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Deshalb war das Fazit des Justizministeriums damals – ich zitiere –, „dass kleine Arbeitsgerichte eine sehr arbeitseffiziente und schlagkräftige Organisationseinheit darstellen können“. Weiter hieß es: „Bei den Arbeitsgerichten Marburg und Wetzlar liegen nicht nur die Neuzugänge, sondern auch die Erledigungen pro Richter über dem Landesdurchschnitt“. Gerade diese Spitzenreiter der Effizienz wollen Sie jetzt schließen und wundern sich, dass das auf Unverständnis stößt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Als wir genau das im Rechts- und Integrationsausschuss angesprochen haben, war das einzige Argument des Ministers, die Zusammenlegung von Gerichten müsse nun einmal neu bewertet werden und anderen Gesichtspunkten folgen, nämlich rein finanzmathematischen, jetzt müsse eben gespart werden. Diese Argumentation, Herr Minister, zeigt deutlich: Ihnen geht es doch gar nicht um die Effizienz der Justiz. Sie argumentieren ausschließlich mit Zahlen.

Dabei berufen Sie sich auch noch pausenlos auf den Rechnungshof. Ich habe in der Debatte schon einmal darauf hingewiesen, dass der Rechnungshof empfohlen hat, kleine Amtsgerichte mit nicht mehr als drei Richterstellen zu schließen. In Klammern gesagt: Da hätte das Amtsgericht Usingen schon gar nicht dazugehört. – Dann kommt aber der entscheidende Halbsatz: „... wenn eine räumliche Nähe zu einem anderen Amtsgericht besteht, das die Aufgaben übernehmen kann“. Diese „räumliche Nähe“, das wurde in unserer Anhörung mündlich konkretisiert, sind etwa 20 km. Jetzt erleben wir, dass z. B. beim Amtsgericht Schlüchtern die aufnehmenden Gerichte 30 und 60 km entfernt sind. Vom Amtsgericht Usingen liegt das Amtsgericht Königstein 28 km entfernt. Damit ist doch Ihre gesamte Argumentationslinie null und nichtig. Sie können sich gerade nicht auf die Empfehlungen des Rechnungshofs stützen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Hahn, wenn es Ihnen in den Kram passt, dann tun Sie so, als seien die Empfehlungen des Rechnungshofs strikte Vorgaben, an die man sich halten müsse, und wenn es Ihnen nicht in den Kram passt, dann sagen Sie, das seien unverbindliche Empfehlungen, die neu bewertet werden müssen. Wenn Sie wirklich ein Interesse an einer seriösen Überprüfung Ihrer Pläne hätten, dann hätten Sie den Rechnungshof frühzeitig um eine erneute Stellungnahme zu Ihren Schließungsplänen gebeten, und zwar schon im letzten Jahr, als Sie diese der Öffentlichkeit vorgestellt haben. Es wäre ohne Weiteres möglich gewesen, eine neue Stellungnahme einzuholen. Sie haben das zwar im Ausschuss bestritten und gesagt, das wäre ein Verstoß gegen die Landeshaushaltsordnung, aber ich habe mir die Landeshaushaltsordnung noch einmal angeschaut und muss sagen: Selbstverständlich hätten Sie den Landesrechnungshof bitten können, eine entsprechende Überprüfung vorzunehmen. Dieser hätte dann selbst entscheiden müssen, ob er das tut. Das wäre seine Verantwortung. Aber Sie hätten ihn bitten können. Das haben Sie gar nicht erst getan.

Jetzt haben wir die Situation, dass der Rechnungshof von sich aus an einer begleitenden Prüfung arbeitet. Das Ergebnis soll im Herbst vorgelegt werden. Wir haben vorgeschlagen, das Verfahren so lange auszusetzen. Es wäre an sich logisch, die neue Berichterstattung abzuwarten. Was machen Sie? Sie sagen, Mehrheit sei Wahrheit, und stellen das ein weiteres Mal unter Beweis. Seriös ist das jedenfalls nicht, wenn Sie wirklich an der Sache interessiert wären.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Am schlimmsten finde ich – Frau Hofmann hat schon darauf hingewiesen –, dass Sie die Angehörigen der Justiz massiv getäuscht haben. Sie haben ihnen vorgegaukelt, der Justiz könne weiterer Stellenabbau erspart werden, wenn man sich auf die Schließungspläne einlasse. Sie haben in der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs erklärt,